Industrial Engineering bezeichnet ein Arbeitsgebiet, in dem es um die Gestaltung, Planung und Optimierung von Leistungserstellungsprozessen im weitesten Sinne mit ingenieurwissenschaftlichen Methoden geht. In der Umsetzung handelt es sich immer um Arbeitsgestaltung. Dementsprechend haben die zugehörigen Studiengänge Studieninhalte sowohl aus den Ingenieurwissenschaften als auch der Managementlehre.
Der Begriff des Industrial Engineering findet seit Mitte der sechziger Jahre in Deutschland durch die Übersetzung des Industrial Engineering Handbook von Maynard[1] Verwendung. Mittlerweile hat sich das Industrial Engineering im deutschen Sprachraum als eigenständiger Begriff etabliert und löst damit seine ursprüngliche deutsche Vokabel „Arbeitsingenieurwesen“ ab. Bisher existiert jedoch weder im deutschen noch im englischen Sprachraum eine einheitliche Definition.
Aufbauend auf einer Analyse zahlreicher nationaler und internationaler Beschreibungen charakterisiert Sascha Stowasser das Industrial Engineering wie folgt:[2]
Das Industrial Engineering zielt auf eine hohe Produktivität der Führungs-, Kern- und Unterstützungsprozesse des Unternehmens ab.
Das Industrial Engineering definiert und entwickelt Sollzustände und Standards der Prozesse.
Hierbei sorgt das Industrial Engineering für eine hohe Transparenz, um Abweichungen vom Standard erkennen und wirksame Gegenmaßnahmen ergreifen zu können.
Das Industrial Engineering verwendet hierzu geeignete Methoden und Instrumente und bedient sich arbeits-, ingenieur- und betriebswirtschaftlicher Kenntnisse und Grundlagen.
Mittlerweile ist die Wirkungsbreite des Industrial Engineering in der Arbeitswelt deutlich angewachsen und umfasst neben den klassischen Aufgaben der Arbeitsvorbereitung auch weitere Aufgabenfelder wie Zeitwirtschaft, Entgeltgestaltung, Material- und Betriebsmittelplanung etc. Im Zuge der Weiterentwicklung ist das moderne, arbeitswissenschaftliche Industrial Engineering verantwortlich für das Produktivitätsentwicklung in Arbeitssystemen, bestehend aus Mensch, Material und Maschine.[3] Das Industrial Engineering gestaltet den Wertstrom von der Produktplanung über die Produktionsplanung/Prozessplanung bis zur Fertigungsoptimierung. Diese gehören zusammen und treiben ganzheitlich die Produktivitätsentwicklung unter Berücksichtigung von Humanaspekten. Des Weiteren sorgt das Industrial Engineering für die notwendige Transparenz und liefert Daten für die strategische Planung des Managements, beispielsweise im Rahmen des Produktivitätsmanagements.
Bei allen Anstrengungen des Industrial Engineering gilt die primäre Zielsetzung, die Produktivität zu verbessern und so die Wettbewerbsfähigkeit des Unternehmens sicherzustellen.
Aus- und Weiterbildungsangebote
Zusammenfassung
Kontext
In Deutschland angebotene Studiengänge mit dem Titel Industrial Engineering sind oft im Fachbereich Wirtschaftsingenieurwesen angesiedelt. Die originären Themen des Industrial Engineering fehlen in diesen Studiengängen mitunter gänzlich. Studiengänge, die nicht aus der Tradition eines Wirtschaftsingenieurstudiums entstanden sind, sondern sich originär am Aufgabengebiet des Industrial Engineer orientieren, finden sich an Hochschulen in Aachen[4], Berlin,[5] Kleve,[6] Kiel und Lübeck.[7] Ein Äquivalent an anderen Hochschulen wäre somit eher z.B. der Maschinenbau mit Vertiefung auf Produktion oder Produktionstechnik.
In Berlin wird der Master berufsbegleitend im Fernstudium erworben, in Kleve an der Hochschule Rhein-Waal findet der Bachelor-Studiengang komplett in englischer Sprache statt, und Aachen trägt der Breite des Einsatzgebietes insofern Rechnung, dass sich in den dortigen Masterstudiengang auch Absolventen wirtschaftswissenschaftlicher Studiengänge einschreiben können, die spezifische Studienschwerpunkte belegt haben. Der Studiengang Produktionstechnik als Master of Science an der Universität Bremen hat eine Vertiefungsrichtung „Industrial Engineering“, die in Kooperation mit dem REFA-Verband angeboten wird.[8] In Zusammenarbeit mit der University of Louisville bietet die Hamburger Fern-Hochschule ein Promotionsstudium dort an.[9]
Der Weiterbildung im Bereich des Industrial Engineering widmet sich im Wesentlichen und traditionell der REFA-Verband, welcher der Entwicklung unter anderem insofern Rechnung trug, als er mit der Ausgabe 1(2008) seine traditionelle Fachzeitschrift REFA-Nachrichten in Industrial Engineering umbenannte[10] – gleichzeitig mit einer Modernisierung des redaktionellen Konzeptes. Zuvor war mit 1(2007) das European Journal of Industrial Engineering (EJIE) erstmals erschienen.[11] Auch die MTM-Vereinigung hat begonnen, ihre MTM-spezifischen Ausbildungen um weitere Themen des Industrial Engineering zu ergänzen, damit MTM-Anwender neben spezifischen Kenntnissen der Methoden auch ein breiteres Grundlagenwissen erhalten.
Typische Studieninhalte
Als typische Studienfächer für den Industrial Engineer werden angesehen:
Abgrenzend nicht enthalten sind typischerweise Software Engineering, Data Management, Geschäftsprozess-Management, IT Management, Service Engineering und weitere eher IT-bezogene Inhalte.
Historische Entwicklung
Zusammenfassung
Kontext
In der Chronologie werden folgende wesentliche Entwicklungsschritte und Publikationen gesehen:[12]
1802: Der „Health and Morals Apprentices Act“ zielt auf eine Verbesserung der Arbeitssituationen und Isambard Brunel, Samuel Benton sowie Henry Maudsey entwickeln eine Serie von 43 Maschinen um eine Massenproduktion von Blocks für Schiffe zu starten.
1824: Mit der Aufhebung des Combination Act werden in Britannien die Gewerkschaften – bei starken Restriktionen – legalisiert (Deutschland: Koalitionsfreiheit erstmals 1871).[16]
1829: Charles Babbage entwirft seine Rechenmaschinen, Vorläufer der heutigen Computer.[17]
1831: Charles Babbage publiziert „On the Economy of Machinery And Manufactures“ (1839).[18]
1832: Der Sadler-Report beleuchtet die Ausbeutung der Arbeiter und die Brutalität in den Fabriken.
1833: Fabrikgesetze werden in Großbritannien beschlossen und insbesondere die Kinderarbeit reguliert und in New York wird die General Trades Union gegründet.
1901: Nationale amerikanische Normen kommen auf[25] und Yawata Steel startet in Japan.
1903: Taylor präsentiert der ASME Shop Management,[26]Henry Laurence Gantt führt das Gantt-Diagramm ein, Hugo Diemer schreibt Factory organization and administration[27] und die Ford Motor Company wird gegründet.
1911: Taylor publiziert The Principles of Scientific Management,[32] die Gilbreths Motion Study[33] und in Japan treten die ersten Fabrikgesetze in Kraft.
1912: Harrington Emerson schreibt The Twelve Principles of Efficiency,[34] Frank und Lillian Gilbreth präsentieren das Konzept der Therbligs[35] und Yokokawa übersetzt Scientific Management und Shop Management ins Japanische.
1913: In der Highland Park Ford Plant nimmt das Fließband seinen Betrieb auf, zu dessen Voraussetzung Einförmigkeit und Austauschbarkeit von Teilen gehört und Hugo Münsterberg veröffentlicht Psychology of Industrial Efficiency.[36]
1914: Erster Weltkrieg. Clarence B. Thompson editiert Taylors Scientific Management als Artikelserie für das American Magazine und erreicht damit eine hohe Popularität.
1915: Taylors Scientific Management wird in der japanischen Niigata Engineering’s Kamata plant eingesetzt und Robert Franklin Hoxie gibt Scientific Management and Labour[37] heraus.
1916: Lillian Gilbreth veröffentlicht The Psychology of Management,[38] die Taylor Society wird in den USA gegründet und Charles Bedaux gründet seine Beratungsgesellschaft[16].
1917: Die Gilbreths publizieren Applied Motion Study[39] und die Society of Industrial Engineers wird gebildet.
1918: Mary Parker Follett publiziert The new state: group organization the solution of popular government.[40]
1920: Merrick Hataway präsentiert die Ausarbeitung Time Study as a Basis for Rate Settings,[42]General Electric führt die Divisionale Organisation ein und Karel Čapek veröffentlicht „Rossum’s Universal Robots“ (R.U.R.) und prägt damit den Begriff Roboter.
1921: Die Gilbreths führen eine Symbolik zur Prozessanalyse bei der ASME ein.[43]
1927: Mayo und Mitarbeiter beginnen den zweiten Teil der Hawthorne-Studien in der Relais-Montage.
1929: Weltwirtschaftskrise, in Frankreich findet die erste internationale Scientific Management-Konferenz statt.
1930: Hathaway: Machining and Standard Times,[48]Allan H. Mogensen diskutiert 11 Prinzipien der Arbeitsvereinfachung in Work Simplification[49] und Ford publiziert Moving Forward.[50]
1931: Walter A. Shewhart publiziert Economic control of quality of manufactured product.[51]
1932: Aldous Huxley veröffentlicht Brave New World[52], eine Dystopie, welche eine entsetzliche, industriebeherrschte Zukunft prophezeit.
1936: D. S. Harder von General Motors prägt den Begriff 'Automation' um die Benutzung von Transfereinrichtungen zur Verkettung von Anlagen zu Transferstraßen zu bezeichnen und Charlie Chaplin produziert Modern Times, der einen durch Routine und unablässigen Arbeitsdruck wahnsinnig werdenden Fließbandarbeiter zeigt.
1937: Ralph M. Barnes veröffentlicht Motion and time study.[53]
1941: Robert Lee Morrow veröffentlicht Ratio Delay Study[54] in der Zeitschrift Mechanical Engineering und Fritz Roethlisberger publiziert Management and Morale.[55]
1943: Der ASME-Ausschuss für Arbeitsstandards legt ein Glossar über Begriffe des Industrial Engineering vor.
1944: Kurt Lewin wird Leiter des Research Center of Group Dynamics am MIT.[56]
1945: Marvin E. Mundel erarbeitet die Memo-Motion-Studie, eine Form der Arbeitsstudie mit Hilfe von Zeitrafferaufnahmen,[57]Josef Quick entwickelt das WORK-FACTOR-System und Shigeo Shingō präsentiert ein Konzept der Produktion vor der Japan Management Association als Netzwerk von Arbeitsvorgängen und Funktionen und identifiziert viele Wartezeiten insbesondere zwischen den Arbeitsabläufen.
1946: Der erste elektronische Universalrechner, ENIAC, wird an der University of Pennsylvania vorgestellt und bei Ford wird die erste vollautomatische Montageline in Betrieb genommen.
1947: ENIAC auf einem Bild der US-Armee (im Vordergrund Betty Snyder, im Hintergrund Glen Beck)Norbert Wiener schreibt Cybernetics.[58]
1948: Harold Bright Maynard und andere führen Methods-Time Measurement (MTM) ein,[59]Lawrence D. Miles etabliert die Wertanalyse bei General Electric,[60] Shigeo Shingo macht das flussorientierte Werkstattlayout bekannt und das American Institute of Industrial Engineering wird gebildet.
1950: Marvin E. Mundels Buch Motion and time study[61] erscheint international.
1951: Statistische Methoden der Qualitätskontrolle werden aus den USA kommend in Japan angewendet.
1969: Shigeo Shingō entwickelt „Single Minute Exchange of Dies“ (SMED) und führt „preautomation“[76] ein und Wickham Skinner: „Manufacturing: missing link in corporate strategy“ in Harvard Business Review 3(1969).[16]
1973: Erste jährliche „Systems Engineering Conference“ des AIIE; Winfried Hacker veröffentlicht Allgemeine Arbeits- und Ingenieurpsychologie[77] und verbreitet damit die Handlungsregulationstheorie.[16]
1980: Matsushita Electric nutzt die Mikuni-Methode bei der Produktion ihrer Waschmaschinen, Shigeo Shingō: „A study of the Toyota production system from an industrial engineering viewpoint“,[82]Goldratt kommt mit OPT auf den Markt und Hackman/Oldham: „Work redesign“[83] mit dem JDS.[16]
1982: Gavriel Salvendy: „Handbook of Industrial Engineering“[85]
1984: Shigeo Shingō: „A Revolution in Manufacturing: The SMED System“,[86] Goldratt: „The Goal“[87][16]
1990: Womack, Jones und Roos vom IMVP veröffentlichen „The Machine that changed the World“[88] und machen damit den Begriff „Lean Production“ populär.[89]
2010: ifaa - Institut für angewandte Arbeitswissenschaft veröffentlicht gemeinsam mit Managern des Industrial Engineerings verschiedener deutscher Unternehmen unter der Leitung von Sascha Stowasser eine Sammlung von Thesen für das moderne Industrial Engineering zu Beginn des 21 Jahrhunderts.[92]
2014: Martin Dorner beschreibt das Produktivitätsmanagement des Industrial Engineering in indirekten Bereichen.[93]
Sven Hinrichsen: Arbeitsrationalisierung mittels Methoden des Industrial-Engineering in Dienstleistungsbetrieben. Shaker, Aachen 2007 (Diss. IAW RWTH Aachen). ISBN 978-3-8322-6636-3.
Adedeji B. Badiru: Handbook of industrial and systems engineering. CRC, Boca Raton, Fla. 2006, ISBN 0-8493-2719-9.
Benjamin S. Blanchard, Wolter J. Fabrycky: Systems Engineering and Analysis. 4. Auflage. Pearson Education, Upper Saddle River, N. J. 2006, ISBN 0-13-196326-0.
Gavriel Salvendy: Handbook of industrial engineering: Technology and operations management. Wiley, New York 2001, ISBN 0-471-33057-4.
Wayne C. Turner: Introduction to industrial and systems engineering. Prentice Hall, Englewood Cliffs, N. J. 1993, ISBN 0-13-481789-3.
Sascha Stowasser: Produktivität und Industrial Engineering. In: Angewandte Arbeitswissenschaft. Zeitschrift für die Unternehmenspraxis. 47 (204), 2010, S. 7–20.
Martin Dorner: Das Produktivitätsmanagement des Industrial Engineering unter besonderer Betrachtung der Arbeitsproduktivität und der indirekten Bereiche. Dissertation. Karlsruher Institut für Technologie, 2014.