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Krankheit Aus Wikipedia, der freien Enzyklopädie
Das Kallmann-Syndrom (KS) ist eine angeborene Erkrankung mit einer Kombination von Entwicklungsstörung der Keimdrüsen (Gonaden) und vermindertem bis fehlendem Geruchssinn (Anosmie). Die Störung der Hoden- bzw. Eierstockfunktion ist bedingt durch einen Mangel an Gonadoliberin (Gonadotropin-Releasing-Hormon, GnRH) mit der Folge eines hypogonadotropen Hypogonadismus. Die Störung der Riechfunktion ist verursacht durch eine Hypo- oder Aplasie der Riechkolben.[1][2][3]
Klassifikation nach ICD-10 | |
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E23.0 | Hypopituitarismus |
ICD-10 online (WHO-Version 2019) |
Synonyme sind: Olfaktogenitales Syndrom; de Morsier-Sy; Síndrome de Maestre-Kallman-Morsier
Benannt ist das Syndrom nach dem Psychiater Franz Josef Kallmann.[4]
Die weitere Namensbezeichnung bezieht sich auf den schweizerischen Neurologen Georges de Morsier.[5]
Die erste Erwähnung fand das Syndrom im Jahre 1856 in einer Veröffentlichung von Aureliano Maestre de San Juan (1828–1890).[6] In spanischsprachigen Teilen der Welt ist das Syndrom immer noch nach diesem benannt.
Die Prävalenz wird auf 1/8.000[1] bzw. 1 zu 10.000[7] im männlichen oder 1 zu 86.000[8] und 1/40.000[1] im weiblichen Geschlecht geschätzt.
Das Kallmann-Syndrom ist bei Männern (1:10.000) häufiger als bei Frauen (1:50.000).[3]
Die meisten Fälle sind sporadisch, jedoch wurden auch familiäre Formen beschrieben.
Ferner kann es im Rahmen von Syndromen vorkommen:
Ursächlich für das Kallmann-Syndrom sind Mutationen, die Proteine betreffen, welche bei der Entwicklung des Bulbus olfactorius und bestimmter Kerngebiete des Hypothalamus eine entscheidende Rolle spielen. Bleibt die pulsatile Sekretion von GnRH aus, kommt es nicht zur Ausschüttung von LH und FSH. Dadurch kommt es in der Pubertät nicht zur Produktion von Sexualhormonen in den Gonaden, ebenfalls bleibt die Reifung der Keimdrüsen (ohne Substitution mit Gonadotropinen) aus.
Je nach Vererbungsgang und zugrundeliegender Mutation kann unterschieden werden zwischen:
Ob evtl. weitere Gene an der Genese des KS beteiligt sind, ist noch nicht geklärt.
Klinische Kriterien sind (unbehandelt):[1][2]
Bei Typ 1 und Typ 2 können weitere Anomalien vorliegen wie:[22]
Im Krankheitsverlauf können weitere (sekundäre) Symptome auftreten wie:
Die klinische Diagnose erfolgt bei spät einsetzenden oder wenig offensichtlichen Symptomen oft verzögert, mitunter erst in der dritten Lebensdekade. Im Zentrum der Diagnose steht die olfaktorische und endokrinologische Symptomatik. Ein Kryptorchismus oder ein Leistenhoden kann ebenso wie eine verzögerte oder fehlende Pubertät (Pubertas tarda) erster Hinweis sein.
In der Blutuntersuchung finden sich verminderte oder niedrig-normale Serumspiegel von LH und FSH und vorpubertäre der Geschlechtshormone.
Mit medizinischer Bildgebung kann im Röntgenbild das verzögerte Skelettalter, in der Magnetresonanztomographie der fehlende Bulbus olfactorius nachgewiesen werden.
Nachweis der Mutation und der normalen Geschlechtschromosomen in der humangenetischen Untersuchung, ebenso wie Humangenetische Beratung auf Wunsch des Betroffenen.
Eine Riechprüfung (Olfaktometrie) ist erst ab einem Alter von etwa fünf Jahren durchführbar.
Abzugrenzen sind andere Ursachen eines Hypogonadismus, der Isolierte kongenitale Gonadotropin-Mangel (ohne Riechstörung)[23] und das CHARGE-Syndrom.[1]
Ferner:[3]
Die wichtigsten Punkte bei der Therapie des KS sind Hormonsubstitution und Prophylaxe der Osteoporose. Obwohl beim KS eigentlich die normale pulsatile Ausschüttung von GnRH und damit FSH und LH defekt ist, substituiert man aus wirtschaftlichen und medizinischen Gründen mit dem eigentlichen Erfolgshormon Testosteron beim Mann (in manchen Fällen auch humanes Choriongonadotropin) bzw. mit den analogen Sexualhormonen (Östrogene, Progesteron) bei der Frau. Von Injektionen über Gele, Pflaster (transdermale Systeme) gibt es viele Möglichkeiten der Applikation. Mit Hilfe dieser Substitutionstherapie (Ersatztherapie) wird eine normale Pubertät eingeleitet und die Betroffenen können ein einigermaßen normales Leben führen, unter Umständen auch Kinder zeugen bzw. bekommen. Eine Longitudinalstudie berichtete von fünf Patienten mit KS, bei denen es nach mehreren Jahren der Hormonsubstitution zu einer spontanen Reversibilität des hypogonadotropen Hypogonadismus kam.
Bei einem Kinderwunsch wird der Patient mit Gonadotropinen substituiert. In vielen Fällen kommt es dadurch zu einer normalen Spermatogenese bzw. Abschluss der Oogenese. Es sind auch Fälle von Kindszeugungen ohne vorangehende Substitution bekannt.
Zitat eines 50- bis 60-jährigen anonymen Patienten mit KS:
„Es gab mehr Tiefs als Hochs in meinem Leben aufgrund von mangelndem Selbstvertrauen. Als ich ein Teenager war, wusste ich, dass es ein Problem gab, aber keine Hilfe dafür. Ich versuchte mit meinem Leben weiterzumachen, fand es aber sehr schwierig. Glücklicherweise machte sich nie jemand lustig über mich, aber ich habe aufgrund mangelnden Vertrauens nie mein volles Potential erreicht. Die Vorkommnisse, die während dieser Periode und während meines ganzen Lebens auftraten, ließen mich manchmal an Suizid denken.“[24]
Wie alle anderen genetischen Belastungen fordert auch das KS besondere Anpassungsfähigkeiten des Betroffenen. Diese Anpassungsleistung wird dadurch schwieriger, da eine Kondition, die mit Hypogonadismus einhergeht, die Intimsphäre und Sexualität des Menschen berührt und eine Kommunikation mit anderen nicht ohne weiteres Vertrauen möglich ist. Eine soziale Unterstützung ist dadurch erst einmal nicht gegeben. Bezüglich des KS gibt es aber keine sexuellen Funktionseinschränkungen, wenn erst einmal adäquat substituiert worden ist. Bei Betroffenen ist bekannt, dass sie aufgrund des höheren Anpassungsvermögens, das eine genetische Belastung fordert, zwischenmenschlich sehr kreativ sein können. Diese Kreativität kann sich natürlich auch auf partnerschaftliche und sexuelle Bereiche erstrecken. Falls der Verdacht auf ein Kallmann-Syndrom vorliegt sollte nach den notwendigen diagnostischen Maßnahmen eher früher als später mit einer Substitution begonnen werden, um psychologischen und sozialen Nachteilen entgegenzuwirken. Im Alter von 16 Jahren ist „Spätzünder“ keine adäquate medizinische Diagnose!
Der Psychologe P. Neemuchwala nennt folgende möglichen Komplikationen:
Nach P. Neemuchwala: „Es ist nicht so als könnte man die Pubertät erzwingen, wenn man sich nur mehr anstrengt. Ich kann mir die Komplikationen und Frustration nur vorstellen, die die Tatsache mit sich bringt, fünf Jahre jünger als das chronologische Alter auszusehen“. Die Entwicklungsverzögerung kann Schwierigkeiten im Umgang mit Gleichaltrigen mit sich bringen. Dies kann bereits im Alter von zwölf Jahren eintreten und zumindest solange andauern, bis eine entsprechende Behandlung begonnen wird. Nimmt dies überhand, oder lässt eine Behandlung zu lange auf sich warten, kann lange nach dem Verstummen der Kränkungen etwas eintreten, was psychologisch als Internalisierung des Aggressors umschrieben wird. Diese Internalisierung kann nach Meinung vieler Psychologen seelische Beeinträchtigungen nach sich ziehen z. B. [Depression] etc. Kompensatorisches Verhalten, etwa der Beste in der Schule, in bestimmten Tätigkeiten, Sportarten zu sein, kann ebenfalls eine mögliche Folge sein.
Da nach Meinung von Betroffenen und Psychologen diese seelischen Erscheinungen keine notwendige Folge des Syndroms sind, sondern aus dem Umgang der Betroffenen sowie Angehörigen und Bekannten mit dem Syndrom resultieren, ist eine psychologische Beratung und Aufklärung sinnvoll, denn weiter heißt es bei P. Neemuchwala:
„Patienten mit KS sind unter der Norm, was die Endokrinologie betrifft, aber können über der Norm liegen, was z. B. Intelligenz, Kreativität, Tischtennis, Grafikdesign, persönliches Charisma etc. angeht. Endokrinologie ist nur ein Teil des Lebens. Niemand ist entweder okay oder nicht okay. Keiner von uns ist perfekt, und jeder von uns könnte ein paar Dinge an sich finden, die er ändern würde, wenn er könnte.“[25]
“It will work out in the end. You gotta believe.” Jimmy Scott
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