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Begriff für Mädchen oder Frauen um erotische Attraktivität zu gewinnen Aus Wikipedia, der freien Enzyklopädie
Die Kindfrau (französisch femme-enfant) ist eine Frauenfigur in Kunst, Film und Literatur, die zwar kein Kind mehr ist, an der sich aber charakteristische Merkmale von Kindlichkeit aufweisen lassen.[2] Während die ostentative Kindlichkeit in manchen Fällen verführt, dient sie in anderen im Gegenteil der Entsexualisierung – insbesondere, um einem gefährdeten, z. B. von einer Femme fatale verführten männlichen Protagonisten eine geschwisterähnliche Bindung bieten zu können.[3][4]
Ein Beispiel für eine verführerische Kindfrau ist Lulu in Frank Wedekinds Erdgeist, während Thomas Mann mit Imma Spoelmann in Königliche Hoheit ein Beispiel für eine betont asexuelle und unbedrohliche Kindfrau geschaffen hat.[5][6]
Die österreichische Erziehungswissenschaftlerin Andrea Bramberger, von der die bis heute wichtigste Monografie zum Thema stammt, schrieb im Vorwort:
„KindFrauen sind weibliche Wesen, die verführerisch und unschuldig, erwachsen und kindlich zugleich sind. Als solche existieren sie nicht genuin, sondern ausschließlich als Projektionen des Begehrens jener Männer, die sie als KindFrauen ersinnen, ersehnen und erschaffen. Sie sind Kunstfiguren, an denen sich Vorstellungen von Weiblichkeit und Kindlichkeit übereinander legen.“
Die Kindfrau ist meist eine liebenswerte Figur, deren Anziehungskraft darin besteht, dass sie neben manchen kindlichen Eigenschaften auch den Charme eines Kindes hat: Sie besitzt eine gewisse Reinheit und Unschuld, sie ist emotional (also wenig steif und selbstbeherrscht), spontan, freudvoll, unverblümt, ehrlich, verspielt und spitzbübisch.[7]
Eine fiktionale Figur, von der die Kindfrau unterschieden werden muss, ist die Lolita. Während die Kindfrau eine Erwachsene ist, die als kindlich wahrgenommene Züge aufweist, bezeichnet der Ausdruck „Lolita“ umgekehrt ein weibliches Kind, das stark verfrüht als verführerisch wahrgenommen wird.[1][8] Der Begriff Lolita hat seinen Ursprung im 1955 erschienenen gleichnamigen Roman von Vladimir Nabokov, in dem sich der pädophile Protagonist in die 12-jährige Lolita verliebt. Ironischerweise ist diese namengebende Figur gerade keine Lolita-Figur, denn Nabokov lässt nur den unzuverlässigen Erzähler in ihr sexuelle Provokation sehen, während sich für die Leser im Handlungsverlauf klar herausstellt, dass Lolita ein missverstandenes und missbrauchtes Kind ist. Ein einschlägigeres Beispiel bilden die Lolicon-Figuren in japanischen Hentai, Anime und Manga.
Ein zweites kulturelles Stereotyp, von dem die Kindfrau unterschieden werden muss, ist der „Bimbo“: eine einfältige Frauenfigur mit Sex-Appeal.[7] Beispiele wie die Charaktere, die Marilyn Monroe gespielt hat, zeigen allerdings, dass der Übergang zwischen beiden Typen unklar, fließend oder von der Wahrnehmung des Betrachters abhängig sein kann.[9][10][11][12]
Wie sich an literarischen Arbeiten wie Gerhart Hauptmanns Novelle Der Ketzer von Soana (1918) und Marguerite Duras’ Roman Der Liebhaber (1984) oder an Filmen wie Die blaue Lagune (USA, 1980) zeigen lässt, genügt keineswegs jede adoleszente weibliche Figur, die sexuell aktiv ist oder als Liebesinteresse einer anderen Figur dargestellt wird, den Definitionskriterien für eine Lolita-Figur oder eine Kindfrau.
Charakteristisch für Kindfrau-Figuren im Sinne oder oben genannten Definition ist, dass ihre Kindlichkeit und Naivität in dem literarischen oder filmischen Werk, in dem sie erscheinen, nicht kritisch hinterfragt wird. Zu unterscheiden sind Kindfrauen insofern auch von Figuren wie Henrik Ibsens Nora (1879), Theodor Fontanes Effi Briest (1894/1895) oder Baby Doll Meighan in Elia Kazans Tennessee-Williams-Adaption Baby Doll (USA, 1956). Diese Arbeiten feiern nicht die Niedlichkeit oder den Sex-Appeal ihrer Titelfigur, sondern arbeiten die Tragik der Verzögerung ihrer Reife heraus und werben für Empathie mit der missverstandenen, missbrauchten jungen Frau.[13][14][15]
Bei Alphonse Daudet ist bereits 1879 der Ausdruck femme-enfant belegt, der eine heiratsfähige Frau bezeichnet, bei der noch kindliche Züge erhalten sind.[16][17][18]
Der spanische surrealistische Maler Salvador Dalí hat von 1929 bis 1932 mehrere Gemälde mit dem Titel La memoria de la mujer-niña gefertigt.[19]
Grimms Wörterbuch (1838–1852) kennt das deutsche Wort „Kindfrau“ in den zwei Bedeutungen einer Kinderfrau und einer Hebamme.[20] Mindestens bis in die Zwischenkriegszeit war es im deutschen Sprachraum nur in diesen Bedeutungen gebräuchlich.[21] Als Bezeichnung für eine erwachsene Frau mit kindlicher Anmutung lässt das Wort sich im Deutschen spätestens seit den 1960er Jahren nachweisen, und zwar zunächst vor allem in literaturwissenschaftlichen Zusammenhängen.[22] In der auf Zeitungsdaten basierenden Statistik des Digitalen Wörterbuchs der deutschen Sprache erscheint das Wort erstmals im Jahre 1955, erreicht seine stärkste Verbreitung 1996 und ist seitdem wieder auf das vergleichsweise niedrigen Niveau der frühen 1970er Jahre gesunken.[23]
In den Duden wurde das Wort erst spät aufgenommen; 2009 findet man den Begriff Kindfrau ohne Erklärung neben den Berufsbezeichnungen Kinderfrau und Kinderfräulein.[24] Das Große Wörterbuch der deutschen Sprache des Dudenverlags nennt 1999 zwei Bedeutungen des Femininums Kindfrau: „1. Mädchen, das zugleich unschuldig und raffiniert, naiv und verführerisch wirkt“ und „2. junge, jüngere Frau, die noch sehr kindlich wirkt, in Denken und Handeln unselbstständig ist“.[25]
Mitunter findet sich auch der Begriff Mädchenfrau.[26]
Im Englischen lässt der Begriff child-woman sich spätestens in den 1990er Jahren nachweisen.[27]
Eine der frühsten literarischen Figuren, die in der Fachliteratur mehrfach als „Kindfrau“ bezeichnet wurden, ist das androgyne Mädchen Mignon aus Goethes Roman Wilhelm Meisters Lehrjahre (1795/1796), die von Wilhelm auf zwölf- bis dreizehnjährig geschätzt wird.[28][29][30] Wie Konstanze Bäumer aufgewiesen hat, war die Darstellung der Mignon vom Kind-Mythos der Frühromantik geprägt, der nicht das abhängige, sondern das schöpferische, geniale, den Erwachsenen überlegene Kind meint.[31][32]
Zu den Schriftstellern, deren Kindfrauen bei Literaturwissenschaftlern besondere Beachtung gefunden haben, zählt Theodor Storm (1817–1888). Kindfrauen erscheinen etwa in seinen Novellen Immensee (1849; Elisabeth), Von Jenseit des Meeres (1865; Jenni), Draußen im Heidedorf (1872; Margret), Zur Wald- und Wasserfreude (1880; Kätti) und Ein Fest auf Haderslevhuus (1885; Dagmar).[33] Mareike Giesen, die sich mit diesem Gesichtspunkt von Storms Werk am engsten beschäftigt hat, trug auch zur Theorie der Kindfrau bei, die sie als einen „Typus phantasmagorischer Weiblichkeitskonfiguration“ versteht.[34] Die Besonderheit der Kindfrau, die sie von anderen Weiblichkeitsimaginationen unterscheide, besteht nach Giesen darin, dass sie, weil ihre Geschlechtlichkeit noch nicht fertig ausdifferenziert sei, einen „Topos der unbegrenzten Möglichkeiten“ bilde und dadurch „zum Phantasma kultureller wie individueller Selbstverwirklichung“ werde.[35]
Der dänische Schriftsteller Herman Bang hat Kindfrauen in seinem Werk ähnlich eingesetzt wie später der stark von ihm angeregte Thomas Mann – nämlich als Ausweichpartnerin für seine homosexuellen Protagonisten, denen eine gleichgeschlechtliche Beziehung nicht möglich schien –, diese aber mit großer psychologischer Einfühlsamkeit dargestellt, während sie bei Thomas Mann meist nur als Beiwerk der männlichen Gestalten dienten. Beispiele finden sich unter anderem in den Romanen Haabløse Slægter (1880; Margarethe) und De uden Fædreland (1906; Gerda), in der Erzählung Elna (1883) und in der Novelle Fratelli Bedini (1885; Rosa).[36][37]
Frank Wedekinds Lulu (Erdgeist, 1895; Die Büchse der Pandora, 1902), die an anderer Stelle auch als „Urbild der Femme fatale“ bezeichnet worden ist,[38] wurde von Literaturwissenschaftlern deshalb immer wieder als Kindfrau eingestuft, weil sie bei all ihrer Gefährlichkeit naiv und verspielt ist.[39] Lulus Alter wird von Wedekind nicht angegeben; dass sie bereits im zweiten Akt von Erdgeist verheiratet ist, weist jedoch darauf hin, dass sie kein Kind mehr ist.[40]
Im Werk von Thomas Mann erscheint 1909 als Liebesinteresse des latent homosexuellen Prinzen Klaus Heinrich die androgyne Millionärstochter Imma Spoelmann (Königliche Hoheit), „die kleine Imma“, die eine „wohlausgebildete und dennoch kindliche Gestalt“ besitzt, die er zärtlich „kleine Schwester“ nennt und als eine Art Notlösung heiratet, weil das „wirkliche Leben“ ihm unerreichbar erscheint.[41][42] Imma stellt, wie Claudia Gremler aufgewiesen hat, „in ihrer Kombination aus schwesterlicher femme-enfant, verharmloster femme fatale und knabenhaftem Mädchen“ für den Prinzen, der seine Neigung zu Männern nicht ausleben kann, die ideale Frau dar.[43][44] Weitere Kindfrauen hat Thomas Mann in den Erzählungen Gefallen (1894; Irma Weltner) und Der Kleiderschrank (1899), in der Novelle Tonio Kröger (1903; Lilli) und in den Romanen Buddenbrooks (1901; Blumenmädchen Anna), Der Zauberberg (1923; Elly Brand), Joseph und seine Brüder (1933–1943; Rahel) und Bekenntnisse des Hochstaplers Felix Krull (1954; Eleanor Twentyman) geschaffen.[45]
Barbara Gutt hat auch den literarischen Typus des süßen Mädels, der im ausgehenden 19. Jahrhundert besonders von Arthur Schnitzler geprägt worden ist, als Kindfrau klassifiziert.[46] Ein markantes Beispiel bildet die nach eigener Aussage 17-jährige Prostituierte Mizzi, die sich in der Traumnovelle (1925) auf den Schoß des Protagonisten Fridolin setzt und „wie ein Kind den Arm um seinen Nacken“ schlingt; indem sie sein Grauen vor der Ansteckung mit einer Geschlechtskrankheit versteht und respektiert, erweist sie sich dann als die humanste Figur der Novelle.[47][48]
Im Film sind Kindfrau-Figuren eng mit dem Phänomen des Typecasting verknüpft. Immer wieder in der Filmgeschichte sind Schauspielerinnen, die ihre Leinwandlaufbahn im Alter von 16 bis 19 Jahren als Darstellerinnen von Kindern oder Teenagern begonnen haben, im Anschluss jahre-, manchmal jahrzehntelang auf diesen Typus festgelegt worden. Dies gilt besonders für frühe Hollywood-Stars wie Mary Pickford (1892–1979), Lillian Gish (1893–1993) und Mae Marsh (1895–1968).[49][50] Die extrem populäre Pickford etwa, die als „America’s Sweetheart“ bekannt war, ist noch mit Anfang 40 in den Ringellöckchen aufgetreten, die ihr Markenzeichen waren.[51][52][53]
Ein frühes Beispiel aus dem deutschsprachigen Raum ist Elisabeth Bergner (1897–1986), die von 1926 bis 1930 viermal in Jungmädchen-Hauptrollen zu sehen gewesen ist.[54]
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