Gattung der Familie Ameisensackspinnen (Phrurolithidae) Aus Wikipedia, der freien Enzyklopädie
Die Ameisenvagabunden (Phrurolithus) bilden eine Gattung innerhalb der Familie der Ameisensackspinnen (Phrurolithidae). Die wie alle Vertreter der Familie eher kleinen Arten der fast weltweit verbreiteten Gattung imitieren in Form der Bates’schen Mimikry wie andere Ameisensackspinnen entsprechend des TrivialnamensAmeisen. Dies geschieht neben dem Erscheinungsbild auch durch die ameisenähnliche Bewegung der tagaktiven und recht bewegungsfreudigen Spinnen.
Schnelle Fakten Systematik, Wissenschaftlicher Name ...
Ameisenvagabunden erreichen eine Körperlänge von maximal vier Millimetern und sind mehrheitlich dunkel gefärbt. Der Habitus (Erscheinungsbild) dieser Spinnen erinnert wie bei anderen Ameisensackspinnen (Phrurolithidae) an den von Ameisen.[1] Dies dient im Rahmen der Bates’schen Mimikry der Abwehr von Prädatoren (Fressfeinden), wie es auch bei vielen anderen myrmekomorphen (ameisenähnlichen) Spinnen der Fall ist, da Ameisen bedingt durch ihre Wehrhaftigkeit zumeist unbeliebte Beutetiere darstellen.
Der Carapax (Rückenschild des Prosomas bzw. Vorderkörpers) ist von ovaler Form sowie lateral (seitlich) abfallend und die Fovea (Apodem) deutlich erkennbar. Die anteriore (vordere) Augenreihe hat einen leicht prokurven (vorgebogen) Verlauf und ist schmaler als die posteriore (hintere) Augenreihe, die frontal betrachtet prokurv (vorgebogen) erscheint.[2] Ansonsten hat diese einen geraden Verlauf.[3] Die lateralen Augen sind größer als die medianen (mittleren).[4] Genauso weisen die kreisförmigen anterior medianen Augen einen größeren Durchmesser als die ovalen anterior lateralen Augen auf. Der Abstand der anterior medianen Augen zueinander ist größer als der zwischen den anterior medianen und den anterior lateralen. Bei der posterioren Augenreihe besitzen dessen ovale mediane Augen einen größeren Durchmesser als die kreisförmigen lateralen Augen. Der Abstand zwischen den posterioren Augen fällt immer gleich aus.[3] Das mediane (mittlere) Augenviereck erscheint rechteckig.[4]
Die Cheliceren (Kieferklauen) verjüngen sich in distale (von der Körpermitte entfernt liegende) Richtung. Retromarginal (innen rückseitig) sind sie mit je einem kleinen Zahn und promarginal (innen vorderseitig) jeweils mit zwei Reihen langer, gebogener und borstenartiger Setae (chitinisierterHaare) versehen. Die Höhe des Clypeus (Abschnitt zwischen dem anterioren Augen und dem Carapax) fällt dreimal so hoch wie die der anterior medianen Augen aus.[5] Er ist außerdem zweimal so groß wie die anterior medianen Augen.[3] Die Maxillae (umgebildete Coxen der Pedipalpen) sind anderthalb mal so breit wie hoch und das Labium (sklerotisierte Platte zwischen den Maxillae auf anteriorer Seite des Sternums). Das Sternum (Rückenschild des Prosomas) erweitert sich zwischen den Coxae (Hüftglieder) des vierten Beinpaares. Seine Spitze ist abgestumpft.[5]
Die Beine weisen eine unterschiedlich Anzahl ventraler (unterer) Stacheln auf, dabei befinden sich auf gleicher Seite bei den Tibien (Schienen) des ersten Beinpaares immer jeweils vier bis fünf Paare dieser Stacheln und an den Metatarsen (Fersengliedern) selbigen Beinpaars je zwei bis drei Paare davon. Den Tarsen (Fußgliedern) fehlen anders als anderen Ameisensackspinnen Krallenbüschel und Scopulae (Haftsetaebüschel).[5]
Das Opisthosoma (Hinterleib) kann bei den Ameisenvagabunden sehr variabel geschaffen sein. Zumindest bei den mitteleuropäischen Arten weist es dorsal (oben) eine dunkle Grundfärbung und eine Musterung aus weißen Flecken auf.[3] Männliche Ameisenvagabunden besitzen außerdem dorsal auf dem Opisthosoma ein orangebraunes Scutum (sklerotisierte Platte) auf, das die gesamte Dorsalfläche einnimmt. Dieses Scutum kann bei Draufsicht der Spinnen sowie bei Jungtieren jedoch schwer erkennbar sein.[6]
Ansichten weiblicher Ameisenvagabunden
Dorsalansicht
Frontalansicht
Lateralansicht
Rückansicht
Genitalmorphologische Merkmale
Die Pedipalpen (umgewandelte Extremitäten im Kopfbereich) der männlichen Ameisenvagabunden werden jeweils durch eine sehr große Apophyse (Fortsatz) an der Tibia charakterisiert, die etwa doppelt so lang wie die Tibia selber ist. Die Epigyne (weibliches Geschlechtsorgan) weist bei den Spinnen innerhalb der Gattung eine posterior marginale (rückseitige) Sklerotisierung (Verhärtung) auf, die sich bis zur Innenseite der epigastrischen (beim Magen befindlichen) Furche erstreckt. Die Vulva besitzt ein Paar ballonartigen, nicht sklerotisierten und ventral gelegener Ausstülpungen, die mehr als doppelt so groß sind wie die stark sklerotisierten Spermatheken (Samentaschen) sind.[3]
Differenzierung von den Schillerspinnen
Die Ameisenvagabunden können leicht mit den nicht näher verwandten Schillerspinnen (Micaria) aus der Familie der Plattbauchspinnen (Gnaphosidae) verwechselt werden, zumal die Spinnen beider Gattungen eine äußerst ähnliche Lebensweise vollführen und aus dem gleichen Grund Ameisen imitieren. Bei den Schillerspinnen ist jedoch an den Maxillae eine wenn auch undeutliche Delle ausgebildet und das Opisthosoma sattelförmig eingeschnürt. Beide Eigenschaften fehlen den Ameisenvagabunden, die dafür eine größere Anzahl an Stacheln an den Tibien der beiden vorderen Beinpaaren und an Zähnen der Cheliceren aufweisen. Die Beinstacheln der Schillerspinnen sind entweder in der Formation 0-1, 1,1 oder jeweils als einzelnes Paar entwickelt und die Anzahl der Zähne an den Cheliceren beläuft sich hier maximal auf 1.[7]
Die Gattung der Ameisenvagabunden ist mit Ausnahme der Antarktika auf allen Kontinenten der Erde präsent.[8] Die Habitate (Lebensräume) können dabei je nach Art sehr unterschiedlich ausfallen und so etwa zwischen sonnigem und feuchten Gebieten schwanken.[1]
Ameisenvagabunden sind tagaktiv und bewegen sich bei sonnigem Wetter flink umher.[9] Die Spinnen befinden sich nahezu ausschließlich in Bewegung und bewegen sich dabei über kurze Distanzen, ehe sie anschließend abrupt einen Halt einlegen. Dann heben die Ameisenvagabunden die vorderen Beine und das Opisthosoma kurzzeitig an, ehe sie sich wieder fortbewegen und dieser Prozess sich so wiederholt. Diese Bewegungsweise erinnert an die von Ameisen und verstärkt somit die Mimikry der Spinnen.[1]
Ameisenvagabunden legen wie alle Ameisensackspinnen (Phrurolithidae) für den Beuteerwerb kein Spinnennetz an, sondern erlegen Beutetiere freilaufend.[9] Das Beutespektrum setzt sich vermutlich aus kleinen terrestrischen (bodenbewohnenden) Insekten zusammen, wobei Ameisen als Beutetiere unwahrscheinlicher sein dürften. Die Vermutung des Beutespektrums der Ameisenvagabunden rührt von den ausklappbaren Stachelreihen auf den Innenseiten der Tibien und Metatarsi der vorderen Beine.[1]
Die Systematik der Ameisenvagabunden durchlief mehrere Änderungen, besonders hinsichtlich der Familienzugehörigkeit der Gattung. Die Ameisenvagabunden sind überdies die Typusgattung der Ameisensackspinnen (Phrurolithidae).[8]
Beschreibungsgeschichte
Die Gattung der Ameisenvagabunden galten seit ihrer 1839 von Carl Ludwig Koch durchgeführten Erstbeschreibung anfangs den Feldspinnen (Liocranidae) zugehörig, ehe sie 2002 unter Jan Bosselaers und Rudy Jocqué den Rindensackspinnen (Corinnidae) zugeordnet wurden. Martín J. Ramírez transferierte die Gattung 2014 dann zu den Ameisensackspinnen, die er gleichzeitig wieder zur Familie erhob.[8]
Arten
Die Gattung der Ameisenvagabunden umfasst 46 Arten. Diese und ihre geographischen Verbreitungen sind:[8]
P. zongxuWang, Zhang & Zhang, 2012 = Otacilia zongxu
Synonymisierte Arten
2 einstige Arten und, die zuletzt zu den Ameisenvagabunden zählten, wurden mit einer anderen der Gattung synonymisiert und verloren somit ihren Artstatus. Diese Arten waren:[8]
P. difficilisWiehle, 1967 – Synonymisiert mit dem Kleinen Ameisenvagabunden (P. minimus) unter Job, 1968.
P. rufescens (Simon, 1864) – Synonymisiert mit dem Kleinen Ameisenvagabunden unter Simon, 1878.
Nicht mehr anerkannte Art
Eine Art zählte zuletzt zur Gattung der Ameisenvagabunden und gilt heute als Nomen dubium. Die aufgelöste Art ist:[8]
P. rufescensC. L. Koch, 1839 – Aufgelöst unter Roewer, 1955.
Ute Grimm:Die Gnaphosidae Mitteleuropas (Arachnida, Araneae). In: Naturwissenschaftlicher Verein in Hamburg (Hrsg.): Abhandlungen des Naturwissenschaftlichen Vereins in Hamburg. Band26, Nr.1. Paul Parey Zeitschriftenverlag, 1985, S.207.
Jörg Wunderlich:Revision der europäischen Arten der Gattung Micaria Westring 1851, mit Anmerkungen zu den übrigen paläarktischen Arten (Arachnida: Araneida: Gnaphosidae). In: Zoologische Beiträge. Band25, Nr.1, 1979, S.s241.
Lawrence Bee, Geoff Oxford, Helen Smith:Britain's Spiders: A Field Guide – Fully Revised and Updated Second Edition (=WILDGuides of Britain & Europe). Princeton University Press, 2020, ISBN 978-0-691-20474-1, S.308.
Sven Almquist:Swedish Araneae, part 2 – families Dictynidae to Salticidae. In: Scandinavian Entomology (Hrsg.): Insect Systematics & Evolution, Supplement. Band63, Nr.1. Interpress, 2006, S.344–345 (601S.).
Lawrence Bee, Geoff Oxford, Helen Smith:Britain's Spiders: A Field Guide – Fully Revised and Updated Second Edition (=WILDGuides of Britain & Europe). Princeton University Press, 2020, ISBN 978-0-691-20474-1, S.308 (496S.).
Ute Grimm:Die Gnaphosidae Mitteleuropas (Arachnida, Araneae). In: Naturwissenschaftlicher Verein in Hamburg (Hrsg.): Abhandlungen des Naturwissenschaftlichen Vereins in Hamburg. Band26, Nr.1. Paul Parey Zeitschriftenverlag, 1985, S.45 (318S.).
Michael John Roberts:The Spiders of Great Britain and Ireland (=The Spiders of Great Britain and Ireland. Band2). Brill Archive, 1985, S.92 (256S.).
Jörg Wunderlich:Revision der europäischen Arten der Gattung Micaria Westring 1851, mit Anmerkungen zu den übrigen paläarktischen Arten (Arachnida: Araneida: Gnaphosidae). In: Zoologische Beiträge. Band25, Nr.1, 1979, S.233–341.