Dieter Wuttke
deutscher Philologe und Kunsthistoriker Aus Wikipedia, der freien Enzyklopädie
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Dieter Wuttke (* 12. Oktober 1929 in Fürstenwalde/Spree) ist ein deutscher Philologe (Germanist) und Kulturwissenschaftler.
Nach dem Abitur in Itzehoe, wohin die kinderreiche Familie im April 1945 vor dem Einmarsch der russischen Truppen geflohen war, studierte Wuttke von 1950 bis 1956 Deutsche Philologie, Latinistik und Geschichtswissenschaft in Hamburg, Saarbrücken und Tübingen. 1956 legte er in Tübingen das 1. Staatsexamen für den Höheren Schuldienst ab und wurde Ende des Jahres ebd. von Friedrich Beißner und Ernst Zinn promoviert (Urkunde der Diss. masch. 1958). Bereits 1953 war Wuttke mit dem Warburg Institute (Gertrud Bing) in London sowie mit Erwin Panofsky am Institute for Advanced Study in Princeton in Kontakt getreten, nachdem Panofskys Werk über Hercules am Scheidewege und andere antike Bildstoffe in der neueren Kunst[1] ihn seit Ende 1950 maßgeblich zu eigener Forschungsarbeit angeregt hatte. Das 2. Staatsexamen für den Höheren Schuldienst legte er 1958 in Bremen ab und wirkte anschließend dort bis Ostern 1962 als Studienassessor am Alten Gymnasium. Angeregt und unterstützt vom Altgermanisten Karl Stackmann wechselte er als Habilitationsstipendiat und Lehrbeauftragter für Ältere Deutsche Philologie bis Frühjahr 1966 an die Universität Bonn, bevor er als Studienrat und Oberstudienrat im Hochschuldienst für Ältere Deutsche Philologie an der Universität Göttingen tätig wurde. Dort im Jahre 1971 mit einer für die damalige forschungs- und hochschulpolitische Lage ungewöhnlichen Arbeit über Sebastian Brants Verhältnis zu Wunderdeutung und Astrologie[2] habilitiert, war Wuttke in Göttingen von 1971 bis Frühjahr 1979 Professor für Deutsche Philologie des Mittelalters und der Renaissance und damit Inhaber der ersten Epochen übergreifenden germanistischen Professur dieser Art in Deutschland. Von 1972 an fungierte er dort auch als Direktor des Seminars für Deutsche Philologie, 1975/76 als Dekan des Fachbereichs Klassische und Mediävistische Philologien. Durch seine Initiative wurde die Renaissancephilologie als Hauptfach in die Göttinger Promotionsordnung aufgenommen.
Von 1979 bis zur Emeritierung im März 1995 lehrte Wuttke als Inhaber des von ihm begründeten Lehrstuhls für Deutsche Philologie des Mittelalters und der Frühen Neuzeit an der Universität Bamberg. Mit der Festlegung dieses Lehrstuhltitels zog er die Konsequenz aus den Forschungen der Historiker Alteuropas sowie des Romanisten Ernst Robert Curtius[3] und des Germanisten Friedrich Ohly,[4] die gezeigt haben, dass die Epoche vom 6./8. Jahrhundert bis zum 18. Jahrhundert ein Kontinuum darstellt und dass die lateinische Sprache und Literatur der europäischen Nationen (und somit des deutschen Sprachgebiets) ebenso wie die nationalen Sprachen und Literaturen unabdingbar Gegenstand der jeweiligen Philologie sein muss.[5] Wuttke leitete in Bamberg die Arbeitsstelle für Renaissanceforschung, in der u. a. die Bibliographie zu Aby M. Warburgs Werk und Wirkung[6] erarbeitet wurde sowie die umfangreiche fünfbändige Edition der Korrespondenz von Erwin Panofsky.[7]
Wuttke ist Herausgeber der 1979 begründeten interdisziplinär ausgerichteten Reihe Saecvla Spiritalia (Bd. 53, 2020); bis Band 44, 2006, gab er die zusammen mit Stephan Füssel 1977 begründete Reihe Gratia heraus, die seit 2007 mit Joachim Knape als Hauptherausgeber jetzt den Titel Gratia – Tübinger Schriften zur Vormoderne, Renaissanceforschung und Kulturwissenschaft trägt. Von 1971 bis 2017 war er Mitherausgeber der Print-Ausgabe des Jahrbuchs Humanistica Lovaniensia. Journal of Neo-Latin Studies.
Von 1965 bis 1970 war Wuttke Gründungsmitglied des Humanistischen Arbeitskreises und danach bis 1978 der Senatskommission für Humanismusforschung der Deutschen Forschungsgemeinschaft. 1971 war er Mitbegründer der International Neo-Latin Society in Löwen. 1975 folgte er einer speziellen Einladung an das Warburg Institute in London und war seitdem mit den Direktoren Ernst Hans Gombrich sowie Joseph Burney Trapp kollegial verbunden. Im Winter 1975/76 lehrte er als Gastprofessor an der Universität Hamburg und folgte 1978 als erster Geisteswissenschaftler seit 1966 einer Einladung an die Tschechoslowakische Akademie der Wissenschaften in Prag (Abteilung für Griechische und Lateinische Studien). 1986 war er Member des Institute for Advanced Study in Princeton und in den folgenden Jahren Fellow an Forschungsinstitutionen in Washington, D.C., Santa Monica und Los Angeles. 1990 wurden seine Forschungen von der Volkswagenstiftung mit einem Akademie-Stipendium unterstützt. Im Jahre 2002 war er Gast der Universidade Católica Portuguesa in Viseu.[8] Er ist Honorary Research Fellow des Westfield College in London (Bestandteil der Queen Mary, University of London) und Corresponding Member des Institute of Modern Languages Research, School of Advanced Study ebd. Seit 2011 ist er Mitglied im Beirat der Eduard Bargheer-Gesellschaft e.V. in Hamburg.[9]
Der Deutschen Forschungsgemeinschaft diente er von 1971 bis 1983 als Mitglied des Projektbeirats für das Verzeichnis der im deutschen Sprachgebiet erschienenen Drucke des 16. Jahrhunderts, von 1974 bis 1977 als Mitglied des Projektbeirats für das Werk Spezialbestände an deutschen Bibliotheken, 1978 als Mitglied im Projektbeirat für den Inkunabelkatalog der Bayerischen Staatsbibliothek in München sowie von 1979 bis 1995 als Vertrauensdozent für die Universität Bamberg.
2003 wurde Wuttke mit dem Bundesverdienstkreuz ausgezeichnet. Er lebt und arbeitet in Bamberg.
Die Schwerpunkte von Wuttkes Wirken liegen, abgesehen von der mediävistischen Lehre, in den Bereichen der interdisziplinären Humanismus- und Renaissanceforschung, der Kunstgeschichte sowie der Geschichte der Kunstgeschichte, der Wissenschaftsgeschichte, der Stadtikonologie, der Personengeschichte, der Sozial- und Theatergeschichte, der Buchwissenschaft sowie der Editionslehre. Er ist z. B. Mitverfasser der Empfehlungen zur Edition frühneuzeitlicher Texte (1981)[10] und hat dem Willibald-Pirckheimer-Briefwechsel, der seit Jahrzehnten ins Stocken geraten war, mit Band III (1989)[11] ein neues Fundament gegeben, so dass für die Bände IV bis VII die Bearbeiterin auch die Herausgeberschaft übernehmen konnte.[12] Wuttke hat Grundlegendes für die Rezeption der 1933 aus Deutschland vertriebenen Werke und Forschungsmethoden der Kunst- und Kulturhistoriker Aby M. Warburg und Erwin Panofsky geleistet. Mit der Edition der ausgewählten Schriften und Würdigungen Aby M. Warburgs im Jahre 1979[13] bot er der Forschung das Fundament, um die Anliegen und Methoden des Kunsthistorikers in den wissenschaftlichen Diskurs zurückzubringen. Wie oben ausgeführt rückte der Warburg-Schüler Erwin Panofsky früh in Wuttkes Fokus, in dessen Werken er ein fruchtbares Wissenschaftskonzept verwirklicht sah: „[…] die gleichmäßige Beherrschung mathematischer, philosophischer, ästhetischer, kunsthistorischer, historischer und philologischer Kenntnisse und Methoden, also eine wie mühelos erscheinende Transdisziplinarität […].“[14] Denn zentral war für ihn von Beginn an das ihm zuerst von seinem altphilologischen Lehrer und späteren Freund Ernst Zinn vermittelte Wissenschaftsverständnis, das ihn zum Forschen und Lehren über Disziplingrenzen hinweg anregte[15] und schließlich zur Formulierung eines umfassenden Bildungskonzepts führte, wie es, auch die Künste umgreifend, schon einmal im Renaissance-Humanismus verwirklicht worden war.[16] Durch die enge methodologische, aber auch persönliche Verbindung zu Panofsky, seinen Kollegen, Freunden und seiner Familie, konnte Wuttke, mit Vorarbeiten dazu in den späten Achtzigerjahren des vergangenen Jahrhunderts beginnend, in den Jahren zwischen 2001 und 2011 eine umfangreiche fünfbändige Auswahledition der bis zu diesem Zeitpunkt weitgehend unbekannten Briefe Erwin Panofskys publizieren. Diese knapp 7000 Seiten umfassende Edition, die die ungeschriebene Autobiographie Panofskys ersetzt[17] und ein einzigartiges Dokument der Mikrohistorie ist, wurde 2014 durch einen weiteren, Verzeichnisse, Register und Ergänzungen enthaltenden Band vervollständigt.[18]
Schriftenverzeichnis zuletzt in: Artium Conjunctio. Kulturwissenschaft und Frühneuzeitforschung. Aufsätze für Dieter Wuttke. Hrsg. von Petra Schöner und Gert Hübner. Baden-Baden 2013, S. 499–564 (Schriften 1951 bis 2013).
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