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empirische Forschung zu Gerechtigkeit Aus Wikipedia, der freien Enzyklopädie
Mit Gerechtigkeitsforschung (engl.: Social Justice Research) werden verschiedene Forschungsansätze aus der Psychologie und den empirischen Sozialwissenschaften bezeichnet, die sich mit den in der Gesellschaft vorhandenen Einstellungen, Motiven, Wahrnehmungen und Urteilen zur Gerechtigkeit befassen. Dabei werden persönliche, soziale, ökonomische und kulturelle Einflussfaktoren auf die jeweils eingenommenen Standpunkte untersucht.[1]
Im Gegensatz zu den analytischen Gerechtigkeitstheorien der Philosophie und der politischen Theorie macht die Gerechtigkeitsforschung keine Aussagen darüber, was unter Gerechtigkeit verstanden werden soll, sondern in ihr wird mit empirischen Erhebungen untersucht, was die Menschen über Gerechtigkeit denken und wie sie die gegebenen Verhältnisse in Hinblick auf ihre Gerechtigkeitsvorstellung beurteilen.
Die grundlegende Zielsetzung der empirischen Gerechtigkeitsforschung ist es, festzustellen inwieweit die in der Bevölkerung tatsächlich vorhandenen Gerechtigkeitsvorstellungen mit den theoretischen Konzepten in Einklang zu bringen sind und inwieweit sich hieraus Handlungsanstöße für das praktische Leben ableiten lassen.[2] Die Erkenntnisse der Gerechtigkeitsforscher werden in der Politik, in der Mediation, vor allem aber in Organisationen zum Beispiel bei der Arbeitsbewertung und Lohnfindung, bei Beförderungen oder bei Aufgabenzuweisungen verwendet (organisationale Gerechtigkeit).
Die sozialpsychologische Forschung beschäftigt sich mit dem Entstehen, Erleben und Beurteilen von Ungerechtigkeiten und den Reaktionen darauf; denn tatsächliche oder vermeintliche Ungerechtigkeit(en) werden stark wahrgenommen und führen zu teilweise heftigen Reaktionen. Empfundene Ungerechtigkeit ist ein wesentliches Motiv für die Forderung, Gerechtigkeit herzustellen.[3]
In den Sozialwissenschaften, vor allem in der Soziologie, wird die Fragestellung erweitert, wie sich gesellschaftliche Institutionen, beispielsweise das Steuersystem[4], die Chancen auf Erwerbstätigkeit und Bildung[5], Zugang zum Gesundheitswesen[6], betriebliche Entlohnungssysteme[7] oder das Strafrecht auf Gerechtigkeitsvorstellungen auswirken. Dabei wird zugleich der soziale Kontext der jeweiligen Werthaltungen untersucht.
Die Untersuchungen beziehen sich vor allem auf Einstellungen zur Gerechtigkeit (Psychologie) und inwieweit diese in den gegebenen gesellschaftlichen Verhältnissen widergespiegelt werden (Sozialwissenschaften). Dabei werden folgende Fragestellungen bearbeitet:[8]
Aus psychologischer Sicht interessiert insbesondere, welche Faktoren die Haltung eines Menschen in Hinblick auf seine Gerechtigkeitsvorstellung beeinflussen und welche Auswirkungen als ungerecht beurteilte Sachverhalte haben. Welchen Einfluss hat die Moralerziehung? Wie wirken sich welche Verfahrensprinzipien und Verteilungsnormen auf das Gerechtigkeitsempfinden aus? Dabei werden zumeist Erhebungen mit den Methoden der empirischen Sozialforschung durchgeführt.
Grundsätzlich ist zu unterscheiden zwischen einer Mikroperspektive und einer Makroperspektive.[9] Im Fall der „Mikro-Gerechtigkeit“ werden Aussagen mit Bezugnahme auf einzelne Personen getroffen. Zur „Makro-Gerechtigkeit“ werden Prinzipien untersucht, deren Ergebnisse sich personenneutral auf größere gesellschaftliche Gruppen beziehen. Oftmals werden dabei gesamtgesellschaftliche Daten wie eine bestehende Einkommensverteilung oder Informationen zur Sozialstruktur betrachtet. Ein Prinzip zur Beförderung oder zur Lohneinstufung betrifft demnach die Mikroebene, während die staatliche Festlegung eines Mindestlohns auf der Makroebene erfolgt. Ein makrotheoretischer Ansatz ist die Institutionenanalyse, in der gefragt wird, ob gesellschaftliche Einrichtungen wie das Steuersystem, das Rentensystem oder die soziale Marktwirtschaft durch Gerechtigkeitsvorstellungen begründet werden und ob die tatsächlichen Verteilungsergebnisse diesen Begründungen entsprechen.
Eine zweite systematische Unterscheidung der Forschungsansätze kann danach getroffen werden, ob sie auf ein einzelnes Prinzip (eindimensional) oder auf mehrere Prinzipien (mehrdimensional) abheben. Eindimensionale Ansätze werden in der Regel nach einem universalistischen Prinzip definiert und haben ein formales Gerechtigkeitskriterium. Ein solcher Ansatz ist der Utilitarismus. Auch moderne utilitaristische Theorien, die auf die Bewertung verschiedener Präferenzen ausgerichtet sind, fokussieren am Ende auf einen einheitlichen Gesamtnutzen. Multidimensionale Ansätze sind hingegen partikular und berücksichtigen mehrere Gerechtigkeitskriterien. Als mehrdimensionale Makrotheorie kann man die Theorie der Gerechtigkeit von John Rawls einstufen, der zumindest zwei Gerechtigkeitsprinzipien zugrunde legt. Eine eindimensionale Mikrotheorie ist das Verdienstprinzip, das bereits Aristoteles mit der Methode der proportionalen Verteilung beschreibt. Eine moderne Entsprechung findet sich in den Theorien von Homans und Adams (s. u.). Ein mehrdimensionaler Ansatz auf der Mikroebene ist das Konzept der Verwirklichungschancen von Amartya Sen. Als hybride Konzepte kann man die Sphären der Gerechtigkeit von Michael Walzer sowie lokalen Gerechtigkeiten von Jon Elster (s. u.) beschreiben, weil diese je nach Bereich unterschiedliche Prinzipien annehmen.
Methodisch wird unterschieden zwischen
Wegbereiter der Gerechtigkeitsforschung in der Sozialpsychologie war in den 1950er Jahren die Theorie der kognitiven Dissonanz von Leon Festinger und seine soziale Vergleichstheorie. George C. Homans führte erstmals ein Konzept der Verteilungsgerechtigkeit in seiner Austauschtheorie des sozialen Verhaltens ein. Danach soll eine Interaktion zu einer angemessenen Belohnung im Verhältnis zum Einsatz führen.[11]
Eine wegweisende Theorie aus diesem Forschungsbereichen ist die Equity-Theorie von J. Stacy Adams, nach der sich das Verhältnis des geleisteten Inputs und der erhaltenen Outputs relativ an einem sozialen Bezug orientiert, zum Beispiel Entlohnung und Arbeitsleistung am Einkommen einer Referenzperson.[12]
Die Equity-Theorie beinhaltet das folgende Gedankenkonzept:[13]
Nicht nur Gerechtigkeitstheoretiker verweisen darauf, dass Handlungen nicht nur nach dem Rationalitätsprinzip, sondern vor allem auch aufgrund von Bedürfnissen sowie im Falle von allgemeinen Rechten (Grundrechte) nach dem Gleichheitsprinzip (Egalitarismus) beurteilt werden. Weil Personen ausschließlich als Nutzenmaximierer betrachtet werden, entspricht die Equity-Theorie dem Utilitarismus bzw. der Wohlfahrtsökonomik.
Die Gerechtigkeitsmotivtheorie von Melvin Lerner,[15] die in Deutschland von Leo Montada und J. Maes vertreten wird.[16] untersucht den „Gerechte-Welt-Glauben“, also den Umfang der Überzeugung, dass die Lebenswelt sich grundsätzlich am Maßstab der Gerechtigkeit orientiert.[17]
Gerald S. Leventhal verwies darauf, dass wahrgenommene Gerechtigkeit nicht nur durch die Verteilung als solche, sondern auch durch das Verteilungsverfahren bestimmt wird.[18] Er stellte sechs Prinzipien der Verfahrensgerechtigkeit auf:
Über die Entwicklung von Prinzipien der Verfahrensgerechtigkeit hinaus vertritt Leventhal die Auffassung, dass das Verdienstprinzip als alleinige Grundlage der Equity-Theorie nicht ausreichend ist. Vielmehr ist der Ertrag, das gerechte Ergebnis einer Austauschbeziehung, abhängig von einer Kombination der Regeln der Leistung (contribution), der Bedürfnisse (needs) und der Gleichberechtigung (equality) sowie weiteren Regeln (other rules). Je nach den persönlichen Präferenzen und der spezifischen Situation sind diese Faktoren unterschiedlich zu gewichten. Die Faktoren können untereinander im Konflikt stehen und sind auf den Einzelfall bezogen in ein Gleichgewicht zu bringen.
Einen weiteren Aspekt brachte Jon Elster unter dem Stichwort „lokale Gerechtigkeit“ ein.[19] Er verwies darauf, dass auf dezentraler Ebene eine Vielzahl von Gerechtigkeitsfragen in Bezug auf knappe Güter entschieden werden, die nicht im Blickpunkt der gesamten Gesellschaft stehen, für den Einzelnen aber von hoher Bedeutung sind. Hierzu zählen die Vergabe von Kindergartenplätzen, die Zulassung an einer Universität, die Vergabe von Transplantaten oder die Auswahl von Mitarbeitern bei Beförderungen und Entlassungen. In der Praxis finden sich gleichheitsorientierte Prinzipien (Lotterie, Rotation), zeitbasierte Konzepte (Warteschlange), personenabhängige Kriterien (Alter, Geschlecht, Anzahl Geschwister) und bedarfsorientierte Konzepte (Wohlfahrt, Effizienz) sowie Kombinationen aus diesen Ansätzen (zum Beispiel Punktebewertungssysteme). Im Ergebnis verweist Elster darauf, dass aufgrund der Notwendigkeit der Rechtfertigung ein zunehmender Trend zur Ablösung einfacher Verteilungskriterien durch Methoden der Verfahrensgerechtigkeit zu beobachten sei.
Der französische Soziologe Pierre Bourdieu hat insbesondere mit seinen Werken Die feinen Unterschiede und Das Elend der Welt empirische Studien zur Erforschung sozialer Tatsachen, die auf Ungerechtigkeit verweisen, vorgelegt.
Bourdieus Theorie der sozialen Ungleichheit arbeitet heraus, dass der individuelle Lebensstil von der Zugehörigkeit zu einer sozialen Klasse abhängt. Die herrschende Klasse, die über kulturelles und ökonomisches Kapital verfügt, ist um soziale Abgrenzung bemüht. Die mittlere Gruppe verfügt im geringeren Umfang über kulturelles und ökonomisches Kapital. Ihr Ziel ist die Nachahmung der Oberklasse. Dagegen ist die Arbeiterschaft in ihrem Lebensstil von dem Zwang der Notwendigkeiten bestimmt. Die Sozialstruktur führt zu einem Habitus, der sich in bestimmten kulturellen Praktiken niederschlägt.
Eine Sonderumfrage im Rahmen des sozio-ökonomischen Panels im Jahr 2003 bestätigt für Deutschland die Auffassung, dass Gleichheit, Leistung und Bedürfnisse von der Bevölkerung als gleichzeitig nebeneinander gültige Gerechtigkeitskriterien betrachtet werden.[20]
Für alle drei Positionen findet sich bei diesen Antworten eine deutliche Mehrheit.
In einer weiteren Sonderumfrage im Rahmen des SOEP aus dem Jahr 2006 sprach sich eine deutliche Mehrheit der Deutschen für eine Ausweitung der Chancengerechtigkeit in Hinblick auf den Zugang zum Arbeitsmarkt und zu den staatlichen Sozialleistungen auf der Ebene der Europäischen Union aus.[21]
In Deutschland wurde zum Thema „Gerechtigkeit als innerdeutsches Problem“ eine Befragung von 2500 Personen in den Jahren 1996 und 1998 durchgeführt.[22] Die Ergebnisse dieser Studie werden wie folgt zusammengefasst:[23]
Weitere Untersuchungen zur Sozialstruktur basieren auf dem Wohlfahrtssurvey und der Einkommens- und Verbrauchsstichprobe. Diese enthalten Angaben zur Ungleichheit in Deutschland, wobei der Schwerpunkt auf der Erfassung der Lebenslage insgesamt sowie der Untersuchung der Armut in Deutschland liegt. Eine systematische Auswertung erfolgt in den Armuts- und Reichtumsberichten der Bundesregierung.[24]
Nach David Miller kommt keine Gerechtigkeitsforschung ohne eine zugrunde liegende, zumindest implizit unterstellte Gerechtigkeitstheorie aus. Andererseits bedarf jede Gerechtigkeitstheorie einer Überprüfung anhand empirischer Forschungsergebnisse, wenn sie der Praxis standhalten soll. Bei der Entwicklung seiner Gerechtigkeitstheorie untersucht Miller zu diesem Zweck eine Vielzahl empirischer Studien, aus denen er einige allgemeine Ergebnisse ableitet.[25]
Nach Miller zeigen die empirischen Studien, dass in der Praxis
Die verschiedenen empirischen Studien führen zu folgenden allgemeinen Aussagen:
Sowohl für die Vertreter von Gerechtigkeitstheorien als auch für die Vertreter der empirischen Gerechtigkeitsforschung ist von Interesse, ob und in welchem Umfang Gerechtigkeitstheorien eine Entsprechung im alltäglichen Verständnis der Bevölkerung haben können. Damit dies der Fall ist, müssen Gerechtigkeitstheorien bestimmte Anforderungen erfüllen:[45]
Eines der grundlegenden Probleme bei der Zusammenarbeit von normativen Theoretikern und Gerechtigkeitsforschern ist der Umgang mit dem Begriff der Gerechtigkeit. Bei allen unterschiedlichen Möglichkeiten, den Begriff zu definieren, ist davon auszugehen, dass normative Theorien als konstitutives Kriterium der Gerechtigkeit zumindest die Unparteilichkeit und eine moralische Regel zugrunde legen. Weiterhin fordert normative Gerechtigkeit begründete Entscheidungen (Vernunft) und Urteile, die von persönlichen Interessen absehen. In der Gerechtigkeitsforschung gilt hingegen das als gerecht, was der Befragte darunter tatsächlich versteht. Die empirischen Befragungen enthalten lediglich das Wort „gerecht“ oder „ungerecht“ als Stimulus, ohne Vorgaben über den Begriffsinhalt zu machen.[46]
Ein konkretes Experiment zur Überprüfung der Theorie der Gerechtigkeit von John Rawls wurde von Norman Frohlich und Joe A. Oppenheimer durchgeführt.[47] In diesem Experiment hatten mehrere Versuchsgruppen sich zwischen vier Verteilungsprinzipien zu entscheiden:
Falls die Gruppe sich auf ein Prinzip einigen würde, wurde ihr zugesagt, nach diesem Prinzip einen Geldbetrag unter den Mitgliedern zu verteilen. Wer welchen Betrag erhielt, sollte gelost werden. Andernfalls sollte auch das Verteilungsprinzip durch Los festgelegt werden. Zumeist wurde im Ergebnis eine Einigkeit erreicht und ganz überwiegend das Prinzip, das ein Mindesteinkommen gewährleistet (Nr. 3), ausgewählt.[48]
Damit wurde das Differenzprinzip von Rawls (Nr. 1) eindeutig nicht favorisiert. Auch die uneingeschränkte Nutzenmaximierung des Utilitarismus (Nr. 2) wurde nicht bevorzugt. Allerdings lassen die Rahmenbedingungen des Experiments keinen eindeutigen Schluss zu. Zum einen abstrahieren reale Personen entgegen den Anforderungen von Rawls, in einer realen Entscheidungssituation nicht von ihren individuellen Fähigkeiten. Zum anderen waren die Probanden ganz überwiegend Studenten, so dass im Experiment keine neutrale, repräsentative Sozialstruktur gegeben war.
gerechtes/ tatsächliches Einkommen Arbeiter |
gerechtes/ tatsächliches Einkommen Vorstand |
Ist-Relation Arbeiter/ Vorstand |
Soll-Relation | Veränderung Ist zu Soll | |
---|---|---|---|---|---|
westliche Länder | |||||
USA | 1,363 | 0,815 | 0,230 | 0,319 | +0,089 |
Japan | 1,321 | 0,891 | 0,158 | 0,261 | +0,105 |
Deutschland (West) | 1,353 | 0,860 | 0,136 | 0,243 | +0,107 |
Niederlande | 1,273 | 0,813 | 0,207 | 0,353 | +0,146 |
Großbritannien | 1,411 | 0,721 | 0,153 | 0,319 | +0,166 |
osteuropäische Länder | |||||
Tschechische Republik | 1,433 | 1,484 | 0,236 | 0,362 | +0,126 |
Deutschland (Ost) | 1,328 | 0,700 | 0,180 | 0,338 | +0,180 |
Polen | 2,200 | 1,002 | 0,226 | 0,478 | +0,252 |
Ungarn | 1,793 | 0,710 | 0,165 | 0,423 | +0,258 |
Russland | 2,344 | 1,426 | 0,293 | 0,463 | +0,170 |
Slowenien | 2,451 | 0,988 | 0,099 | 0,344 | +0,245 |
Slowakische Republik | 1,789 | 0,977 | 0,244 | 0,478 | +0,254 |
Bulgarien | 2,177 | 1,167 | 0,348 | 0,652 | +0,304 |
Estland | 5,288 | 1,508 | 0,262 | 0,638 | +0,376 |
Das internationale Projekt zur Sozialen Gerechtigkeit (International Social Justice Project) ist ein internationales Forschungsprojekt mit Beteiligung von Wissenschaftlern aus zwölf Ländern.[49] Forschungsgegenstand sind die individuellen Einstellungen der Bevölkerung zur sozialen, ökonomischen und politischen Gerechtigkeit in den beteiligten zwölf Ländern. Hierzu wurde im Jahre 1991 eine grundlegende Befragung durchgeführt, die mit einer Kontrollbefragung im Jahre 1996 ergänzt wurde. In Deutschland erfolgten weitere Erhebungen in den Jahren 2000[50] und 2004.[51]
Ein wichtiger Analysebereich des ISJP ist die Frage nach der Einstellung zur Einkommensgerechtigkeit. Dabei wurden in der Befragung von 1991 das tatsächlich wahrgenommene und das als gerecht eingeschätzte Einkommen eines Vorstandsvorsitzenden und das eines Arbeiters gegenübergestellt. Die Ergebnisse in den untersuchten Ländern sind in der nebenstehenden Tabelle zusammengefasst.[52]
In allen Ländern betrachteten die Befragen eine Anhebung der Einkommen als eine Verbesserung der Gerechtigkeit. Dabei wurde in den osteuropäischen Ländern der Anhebungsbedarf höher eingeschätzt. Hervorstechend ist Estland mit einer als notwendig angesehenen Anhebung um den Faktor fünf. In den westlichen Ländern und in einigen osteuropäischen Ländern bestand die Auffassung, dass die Vorstandsgehälter für eine gerechte Verteilung um 20 % bis 30 % abzusenken sind. In anderen osteuropäischen Ländern, insbesondere in der Tschechischen Republik. In Russland und Estland, wurde auch den Vorstandsvorsitzenden ein Einkommenszuwachs zugestanden, der allerdings mit Ausnahme der Tschechischen Republik niedriger ausfällt als der gerechte Einkommenszuwachs eines Arbeiters.
In den Spalten drei und vier wird ein direktes Verhältnis der Einkommen der Arbeiter zu den Einkommen der Vorstandsvorsitzenden gebildet. Der Vergleich Soll zu Ist zeigt in allen Ländern, dass eine für die Arbeiter günstigere Relation als gerecht angesehen wird. Die Schwankungsbreite reicht dabei von 26,1 % in Japan bis hin zu über 60 % in Bulgarien und Estland.
Dieses Ergebnis der ISJP-Befragung deutet darauf hin, dass die Befragten mehrheitlich für das Prinzip der Gleichheit eintreten. Zumindest weicht das Ergebnis gegenüber dem Experiment von Frohlich/Oppenheimer dahingehend ab, dass bei den oberen Einkommen eine Begrenzung und sogar eine Kürzung als gerecht angesehen wird. Stefan Liebig weist darauf hin, dass die Erhebungsbedingungen der beiden Studien ungleich sind. Im Experiment von Frohlich/Oppenheimer standen die Teilnehmer ähnlich wie bei Rawls vor einem Schleier des Nichtwissens. Sie entwickelten ein Modell für eine gerechte Verteilung, ohne zu wissen, welchen Anteil am zu verteilenden Betrag sie tatsächlich erhalten würden. In dieser Situation wurde eine ungleiche Verteilung als Chance und nicht als ungerecht beurteilt. Bei einer Befragung hingegen weiß ein jeder, welche Position er in der realen Gesellschaft tatsächlich einnimmt. Durch Bevorzugung einer stärker egalitären Verteilung ergibt sich für die Mehrzahl der Befragten eine Besserstellung. „Die Vermutung liegt also nahe, dass die über die klassischen Instrumente der Einstellungsforschung erhobenen Daten viel stärker von ‚persönlichen Präferenzen’ beeinflusst sind als dies für die experimentellen Ergebnisse von Frohlich und Oppenheimer gilt.“[53]
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