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Die Verwandlung der Welt. Eine Geschichte des 19. Jahrhunderts von Jürgen Osterhammel ist ein Versuch, die Geschichte des 19. Jahrhunderts in weltgeschichtlichem Zusammenhang darzustellen, ohne dabei eine räumliche oder politische Gliederung als Orientierungspunkt zu wählen.[1] So erzählt Osterhammel nicht aus einer bestimmten Perspektive, sondern betrachtet die Zusammenhänge, die Ungleichzeitigkeit des Gleichzeitigen, die Verschiedenheit der Kulturen und die Zeitverschiebung von Institutionen und Kulturelementen in den verschiedenen Kulturen.
Für die Gliederung des Gesamtwerks bedeutet das, dass er seinen Gegenstand unter drei unterschiedlichen Gesichtspunkten angeht: in Annäherungen, Panoramen und Themen. Wofür diese abstrakten Begriffe bei Osterhammel stehen, zeigt sich in der Ausführung des Werks.[2]
Osterhammel setzt mit seinem Unternehmen einer gobalgeschichtlichen Betrachtung[3] (wie vor ihm Bayly in Die Geburt der modernen Welt, 2006[4] zu einem Zeitpunkt an, wo die Globalisierung schon so weit vorangeschritten ist, dass die Menschheitsgeschichte starke und mehr und mehr weltweite Wirkungszusammenhänge erkennen lässt.
Dabei vermeidet er es, die Geschichte des 19. Jahrhunderts erzählend darzustellen; vielmehr geht er sie unter eigens für dieses Werk entwickelten Aspekten an.
Zunächst nähert er sich dem Jahrhundert mit dem Blick auf das Selbstbild der Zeit[5], dann unter dem der Kategorien Zeit[6] und des Raumes[7] an.
Bei der Betrachtung des Selbstbildes und unter dem Zeitaspekt sieht er das 19. Jahrhundert immer in Bezug auf seine charakteristischen Unterschiede zu den früheren Jahrhunderten und auf die Wandlungen, die die Strukturen des 20. Jahrhunderts herbeiführten. Dafür kann der Satz „Vor dem 20. Jahrhundert kann kein einziges Jahr als epochal für die gesamte Menschheit betrachtet werden“ (S. 96) als beispielhaft gelten. Das 19. Jahrhundert wird in die Kontinuität der vorhergehenden Jahrhunderte gestellt und andererseits deutlich von dem Globalisierungsgrad des 20. abgehoben.
Das gilt auch für seine Aussagen über den Raum. Osterhammel achtet darauf, dass uns geläufige Termini nicht ungeprüft als schon im 19. Jahrhundert gültig verwendet werden:
„Die Sammelbezeichnung Südostasien entstand während des Ersten Weltkriegs in Japan.“ (S. 137) „Die Kategorie des Westens etwa [...] findet sich als dominante Denkfigur nicht vor den 1890er Jahren.“ (S. 143) „Im langen 19. Jahrhundert war viel häufiger als vom Westen von der zivilisierten Welt die Rede. [...] In Japan wurde es sogar zum Ziel nationaler Politik, als zivilisiertes Land akzeptiert zu werden.“ (S. 144)
Danach gibt Osterhammel unter der Überschrift Panoramen ohne Vollständigkeitsanspruch einen Überblick über acht große Wirklichkeitsbereiche, die wesentliche Elemente der Gesamtgeschichte des 19. Jahrhunderts erfassen sollen. Dabei wendet er in seiner Darstellung erstmals das Verfahren an, das er allgemein für die Globalgeschichte für angemessen hält. Er betrachtet zunächst ein Phänomen im globalen Überblick, um dann an einzelnen Regionen aufzuzeigen, worin die regionalen Gemeinsamkeiten und Unterschiede bestehen.[8]
Die Panoramen sind durchaus nicht so klar gegliedert und ähnlich gleichwertig wie die Annäherungen. Vielmehr gibt es große Überschneidungen z. B. zwischen Lebensstandards und Mobilität; denn während der Sklavenexport die Betroffenen in Lebensstandard und Lebensqualität meist für Generationen zurückwarf, wurde die freiwillige Migration meist von Personen der Unterschicht gewählt, die hoffen durften, mittelfristig ihren Lebensstandard zu verbessern, auch wenn sie im Falle der Indentur zwischenzeitlich zu Arbeit ohne (oder zu nur sehr geringem) Lohn verpflichtet waren.
An die Panoramen schließen sich die folgenden Themen an:
Zum Abschluss seines Werkes stellt Osterhammel fünf Merkmale heraus, die die Einzigartigkeit des 19. Jahrhunderts gegenüber allen vorangegangenen verdeutlichen:
(1) Die „asymmetrischer Effizienzsteigerung“ bei der Produktivität menschlicher Arbeit aufgrund der Industrialisierung und der Erschließung neuer Landreserven[28], dann die waffentechnischen Innovationen und die verbesserte Organisation und Strategie des Militärs verbunden mit der Bereitschaft, alle Möglichkeiten des Staates einzusetzen[29] und schließlich „die zunehmende Kontrolle von Staatsapparaten über die Bevölkerung der eigenen Gesellschaft.“ (S. 1288)[30][31]
(2) Die enorm anwachsende und sich beschleunigende Mobilität.[32] [33] Insbesondere spielte dafür die Entwicklung neuer Infrastrukturen zur Vernetzung wie Eisenbahn und Fernmeldetechnik eine Rolle.[34]
(3) Die „Ausweitung der medialen Möglichkeiten“, die Osterhammel als „asymmetrische Referenzverdichtung“ bezeichnet, also die Möglichkeit, in kurzer Zeit über große Entfernungen hinweg einen intensiven kulturellen Austausch zu pflegen.[35] Im 21. Jahrhundert lässt sich die Bedeutung dieser Möglichkeiten aufgrund des um die Jahrtausendwende nochmals erheblich gesteigerten Tempos des Austauschs noch kaum richtig einschätzen.
(4) Die „Spannung zwischen Gleichheit und Hierarchie“[36], die darauf zurückzuführen war, dass die Kluft zwischen dem theoretischen Anspruch der Menschenrechte und ihrer praktischen Umsetzung aufgrund von bestehenden hierarchischen Strukturen noch ungeheuer groß war.
(5) Die Emanzipation, durch die diese Kluft geschlossen werden sollte.[37]
Jürgen Kocka urteilt über Osterhammels Darstellung: „ein Meilenstein deutscher Geschichtsschreibung, eines der wichtigsten historischen Bücher der vergangenen Jahrzehnte, ein großer Wurf. Sie bietet ein fundiertes Bild des 19. Jahrhunderts in globalhistorischer Erstreckung“[38]
Urs Hafner charakterisiert diese Geschichte des 19. Jahrhunderts so: „Diese Globalgeschichte lässt die angeblich unüberwindbaren Unterschiede zwischen den Kontinenten und Kulturen erstaunlich schrumpfen. Sie bringt die Welt zusammen, ohne dass sie die Differenzen verwischte; vielmehr setzt sie diese zueinander in Beziehung. Wo man etwa bei der Ausbreitung der modernen Wissenschaften bisher nur den westlichen Imperialismus am Werk sah, entdeckt Jürgen Osterhammel ein nuanciertes Hin und Her zwischen Europa – besonders Deutschland, das die moderne Forschungsuniversität erfand – und den nichteuropäischen Räumen (und immer wieder auch zwischen diesen)“[39]
Thomas Meyer meint, dass dieses „Opus Magnum die Geschichtsschreibung verändern“ werde.[40]
Stephan Speicher kritisiert, das Werk sei zwar „reflexionsstark“, aber andererseits auch „thesenarm“. Außerdem bedauert er das Fehlen der Philosophie und der Künste.[41]
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