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Unter Jazzforschung wird die wissenschaftliche Analyse des Jazz und seines sozio-kulturellen Umfeldes verstanden.
Mehrere Jahrzehnte hindurch war die systematische Beschäftigung mit dem Jazz eine Angelegenheit von (musik)wissenschaftlichen Laien. Charles Delaunay erstellte die erste für musikwissenschaftliche Zwecke brauchbare Diskographie; Beiträge zur Geschichte des Jazz wurden zunächst ebenfalls von Jazz-Liebhabern und von Jazz-Journalisten erarbeitet. Seitens der Jazzkritik wurde versucht, Jazzstile zu identifizieren und Musiker diesen zuzuordnen.
Nur vereinzelt wurden Untersuchungen über Jazzmusik innerhalb der Musikwissenschaft verfasst. Hier sind etwa die Arbeiten von Jan Slawe, Alfons M. Dauer und von Gerhard Kubik[1] zu nennen. Erst seit dem Ende der 1960er Jahre, etwa gleichzeitig mit seinem Einzug in die (nordamerikanische und später auch europäische) Hochschullandschaft, insbesondere in die Musikhochschulen, kann aber von einer wissenschaftlichen Jazzforschung gesprochen werden. Die Einrichtung größerer Archive und Forschungsinstitute mit eigenen Schriftenreihen trug maßgeblich zum regelmäßigen wissenschaftlichen Austausch über Jazzmusik bei.
Systematische, analytische, historische und vergleichende Untersuchungen von Jazz und jazzverwandter Musik tragen dazu bei, die Jazzforschung als neuen Zweig der Musikwissenschaft auszubauen. Dabei werden traditionelle Methoden der Musikwissenschaft mit für den Jazz spezifischen, jeweils neu zu erarbeitenden verbunden. Es geht auch um die sozio-ökonomischen Bedingungen für die Entwicklung des Jazz, seine Rezeptionsbedingungen und seine kulturellen Funktionen. Jazzforschung ist noch stärker multidisziplinär als die Musikwissenschaft verfasst. Ihre Untersuchungen lassen sich den Fächern Jazzgeschichte, Jazztheorie, Musiksoziologie, Jazzpädagogik, Tanzforschung, Popularmusik-Forschung, Musikethnologie und Afro-Amerikanistik zuordnen.
Analysen des Jazz haben immer mit der Besonderheit umzugehen, dass es sich dabei um eine weitgehend improvisierte Musik handelt. Untersuchungen der Musizierpraxis und der entstandenen Improvisationen orientierten sich in der Vergangenheit vielfach an musikethnologischen Vorgehensweisen oder an Analysemethoden der traditionellen historischen Musikwissenschaft. Damit versuchten sie analytische Systeme an die Jazzimprovisation anzulegen, die ursprünglich für die Analyse einer lange traditionell überlieferten ethnischen Musik oder einer auskomponierten Kunstmusik geschaffen worden waren. Die Anpassung dieser Untersuchungsmethoden durch die Jazzforschung führte zu brauchbaren Ergebnissen.[2]
Dagegen ist die Ausformung einer allgemein akzeptierten Jazzästhetik nach wie vor kontrovers. Insbesondere steht die herkömmliche Sichtweise der Jazzgeschichtsschreibung – trotz ihrer mittlerweile auch sozio-ökonomischen Einflüsse, Wahrnehmungs- und Rezeptionsmuster berücksichtigenden Perspektive – einer in den letzten Jahren stark propagierten Ästhetik gegenüber, die sich aus der amerikanischen Literaturwissenschaft und insbesondere dem Zweig der Afroamerikanistik entwickelt hat. Die konventionelle Jazzgeschichte beruft sich auf historische Fakten, Dokumente wie insbesondere Schallplattenaufnahmen und andere Mitschnitte, die Auswertung von Interviews (Oral History), sowie die Analyse der gesellschaftlichen Situation, den Entstehungsprozess der Jazzmusik. Hingegen interpretiert die zweite Richtung literarische und musikalische Phänomene als Verweise auf afro-amerikanische Verständnisebenen und bezieht sie damit direkt auf die afroamerikanische Kultur. Diese ästhetische Schule beruft sich auf Ansätze von Houston A. Baker und Henry Louis Gates, Jr. Grundlage ist die Annahme, dass afro-amerikanische Musik neben den klar analysierbaren denotativen und konnotativen Ebenen eine weitere Bedeutungsebene besitzt, die – zum großen Teil unbewusst – auf die politisch-mythologische Vergangenheit afro-amerikanischer Kultur (bzw. afrikanischer Kultur) verweist. Dieser zweiten Richtung haben sich in letzter Zeit viele – vor allem afro-amerikanische – Jazzforscher angeschlossen, und sie ist mittlerweile in den USA auch in den Hochschullehrplänen verankert. Dem steht ein Teil der Jazzforscher wie z. B. der deutsche Wolfram Knauer skeptisch gegenüber: „Eine solche Ästhetik vermag dem Phänomen der Jazzmusik in ihrer Gesamtheit und insbesondere in ihrer mittlerweile weltweiten Entwicklung und Verbreitung kaum Rechnung zu tragen und ist sicher auch bis zu einem gewissen Grad als ideologisches Konstrukt zu betrachten.“[3] Hingegen meint Martin Pfleiderer, dass es von Interesse sei, diese „Ansätze und Methoden an konkreten Fragestellungen weiterzuentwickeln und mit ihrer Hilfe zu einem umfassenderen Verständnis des vielgestaltigen Phänomens Jazz zu gelangen.“[4]
Der wissenschaftliche Meinungsaustausch findet international auf Konferenzen statt; hier ist insbesondere das Darmstädter Jazzforum zu erwähnen, das zweijährlich veranstaltet wird.
Als Einrichtungen der Jazzforschung sind zunächst neben dem Institute of Jazz Studies (Newark, New Jersey, gegründet 1952) das William Ransom Hogan Archive (New Orleans, gegründet 1957 und von Hogan mit den Mitteln der Ford Foundation aufgebaut[5]) und das Institut für Jazzforschung (Graz, gegründet 1965) zu nennen. Die genannten Einrichtungen geben ebenso wie das Jazzinstitut Darmstadt (gegründet 1990) regelmäßig Veröffentlichungen und Zeitschriften heraus, die dem wissenschaftlichen Austausch der Jazzforschung dienen. Im deutschen Sprachraum existiert zudem an der Humboldt-Universität zu Berlin der Lehrstuhl für Theorie und Geschichte der populären Musik, wo wie auch wie früher an der Justus-Liebig-Universität Gießen (von Ekkehard Jost), an der Musikhochschule Hannover (von Herbert Hellhund) und an der Musikhochschule Mannheim (von Jürgen Arndt) und seit 2009 von Martin Pfleiderer auf der neu eingerichteten Professur für Geschichte des Jazz und der populären Musik an der Hochschule für Musik Franz Liszt Weimar[6] weitere Forschungsarbeiten zum Thema durchgeführt werden.
Das Institute of Jazz Studies der Rutgers University auf dem Campus in Newark wird geleitet von Dan Morgenstern,[7] mit einer über 6000 Bände umfassenden Bibliothek, einem umfangreichen Zeitschriftenbestand und über 100.000 Tonträgern aller Art. Die Sammlung beruhte ursprünglich auf der des Jazz-Schriftstellers Marshall Stearns, umfasst aber auch z. B. Nachlässe von Leonard Feather und Mary Lou Williams. Wie schon vorher z. B. Feather für seine Enzyklopädien befragt das Institut systematisch Jazzmusiker mit Fragebögen (die Ergebnisse sind teilweise online zugänglich[8]). Außerdem führen sie das ursprünglich am Smithsonian Institute angesiedelte Oral History Project fort. Die Rutgers University richtete als erste Hochschule einen speziellen Master-Studiengang in Jazzgeschichte ein.
Dieses Forschungsinstitut wurde 1964 an der damaligen Akademie Graz (heute Universität für Musik und darstellende Kunst Graz) von den Grazer Jazzmusikern und Musikwissenschaftlern Friedrich Körner und Dieter Glawischnig gegründet. Analytische Forschung, vorwiegend auf der Basis von Transkriptionen, sowie historische Forschung bilden einen Schwerpunkt der Institutsarbeit, deren Ergebnisse in eigenen Publikationen veröffentlicht werden. Das Institut, das seit 1992 von Franz Kerschbaumer geleitet wurde und dem seit 2016 André Doehring vorsteht, veranstaltet regelmäßig internationale Kongresse, die gemeinsam mit der 1969 gegründeten Internationalen Gesellschaft für Jazzforschung (IGJ) durchgeführt werden.[9] Das Institut hat als einen Grundstock u. a. die Sammlung von Dietrich Schulz-Köhn.[10]
Zahlreiche Jazzmuseen sind ebenfalls mit einem Archiv verbunden. So ist der schriftliche Nachlass von Duke Ellington am Smithsonian in Washington D.C. (National Museum of American History). Siehe auch Musikbibliothek.
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