Gefängnis in Frankreich Aus Wikipedia, der freien Enzyklopädie
Die 64 Märtyrer von Rochefort bilden die von Papst Johannes Paul II. im Jahr 1995 seliggesprochene Teilgruppe der im Zuge von Verfolgungen oppositioneller Geistlicher nach der Französischen Revolution deportierten und in Gefängnisschiffen vor Rochefort unter unmenschlichen Bedingungen festgehaltenen 829 römisch-katholischen Geistlichen, von denen mindestens 505 starben.
Im Rahmen der sich zunehmend radikalisierenden Entchristianisierungspolitik der Französischen Revolution wurde am 21. Oktober 1793 das Dekret Nr. 906 über die Deportation von Geistlichen nach Westafrika erlassen, das alle Priester betraf, die den Eid auf die Zivilverfassung des Klerus verweigert (die sogenannten réfractaires) oder widerrufen hatten oder die wegen „Mangels an revolutionärem Bürgersinn“ (incivisme) denunziert worden waren. Wer aus dieser Gruppe noch nicht emigriert war oder sich nicht verstecken konnte oder wollte, wurde festgenommen und zusammen mit anderen Verbannten zwischen März und Juli 1794 in Gruppen unter militärischer oder polizeilicher Bewachung auf Pferdekarren nach Nantes, Bordeaux oder Rochefort transportiert. Von den insgesamt 2412 deportierten Geistlichen kamen 829 nach Rochefort und wurden dort auf Gefängnisschiffen (französisch pontons) interniert, vor allem die Deux-Associés und die Washington, zwei ehemalige Sklavenschiffe. Die ersten Gefangenen wurden am 11. April 1794 auf die Deux-Associés gebracht, die eigentlich für den Transport von 40 Sklaven vorgesehen war und auf der zeitweise bis zu 400 gefangene Priester hausten. Mitte Juni kam die Washington hinzu. Ein Auslaufen nach Afrika wurde nie ernsthaft erwogen, zumal die Schiffe dazu auch gänzlich ungeeignet waren und das Verlassen der französischen Häfen wegen der britischen Seeblockade ohnehin nicht möglich war.
Die Priester wurden auf den überfüllten Schiffen in qualvoller Enge unter strengster Bewachung, bei unzureichender Ernährung und unter schrecklichen hygienischen Verhältnissen festgehalten. Es gab ein strenges Verbot, zu beten und Lateinisch zu sprechen. Nachdem die Zustände an Bord unerträglich geworden waren, wurde im August die Ausschiffung der Kranken auf die Insel Citoyenne (heutige Île Madame, Teil von Port-des-Barques) angeordnet, wo ein provisorisches Zeltlazarett hergerichtet wurde. Von 83 vom 18. bis zum 20. August 1794 auf die Insel gebrachten Gefangenen starben 36 binnen weniger Stunden nach ihrer Ankunft. Ende Oktober wurde das Lazarett wegen der rauen Wetterbedingungen geschlossen, nachdem viele Zelte vom Wind weggeweht worden waren, und alle Gefangenen mussten den Winter wieder auf den Schiffen verbringen. Bedingt durch die Veränderungen der politischen Lage in Frankreich war die Behandlung durch die Bewacher seit Spätherbst 1794 etwas milder und die Priester durften die Schiffe im Januar 1795 verlassen; die Überlebenden mussten in zwei Gruppen nach Saintes marschieren und wurden dort freigelassen. Insgesamt starben mindestens 505 der 829 Priester, vorwiegend in der Zeit von Juni bis September 1794, an Fleckfieber oder Entkräftung. Etwa die Hälfte wurde auf der Insel Aix bei Fouras begraben, 254 auf Citoyenne/Madame, wo heute ein aus Kieseln geformtes, liegendes Kreuz an die Märtyrer erinnert.
1796 und 1803 wurden von Überlebenden insgesamt drei Berichte veröffentlicht. 1806 ließ der Überlebende Pierre-Grégoire Labiche de Reignefort eine „sehr ausführliche Darstellung der Dinge, die von den 1794 und 1795 wegen Eidesverweigerung an Bord der Schiffe Les Deux Associés und Le Washington festgesetzten Priester um der Religion willen im Hafen der Insel Aix und Umgebung erlitten wurden“ (Relation très-détaillée de ce qu’ont souffert pour la religion les prêtres... détenus en 1794 et 1795 pour refus de serment à bord des vaisseaux « Les Deux Associés » et « Le Washington », dans la rade de l’île d’Aix ou aux environs) drucken, die einen von seiner Gefangenengruppe verfassten Aufruf enthält und die Geisteshaltung und Zukunftshoffnung dieses Teils der Opfer illustriert. Diesem Zeugnis zufolge versprachen die Überlebenden, ihr Leiden in Ergebung in den Willen Gottes mit gelassener Seelenruhe zu tragen, Diskretion über das Erlebte zu wahren und keine Fragen zu beantworten, insbesondere Stillschweigen über etwaige Schwächen und Fehler gefangener Mitbrüder zu bewahren und nach ihrer Freilassung kein Bedauern über materielle Verluste und keinen Groll zu hegen und auf künftige politische Betätigung zu verzichten.[1]
Kaiser Napoleon Bonaparte unterband im Interesse der nationalen Versöhnung jede öffentliche Erörterung des Themas, sodass das Schicksal der Priester über die Jahrzehnte in Vergessenheit geriet. Nur in der engeren Umgebung der betroffenen Orte blieb die Erinnerung an die Geschehnisse im Volksgedächtnis erhalten. 1863 erfuhr der neue Pfarrer von Saint-Nazaire-sur-Charente bei Rochefort, Isidore Manseau, von den Ereignissen und machte 1886 durch eine zweibändige Publikation darauf aufmerksam. Auch das 1821 während der royalistischen Restauration unter Ludwig XVIII. veröffentlichte Martyrologium der französischen Revolution des ehemaligen Dominikaners Aimé Guillon de Montléon, der die Opfer der religiösen Verfolgungen im revolutionären Frankreich in die Kontinuität der frühchristlichen Märtyrer stellte, enthielt bereits ein längeres Kapitel über das Schicksal der Schiffsinsassen von Rochefort.
1910 begann die bis heute andauernde Tradition einer jährlich im August stattfindenden Wallfahrt nach Port-des-Barques. Gleichzeitig lancierte Bischof Jean-Auguste-François-Eutrope Eyssautier von La Rochelle die Vorinformation für einen Seligsprechungsprozess, für den Pierre Lemonnier (1848–1924) das 1916 und 1917 publizierte Material (u. a. 590 Kurzbiografien) zusammentrug. Angesichts der hohen Anforderungen, die in Rom für die Seligsprechung gestellt werden, musste der Prozess nach dem Tod von Lemonnier durch seinen Nachfolger Léandre Poivert neu aufgerollt werden. Ihm kam zugute, dass der Historiker Jacques Hérissay (1882–1969) mittlerweile das 1925 von der Académie Française preisgekrönte Buch Les pontons de Rochefort (1792–1795) veröffentlicht hatte, sodass sich der Prozess in Rom von 1932 bis 1936 auf 102 historisch gut dokumentierte Namen konzentrieren konnte. Dabei wurde der Nachweis des Martyriums nach den gültigen kanonischen Anforderungen allerdings nicht zuverlässig erbracht. Erst 1989 befasste sich der Theologe und Historiker Yves Blomme (* 1948) ein weiteres Mal mit dem Fall und legte 1992 eine neue Positio super Martyrio vor, die den Prozess auf jene 64 Priester einschränkt, deren Identität und Verehrungswürdigkeit hinreichend ermittelt und gesichert werden konnte. Das Verfahren führte am 1. Oktober 1995 zur Seligsprechung von „Jean-Baptiste Souzy, 1734–94, und 63 Gefährten“ als Märtyrer durch Papst Johannes Paul II.[2]
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