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deutscher Wirtschaftswissenschaftler, Raumplaner und Landesplaner Aus Wikipedia, der freien Enzyklopädie
Gerhard Isenberg (* 11. Juni 1902 in Ulm; † 25. Juli 1982 in Bonn) war ein deutscher Wirtschaftswissenschaftler (mit Spezialisierung in Statistik und Landwirtschaft), zugleich wirkte er als Raum- und Landesplaner. Isenberg lieferte zahlreiche Beiträge (Bücher, Artikel, Stellungnahmen, Gutachten) für die nationalsozialistische Raumplanung und für die bundesrepublikanische Raumordnungspolitik. Er gilt als „eine zentrale Figur der deutschen Raumplanung“.[1]:262 Isenberg war über mehr als vierzig Jahre sowohl im wissenschaftlich-universitären Bereich als auch im politisch-administrativen Bereich verschiedener Ministerien und Bürokratien tätig.
Der gebürtige Schwabe stammte aus einer Lehrerfamilie. Sein Vater Carl Isenberg (1869–1937), der als Gymnasialprofessor in Ellwangen und Ludwigsburg tätig war, kam in Hyderabad zur Welt und war der Sohn des Missionars Charles Isenberg (1840–1870)[2] und der Maria Gundert. Somit war Gerhard Isenbergs Vater ein Halbbruder von Hermann Hesse. Über seinen Urgroßvater Hermann Gundert war Gerhard Isenberg auch mit dem Ostasienwissenschaftler Wilhelm Gundert verwandt. Gerhard Isenbergs Mutter Elise Berg (1874–1950) war eine Urenkelin des württembergischen Hofrats Ferdinand von Pistorius, dessen Frau Emilie (1776–1816) der Familie Feuerlein entstammte. Gerhard Isenberg hatte noch einen älteren Bruder Carl Isenberg (1901–1945) und eine jüngere Schwester Marie (1904–1945).[3]:333.
Nach dem Abitur begann er eine „Ausbildung und Tätigkeit im Buchhandel und Bankwesen“ (1920–1924).[4]
Im Anschluss daran studierte Isenberg Wirtschaftswissenschaften an der TH Stuttgart, an den Universitäten Berlin und Tübingen.[4] Im Jahr 1930 promovierte Isenberg in Tübingen zum Doktor der Staatswissenschaften mit einer Studie über Unterschiede des internationalen Lohn- und Preisniveaus.[5] (Rigorosum am 21. Juni 1930). Hans Kistenmacher, der mit Isenberg zu Beginn der 1960er Jahre gemeinsam Gutachten für das baden-württembergische Wirtschaftsministerium verfasste, verwies darauf, dass Gerhard Isenberg von 1928 bis 1933 wissenschaftlicher Assistent am Staatswissenschaftlichen Seminar der Universität Tübingen und am Seminar für Sozialpolitik der TH Dresden war. Bereits damals studierte Isenberg diese Fächer „in enger Verbindung zu Städtebau und Siedlungswesen“: „Während dieser Zeit begann er sich im Rahmen von Untersuchungen über die strukturelle Arbeitslosigkeit in Sachsen schwerpunktmäßig den räumlichen Fragen zuzuwenden, die ihn dann nicht mehr losließen.“[4] Erste Veröffentlichungen zur Siedlungspolitik erschienen.
Ab 1934 nahm Gerhard Isenberg eine Tätigkeit als wissenschaftlicher Sachbearbeiter an der Reichsstelle für bäuerliche Siedlungsplanung auf.[6] Hierbei soll der Nationalökonom und Agrarwissenschaftler Max Sering vermittelnd tätig geworden sein.[7] Im Universitätsarchiv Freiburg liegt ein Hinweis auf eine etwaige Habilitationsmöglichkeit für Gerhard Isenberg (Zeitraum zwischen 1933 und 1935) bei dem Agrarwissenschaftler Constantin von Dietze vor. Nach Uwe Mai arbeitete Gerhard Isenberg in dieser Zeit an den weitreichenden Agrarstrukturplanungen des Reichsministeriums für Ernährung und Landwirtschaft mit. In dieser kleinen Reichsstelle arbeiteten nach Angaben von Isenberg unter der Leitung von Carl Christoph Lörcher nur der Agrarwissenschaftler Heinrich Niehaus, der Architekt Peter Koller und Gerhard Isenberg.[8]
Mit Gründung der nationalsozialistischen, führerunmittelbaren und sehr viel größeren Reichsstelle für Raumordnung (RfR, Berlin) im Sommer 1935 wechselte Isenberg dorthin und wurde „Referent für Statistik und Planungsgrundlagen“[9] (Leitung des Referats V Statistik in der Planungsabteilung unter Baudirektor Karl Köster).[10] Er übte diese Funktion bei der RfR bis zum Kriegsende aus.
Die RfR wurde auch in die NS-Siedlungsplanung für die „eingegliederten Ostgebiete“ eingeschaltet. In Isenbergs Beitrag „Die Tragfähigkeit des deutschen Ostens an landwirtschaftlicher und gewerblicher Bevölkerung“ thematisierte er nicht nur Aspekte der zukünftigen beruflichen Zusammensetzung der dort anzusiedelnden (deutschen) Bevölkerung, sondern erwähnte auch die bisher „dort ansässigen Polen“, die das Deutsche Reich „einstweilen im Generalgouvernement unterzubringen sucht.“[11] Isenberg war Mitglied des Arbeitskreises „Zentrale Orte“ der Reichsarbeitsgemeinschaft für Raumforschung (RAG).[1]:167 ff. Von 1940 bis 1944 war Isenberg Lehrbeauftragter an der Universität Berlin.[12][9] Noch 1944 arbeitete Isenberg an den Reichsumquartierungsplanungen der Reichsstelle für Raumordnung mit.[1]:210-216
Ein engerer Austausch bestand in diesen Jahren auch zwischen Isenberg und dem Wirtschafts- und Sozialwissenschaftler August Lösch (s. dazu die Verweise von Tagebuchaufzeichnungen von Lösch unter Lemma Hermann Muhs, RfR). Jahrzehnte später sollte Isenberg den nach Lösch benannten Preis der Stadt Heidenheim erhalten (s. u.).
Nach 1945 gehörte Gerhard Isenberg zu einer Reihe von Experten, die sich für die Fortsetzung der Raumforschung/Raumordnungspolitik einsetzten (neben Kurt Brüning, Bruno Kuske, Hermann Roloff, Frank Glatzel u. a.).[13] Auch prägte Isenberg die Geschichtsschreibung über die nationalsozialistische Raumplanung bis in die 1970er Jahre mit.[1]:127
Mit dem Kriegsende geriet Isenberg ein Jahr in ein amerikanisches Internierungslager, aber ab 1946 (bis 1950) war er bereits wieder als wissenschaftlicher Referent in der Landesplanungsabteilung des Innenministeriums von Württemberg-Hohenzollern tätig. Im gegen ihn gerichteten Entnazifizierungsverfahren (Spruchkammerverfahren), denn Isenberg wurde als „belastet“ eingestuft, wertete die Spruchkammer Leonberg die Aussagen zahlreicher Entlastungszeugen (die im NS-Staat ebenfalls in der Raumplanung aktiv waren) zu Isenbergs Gunsten. „Er habe am Nationalsozialismus nur ‚nominell‘ teilgenommen, ihn ‚nur unwesentlich‘ unterstützt und sei kein Nutznießer der Dritten Reiches gewesen. Auch gegen die folgende Einordnung als Mitläufer legte Isenberg Berufung ein und wurde schließlich 1948 entlastet“.[1]:230
Das auf der Methode der (agrarischen) „Tragfähigkeit“ beruhende Bevölkerungsgutachten (1950) des Instituts für Raumforschung stützte sich auf Isenbergs Vorarbeiten. Galt die Methode, die Isenberg entwickelt hatte, rasch als wissenschaftlich überholt,[14] so hatten die Aussagen in dem Gutachten doch reale Auswirkungen auf die Politik. Auch richteten sich Isenbergs „Tragfähigkeitsberechnungen“ jetzt ausschließlich auf Räume der Bundesrepublik Deutschland; der vor 1945 erhobene Anspruch auf Expansion von „Raum“ wurde fallengelassen.
Isenberg gelang es in verschiedenen Bundesministerien zu arbeiten und sich dort für Raumordnungs-Aspekte einzusetzen. 1951 arbeitete er im Bundesfinanzministerium in der Position eines Ministerialrats zu „regionalen Strukturfragen und Hilfsmaßnahmen“.[9] Zeitgleich (1951) habilitierte er sich an der Universität Tübingen mit seinem Werk „Tragfähigkeit und Wirtschaftsstruktur“ (ab 1959 apl. Prof.).[15] Isenberg war bis 1974 regelmäßig in der Lehre tätig. Isenberg gehörte der „Arbeitsgemeinschaft der Landesplaner“ (neben Stephan Prager, Gerhard Ziegler, Josef Umlauf u. a.) an. Isenberg war Vertreter des Bundesfinanzministeriums im Interministeriellen Ausschuss der Bundesrepublik für Notstandsgebiete (IMNOS).[1]:262[16] Als Mitarbeiter dieses Ministeriums saß er auch im „Wissenschaftlichen Gesamtbeirat der Bundesanstalt für Landeskunde und Raumforschung“ (1960). Isenberg gehörte nicht nur der Deutschen Akademie für Städtebau und Landesplanung (DASL), sondern auch der Forschungsstelle für bäuerliche Familienwirtschaft als Mitglied an.
Gerhard Isenberg zählte nach Theodor Veiter zu den Mitarbeitern an den AER-Informations, dem aus den EFG-Mitteilungen (Redaktion: Martin Kornrumpf, Elisabeth Pfeil) hervorgehenden Mitteilungsblatt der deutschen Sektion der Association européenne pour l'étude du problème des Réfugiés (AER, gegründet 1950 in Rom, erster Vorsitzender: Corrado Gini).[17]
Isenberg war ab 1953 ordentliches Mitglied der Akademie für Raumforschung und Landesplanung (ARL, Hannover), wo er auch in einigen Forschungsausschüssen (u. a. Verkehr, Landwirtschaft) saß und dem Arbeitskreis „Tragfähigkeit“ vorstand. Isenberg war auch stark mit dem „Sachverständigenausschuss für Raumordnung“ (SARO) befasst (ab 1955), der 1961 das „SARO-Gutachten“ vorlegte, welches nach der Einschätzung von Kistenmacher „in wesentlichen Teilen“ Isenbergs Handschrift trug.[9] Ab 1951 war Isenberg Raumordnungsreferent des Bundesinnenministeriums. Von 1969 bis 1972 vertrat Isenberg den Lehrstuhl für Raumordnung und Landesplanung an der Universität Stuttgart. Isenberg war Mitglied der Deutschen Sektion der Regional Science Association.
Gerhard Isenberg war seit 1935 verheiratet mit Charlotte geb. Drobig (1906–1975) und hatte mit ihr eine Tochter und einen Sohn.[3]:334.
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