Verwaltungsreform in Griechenland Aus Wikipedia, der freien Enzyklopädie
Kallikratis-Programm (griechischΠρόγραμμα ΚαλλικράτηςPrógramma Kallikrátis) bezeichnet eine im Jahre 2010 eingeleitete weitgehende Reform der griechischen Verwaltung mit dem Ziel der Kosteneinsparung und des Bürokratie-Abbaus. Die Reform wurde durch das Gesetz 3852/2010 „Neue Architektur der Selbstverwaltung und der dezentralisierten Verwaltung – Programm Kallikratis“ im Mai 2010 legitimiert und trat am 1.Januar 2011 in Kraft.[1]
1997 wurde im Gesetz Nr.2539/1997 mit dem Kapodistrias-Plan eine umfassende Verwaltungsreform verabschiedet. Diese reduzierte unter anderem die Anzahl der Gemeinden von 5775 auf 1033 und schaffte die Provinzen (eparchíes) ab. Nach der Einführung der neuen Verwaltungsgliederung wurde diese als weiter reformbedürftig angesehen. Entwürfe für eine weitere Kommunalverwaltungsreform wurden seit 2005 unter dem Stichwort Kapodistrias2 diskutiert. Verschiedene Entwürfe sahen eine erneute Reduzierung der Anzahl der Gemeinden auf circa400 vor.
Nach dem Regierungswechsel im Oktober 2009 wurde die griechische Staatsschuldenkrise offenbar und machte die Dringlichkeit der Reform deutlich.[2] Die Problematik der Aufblähung des Öffentlichen Dienstes, der Ineffizienz der griechischen Verwaltung und der Notwendigkeit von Sparmaßnahmen wurden der Öffentlichkeit bewusst gemacht. Der Internationale Währungsfonds und die von der Regierung Papandreou um finanzielle Hilfe gebetenen EU-Länder machten ihre Unterstützung von ernstlichen und tiefgreifenden Einsparungen und Reformen abhängig.
Die nach Kallikrates, dem Baumeister der Akropolis, benannte Reform sah vor, dass die derzeit fünf Verwaltungsebenen auf drei verringert werden. Gleichzeitig sollten tausende staatliche Träger abgeschafft oder zusammengelegt werden.[3]
Die Anzahl von 1034Gemeinden wurde auf 325 verringert. Mit Ausnahme von Kreta und Euböa hat jede Insel nur eine Gemeindeverwaltung.
An die Stelle der ehemals 54Präfekturen traten 13autonom verwaltete Regionen mit einem gewählten Präsidenten. Die ehemals 13Verwaltungsregionen wurden dagegen durch sieben Verwaltungsdirektionen mit einem von der Regierung ernannten Leiter ersetzt.
Die Zahl der Verwaltungsstellen der Gemeindebezirke und kommunalen Unternehmen wurde von 6000 auf 2000 reduziert.[4]
Die Zahl der gewählten Repräsentanten wurde halbiert. So wurden die– zu 80% bezahlten– Stellen der Bürgermeister, Präfekten und Präfektur-Berater von 50.000 auf 25.000 reduziert. So sollten 60% der Gehaltskosten von 914Bürgermeistern, 120Ortsvorstehern, 57Präfekten, 195Vize-Präfekten, 1496Präfekturräten und 703Regionalräten eingespart werden.[5]
Medienberichten zufolge waren von der Kallikratis-Reform 200.000Angestellte betroffen.[6]
Das Kallikratis-Programm sollte jährliche Einsparungen in Höhe von 1,8Milliarden Euro bringen.
Der Kallikratis-Plan wurde am 28.April 2010 vom Ministerrat verabschiedet und anschließend vom Minister für Inneres, Dezentralisierung und E-Government Giannis Ragousis der Öffentlichkeit vorgestellt.
„Der Plan signalisiert das Ende einer Ära für den am meisten zentralisierten Staat Europas und den Beginn eines neuen Kurses… Es gibt jetzt ein allgemeines Bewusstsein, dass der verschwenderische, klientelorientierte, zentralisierte und ineffiziente Staat die Ursache des griechischen Problems ist, wie wir es heute erleben“
Insgesamt 914Gemeinden (δήμοιdimi) und 120Landgemeinden (κοινότητεςkinotites). Die meisten waren 1997 aus dem „Kapodistrias-Programm“ hervorgegangen.
Aufgeteilt in Gemeindebezirke (δημοτικά διαμερίσματαdimotika diamerismata); zuvor eigenständige Gemeinden wählen als Gemeinschaften (Einzahl κοινότηταkinotita) eigene Ortsvertreter.[10]
Reduzierung auf 325Gemeinden durch freiwillige oder erzwungene Zusammenschlüsse.
Teilweise Übernahme der Zuständigkeiten der Präfekturen.
Die Gemeinden sind aufgeteilt in Gemeindebezirke (δημοτικές ενότητεςdimotikes enotites),[11] deren Gebiete identisch mit den alten Gemeinden sind. Die Gemeindebezirke wiederum gliedern sich je nach Einwohnerzahl in Lokalverwaltungen (Einzahl τοπική κοινοτιταtopiki kinotita), im ländlichen Raum im Sinne Ortsgemeinschaften, bzw. Stadtbezirke (Einzahl δημοτική κοινότηταdimotiki kinotita), die jeweils den alten Gemeindebezirken entsprechen und örtliche Vertreter wählen.[10]
Präfektur (ΝομαρχίαNomarchie)
Regionale, zweite Verwaltungsebene mit Selbstverwaltung.
Insgesamt 3Überpräfekturen und 54Präfekturen. Aufteilung des Landes in Präfekturen, Attika in Präfekturbezirke.
Abgeschafft. Die bisherigen Präfekturen werden als lediglich unselbstständige Regionalbezirke (Einzahl περιφερειακή ενότηταperiferiaki enotita) geführt.
Region (ΠεριφέρειαPeriferia)
Regionale, dritte Verwaltungsebene ohne Selbstverwaltung
Insgesamt 13Verwaltungsregionen (Einzahl διοικιτική περιφέρειαdiikitiki periferia)
Zuständig für die Koordination und die Rechtsaufsicht über die lokalen Behörden sowie die Umsetzung der staatlichen Politik auf regionaler Ebene.
Der Generalsekretär der Region (γενικός γραμματέαςgenikos grammateas) wird von der Regierung ernannt.
Regionale, zweite Verwaltungsebene mit Selbstverwaltung. Teilweise Übernahme der Zuständigkeiten der Präfekturen.
13Regionen (Einzahl ΠεριφέρειαPeriferia) in den gleichen geographischen Grenzen wie die vorherigen Verwaltungsregionen
Gewählter Gouverneur (περιφερειάρχηςperiferiarchis) und Regionalrat.
Ihr Leiter (Generalsekretär) wird von der Regierung ernannt.
Übernehmen im Wesentlichen die Zuständigkeiten der alten Regionen.
Kommunale Unternehmen
Rund 6.000Unternehmen und juristische Personen der Gemeinden.
Reduziert auf etwa 2.000 durch Zusammenschlüsse oder Auflösungen.
Kommunale Finanzen
Mittel aus dem Staatshaushalt, europäischen Programmen, kommunalen Steuern, Eigenmittel (z.B. durch kommunale Unternehmen, Strandbewirtschaftung, Steinbrüche etc.)
Wie bisher. Hinzu kommen Anteile an den staatlichen Steuern (Mehrwertsteuer, Einkommensteuer, Grundsteuer)
Kommunalwahlen
Alle 4Jahre im Oktober. Wenn der Erste nicht 42% der Stimmen erhält, erfolgt am darauf folgenden Sonntag eine Stichwahl zwischen den beiden Führenden.
Alle 5Jahre im Juni, gleichzeitig mit den Wahlen zum Europäischen Parlament (mit Ausnahme der Wahl2010). Erforderlich ist die absolute Mehrheit. Wird sie nicht erreicht, erfolgt am darauf folgenden Sonntag eine Stichwahl zwischen den beiden Führenden.
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Die Zeitung Adesmevtos Typos titelte im April 2010, der Kallikratis-Plan „provoziert einen Bürgerkrieg“.[12]
Der Bürgermeister der Gemeinde Elliniko im Süden Athens trat im April 2010 aus Protest gegen den Plan in den Hungerstreik.[13]
Am 3.Mai 2010 streikten und demonstrierten Kommunalangestellte aus Protest gegen das Reformvorhaben.[14][15]
Während der Beratung des Parlaments über den Gesetzentwurf demonstrierten Ende Mai 2010 zahlreiche Gemeindeangestellte und Bürgermeister vor dem Parlamentsgebäude.[16]
Wissenschaftliche Untersuchungen zweifelten 2011, ob die Verwaltungsreform vor dem Hintergrund der Finanz- und Staatsschuldenkrise in Europa und speziell in Griechenland erfolgreich umgesetzt werden kann. Die neue dezentrale Ausrichtung der Verwaltung sowie die implizite Umgestaltung der Zuständigkeiten erfordern Bereitschaft zur Veränderung von allen Beteiligten. Beispielsweise muss neues Wissen um die neuen Strukturen vermittelt und angenommen werden. Die Angestellten bzw. die Beamten müssen gegebenenfalls bereit sein, an einen anderen Ort umzuziehen (Mobilität). Die Angestellten bzw. Beamten waren von Gehaltskürzungen, Zwangsversetzungen und personellen Umstrukturierungen betroffen. Vielen drohte die Entlassung.[2]
Fünf Großgemeinden wurden 2019 wieder zu kleineren Gemeinden aufgelöst (Korfu, Kefalonia, Lesbos, Samos und Servia-Velvendo). Insbesondere in ländlichen Gegenden hatte sich das Konzept der Großgemeinde trotz lokaler Ortsteilbüros nicht bewährt.
Gesetz Nr.3852.(PDF; 1.743kB)Neue Architektur der Selbstverwaltung und der dezentralisierten Verwaltung – Programm Kallikratis.In:Regierungszeitung der hellenischen Republik, Bd.1, Blatt Nr.87.7.Juni 2010,archiviertvomOriginal(nicht mehr online verfügbar)am2.Februar 2014;abgerufen am 13.März 2020.
Nikolaos-Komninos Hlepas:The Impact of local government reforms in Greece: a critical overview. In: Lucica Matei, Spyridon Flogaitis (Hrsg.): Public Administration in the Balkans – from Weberian bureaucracy to New Public Management (=South-Eastern European administrative studies – ASsee online series). Band1. Editura Economicǎ, 2011, ISBN 978-973-709-531-2, S.67–87.
Nikolaos-Komninos Hlepas:Local government in Greece. In: Angel-Manuel Moreno (Hrsg.): Local Government in the Member States of the European Union: A Comparative Legal Perspective (=Administración Local y Autonómica). Band1. INAP, Madrid 2013, ISBN 978-84-7351-417-0, S.257–282.
Gesetzesentwurf.(PDF; 2,2MB)Neue Architektur der Selbstverwaltung und der dezentralisierten Verwaltung – Programm Kallikratis.In:Bericht an das griechische Parlament.Griechisches Innenministerium,21.Mai 2010,archiviertvomOriginal;abgerufen am 17.Mai 2013(griechisch).
Proteste in Griechenland als Reaktion auf massive Sparmaßnahmen.In:Griechenland Zeitung.3.Mai 2010,ehemalsimOriginal(nicht mehr online verfügbar);abgerufen am 17.Mai 2013.@1@2Vorlage:Toter Link/www.griechenland.net(Seite nicht mehr abrufbar. Suche in Webarchiven)Info: Der Link wurde automatisch als defekt markiert. Bitte prüfe den Link gemäß Anleitung und entferne dann diesen Hinweis.
Κλιμακώνουν τις αντιδράσεις.In:Agelioforos.4.Mai 2010,archiviertvomOriginal(nicht mehr online verfügbar)am14.September 2011;abgerufen am 17.Mai 2013(griechisch).Info: Der Archivlink wurde automatisch eingesetzt und noch nicht geprüft. Bitte prüfe Original- und Archivlink gemäß Anleitung und entferne dann diesen Hinweis.@1@2Vorlage:Webachiv/IABot/www.agelioforos.gr
Proteste gegen Verwaltungsreform „Kallikratis“ nehmen zu.In:Griechenland Zeitung.26.Mai 2010,ehemalsimOriginal(nicht mehr online verfügbar);abgerufen am 17.Mai 2013.@1@2Vorlage:Toter Link/www.griechenland.net(Seite nicht mehr abrufbar. Suche in Webarchiven)Info: Der Link wurde automatisch als defekt markiert. Bitte prüfe den Link gemäß Anleitung und entferne dann diesen Hinweis.
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