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Die Fastnachtshexe ist eine populäre Narrenfigur insbesondere der schwäbisch-alemannischen Fastnacht, auch in den Alpenländern Schweiz und Österreich.[1] Der Ursprung der Fastnachtshexe fand bislang keine zureichende Erklärung. Ob sich die Figur historisch vor dem Hintergrund der frühneuzeitlichen Hexenverfolgung oder von der Bildsprache der Märchen-Hexe herleiten lässt, ist Gegenstand einer kritischen Diskussion.
Vorläufer der heutigen Hexenfiguren sind schon aus dem Mittelalter überliefert: Männer in Frauenkleidern, die nach dem Motto Verkehrte Welt kostümiert waren. Alte Weiber, Unholdinnen, wilde Weiber, Kräuterweiber („Schrättele“) waren zudem lange vor der Etablierung der Fasnachtshexe heutiger Prägung Bestandteil der schwäbisch-alemannischen und alpenländischen Fastnacht. Die älteste erhaltene Hexen-Maske ist eine „Hexenmutter“-Larve und stammt aus Tirol, wo Fastnachtshexen schon seit Ende des 18. Jahrhunderts bekannt und bis heute verbreitet sind, etwa beim Nassereither Schellerlaufen und Imster Schemenlaufen. In Österreich zählen Hexenfiguren bei „Perchtenläufen“ zu den „schiachen“ (obdt. für hässlich, schlimm, böse) Perchten.
In Furtwangen und anderen südwestdeutschen Orten lässt sich ein Fastnachtsbrauch bis ins 19. Jahrhundert zurückverfolgen, bei dem es ab dem 20. Januar den Buben erlaubt war, sich mit Frauenkleidern – noch ohne Masken – als „Hexen“ zu verkleiden. Diese „Hexen“ waren Figuren der unorganisierten bäuerlichen Fastnacht, zu deren Handwerk neben dem Besenumtrieb auch das Rußeln gehören konnte, wie es heute noch von Rußhexen in Empfingen ausgeführt wird.
Als älteste Fastnachtshexen der schwäbisch-alemannischen Fastnacht gelten zwei Figuren aus der Ortenau – die Offenburger Hexe und die Gengenbacher Hexe, sowie die Löffinger Hexe aus dem Hochschwarzwald, die dort jeweils um 1934 eingeführt wurden und früher oder später erstmals geschnitzte Holzmasken trugen.[2] In der Zeit des Nationalsozialismus wurde die Fastnacht zu einem Vorzeigestück des Volksbrauchtums, wobei besonders die seinerzeit aufkommenden Hexenfiguren als vermeintlicher Ausdruck der „Volksseele“ ideologisch vereinnahmt und propagiert wurden.[3] So führten etwa bei der Einweihung des Hauses der deutschen Kunst in München die Offenburger Hexen bei einer in großem Stil inszenierten Walpurgisnacht ihren „Hexentanz“ auf.[4] Noch in den 1930er Jahren und vor allem in den Jahrzehnten nach 1950 verzeichnete man in vielen örtlichen Fastnachten eine starke Zunahme von neuen Hexenfiguren. Seit den 1980er Jahren beklagen die Brauchpfleger gar ein „inflationäres Überhandnehmen der Hexen“ in der südwestdeutschen Fastnachtslandschaft.[5]
Hexenfiguren sind vermutlich aufgrund ihres wenig reglementiert erscheinenden, wilden Verhaltens bei Narrensprüngen und bei der Straßenfasnet populär und haben sich von der Ortenau in das gesamte Verbreitungsgebiet der schwäbisch-alemannischen Fastnacht ausgebreitet und in Hexenzünften organisiert. Sie sind mittlerweile in allen anderen Regionen zu finden, weniger jedoch in den besonders traditionsbewussten Hochburgen.
Das Narrenhäs der Hexenfigur wird durch eine traditionell zumeist in Lindenholz geschnitzte, mitunter auch aus Pappmaché gefertigte, und bemalte Larve mit Hakennase, Warzen, Runzeln, wenigen bzw. schiefen Zähnen und starrenden Augen geprägt. In einzelnen Fällen wird das Gesicht angemalt oder mit einer Draht- oder Stoffmaske verhüllt. Trotz mehr oder weniger großer Ähnlichkeiten sind die jeweiligen Masken einer Hexenzunft nicht uniforme Kopien, sondern kunsthandwerkliche Unikate, die durch die verschiedenen Schnitzer und im Laufe der Zeit stilistische Eigenheiten und Modifikationen aufweisen. Im Falle der Löffinger Hexenmaske zeigt sich eine besonders große Vielfalt der verschiedenen Ausdrucksweisen aufgrund der Vorgabe, dass dort jeder Hästräger seine Maske aus Rohlingen heraus selbst schnitzen muss. Bei der Kleidung dominieren Kopftücher, derbe Kittel, ausladende Röcke, weiße Bauernunterwäsche, Woll- oder Ringelstrümpfe und Strohschuhe. Dazu trägt die Hexe einen Reisigbesen, mitunter auch eine Ratsche.
Kritik an der Figur der Fastnachtshexe wird aus kulturgeschichtlicher und feministischer Sicht geäußert.[6]
Die traditionelle Fastnachtshexenfigur mit ihrer stereotypen Erscheinungsform als alte, hässliche und hinterlistig-lauernde Frau geht nach Ansicht des Volkskundlers Werner Mezger ausschließlich auf die aus Märchen bekannten Hexengestalten, exemplarisch auf die romantisierte „böse Hexe“ im Märchen Hänsel und Gretel der Gebrüder Grimm zurück und hätte demzufolge „nichts mit den tragischen Opfern früherer Hexenverfolgungen zu tun.“[7] Von vielen Hexenzünften wird diese Herleitung, die den fraglichen Zusammenhang mit der Geschichte der frühneuzeitlichen Hexenverfolgung kategorisch auszuschließen scheint, unkritisch übernommen. Das Stereotyp der „Märchenhexe“ lässt sich indessen seinerseits als Abbild bzw. Nachwirkung des Hexenglaubens und Hexenbegriffs des 16. Jahrhunderts und danach deuten.[8]
Andere Hexenzünfte stellen den problematisierten historischen Zusammenhang ausdrücklich her und verweisen in ihren Gründungsgeschichten und bei der Gestaltung und Namensgebung ihrer Figuren und ritualisierten Inszenierungen („Hexensabbat“ mit dem „Teufel“, Walpurgisnacht, „Hexentaufe“, „Hexentanz“, „Hexengericht“ u. a.) auf Deutungsmuster des Volksglaubens zum „Hexenwesen“ und auf historische Personen zur Zeit der Hexenverfolgung. So rekurriert die 1939 gegründete Hexenzunft Obernheim e. V. bei ihrem fastnachtlichen Treiben auf historische Hexenprozesse mit Folterung und Hinrichtung („Hexenverbrennung“) der wegen sogenannter „Teufelsbuhlschaft“ verurteilten Frauen,[9] was ihr 1988 in Hechingen eine von einem Amtsrichter erstattete Strafanzeige wegen Verunglimpfung des Andenkens Verstorbener, nämlich das der unzähligen Opfer der Hexenverfolgung, einbrachte. Das Ermittlungsverfahren wurde unter anderem mit der Begründung eingestellt, „dass es auch an einer Persönlichkeitsverletzung eines konkret bestimmbaren Personenbereichs fehle.“[10]
Der 1983 gegründete Fastnachtsverein „Kräuterhexen Veringenstadt e.V.“ beruft sich in seiner Gründungsgeschichte („Tradition“) ausdrücklich auf eine historische Person, Anna Kramer, der 1680 in Vehringen der Prozess gemacht und die als „Hexe“ hingerichtet wurde. Nach Überzeugung des Fastnachtsvereins werde mit der „Kräuterhexen“-Figur nicht zuletzt das „Andenken an die hilfsbereite und mutige Person bewahrt, die sie (Anna Kramer) war.“ Das Narrenkostüm der „Kräuterhexen“ sei außerdem von jenem original überlieferten „Hexenhemd“ inspiriert, das Anna Kramer während ihrer Folterungen trug und das neben ihren Prozessakten im Stadtarchiv als Relikt im Heimatmuseum Veringenstadt aufbewahrt wird.[11]
Der 2014 gegründete Engstlatter „Murschel-Hexen“ e. V. bezieht sich sogar namentlich auf eine im 16. Jahrhundert in Balingen der „Hexerei“ bezichtigte, eingesperrte und gefolterte Frau: Anna Murschel. Nach Kritik der Balinger Historikerin Ingrid Helber an der Hexengruppe und deren „pietätlosen“ und „makabren“ Namenswahl[12] beschloss der Verein 2016, sich in „Murschel-Weible“ umzubenennen.[13]
Die von der 1935 gegründeten „Dorauszunft Saulgau“ tradierte Inszenierung der „Hexenverbrennung“ bzw. „Fastnachtsverbrennung“ am Fastnachtsdienstag geriet wie der Obernheimer „Hexenprozess“ in die Kritik, da auch sie an die Hinrichtungspraxis zur Zeit der Hexenverfolgung erinnert, bei der Frauen als „Hexen“ auf Scheiterhaufen verbrannt wurden. Vom örtlichen Arbeitskreis „Hexenverfolgung“ war in Bad Saulgau 2017 zudem eine namentliche Gedenkstele für die Opfer von nachweislich 46 Hexenprozessen 1518–1732 eingeweiht worden.[14] Die bei Fastnachtsverbrennungen üblicherweise verwendete, die Fastnacht symbolisierende Strohpuppe wird in Bad Saulgau personifiziert, im Häs einer „Riedhutzel“-Hexe verbrannt. In einem Käfigwagen aus Holz vor ein Podest gefahren, wird ein „Riedhutzel“-Hästräger von den Bütteln, der Bad Saulgauer Narrenpolizei, übernommen und mit Schlägen ihrer „Saublodern“ aufs Podium getrieben. Schließlich wird die vorbereitete („gesetzte“) „Riedhutzel“-Puppe („Rese“) in einem lodernden Feuer angezündet und an einer Stange auf dem Podium hochgezogen und verbrannt.[15] Die Zunft reagierte auf entsprechende Kritik in den letzten Jahren abwehrend, bezeichnete sie als „leidiges Herummäkeln an der Tradition“ und lehnt Änderungen an der Inszenierung ihrer „Hexenverbrennung“ ausdrücklich ab, wenn sie auch offiziell so nicht mehr genannt wird.[16]
Fastnachtshexen wurden und werden überwiegend von jungen Männern verkörpert. Während zahlreiche Hexenzünfte inzwischen Frauen und Kinder aufnehmen, sind u. a. bei der Offenburger Hexenzunft ausschließlich volljährige Männer als Maskenträger „zugelassen“, die zudem eine zweijährige „Probezeit“ absolviert haben müssen. Bei Umzügen ist es verbreiteter Brauch, dass die „traditionell“ männlichen „Hexen“ beim sogenannten „Ärgern“ der Besucher vor allem junge Frauen auswählen, diesen dabei Konfetti in die Haare reiben oder sie in mitgeführte „Hexenwagen“ oder „Hexenbetten“ zerren bzw. in „Hexenkäfige“ sperren und dort mit Stroh, Heu oder Papierschnipseln „einseifen“.[17] Beim Nachtumzug 2018 der Hexenzunft Eppingen erlitt eine junge Zuschauerin schwere Verbrühungen an den Beinen, als sie von einem oder mehreren Mitgliedern der Hexengruppe „Bohbrigga Hexenbroda“ „im Scherz“ über einen mitgeführten „Hexenkessel“ gehalten wurde, dabei mit den Beinen in kochend heißes Wasser geriet und anschließend ohne Ersthilfe zurückgelassen wurde. Der Fall löste eine allgemeine Debatte über Narrenumzüge aus und machte als „Hexenkessel-Prozess“ juristisch Schlagzeilen. Aufgrund der Maskierung der 18-köpfigen Hexengruppe erwies sich die Identifizierung der Beteiligten als schwierig.[18] Ein Angeklagter wurde 2018 wegen fahrlässiger Körperverletzung zu einer Geldstrafe verurteilt, hatte seine Tatbeteiligung bestritten und ging in Berufung. Da ihm die Tat nicht zweifelsfrei nachgewiesen werden konnte, wurde er 2020 freigesprochen. Die Hexengruppe hatte sich 2018 wegen des Vorfalls aufgelöst und auch Nachtumzüge gab es in Eppingen seitdem nicht mehr.
Bei einem vom Südwestrundfunk live übertragenen Fastnachtsumzug in Horb am Neckar kam es am 28. Januar 2024 zu einem besonders schweren Fall von sexueller Belästigung. Zwei als „Hexen“ verkleidete Männer der „Narrenfreunde Seebronn“ hatten vor laufender Kamera eine SWR-Reporterin in die Zange genommen und sich zunächst mit ihr auf dem Boden gerollt. Anschließend simulierte die oben liegende „Hexe“ durch mehrere Stoßbewegungen Geschlechtsverkehr mit der Frau, die währenddessen zwischen den beiden Männern eingeklemmt war. Das übergriffige Verhalten selbst wie auch die Livekommentare von SWR-Redakteurin Sonja Faber-Schrecklein und ihrem Kollegen Werner Mezger, die an diesem Tag durch die Sendung führten und den Vorfall lachend zu überspielen suchten, lösten im Anschluss erhebliche öffentliche Kritik aus. Die beiden Mitglieder der „Häder-Hexen“-Gruppe wurden für den Rest der Fastnacht 2024 gesperrt, obwohl sie sich bei der SWR-Reporterin entschuldigten und diese laut SWR die Entschuldigung angenommen habe. Der SWR seinerseits entfernte in der ARD Mediathek die Film-Sequenz einschließlich der Kommentare.[19] Die Staatsanwaltschaft Rottweil leitete überdies Ermittlungen wegen des Verdachts der sexuellen Belästigung ein. Das Ermittlungsverfahren wurde schließlich eingestellt, weil sich kein hinreichender Tatverdacht ergeben habe und keine Anzeige (gemeint ist wohl ein Strafantrag) erstattet worden sei, so die Staatsanwaltschaft.[20]
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