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Neurologische Erkrankung Aus Wikipedia, der freien Enzyklopädie
Die Chorea minor (Sydenham) ist eine mit Hyperkinesien (unkontrollierbaren blitzartig ausfahrenden Bewegungen) der Hände, des Schlundes und der Gesichtsmuskulatur und gleichzeitiger Muskelhypotonie (Muskelschwäche) und Hyporeflexie (Abschwächung der Reflexe) einhergehende neurologische Erkrankung.
Klassifikation nach ICD-10 | |
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I02.0 | Rheumatische Chorea mit Herzbeteiligung |
I02.9 | Rheumatische Chorea ohne Herzbeteiligung |
ICD-10 online (WHO-Version 2019) |
Sie ist eine mögliche Manifestationsform des rheumatischen Fiebers (siehe Jones-Kriterien), daher auch die Synonyme Chorea rheumatica und Chorea infectiosa, und wird auch Veitstanz[1] genannt.
Die Chorea minor tritt als eine Zweiterkrankung einige Wochen bis Monate nach einer abgelaufenen Infektion mit β-hämolysierenden Streptokokken der Gruppe A, meistens nach einer durchgemachten Mandelentzündung (Angina tonsillaris) bzw. Rachenentzündung (Pharyngitis), einem Scharlach oder einem Erysipel auf.
Es sind vor allem Mädchen im Alter von sechs bis dreizehn Jahren betroffen. In sehr seltenen Fällen können auch Erwachsene bis 40 Jahre an der Chorea minor erkranken.
Der englische Arzt Thomas Sydenham (1624–1689) gilt als der Erstbeschreiber[2] dieser Erkrankung. Circa 200 Jahre nach dessen Beschreibung der Chorea minor entdeckte der New Yorker Arzt George Huntington (1850–1916) eine nicht-infektiöse vererbbare und überwiegend bei älteren Menschen über 50 Jahre auftretende Variante der Chorea (genannt auch „Veitstanz“) und grenzte sie als Chorea major ab.
Es handelt sich um eine Autoimmunerkrankung, bei der Antikörper – die ursprünglich gegen die Streptokokken gebildet wurden – kreuzreagieren und plötzlich auch bestimmte körpereigene strukturähnliche Zellen derjenigen Basalganglien im Gehirn angreifen, die für die hemmende Dosierung und Feinabstimmung von Bewegungen verantwortlich sind. Im Wesentlichen wird das Striatum geschädigt, wobei das Striatum jedoch nicht irreversibel zerstört wird, wie dies bei der Chorea Huntington der Fall ist.
Derselbe Mechanismus liegt übrigens auch der rheumatischen Endokarditis (ebenfalls eine mögliche Manifestationsform des rheumatischen Fiebers) zugrunde, nur mit dem Unterschied, dass sich in diesem Falle die Antikörper nicht gegen die Basalganglienzellen, sondern gegen Tropomyosin und Myosin[3], also gegen Bestandteile der Herzmuskulatur richten.
In der Folge kommt es dann zu Entzündungsreaktionen mit Einschränkung der Funktionsfähigkeit dieser bewegungsinhibierenden Basalganglien. Die bewegungsfördernden Basalganglien (Substantia nigra und Pallidum) sind nun zum Teil enthemmt, und es kommt zu den typischen überschießenden Bewegungsmustern.
Das klinische Erscheinungsbild ist logischerweise umso ausgeprägter, je mehr Zellen geschädigt werden und je größer die daraus resultierende Entzündung geworden ist.
Bei der Parkinson-Krankheit gehen dagegen die Zellen eines bewegungsfördernden Basalganglions (Substantia nigra) zugrunde, was zu der Trias aus Akinese (Bewegungsarmut), Rigor (Muskelsteifheit) und Ruhe-Tremor (Muskelzittern) gepaart mit einer Hypertonie und Hyperreflexie der Muskulatur führt; also zu Symptomen, die genau entgegengesetzt zu denen der Chorea sind.
Chorea und Parkinson-Krankheit beruhen also beide auf einer Schädigung bzw. Zerstörung von jeweils einem der beiden antagonisierenden Basalganglien. Deren komplex aufeinander abgestimmtes Zusammenspiel aus gegenseitiger Hemmung und Verstärkung ist daraufhin gestört und es kommt dann entweder zu einem Zuviel oder zu einem Zuwenig an Bewegungen.
Choreatische Bewegungsstörungen gehören zur großen Gruppe der extrapyramidalen Hyperkinesien, zu denen u. a. auch der Tremor, die Dystonien, der Ballismus oder auch die Tics beim Tourette-Syndrom gehören. Alle extrapyramidalen Hyperkinesien beruhen auf einer Fehlfunktion jeweils bestimmter Anteile der Basalganglien.
Die Chorea (griechisch für Tanz) ist keine Krankheit, sondern ein rein deskriptiver Begriff für ein Symptom, dem viele ganz unterschiedliche Ursachen zugrunde liegen können. Das Endergebnis ist aber immer eine Funktionsstörung des Striatums, die dann zu ganz charakteristischen Bewegungsstörungen führt. So gibt es:
Die neurologischen Symptome ähneln denen der Erbkrankheit Chorea major (Huntington).
Ähnliches geschieht bei einer anderen Erkrankung, dem Ballismus, allerdings sind hier grobe ausfahrende wurmförmige Bewegungen der proximalen (= körpernahen) Muskelgruppen, d. h. der Schulter- bzw. Oberarmmuskulatur typisch. Der Hauptunterschied besteht darin, dass nun nicht das Striatum, sondern das zweite wichtige bewegungshemmende Basalganglion (der Nucleus subthalamicus) ausfällt. Offenbar teilen sich das Striatum und der Nucleus subthalamicus die Muskeln im Sinne von körpernah und körperfern auf. Dies hat dann unterschiedliche Krankheitsbilder zur Folge, was bei der Diagnostik natürlich sehr hilfreich ist.
Im Mittelalter hielt man Patienten mit Chorea (griechisch für Tanz) aufgrund der Symptomatik vermutlich für „von der Tanzwut besessen“. Da man zur damaligen Zeit keine medizinische Erklärung für dieses „seltsame Verhalten“ der Erkrankten hatte, glaubte man wohl an eine Besessenheit mit einem bösen Geist.
In der Tat hätte man den Eindruck gewinnen können, jemand würde für wenige Sekunden (bis Minuten) die Gewalt über die Muskeln des Betroffenen übernehmen und mit ihnen „nach Belieben Schabernack“ treiben. Die Patienten könnten sich sozusagen „ferngesteuert“ gefühlt haben.
Der heilige Veit (St. Vitus) heilte im 4. Jahrhundert den Sohn des römischen Kaisers Diokletian von solch einer Besessenheit. Da ihn Diokletian danach trotzdem hinrichten ließ (weil er nicht dem christlichen Glauben abschwören wollte), und er vorher auch noch viele andere Wunder gewirkt haben soll, wurde er später heiliggesprochen. Seitdem gilt er als ein Schutzheiliger der Katholiken – genauer gesagt ist er einer der sogenannten Vierzehn Nothelfer –, der auch heute noch v. a. bei neurologischen Erkrankungen wie Epilepsie, Krämpfen oder eben auch Veitstanz angerufen wird. Vor allem im Mittelalter beteten die Betroffenen zu ihm und pilgerten zur Aufbewahrungsstätte seiner Gebeine, um Erlösung zu finden.
Aus diesem Grunde waren für die Chorea auch noch die Namen „Veitstanz“ und chorea sancti viti (= „Tanz des heiligen Vitus“) gebräuchlich.
Die Diagnose lässt sich anhand folgender Merkmale stellen:
Die Therapie ist die gleiche wie beim rheumatischen Fieber:
Die Therapie und v. a. die Prognose von Chorea minor bzw. major unterscheiden sich ganz erheblich voneinander.
Chorea minor (Sydenham) | Chorea major (Huntington) | |
Alter | Kinder im Alter von 3–13 Jahren selten bis 40 Jahre |
3–75 Jahre, meist ab 30 Jahren |
Geschlecht | überwiegend weiblich | |
Ursache | Autoimmunerkrankung nach abgelaufener Streptokokkeninfektion | Erbkrankheit autosomal-dominant (kurzer Arm des Chromosom 4) |
Pathogenese | Kreuzreagierende Antikörper gegen Proteine der Basalganglien (v. a. Striatum) | Ablagerung von unphysiologischen Eiweißen in die Basalganglien (v. a. Striatum) |
Therapie | Behandlung der Ursache (Infektion) mit Penicillin G über 10 Tage Rezidivprophylaxe |
keine ursächliche Behandlung möglich Neuroleptika (Tiaprid) gegen die Hyperkinesien genetische Beratung, da 50 % der Kinder erkranken werden |
Komplikationen | in 10 % der Fälle bleiben Reststörungen | nahezu immer Demenz in den späteren Stadien der Erkrankung. (kann beim seltenen späten Beginn der Erkrankung (> 50) fehlen) |
Prognose | reversibel heilt in 90 % der Fälle folgenlos ab |
irreversibel chronisch-fortschreitend, endet meist nach 12–15 Jahren immer tödlich |
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