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Gräberfeld von Rössen

jungsteinzeitliches Gräberfeld in Rössen, einem Ortsteil von Leuna im Saalekreis (Sachsen-Anhalt) Aus Wikipedia, der freien Enzyklopädie

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Das Gräberfeld von Rössen war ein jungsteinzeitliches Gräberfeld in Rössen, einem Ortsteil von Leuna im Saalekreis (Sachsen-Anhalt). Zwischen 1879 und 1890 wurden hier über 100 Brand- und Körpergräber gefunden, die hauptsächlich der Rössener Kultur (4600–4450 v. Chr.) und der Gaterslebener Kultur (4500–4000 v. Chr.) angehören. Ein einzelnes Grab gehörte der Linienbandkeramik (5500–4800 v. Chr.) an, ein weiteres evtl. der Baalberger Kultur (4000–3400 v. Chr.). Das Gräberfeld von Rössen ist damit das größte jungsteinzeitliche Gräberfeld Mitteldeutschlands.[1] Die Grabinventare veranlassten Alfred Götze 1900 zur Erstbeschreibung der Rössener Kultur, wodurch das Gräberfeld zum namensgebenden Fundort wurde. Etwas weiter südlich wurden 1918 weitere Gräber sowie Siedlungsreste gefunden, die sich neben den beiden genannten Kulturen der Stichbandkeramik (4900–4600 v. Chr.), der Baalberger Kultur und der Salzmünder Kultur (3400–3100 v. Chr.) zuordnen ließen.

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Drei Gräber vom Gräberfeld von Rössen; Museum für Vor- und Frühgeschichte, Berlin. V. l. n. r.: Nr. 6 (kulturelle Zuordnung unsicher), Nr. 2 (Beigaben der Rössener und Gaterslebener Kultur), Nr. 13 (vermutl. Rössener Kultur)
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Lage

Das Gräberfeld lag am westlichen Hochufer der Saale südöstlich des historischen Ortskerns von Rössen und ist heute vollständig durch die Villensiedlung Neu Rössen überbaut. Es reichte etwa von der heutigen Merseburger Straße bis zum Stadtpark Leuna. Einige hundert Meter nördlich liegt der 1918 und 1925 untersuchte endneolithische Grabhügel von Rössen und nur wenig südlich von diesem, direkt an der Bahnstrecke Merseburg–Leipzig-Leutzsch der Wall von Rössen, an dessen Rändern 1915 im Vorfeld der Errichtung der Bahntrasse weitere neolithische Gräber entdeckt wurden.

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Forschungsgeschichte

Zusammenfassung
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Das Gräberfeld von Rössen während der Ausgrabung (1889)

Da sich das Gräberfeld zum Teil über einen Steinbruch erstreckte, waren wohl schon Mitte des 19. Jahrhunderts erste vorgeschichtliche Funde aufgetaucht. Sie erweckten ab 1879 das Interesse des damals in Merseburg ansässigen und später nach Deggendorf übersiedelten August Nagel, der zunächst Einzelfunde sammelte und zwischen 1882 und 1890 großflächige Grabungen durchführte. Der Wert dieser Grabungen ist zwiespältig, da Nagel einerseits kurze Notizen veröffentlichte, aber weder einen Plan des Gräberfeldes anfertigte noch Lage und Ausrichtung der einzelnen Gräber vermerkte. Andererseits legte er großen Wert darauf, dass die Skelette mitsamt den Beigaben in Originallage geborgen wurden, wodurch sie eine große wissenschaftliche Bedeutung behielten. Insgesamt legte Nagel wohl etwa 100 Gräber frei, von denen 22 vollständig waren. 66 waren unvollständig erhalten und vom Rest wurden nur noch Einzelstücke vorgefunden. Den Großteil seiner Funde verkaufte Nagel an das Museum für Völkerkunde Berlin, heute gehören sie zur Sammlung des Museums für Vor- und Frühgeschichte. Jeweils ein Grab der Rössener Kultur gelangte ins Museum für Völkerkunde Hamburg (heute im Archäologischen Museum) und ins Germanische Nationalmuseum nach Nürnberg. Einzelne Gefäße gelangten ins Schlossmuseum Mannheim.

Parallel zu Nagel grub im Juli 1882 Hans von Borries aus Halle (Saale), der fünf Gräber bergen konnte. Weitere Gräber barg 1918 Nils Niklasson. Die Funde aus diesen beiden Grabungen befinden sich heute im Besitz des Landesamtes für Denkmalpflege und Archäologie Sachsen-Anhalt und sind teilweise im Landesmuseum für Vorgeschichte in Halle ausgestellt.

Die wissenschaftliche Aufarbeitung der Funde begann 1900 mit Alfred Götze, der anhand eines Teils der gefundenen Gefäße eine neue jungsteinzeitliche Kultur, die Rössener Kultur, definierte. Eine vollständige monografische Bearbeitung der Gräber der Rössener Kultur legte erstmals 1938 Franz Niquet vor. Die Gefäße der Gaterslebener Kultur wurden zunächst als „Brandgräberkeramik“ bezeichnet und ihre Zuordnung war anfangs unklar. Von verschiedenen Forschern wurde eine Zugehörigkeit zur Jordansmühler Kultur, zu einer von dieser stark beeinflussten Lokalgruppe der Rössener Kultur oder zur Baalberger Kultur angenommen. Eine Eigenständigkeit der Gaterslebener Kultur konnte erst 1953 von Ulrich Fischer dargelegt werden. Hermann Behrens legte 1968 eine Aufarbeitung der Gaterslebener Funde aus Rössen vor. Hierbei nahm er auch zahlreiche Gräber auf, die bis dahin von Niquet der Rössener Kultur zugerechnet worden waren.

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Beschreibung

Zusammenfassung
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Bei den Grabungen zwischen 1882 und 1890 sowie 1918 wurden insgesamt 91 sichere Gräber geborgen. Hinzu kommen zahlreiche Einzelfunde, die auf weitere Gräber schließen lassen. Die genaue Lage der Gräber dokumentierte Nagel nicht, nur gelegentlich wurde die Lage einzelner Gräber zueinander vermerkt. Genauer verfuhr hier von Borries, der östlich von Nagels Grabungsgebiet fünf Bestattungen bergen konnte. Nach Götze, der sich wohl im Wesentlichen auf Nagels kurze Berichte stützte, bildeten die Gräber zwei Gruppen: Östlich befanden sich die Körpergräber und direkt westlich anschließend die Brandgräber. Niklassons Grabungen fanden südlich der zuvor untersuchten Flächen statt. Er konnte zwei weitere Brandgräber und die Reste eines möglichen dritten bergen.

Bei den 91 gesicherten Gräbern handelt es sich um elf sichere und drei wahrscheinliche Brandgräber und 76 sichere Körpergräber. Bei einem Grab liegen keine Angaben vor, die Art der Beigaben macht jedoch ein Körpergrab wahrscheinlich. Bei den Körpergräbern wurde nur in zehn Fällen die Orientierung des Bestatteten vermerkt. Acht Tote waren in süd-nördlicher und zwei in ost-westlicher Richtung bestattet worden. In 33 Fällen wurde die Lage des Skeletts dokumentiert. Die Toten waren ausnahmslos in rechter Hockerlage beigesetzt worden.

Die kulturelle Zuordnung der einzelnen Gräber wurde mehrfach redigiert. Niquet ordnete 65 Gräber der Rössener Kultur, 15 der Jordansmühler Kultur, eines der Linienbandkeramik und eines der Baalberger Kultur zu. Bei neun Gräbern war die Zuordnung unklar. Fischer ordnete die von Niquet als Jordansmühler Gräber angesprochenen Bestattungen der von ihm neu definierten Gaterslebener Kultur zu, ging ansonsten aber mit Niquets Zuordnungen größtenteils konform. Von drei ursprünglich der Rössener Kultur zugeordneten Gräbern und einem unberücksichtigten Grab ordnete Fischer zwei mit Sicherheit und zwei unter Vorbehalt der Gaterslebener Kultur zu. Behrens unternahm bei seiner Durchsicht des Materials größere Neuzuordnungen. Er zählte 21 Gräber zur Rössener Kultur und 30 zur Gaterslebener Kultur. Die Grabinventare von acht Gräbern wiesen Merkmale beider Kulturen auf. Bei 31 Gräbern erschien ihm keine sichere kulturelle Zuordnung möglich; hierzu zählt auch Grab Nr. 55, das Niquet und Fischer der Baalberger Kultur zuordneten, das nach Behrens aber sowohl der Baalberger als auch der Gaterslebener Kultur angehören könnte. Bei der Zuordnung des linienbandkeramischen Grabes ging Behrens mit Niquet konform.[2]

Da ein Gesamtplan fehlt, sind Aussagen zur Belegungsgeschichte des Gräberfelds nur sehr begrenzt möglich. Nach Behrens scheint es aber eher unwahrscheinlich, dass hier eine strenge Aufeinanderfolge verschiedener Kulturen vorlag. Vielmehr ist eine recht starke Durchdringung der Rössener und der Gaterslebener Kultur festzustellen. Dies macht sich zum einen an den gemischten Grabinventaren bemerkbar, aber auch an der Ausrichtung der Toten. Begräbnisse der Rössener Kultur sind typischerweise noch in bandkeramischer Tradition ost–west-orientiert, Begräbnisse der Gaterslebener Kultur sind hingegen üblicherweise süd–nord-orientiert. Auf dem Rössener Gräberfeld sind allerdings mehrere Fälle belegt, in denen die Begräbnisse in der Tradition der jeweils anderen Kultur ausgerichtet worden waren.[3]

Weitere Informationen Nr., Ritus ...
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Literatur

  • Hermann Behrens: Gräber der Gaterslebener Gruppe vom Rössener Gräberfeld. In: Jahresschrift für mitteldeutsche Vorgeschichte. Band 52, 1968, S. 67–80.
  • Hans von Borries: Bericht über die am 21., 30. und 31. Juli 1883 erfolgte Ausgrabung vorgeschichtlicher Gräber bei Rössen an der Saale, Kr. Merseburg. In: Vorgeschichtliche Alterthümer der Provinz Sachsen. Band 3, 1886, S. 1ff.
  • Ulrich Fischer: Die Gräber der Steinzeit im Saalegebiet. Studien über neolithische und frühbronzezeitliche Grab- und Bestattungsformen in Sachsen-Thüringen (= Vorgeschichtliche Forschungen. Band 15). de Gruyter, Berlin 1956.
  • Alfred Götze: Das neolithische Gräberfeld von Rössen und eine neue keramische Gruppe. In: Zeitschrift für Ethnologie. Band 32, 1900, S. 237–253 (online)
  • Dieter Kaufmann: Leuna-Rössen. In: Joachim Herrmann (Hrsg.): Archäologie in der Deutschen Demokratischen Republik. Denkmale und Funde. Band 2, Urania Verlag, Leipzig / Jena / Berlin 1989, ISBN 3-8062-0531-0, S. 423–424.
  • Dieter Kaufmann: Alexander Nagel und das eponyme Gräberfeld von Rössen. In: Ralf Gleser, Valeska Becker (Hrsg.): Mitteleuropa im 5. Jahrtausend vor Christus. Beiträge zur Internationalen Konferenz in Münster 2010 (= Neolithikum und ältere Metallzeiten. Studien und Materialien. Band 1). LIT, Berlin/Münster 2012, ISBN 978-3-643-11279-8, S. 13–33.
  • Klaus Kroitzsch: Die Gaterslebener Gruppe im Elb-Saale-Raum. In: Neolithische Studien. Band 2 = Wissenschaftliche Beiträge der Martin-Luther-Universität Halle. Band 1972/12, 1973, S. 5–126.
  • August Nagel: Gräber von Rössen an der Saale. In: Zeitschrift für Ethnologie. Band 14, 1882, S. 143–144 (online)
  • August Nagel: Das Gräberfeld in Rössen a/Saale. Kreis Merseburg. In: Correspondenz-Blatt der Deutschen Gesellschaft für Anthropologie, Ethnologie und Urgeschichte. Band 18, 1887, S. 19–20 (online)
  • Nils Niklasson: Neuere Ausgrabungen in Rössen. In: Mannus. Band 11/12, 1919/20, S. 309–337.
  • Franz Niquet: Die Rössener Kultur in Mitteldeutschland (= Jahresschrift für die Vorgeschichte der sächsisch-thüringischen Länder. Band 26), Gebauer-Schwetschke, Halle (Saale) 1937.
  • Franz Niquet: Das Gräberfeld von Rössen, Kreis Merseburg (= Veröffentlichungen der Landesanstalt für Volkheitskunde. Band 9). Landesanstalt für Volkheitskunde, Halle (Saale) 1938.
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Commons: Gräberfeld von Rössen – Sammlung von Bildern, Videos und Audiodateien

Einzelnachweise

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