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islamischer Theologe Aus Wikipedia, der freien Enzyklopädie
Abū l-Hasan ʿAlī ibn Ismāʿīl al-Aschʿarī (arabisch أبو الحسن علي بن إسماعيل الأشعري, DMG Abū l-Ḥasan ʿAlī ibn Ismāʿīl al-Ašʿarī, geb. 873/874 in Basra; gest. zwischen 932 und 941 in Bagdad) war ein islamischer Theologe. Er gilt als Begründer des sunnitischen Kalām und ist der Namensgeber der aschʿaritische Kalām-Schule. Sunnitische Gelehrte betrachten ihn als denjenigen, der das Zeitalter der Dominanz der Muʿtazila im Kalām beendete.
Al-Aschʿarī stammte in der neunten Generation von Abū Mūsā al-Aschʿarī ab.[1] Seine theologischen Gegner bezweifelten allerdings seine Abstammung von diesem bekannten Prophetengefährten und enthielten ihm deswegen die Nisba „al-Aschʿarī“ vor. Wenn sie von ihm sprachen, nannten sie ihn nach der Kunya seines Großvaters Ibn Abī Bischr.[2]
Über al-Aschʿarīs Leben ist nur wenig bekannt. Al-Chatīb al-Baghdādī hat einen Mann aus Basra sagen hören, dass er im Jahre 260 der Hidschra (= 873/874 n. Chr.) geboren wurde.[1] Nach Ibn ʿAsākir hatte sein Vater, ein sunnitischer Hadith-Gelehrter, vor seinem Tod den schafiitischen Hadith- und Fiqh-Gelehrten Zakarīyā ibn Yahyā as-Sādschī (gest. 920) als Vormund für ihn eingesetzt.[3] Nach einem Bericht, der auf den Diener al-Aschʿarīs in Basra zurückgeht, soll al-Aschʿarī von den Erträgen eines Landguts gelebt haben, das sein Großvater Bilāl ibn Abī Burda al-Aschʿarī für seine Nachkommen gestiftet hatte. Seine jährlichen Ausgaben sollen 17 Dirham betragen haben.[1]
Zu seinen Lehrern im Hadith gehörten Abū Chalīfa al-Fadl ibn al-Habbāb al-Dschumahī, Sahl ibn Nūh al-Basrī, Muhammad ibn Yaʿqūb al-Muqrī, ʿAbd ar-Rahmān ibn Chalaf ad-Dabbī und sein Ziehvater as-Sādschī.[4] In Basra wurde al-Aschʿarī auch Schüler von Abū ʿAlī al-Dschubbā'ī (gest. 915), dem führenden muʿtazilitischen Kalām-Gelehrten der Zeit.[5] Nachdem er mehrere Jahrzehnte sein Schüler gewesen war, soll er ihn auch bei öffentlichen Disputationen vertreten haben.[6] Spätere Quellen wie Abū l-Fidā' (geb. 1331) geben an, dass al-Aschʿarīs Mutter nach dem Tod seines Vaters al-Dschubbā'ī heiratete.[7]
Das wichtigste Ereignis in al-Aschʿarīs Leben war sein Bruch mit der muʿtazilitischen Schule. Ibn ʿAsākir erklärt unter Berufung auf Ibn Fūrak, dass dieser irgendwann nach dem Jahr 300 (= 912/913 n.Chr) erfolgte.[8] Über seine Konversion gibt es eine Anzahl verschiedener Berichte. Der früheste davon stammt von Ibn an-Nadīm (gest. 995/8). Er berichtet, al-Aschʿarī sei an einem Freitag in der Freitagsmoschee von Basra auf einen Schemel gestiegen und habe laut ausgerufen:
„Diejenigen, die mich kennen, wissen, wer ich bin. Und denjenigen, die mich nicht kennen, stelle ich mich vor: Ich bin der So-und-So, Sohn des So-und-So, und pflegte die Erschaffenheit des Korans zu lehren. Auch lehrte ich, dass Gott nicht mit den Augen gesehen werden kann und ich der Urheber meiner bösen Taten bin. Jetzt kehre ich bußfertig um, sage mich von diesen Ansichten los, bin entschlossen zur Widerlegung der Muʿtazila und zur Aufdeckung ihrer niederträchtigen Lehren und Fehler.“[9]
Nach einem nordafrikanischen Bericht, den Ibn ʿAsākir zitiert, erfolgte al-Aschʿarīs Konversion, nachdem er 40 Jahre lang der muʿtazilitischen Lehre gefolgt war und sich dann für 15 Tage in sein Haus zurückgezogen hatte.[10] Nach anderen Berichten, die er zitiert, war der Grund für sein Umdenken ein Traum oder eine göttliche Eingebung.[11]
Einige Quellen erwähnen einen weiteren Faktor bei al-Aschʿarīs Bekehrung, nämlich eine Reihe öffentlicher Debatten mit seinem Lehrer al-Dschubbā'ī, die al-Aschʿarī gewann. Die bekannteste dieser Debatten war diejenige, die sich mit den Konzepten der göttlichen Gerechtigkeit (ʿadl) und der göttlichen Verpflichtung, stets für das größtmögliche Wohl (al-aṣlaḥ) der Menschheit zu sorgen, befassten. Im Laufe dieser Debatte bemühte er sich zu zeigen, dass das muʿtazilitische Konzept, dass Gott verpflichtet ist, seinen Kreaturen das größtmögliche Wohl zu liefern, ungültig ist.[12]
Nach seiner Konversion verfasste al-Aschʿarī verschiedene Bücher gegen die Muʿtazila. In einem davon, das sich mit den göttlichen Attributen befasste und sein größtes war, widerlegte er ein Buch, dass er selbst früher aus muʿtazilitischer Sicht zu demselben Thema verfasst hatte.[13] In den Quellen finden sich auch viele Geschichten über seine Debatten mit der Muʿtazila.[14] Zu einer unbekannten Zeit zog al-Aschʿarī nach Bagdad, wo er bis zu seinem Lebensende lebte. Nach Al-Chatīb al-Baghdādī besuchte er in Bagdad an den Freitagen den Unterricht des schafiitischen Rechtsgelehrten Abū Ishāq al-Marwazī (gest. 951) in der al-Mansūr-Moschee.[1] Al-Aschʿarī benennt in seinen Schriften mehrfach eine Gruppe von Gelehrten als „unsere Gefährten“ (aṣḥābunā). Damit war wahrscheinlich die Anhängerschaft Ibn Kullābs gemeint,[15] unter der ihn auch Ibn Nadīm in seinem Fihrist aufführt.[9] Spätere Autoren wie Ibn Taimīya waren sich sicher, dass al-Aschʿarī nach seiner Abwendung von der muʿtazilitischen Lehrrichtung „den Weg von Ibn Kullāb beschritten hat“ (salaka ṭarīqat Ibn Kullāb).[16] Ibn al-Dschauzī schreibt, al-Aschʿarī habe nach Formulierung seiner eigenen Lehrposition in ständiger Furcht gelebt, weil diese gegen die sunnitische Position verstieß. Um der Tötung zu entgehen, habe er schließlich in dem Haus von Abū l-Hasan at-Tamīmī Schutz gesucht.[17]
Die Angaben zu al-Aschʿarīs Todesdatum variieren. Während Al-Chatīb al-Baghdādī den Mann aus Basra sagen hörte, dass er erst nach 330 gestorben sei (= nach 941 n. Chr.), erzählt ihm ein Mann namens Abū l-Qāsim ʿAbd al-Wāḥid ibn ʿAlī, dass er zwischen 320 und 330 (= zw. 932 und 941 n. Chr.) in Bagdad gestorben und in Maschraʿat ar-rawāya dem Friedhof einer Moschee in der Nähe eines Bades begraben sei. Ibn Hazm gab dagegen an, dass er 324 (= 935/936 n. Chr.) gestorben sei.[1]
Ibn ʿAsākir führt in seinem Buch Tabyīn kaḏib al-muftarī fī-mā nusiba ilā ʾl-imām Abī ʾl-Ḥasan al-Ašʿarī („Erläuterung der Lügen des Verleumders darüber, was man dem Imam Abū l-Hasan al-Aschʿarī zur Last gelegt hat“) eine Liste von 105 Werken al-Aschʿarīs auf. Die meisten dieser Werke sind verloren.[18] Von diesen haben sich nur die sechs folgenden erhalten:
In seinem Werk Maqālāt al-islāmīyīn referiert al-Aschʿarī ein längeres Glaubensbekenntnis, das er als die Lehre der Ashāb al-hadīth präsentiert. Dieses Glaubensbekenntnis enthält unter anderem die folgenden Punkte:
Al-Aschʿarī erklärt am Ende, dass er sich mit diesem Glaubensbekenntnis identifiziere.[38] Allerdings meinte Michel Allard, dass diese Aussage erst nachträglich zu dem Text hinzugefügt worden sei.[39]
An einer späteren Stelle in diesem Werk bekennt er sich außerdem zur Lehre vom Kasb. Er erklärt dort: „Die Wahrheit ist meiner Meinung nach, dass Aneignung (iktisāb) bedeutet, dass die Dinge durch eine hervorgebrachte Handlungsfähigkeit geschehen, so dass sie eine Aneignung (kasb) für denjenigen sind, durch dessen Handlungsfähigkeit sie geschehen“.[40]
Nach William Montgomery Watt waren die wichtigsten Punkte, in denen al-Aschʿarī von den Lehren der Muʿtazila abwich, die folgenden:
Zu den direkten Schülern al-Aschʿarīs gehörten Abū ʿAbdallah Ibn Mudschāhid al-Basrī, Abū l-Ḥasan al-Bāhilī, Abū Sahl as-Suʿlūkī an-Nīsābūrī, Zāhir ibn Ahmad as-Sarachsī, Bundār ibn al-Husain asch-Schīrāzī as-Sūfī, Abū Zaid al-Marwazī, Abū l-Ḥasan ʿAbd al-ʿAzīz at-Tabarī, Abū l-Hasan ʿAlī at-Tabarī, Abū l-Hasan ar-Rummānī, Abū ʿAbdallāh Hamūya as-Sīrāfī, Abū Nasr al-Kauwāz asch-Schiīrāzī, Abū Dschaʿfar al-Aschʿarī an-Naqqāsch, Abū l-Ḥasan al-Kirmānī und Abū Muhammad al-ʿIrāqī. Einige dieser Personen gaben wiederum die Lehren al-Aschʿarīs an ihre eigenen Schüler weiter, von denen einige zu prominenten Vertretern des aschʿaritischn Denkens wurden. Ibn Mudschāhid zum Beispiel war der Lehrer von al-Bāqillānī, und Abū l-Hasan al-Bāhilī der Lehrer von Ibn Fūrak und Abū Ishāq al-Isfarāyinī.[42]
Später wurde auch die ganze kullābitische Schule, der al-Aschʿarī nur zugehörte, nach ihm umbenannt. Für diesen Prozess gibt es mit dem Geographen Schams ad-Dīn al-Maqdisī auch einen Zeitzeugen. Er notiert in seinem um 985 verfassten Werk Kitāb Aḥsan at-taqāsīm fī maʿrifat al-aqālīm, dass die Aschʿarīya die Kullābīya verdrängt habe.[43]
Al-Chatīb al-Baghdādī lobte al-Aschʿarī dafür, dass er Werke gegen die Häretiker, Muʿtaziliten, Rāfiditen, Dschahmiten, Charidschiten und andere Neuerer abgefasst habe. Der andalusische Gelehrte Abū Bakr as-Sairafī (gest. 1179) wird mit der Aussage zitiert: „Die Muʿtaziliten schritten stolz erhobenen Hauptes, bis Gott al-Aschʿarī hervortreten ließ und er sie in den Fruchtkapseln des Sesam einschloss (d.h. sie unschädlich machte)“ (Kānat al-Muʿtazila qad rafaʿū ruʾūsahum ḥattā aẓhar Allāh al-Ašʿarī fa-ǧaḥarahum fī aqmāʿ as-simsim).[1]
Gelehrte wie al-Baihaqī (gest. 1066), die die besondere Vorzugsstellung al-Aschʿarīs nachzuweisen versuchten, verwiesen auf Hadithe über die Fadā'il der Familie von Abū Mūsā al-Aschʿarī und interpretierten diese als Vorhersagen des zukünftigen Wirkens von Abū l-Hasan al-Aschʿarī durch den Propheten.[44] Andere Gelehrte insinuierten, dass al-Aschʿarī der Mudschaddid am Anfang des dritten Jahrhunderts sei.[45]
Allerdings wurde al-Aschʿarī nicht von allen islamischen Gelehrten positiv gesehen. So verfasste der in Damaskus lebende Hadith-Gelehrte Abū ʿAlī al-Hasan ibn ʿAlī al-Ahwāzī (gest. 1055), der der Sālimīya, also der Schule Sahl at-Tustarīs angehörte, eine Schmähschrift gegen ihn mit dem Titel Maṯālib Ibn Abī Bišr („Die Mängel Ibn Abī Bischrs“).[46] Sie wurde vor allem bei den Hanbaliten gelesen.[47] Und um die Mitte des 11. Jahrhunderts ließ der seldschukische Wesir ʿAmīd al-Mulk al-Kundurī, der selbst ein fanatischer Hanafit war, al-Aschʿarī von allen Kanzeln des Landes verfluchen. Dem widersetzten sich die Anhänger der aschʿariten Theologie und unterzeichneten ein von al-Quschairī aufgesetztes öffentliches Schreiben, in dem sie al-Aschʿarī gegen die Angriffe des Wesirs verteidigten, seine Rechtgläubigkeit bekräftigten und auf seine Leistungen bei der Widerlegung von Muʿtaziliten, Schiiten und anderen „Abweichlern“ hinwiesen.[48] Auch gab es einige Theologen, die al-Aschʿarī die Zugehörigkeit zum Sunnitentum absprachen. Der Maturidit Abū l-Yusr al-Bazdawī (gest. 1099) zum Beispiel beschränkte die Bezeichnung ahl as-sunna wal-ǧamāʿa allein auf die Maturiditen und versuchte zu zeigen, dass es Lehrunterschiede zwischen al-Aschʿarī und der Allgemeinheit der Sunniten (ʿāmmat ahl as-sunna wa-l-ǧamāʿa) gibt.[49]
Eine umfassende Verteidigung al-Aschʿarīs verfasste später der syrische Gelehrte Ibn ʿAsākir (gest. 1176) mit seiner Schrift Tabyīn kaḏib al-muftarī fī-mā nusiba ilā l-imām Abī l-Ḥasan al-Ašʿarī („Darlegung der Lüge des Verleumders bei dem, was dem Imam Abū l-Hasan al-Aschʿarī zugeschrieben wurde.“)[50] Richard J. McCarthy liefert in seiner Studie The Theology of al-Ash'ari eine englische Zusammenfassung dieses Werks.[51] Ibn ʿAsākir berichtet darin auch, dass einige eifernde Hanbaliten darauf erpicht gewesen seien, al-Aschʿarīs Grab zu schädigen, und den Bau über seinem Grab zerstört hätten.[52] Nach Abū l-Fidā' urteilten die meisten Hanbaliten, dass al-Aschʿarī ein Ungläubiger sei, und hielten es für erlaubt, sein Blut und das Blut der Verfechter seiner Lehre zu vergießen.[7]
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