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Konkrement im harnableitenden System Aus Wikipedia, der freien Enzyklopädie
Harnsteine (lateinisch Urolithe) sind kristalline Ablagerungen (Konkremente) der ableitenden Harnwege unterschiedlicher Zusammensetzung und Größe, die aus dem Urin gebildet werden. Abzugrenzen hiervon sind Verkalkungen des Nierenfunktionsgewebes z. B. bei Nephrokalzinose, die außerhalb des Hohlsystems liegen. Je nach Fundort unterscheidet man
Klassifikation nach ICD-10 | |
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N20 | Nieren- und Ureterstein |
N21 | Stein in den unteren Harnwegen |
ICD-10 online (WHO-Version 2019) |
Das Krankheitsbild wird als Steinleiden, Steinkrankheit und Urolithiasis bezeichnet. Harnsteine oder Harnkonkremente dürfen nicht mit Urinsteinen verwechselt werden.
„Die äußere Form der Harnsteine ist durch den Ort der Bildung bedingt.“[2] Die Harnsteine werden benannt nach ihrem ersten Fundort, nicht nach dem Ort ihrer Entstehung. Beim natürlichen Steinabgang werden also viele Harnsteine letztlich zu Harnröhrensteinen. In der Fachliteratur werden dagegen als Harnröhrensteine in der Harnröhre steckengebliebene Konkremente aus höheren Harnwegsabschnitten bezeichnet. Eine primäre Harnröhrensteinbildung ist selten. Um den Entstehungsort zu kennzeichnen, sprach man gelegentlich vom Blasenharnröhrenstein oder vom Vorblasenstein.[3]
Die Fachwörter Urethrolith beziehungsweise Urethrolithiasis fehlen in der deutschen Fachliteratur. International findet man das Wort uretholith nur sporadisch.[4] Gerd Herold nennt das seltene Vorkommen in der Harnröhre lokalisierter Steine „Urethralithiasis“.[5] Ein medizinisches Wörterbuch bezeichnet einen „in der Harnröhre befindlichen, meist steckengebliebenen Stein aus den oberen Harnwegen oder der Blase“ als Urethrastein;[6] das Reallexikon der Medizin nennt nur Urethralstein und ebenfalls Urethrastein.[7] „Verlegungen der Harnröhre durch Steine führen gelegentlich auch zu Harnstauungen.“[8]
Früher war die Benennung doch von Ursprungsort abhängig. „Unter diesem Namen [Nierensteine] fasst man alle diejenigen Concremente zusammen, welche ausserhalb des eigentlichen Nierenparenchyms, aber noch nicht in der Blase sich befinden, also von den Papillen ab in den Nierenkelchen, dem Nierenbecken und Harnleiter. Da viele Nierensteine erst, nachdem sie in die Blase gelangt sind, krankhafte Erscheinungen veranlassen, ist ein strenger Unterschied zwischen Nieren- und Blasenstein nicht durchzuführen.“[9]
Harnsteine können aus unterschiedlichen Gründen entstehen, so zum Beispiel infolge einer Entzündung der Nieren oder der ableitenden Harnwege, aufgrund einer zu engen Harnröhre, als Folge von Gicht und Zuckerkrankheit oder durch Genuss von übermäßig viel Oxalsäure in bestimmten Lebensmitteln. Ferner können angeborene Stoffwechselstörungen wie eine Cystinurie oder ein Morbus Crohn zur Steinbildung führen. Eine länger bestehende Hyperphosphaturie kann gleichfalls zu Harnsteinen führen.
Harnsteine können entstehen, wenn Mineralsalze ausgefällt werden, die normalerweise im Urin gelöst sind, wie etwa Calciumcarbonat, Calciumphosphat und Calciumoxalat. Im Falle der Cystinurie ist u. a. die Rückresorption der Aminosäure Cystin gestört, sodass die Konzentration dieser schwer löslichen Cystein-Verbindung im Harn ansteigt und Cystinsteine entstehen können.
Bei einem hinreichend großen Säuregehalt des Urins bilden sich zunächst kleine Kristalle (Blasengrieß, Harngrieß, Harnsand, Harnkonkremente), die sich allmählich zu größeren Gebilden zusammenfügen. Im Extremfall kann das gesamte Nierenbecken durch diese harten Einlagerungen ausgefüllt werden (Ausgussstein).
Da in der Vergangenheit zur Analyse von Harnsteinen häufig Mineralogen hinzugezogen wurden, hat sich bei vielen Steinarten bis heute die mineralogische gegenüber der chemischen Bezeichnung durchgesetzt. Es werden folgende Harnsteine unterschieden:[10]
Harnsteinart | Chemische Zusammensetzung | Mineralname | Relative Häufigkeit |
Calciumoxalat | Calciumoxalat-Monohydrat Calciumoxalat‐Dihydrat |
Whewellit Weddellit |
60‐70 % 10‐15 % |
Harnsäurehaltige Steine | Harnsäure Harnsäure‐Dihydrat Ammoniumurat |
Uricit | 10 % 2-5 % 0,5‐1 % |
Calciumphosphat | Carbonatapatit Calciumhydrogenphosphat-Dihydrat |
Dahllit Brushit |
5 % 1 % |
Infektstein | Magnesiumammonium-phosphat-Hexahydrat | Struvit | 5-10 % |
Cystin | Cystin | 0,5 % | |
Seltene | Xanthin 2,8-Dihydroxyadenin Medikamentensteine Matrixsteine |
< 0,5 % < 0,5 % < 0,5 % < 0,5 % |
Weltweit ist die Harnsteinerkrankung eine der häufigsten Erkrankungen. Inzidenz und Prävalenz steigen kontinuierlich, was vermutlich mit sich ändernden Lebensumständen und Ernährungsgewohnheiten der Menschen zusammenhängt. Durch eine verbesserte medizinische Diagnostik werden aber auch mehr Fälle nachgewiesen.[10] In Deutschland sind etwa fünf Prozent der Bevölkerung von einem Harnsteinleiden betroffen.[11]
Als Extreme hinsichtlich Anzahl und Größe von Nierensteinen finden sich in der alten Fachliteratur Angaben von bis zu 1000 Konkrementen im rechten Nierenbecken und vom Gewicht eines einzelnen Nierensteins von 1088 Gramm (36¼ Unzen).[12] Immanuel Munk beschrieb 1885 Harnkonkremente von Erbsengröße bis Apfelgröße.[13]
Sandkorngroße Harnsteine heißen Harngrieß.[14] Früher galt: „Kleinere, durch die Harnröhre abgehende Concremente bezeichnet man als Harngries (arena urinaria; [wörtlich: Urinsand]).“[15] Analog war früher die urina arenosa der Griesharn[16] oder Sandharn. Später bezeichnete man als Harngrieß oder Harnsand meist multiple noch mit bloßem Auge sichtbare Harnkonkremente.[17]
Harnsteine bleiben häufig lange Zeit unbemerkt und werden erst auffällig, wenn sie sich (meist unter extrem starken, krampfartigen Schmerzen (Kolik)) im Nierenbecken oder im Harnleiter verklemmen.
Für die Diagnostik und Kontrolle ist die Ultraschalluntersuchung die erste Wahl, sowohl in Notfall- als auch in Routinesituationen. Konventionelles Röntgen kann bei schattengebenden Konkrementen angewendet werden, z. B. bei Steinen aus Calciumsalzen.[10]
Patienten mit Kolik sollten umgehend eine Schmerztherapie erhalten. Steine mit kleinem Durchmesser gehen oft von selbst ab (Spontanabgang).[10] Falls nicht, müssen die Steine entweder operativ (früher durch den Steinschnitt beziehungsweise Blasensteinschnitt und Lithotripsie, heute z. B. mittels einer Ureterorenoskopie oder aber mit Ureterolithotomie und einer Steinfasszange[18]) entfernt oder durch Stoßwellen-Zertrümmerung (extrakorporale Stoßwellenlithotripsie, ESWL) so zerkleinert werden, dass sie selbständig abgehen.
Welche Therapieoption zum Einsatz kommt, hängt unter anderem von der Lage und der Steingröße ab: Bei Nierensteinen beispielsweise werden ESWL und die ureterorenoskopische Entfernung vornehmlich bei Steindurchmessern von unter zwei Zentimetern angewendet, größere Steine werden im Zuge einer perkutanen Nephrolithotomie (PCNL) zerkleinert. Außerdem spielt auch die Zusammensetzung des Steins eine Rolle: Die Deutsche Gesellschaft für Urologie empfiehlt in der aktuellen Urolithiasis-Leitlinie bei harten Konkrementen wie Brushit, Kalzium‐Oxalat‐Monohydrat oder Cystin eine operative Steinsanierung anstatt der Zertrümmerung über ESWL.[10]
Das alleinige Trinken großer Mengen zur Austreibung der Steine ohne zusätzliche medikamentöse Behandlung ist nicht erfolgversprechend. Der Spontanabgang kleiner Harnleitersteine kann durch Medikamente wie Alphablocker (z. B. Tamsulosin) oder Nifedipin erleichtert werden. Allerdings handelt es sich hierbei um einen Off-Label-Use. Das chirurgische Entfernen von Blasensteinen, früh belegt etwa bei Aulus Cornelius Celsus, war bis ins 19. Jahrhundert ein eigenständiger Beruf, der des Lithotomus.
Als Vorbeugung gegen neuerlich auftretende Beschwerden (Metaphylaxe, Rezidivprophylaxe, Tertiärprävention) wird das Trinken genügend großer Flüssigkeitsmengen (mindestens 2,5 Liter pH-neutraler Getränke über 24 Stunden verteilt) empfohlen. „Wichtigste Maßnahme zur Steinverhütung ist die Harnverdünnung mit einer Harnausscheidung von mindestens 1500 ml in 24 Stunden. Die notwendigen Trinkmengen sollten über den Tag verteilt werden, um Kreislaufbelastungen zu vermeiden. Letzte Flüssigkeitsaufnahme vor dem Schlafengehen.“[19]
Früher gab es andere Vorstellungen von der üblichen Trinkmenge: „Ein erwachsener, gutgenährter, nicht mehr als nöthig trinkender Mann entleert täglich 2–3 Liter.“ Das schrieb der Brockhaus noch 1866[20] ohne Bezugnahme auf Harnsteine.
Zusätzlich kann eine abwechslungsreiche, ausgewogene Ernährung mit einem hohen Ballaststoffanteil sowie die kontrollierte Aufnahme bestimmter Lebensmittel das Rezidivrisiko verringern, z. B. maximal 5 g Kochsalz pro Tag, 1 bis 1,2 g Calcium pro Tag und 0,8 bis 1 g tierische Proteine pro kg Körpergewicht pro Tag.[10][21]
Bei Patienten mit Cystinurie empfiehlt sich vorbeugend eine Alkalisierungstherapie, wodurch die Löslichkeit des Cystins im Urin erhöht wird. Außerdem stehen Komplexbildner zur Verfügung, mit welchen die Cystinkonzentration im Urin gesenkt werden kann: Tiopronin überführt Cystin in Cystein und einen gut löslichen Cystein-Tiopronin-Komplex.[10] In Studien wurde die Steinrate somit um 60 % und die Anzahl notwendiger Steinoperationen um 72 % gesenkt.[22]
Bei Haushunden dominieren Struvitsteine[23], sie machen etwa 50 % aller Harnsteine aus, wobei ihr Anteil durch diätetische Maßnahmen in den letzten 20 Jahren leicht gesunken ist. Seit Anfang der 1980er Jahre steigt der Anteil an Calciumoxalat-Steinen kontinuierlich an, ihr Anteil liegt in aktuellen Studien bei etwa 30 %. Ammoniumurat-Steine machen etwa 10 % aus, sie kommen aufgrund eines genetischen Defekts gehäuft bei Dalmatinern vor. Cystin-Steine haben einen Anteil von etwa 5 %.[24] Zur Behandlung von Struvitsteinen können häufig ansäuernde und damit steinauflösende Diäten eingesetzt werden. In einer Studie konnten bei 58 % der Hunde Struvitsteine diätetisch aufgelöst werden, eine gleichzeitige Antibiotikabehandlung machte die Auflösung wahrscheinlicher.[25]
Größere Steine werden in der Tiermedizin vor allem chirurgisch mit Eröffnung der Bauchdecke und Harnblase entfernt. Die Laserlithotripsie erfordert einen hohen apparativen und sicherheitstechnischen Aufwand und ist daher nur in wenigen Tierkliniken verfügbar. Auch die Pneumolithotripsie unter endoskopischer Kontrolle kann in Erwägung gezogen werden.[26]
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