Delle Grazie war die Tochter von Caesar delle Grazie (1817–1873) und dessen Frau Maria, geborene Melzer. Ihr Vater, Nachkomme eines venezianischen Geschlechts, war Oberinspektor der Ersten Donau-Dampfschiffahrts-Gesellschaft im Banat und anschließend Bergwerksdirektor in Drenkowa (heute: Drencova); ihre Mutter kam aus einer bürgerlichen Hamburger Familie. Sie wuchs im Banat im Dorf Bersaska auf. 1874, nach dem Tod des Vaters, zog ihre Mutter mit ihr und dem jüngeren Bruder nach Wien. Delle Grazie studierte dort nach ihrem Schulabschluss an der Lehrerinnenbildungsanstalt von St. Anna. Eine Krankheit hinderte sie dann an der Ausübung ihres Berufs, weshalb sie freie Schriftstellerin wurde. Seit ihrer frühesten Jugend schrieb sie bereits, und schon mit 19 Jahren wurde ihr 1883 ein Literaturstipendium der Schwestern-Fröhlich-Stiftung als Anerkennung ihres Werks Saul gewährt.[1] Der Theologe und Ethiker Laurenz Müllner förderte und unterstützte sie. Im Winter 1886/1887 gewann sie auf einer Italienreise Anregungen zu ihrer später viel beachteten Vignettensammlung. Marie Eugenie delle Grazie starb 1931 im Alter von 66 Jahren unverheiratet in Wien. Sie fand ihre letzte Ruhe auf dem Wiener Friedhof Döbling auf der Hartäckerstraße.
Gemeinsam mit Marie von Ebner-Eschenbach ist Marie Eugenie delle Grazie eine der prominentesten österreichischen Schriftstellerinnen um 1900. Sowohl ihr episches als auch ihr lyrisches Werk zeichnen sich durch Reife aus. Sie schrieb neben Populärliteratur auch gesellschaftskritische Werke, in denen sie für Freiheit und Menschenwürde eintrat. Sie war eine bedeutende Vertreterin des Realismus. Sie gehörte auch der Vereinigung Iduna an, die sich nach der nordischen Gottheit der Fruchtbarkeit nannte. Nach dem Tod ihres Mentors Müllner 1912 zog sie sich in die Steiermark zurück und wandte sich vom freigeistigen Denken ab und dem Katholizismus zu.
Hermann. Deutsches Helden-Gedicht in 12 Gesängen (1883)
Die Zigeunerin. Eine Erzählung aus dem ungarischen Haidelande (1885)
Saul (Tragödie, 1885)
Der Rebell. Bozi. (2 Erzählungen, 1893)
Robespierre. Ein modernes Epos. (1894)
Moralische Walpurgisnacht. Ein Satyrspiel vor der Tragödie. (1896)
Monika Manczyk-Krygiel: An der Hörigkeit sind die Hörigen schuld. Frauenschicksale bei Marie von Ebner-Eschenbach, Bertha von Suttner und Marie Eugenie delle Grazie. Heinz, Stuttgart 2002 (= Stuttgarter Arbeiten zur Germanistik; 405) ISBN 3-88099-410-2
Maria Mayer-Flaschberger: Marie Eugenie delle Grazie (1864–1931). Eine österreichische Dichterin der Jahrhundertwende. Studien zu ihrer mittleren Schaffensperiode. Verlag des Süddeutschen Kulturwerks, München 1984, ISBN 3-88356-035-9 (= Veröffentlichungen des Südostdeutschen Kulturwerks; Reihe B, [Wissenschaftliche Arbeiten], 44)
Alice Wengraf: Marie Eugenie delle Grazie. Versuch einer geistesgemässen biographischen Skizze. Selbstverlag, Wien 1932
Gisela Brinker-Gabler, Karola Ludwig, Angela Wöffen: Lexikon deutschsprachiger Schriftstellerinnen 1800-1945. dtv, München 1986, ISBN 3-423-03282-0, S. 66f.