Francis Nenik (* 1981) ist das Pseudonym eines deutschen Schriftstellers und Essayisten.[1][2] Er gilt als „einer der großen Unbekannten in der deutschsprachigen Literatur“.[3]
Leben und Werk
Nenik wuchs in einem Dorf nahe Leipzig auf. Er studierte Latein, Archäologie[2] und Ästhetik.[4]
Neniks Kurzprosa und Essays erschienen in den Zeitschriften Merkur, Neue Rundschau und Edit. Einige seiner Texte erschienen in englischsprachiger Übersetzung, u. a. in der internationalen Literatur-Zeitschrift Words Without Borders. Texte von ihm wurden von den Hörfunksendern Bayern 2 und SWR 2 vertont.[5]
Sein Debütroman XO (2012) erschien als Loseblattsammlung in einem Karton, wozu Nenik von B. S. Johnsons The Unfortunates (1969) inspiriert wurde.[2][6] Der Roman wurde 2021 in einer gebundenen Version neu aufgelegt.
Literarische Essays über die nahezu vergessenen Dichter Ivan Blatný, Hasso Grabner, Nicholas Moore und Edward Vincent Swart versammelte er in seinem Buch Doppelte Biografieführung (2016). Kurz nach Veröffentlichung des Buches publizierte Nenik einen von ihm übersetzten Briefwechsel zwischen Ivan Blatný und Nicholas Moore.[7]
In seinem Erzählband Ach, bald crashen die Entrechteten furchtlos gemeingefährliche, hoheitliche Institutionen, jagen kriegserfahrene Leutnants mit Nachtsichtgeräten oder parlieren querbeet Russisch, Swahili, Türkisch und Vietnamesisch, während Xanthippe Yamswurzeln züchtet (2013) widmete sich Nenik ausgiebig dem Stilmittel der Alliteration: Jeder der 26 Texte nutzt jeweils nur einen Buchstaben des Alphabets als Anfangsbuchstaben aller Wörter. Im Jahr 2014 produzierte Radio F.R.E.I eine Hörfassung des Buches.[8][9]
2016 erschien Münzgesteuerte Geschichte, Neniks Roman über eine Bibliothekswissenschaftlerin, die die Archivalien eines ehemaligen Bibliothekars der Harvard University sichten und indexieren soll. Herausgegeben wurde der Roman von Fiktion, einem von der Kulturstiftung des Bundes geförderten Modellprojekt zur digitalen Literatur. Der Roman erschien parallel zur deutschen Ausgabe auch in einer englischen Übersetzung von Amanda DeMarco. 2017 wurde der Roman in gedruckter Form unter dem Titel Die Untergründung Amerikas neu aufgelegt.[10]
Auf der Website von „Fiktion“ veröffentlichte Nenik 2016 den programmatischen Text Sich frei publizieren, in dem er seine Haltung zum Veröffentlichen unter freien Lizenzen darlegt.[11]
Am 20. Januar 2017 startete Nenik online ein literarisches Langzeitprojekt. Unter dem Titel Tagebuch eines Hilflosen[12] widmet er sich mit schriftstellerischen Mitteln der Amtszeit von Donald Trump. Dazu veröffentlicht er täglich eine Prosaminiatur. Die Texte wurden zum Teil auch ins Englische übertragen.[13] Die Literatur- und Medienplattofrm Booknerds bescheinigte dem Tagebuch „äußerst lesens- und begleitenswert“ zu sein, während die Leipziger Internetzeitung den Faktenreichtum der Einträge hervorhob.[14] Im September 2020 kam MDR Kultur zu dem Schluss: „Das Tagebuch ist in den vergangenen vier Jahren zu einem riesigen Konvolut an Momentaufnahmen angewachsen. [...] Tatsächlich vermittelt sich durch das Tagebuch ein Bild dieser Präsidentschaft abseits von Schlagzeilen, die auch mal überraschen.“[15] Seit Oktober 2019 veröffentlicht die Leipziger Internetzeitung pro Woche einen mit zahlreichen Quellenbelegen versehenen Tagebucheintrag Neniks auf ihrer Webseite.[16]
2018 erschien Neniks Buch Reise durch ein tragikomisches Jahrhundert, Sachbuch der Woche bei MDR-Kultur und Buch der Woche bei NDR-Kultur.[17] Im Juli 2018 wurde das Buch auf die Hotlist der 30 Nominierten für den Preis der besten Bücher aus unabhängigen Verlagen gesetzt.[18] Der Schriftsteller und Büchner-Preisträger Marcel Beyer liest auf einer dem Buch beigegebenen CD Auszüge aus dem Werk.[19]
Seven Palms (2018) beschäftigt sich mit dem Thomas-Mann-Haus in Pacific Palisades, Los Angeles. Darin rekonstruiert er erstmals detailliert die Geschichte des Hauses, in dem der Schriftsteller Thomas Mann zwischen 1942 und 1952 mit seiner Familie im amerikanischen Exil lebte.[20][21] Das Buch wurde von der Kritik positiv aufgenommen. Die Süddeutsche Zeitung verglich es mit Neniks Romanbiographie Reise durch ein tragikomisches Jahrhundert und bezeichnete beide als „erstaunliche Bücher“.[22]
Nenik war darüber hinaus als Mitarbeiter an der Publikation des von Nico Semsrott veröffentlichten Kalender des Scheiterns (2018) beteiligt.[23]
2019 veröffentlichte er die deutsche Erstübersetzung eines Gedichts des in Saudi-Arabien inhaftierten Dichters Ashraf Fayadh.[24]
Im September 2020 erschien Neniks Buch Journey through a tragicomic century in der Übersetzung von Katy Derbyshire bei V&Q Books, dem neu gegründeten Imprint des Verlags Voland & Quist. Im dazugehörigen Trailer liest der Schauspieler Tom Wlaschiha aus dem Buch.[25] Das Werk wurde positiv aufgenommen. Das Times Literary Supplement lobte die punchy prose und erklärte: „The resulting book is a triumph of reportage over commentary.“[26]
Im Januar 2021 veröffentlichte Audible den von Nenik geschriebenen und vom Schauspieler Nic Romm gesprochenen Podcast Schauergeschichte, der sich mit der Entstehung, Ausbreitung und Wirkung kollektiver Ängste von der Aufklärung bis ins 20. Jahrhundert beschäftigt.[27][28] Der Podcast basiert auf umfangreichen Recherchen und erreichte Platz 1 der Bestsellerliste.[29][30] Im August 2021 erschien die 2. Staffel des Podcasts.[31] Staffel 3 startete im April 2022.[32]
Im April erschien Neniks Tagebuch eines Hilflosen im Verlag Matthes & Seitz. Auf mehr als 1.000 Seiten analysiert Nenik darin die politischen, sozialen und kulturellen Veränderungen in den USA während der Regierungszeit Donald Trumps. Die Leipziger Zeitung erklärte, das Buch sei „vollgestopft mit verblüffenden Zahlen und Erkenntnissen“. Der Autor breite dabei „mit inniger Freude […] seine Fundstücke vor den Augen der Leser aus und findet dabei immer auch die Pointe, den bösen Witz in der Sache.“[33]
Ebenfalls im April veröffentlichte Spector Books die englische Übersetzung von Neniks Werk über das Thomas-Mann-Haus in Pacific Palisades. Das Buch wurde zu diesem Zweck leicht überarbeitet und ergänzt, etwa um das Wirken des Fotografen Kurt Hielscher. Nenik zeigt, wie dessen in den frühen 1920er Jahren veröffentlichte Bilder aus Spanien und Italien die amerikanische Vorstellung von (Süd-)Europa prägten. Das Gebiet rund um Pacific Palisades, in dem Thomas Mann und viele andere Emigranten später lebten, wurde Ende der 1920er Jahre vom Landschaftsentwickler und Architekten Frank Meline erschlossen und als „Californian Riviera“ bezeichnet. Hielschers Bilder waren für Meline, der 1940 das Bauland an Thomas Mann verkaufte und kurz darauf auch einen eigenen (nicht realisierten) Entwurf fürs Haus erstellte, ein wichtiger Einfluss.
Im Mai 2021 veröffentlichte Voland & Quist Neniks Roman E. oder Die Insel. Das Buch beschäftigt sich mit der Eugenik im Dritten Reich und ist aus der Täterperspektive geschrieben. Der Deutschlandfunk lobte die „immense Kunstfertigkeit“ und den „Wagemut“ des Buches und verglich es mit Marcel Beyers Roman Flughunde (1996) und Jonathan Littells Die Wohlgesinnten (2006).[34] Die Zeit nannte den Roman „brilliant“[35], und die FAZ erklärte, Nenik schlage „seine Funken aus der Kombination von detektivischer, geradezu versessener Archiv- und Lesearbeit mit einer unstillbaren artistischen Lust an der Sprache“ und befand, das Buch sei „auch sprachlich, ausgesprochen raffiniert“.[36]
Im Oktober 2023 erschien bei Audible „Zwischen Heilkunst und Horror. Eine Geschichte der modernen Medizin“. Basierend auf umfangreichen Recherchen erzählt Nenik darin die Entwicklung der Medizin ab 1800 „als eine oftmals wahnwitzige Abfolge von Erkenntnissen und Irrwegen, Zufall und Glück.“[37] Sprecherin ist die Schauspielerin Anne Düe. Im Oktober 2024 wurde die 2. Staffel veröffenlicht.[38]
Ebenfalls im Oktober 2023 veröffentlichte Audible USA die 1. Staffel von „The History of Fear“, die englische Übersetzung von Neniks „SchauerGeschichte. Ängste vergangener Zeiten“. Gesprochen wird das Hörbuch von der US-amerikanischen Schauspielern Ellen Pompeo („Grey’s Anatomy“).[39] Die Übersetzung stammt von Sharmila Cohen.
Ehrungen und Auszeichnungen
- 2012: 2. Preis im Essay-Wettbewerb der Literaturzeitschrift Edit für Vom Wunder der doppelten Biografieführung.[40]
- 2016: sechsmonatiges Arbeitsstipendium der Kulturstiftung des Freistaates Sachsen.[41]
- 2018: Buch der Woche bei NDR Kultur für Reise durch ein tragikomisches Jahrhundert.[42]
- 2018: Sachbuch der Woche bei MDR-Kultur für Reise durch ein tragikomisches Jahrhundert.[43]
- 2021: Buch der Woche bei MDR-Kultur für E. oder Die Insel[44]
- 2021: Anna Seghers-Preis[45][46]
Werke (Auswahl)
- Romane und andere belletristische Werke
- XO (Roman). ed[ition]. cetera, Leipzig 2012, ISBN 978-3-00-037594-1 und Online. / Neuauflage als gebundene Version 2021, ISBN 978-3-944478-09-8 (Hardcover).
- Ach, bald crashen die Entrechteten furchtlos gemeingefährliche, hoheitliche Institutionen, jagen kriegserfahrene Leutnants mit Nachtsichtgeräten oder parlieren querbeet Russisch, Swahili, Türkisch und Vietnamesisch, während Xanthippe Yamswurzeln züchtet (Alliterationen, mit Illustrationen von Halina Kirschner). ed[ition]. cetera, Leipzig 2013, ISBN 978-3-944478-00-5.
- Münzgesteuerte Geschichte (Roman). Fiktion.cc, Berlin 2016, ISBN 978-3-95988-031-2.
- neu veröffentlicht unter dem Titel: Die Untergründung Amerikas. ed[ition]. cetera, Leipzig 2017, ISBN 978-3-944478-06-7.
- E. oder Die Insel (Roman). Voland & Quist, Berlin 2021, ISBN 978-3-86391-241-3 (Festeinband).
- Kurzgeschichten
- Tagebuch eines Hilflosen / Diary of a Derelict, 2017. Online.
- Hymne auf einen amerikanischen Eiergroßhändler, in: Edit Nr. 66, Frühjahr 2015, S. 60–69 und Online (English/Deutsch) auf: wordswithoutborders.org.
- Unglaubliche wiewohl nicht weniger wahrhafte Geschichten aus einem freien Land, auf: the-quandary-novelists.com, 2014.
- Geschichten aus der Geschichte der Zukunft der Literatur, in: Neue Rundschau, 1/2014, S. 14–25 und Online (PDF) auf: the-quandary-novelists.com.
- Joseph und ich, in: Edit Nr. 61, Frühjahr 2013 S. 31–40.
- Report 23/02/2013, in: Zarathustras miese Kaschemme. Magazin für exzentrische Literatur, 09/2013.
- Wie Hunter Mayhem nach Uruguay reiste, in: Zarathustras miese Kaschemme. Magazin für exzentrische Literatur, 10/2012.
- Der Ingenieur, in: Exchanges. Journal of Literary Translation, 2012.
- Erzählende Sachbücher
- Francis Nenik: Tagebuch eines Hilflosen. Skizzen aus dem Amerika Donald Trumps. Matthes & Seitz, Berlin 2021, ISBN 978-3-7518-0021-1
- Francis Nenik: Reise durch ein tragikomisches Jahrhundert. Das irrwitzige Leben des Hasso Grabner. Voland & Quist, Dresden, 2018, ISBN 978-3-86391-198-0, inkl. Buchlesung auf CD, gelesen von Büchner-Preisträger Marcel Beyer.
- Francis Nenik / Sebastian Stumpf: Seven Palms. Das Thomas-Mann-Haus in Pacific Palisades, Los Angeles. Spector Books, Leipzig, 2018, ISBN 978-3-95905-180-4 (Erzählendes Sachbuch, mit zahlreichen Farbfotografien, 328 Seiten, erscheint im August 2018)[47]
- Nico Semsrott / Arne Semsrott (Autoren) / Moritz Hoffmann / Francis Nenik (Mitarbeiter): Der Kalender des Scheiterns, Voland & Quist, Dresden, 2018, ISBN 978-3-86391-218-5
- Doppelte Biografieführung. Spector Books, Leipzig, 2016, ISBN 978-3-95905-002-9.
- Bücher in Übersetzung
- Francis Nenik: The Marvel of Biographical Bookkeeping, übersetzt von Katy Derbyshire. Readux, Berlin 2013, ISBN 978-3-944801-00-1.
- Francis Nenik: Coin-Operated History, übersetzt von Amanda DeMarco. Fiktion.cc, Berlin, 2016, ISBN 978-3-95988-032-9.
- Francis Nenik: Journey through a tragicomic century, übersetzt von Katy Derbyshire, V&Q Books, Berlin 2020, ISBN 978-3-86391-257-4.
- Francis Nenik / Sebastian Stumpf: Seven Palms. The Thomas Mann House in Pacific Palisades, Los Angeles. Translated by Jan Caspers, Spector Books, Leipzig, 2021, ISBN 978-3-95905-335-8
- Essays
- Vom Wunder der doppelten Biografieführung, in: Edit Nr. 59, Sommer 2012 und Online (PDF).
- Zu Tode gelebt. Die Geschichte des Edward Vincent Swart, in: Merkur. Deutsche Zeitschrift für Europäisches Denken, Nr. 779, April 2014, S. 319–327 und Online (PDF).
- Sich frei publizieren, auf: fiktion.cc, April 2016.
- Wie Amerika auf die Welt kam, in: Katapult. Magazin für Kartografik und Sozialwissenschaft, Heft 11, September 2018, S. 67–74.
- Aushäusige der Erinnerung. Exil und Exilanten im Thomas-Mann-Haus in Pacific Palisades, in: Exil, Heft 1/2, 2018, S. 5–23.
- Wie das Licht nach Leipzig kam, in: Leipziger Zeitung vom 12. Dezember 2021.
- Podcasts / Hörstücke
- Francis Nenik (Autor) / Anne Düe (Sprecherin): Zwischen Heilkunst und Horror. Eine Geschichte der modernene Medizin. Audible Original Podcast, Munck Studios 2023
- Francis Nenik (Autor) / Ellen Pompeo (Sprecherin) / Sharmila Cohen (Übersetzerin): The History of Fear. Audible Original Podcast, Audible Studios 2023.
- Francis Nenik (Autor) / Nic Romm (Sprecher): Schauergeschichte. Ängste vergangener Zeiten. Audible Original Podcast, Audible Studios 2021/2022.
- Francis Nenik: Von Menschen und Mäusen. Kleine Poetologie des 19. November '21 (Dankesrede zur Verleihung des Anna-Seghers-Preises in Form eines Hörstücks), 2021. Online (MP3)
- Lyrik
- Theorie der sekundären Primärverwertung, in: Zarathustras miese Kaschemme. Magazin für exzentrische Literatur, 12/2013.
- Tinte auf’n Füller. Übersetzung des Gedichtes A Blue Love Song von Thomas Moore, in: poet, Heft 25, September 2018, S. 127–131. Online[48].
- Die letzten Nachkommen der Flüchtlinge. Übersetzung des Gedichts The Last of the Line of Refugees Descendants von Ashraf Fayadh, zusammen mit Abier Bushnaq. (Aus dem Band at-Ta’limat bi-d-dakhil (Gebrauchsanweisungen anbei), Al-Farabi, Beirut 2007, S. 189–192.) Veröffentlicht auf der Webseite der IG Meinungsfreiheit des Börsenvereins des Deutschen Buchhandels.
- Ukrajína heißt Grenzland. Ein Prosagedicht für und gegen den Krieg.[49]
Weblinks
Belege
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