Hans Seyff (* um 1440; † nach 1518) war ein aus Göppingen stammender Wundarzt. Er wirkte als ein führender Chirurg des Spätmittelalters.
Hans Seyff wurde wohl als württembergischer Leibeigener geboren. Seine schulische Grundausbildung erhielt er bei den Chorherren von Oberhofen.[1] Er war zunächst als Bader tätig. Durch Graf Ulrich V. von Württemberg ließ er sich am 8. April 1461 mit einer der drei Badstuben Göppingens belehnen. Als Feldarzt begleitete er den Grafen in den Krieg gegen die Kurpfalz. Er geriet für elf Monate in Gefangenschaft. Anschließend setzte er seine Tätigkeit als Bader fort. Seyff wurde 1477 Wundarzt. Ab 1481 stand Seyff in Diensten von Herzog Albrecht IV. von Bayern-München. Als Operateur und (gräflich-)herzoglicher Leibarzt in München und Stuttgart erwarb er sich hohes Ansehen. Seine ärztlichen Fähigkeiten nutzte er, um für sich und seine Familie 1481 die Aufhebung der Leibeigenschaft zu erwirken. In München wirkte Seyff als Stadtarzt und reformierte das städtische Medizinalwesen.[2] Reisen als Operateur führten ihn bis nach Antwerpen an den deutschen Königshof Maximilians I.
Seyff gehörte zu den führenden Operateuren im Reich. Anfang April 1493 entsandte ihn Albrecht nach Linz.[3] Er sollte dort das Bein von Kaiser Friedrich III. amputieren. Der Kaiser litt an Arteriosklerose. Unter der Leitung von Seyff wurde am 8. Juni 1493 die Amputation durchgeführt. An der Operation waren sieben Ärzte beteiligt. Mit dem Wundarzt Larius von Passau sägte Seyff den von der Krankheit betroffenen Bereich des Beines ab. Beteiligt waren dabei auch der aus Graz stammende und als herausragender Wundarzt geltende Erhard von Grecz[4] sowie der bairisch-österreichische Chirurg und Lehrbuchverfasser Heinrich Pflaundorfer.[5] Die Beinamputation wird zu den berühmtesten und am besten dokumentierten chirurgischen Eingriffen des gesamten Mittelalters gezählt.[6] Seyff verfasste wohl nicht unmittelbar nach dem Eingriff, sondern erst 1508 einen Bericht über die Beinamputation Friedrichs III.[7] Ebenfalls sind zwei zwischen 1482 und 1518 entstandene, auch chirurgische Texte anderer Autoren[8] enthaltende wundärztliche Manuale[9] mit mehreren Operationsberichten von ihm überliefert. Seyff suchte den fachlichen Austausch mit dem mährischen WundarztFriedrich von Olmütz[10] und dem pfalzgräflichen Leibarzt Heinrich Münsinger. Testamentsentwürfe zeigen, dass er in Göppingen, wo er eine 1484/1485 mit einem Anbau für Krankenzimmer erweiterte chirurgische Klinik betrieb, beträchtliches Vermögen erworben hatte. Er hatte mehrere Stiftungen gegründet und zahlreichen Liegenschaften hinterlassen.[11] Drei Söhne sind von ihm bezeugt.
In der Medizingeschichte ist er vor allem wegen seiner invasiven Bauchoperationen (Tumorexstirpation) und gefäßchirurgischen Eingriffe bekannt.[12] Sein 160 Seiten umfassender Codex medicus et physiologicus ist eine umfangreiche Quelle für das Gesundheitswesen des Spätmittelalters.[13] In Göppingen ist eine Straße nach Hans Seyff benannt.
Der Arzt Paracelsus hatte sich in seinen pharmazeutischen Texten auf Hans Seyff berufen.[14]
Karl Sudhoff: Beiträge zur Geschichte der Chirurgie im Mittelalter (= Studien zur Geschichte der Medizin. Band 11/12). Teil 2. Barth, Leipzig 1918, S. 592–616.
Hartmut Broszinski: Das Heilmittelglossar des Hans Suff von Göppingen. In: Centaurus. Band 12, 1967, S. 114–131.
Manfred Gröber, Gundolf Keil: Seyff (Seiff, Siff, Syf, Syfer, irrtümlich: Suff), Hans. In: Kurt Ruh, Gundolf Keil, Werner Schröder, Burghart Wachinger, Franz Josef Worstbrock (Hrsg.): Die deutsche Literatur des Mittelalters. Verfasserlexikon. Band 8: Revaler Rechtsbuch – Sittich, Erhard. 2., völlig neu bearbeitete Auflage. De Gruyter, Berlin u. a. 1992, ISBN 3-11-022248-5, Sp. 1130–1133.
Bernhard D. Haage, Wolfgang Wegner: Seyff (Suff), Hans, von Göppingen. In: Werner E. Gerabek, Bernhard D. Haage, Gundolf Keil, Wolfgang Wegner (Hrsg.): Enzyklopädie Medizingeschichte. De Gruyter, Berlin u. a. 2005, ISBN 3-11-015714-4, S. 1325.
Gundolf Keil: „blutken – bloedekijn“. Anmerkungen zur Ätiologie der Hyposphagma-Genese im ‚Pommersfelder schlesischen Augenbüchlein‘ (1. Drittel des 15. Jahrhunderts). Mit einer Übersicht über die augenheilkundlichen Texte des deutschen Mittelalters. In: Fachprosaforschung – Grenzüberschreitungen. Band 8/9, 2012/2013, S. 7–175, hier: S. 33.
Gundolf Keil: „Meister der Chirurgie“ aus dem „gesamten deutschen Sprachraum“. Christoph Weißers Chirurgenlexikon mit 2000 Biographien aus der Geschichte der Chirurgie. Ein Essai. In: Medizinhistorische Mitteilungen. Zeitschrift für Wissenschaftsgeschichte und Fachprosaforschung. Band 36/37, 2017/2018 (2021), S. 327–333, hier: S. 330.
Daniel Carlo Pangerl: „Item als man dem kayser Fridrichen sin fuß abschnitt“. Die Beinamputation an Kaiser Friedrich III. am 8. Juni 1493 in Linz. In: Sudhoffs Archiv Bd. 94 (2010), S. 195–200, hier: S. 198.
Bernhard D. Haage: Erhard von Graz (Grecz). In: Werner E. Gerabek, Bernhard D. Haage, Gundolf Keil, Wolfgang Wegner (Hrsg.): Enzyklopädie Medizingeschichte. Berlin u. a. 2005, S. 368.
Gundolf Keil: Pflaundorfer, Heinrich. In: Werner E. Gerabek, Bernhard D. Haage, Gundolf Keil, Wolfgang Wegner (Hrsg.): Enzyklopädie Medizingeschichte. Berlin u. a. 2005, S. 1142.
Daniel Carlo Pangerl: „Item als man dem kayser Fridrichen sin fuß abschnitt“. Die Beinamputation an Kaiser Friedrich III. am 8. Juni 1493 in Linz. In: Sudhoffs Archiv. Bd. 94, 2010, S. 195–200, hier: S. 195.
Manfred Gröber: Kaiser Friedrich III. und Meister Hans Seyff. In: Ausstellungskatalog Kaiser Friedrich III. – Innovationen einer Zeitenwende. Linz 1993, S. 15–19, hier: S. 16.
Wolfgang Wegner: Peter von Worms, rheinfränkischer Wundarzt. In: Werner E. Gerabek, Bernhard D. Haage, Gundolf Keil, Wolfgang Wegner (Hrsg.): Enzyklopädie Medizingeschichte. Berlin u. a. 2005, S. 1129.
Manfred Gröber (Hrsg.): Das wundärztliche Manual des Meisters Hans Seyff von Göppingen (ca. 1440–1518). Der Cod. med. et phys. 2° 8 der Württembergischen Landesbibliothek Stuttgart. Göppingen 1998 (= Göppinger Arbeiten zur Germanistik. Band 656); zugleich Philosophische Dissertation Tübingen.
Wolfgang Wegner: Friedrich von Olmütz, Meister. In: Werner E. Gerabek, Bernhard D. Haage, Gundolf Keil, Wolfgang Wegner (Hrsg.): Enzyklopädie Medizingeschichte. Berlin u. a. 2005, S. 441.
Gundolf Keil: „Meister der Chirurgie“ aus dem „gesamten deutschen Sprachraum“. Christoph Weißers Chirurgenlexikon mit 2000 Biographien aus der Geschichte der Chirurgie. Ein Essai. In: Medizinhistorische Mitteilungen. Zeitschrift für Wissenschaftsgeschichte und Fachprosaforschung. Band 36/37, 2017/2018 (2021), S. 327–333, hier: S. 330.
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Daniel Carlo Pangerl: Amputation: Das Bein des Habsburgers. Eine neue Quellenauswertung lässt darauf schließen, wie die Beinamputation an Kaiser Friedrich III. ablief. In: Medizin im Mittelalter. Zwischen Erfahrungswissen, Magie und Religion (= Spektrum der Wissenschaften. Spezial: Archäologie Geschichte Kultur. Band 2.19), 2019, S. 70–73, hier: S. 71 f.
Gundolf Keil: Der anatomei-Begriff in der Paracelsischen Krankheitslehre. Mit einem wirkungsgeschichtlichen Ausblick auf Samuel Hahnemann. In: Hartmut Boockmann, Bernd Moeller, Karl Stackmann (Hrsg.): Lebenslehren und Weltentwürfe im Übergang vom Mittelalter zur Neuzeit. Politik – Bildung – Naturkunde – Theologie. Bericht über Kolloquien der Kommission zur Erforschung der Kultur des Spätmittelalters 1983 bis 1987 (= Abhandlungen der Akademie der Wissenschaften in Göttingen: philologisch-historische Klasse. Folge III, Nr. 179). Vandenhoeck & Ruprecht, Göttingen 1989, ISBN 3-525-82463-7, S. 336–351, hier: S. 347.