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Weißserbien

vermutetes historisches Siedlungsgebiet Aus Wikipedia, der freien Enzyklopädie

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Weißserbien (serbisch-kyrillisch Бела Србија), auch Boiki (serbisch-kyrillisch Бојка), ist der Name, der für das vermutete Heimatland der Weißen Serben verwendet wird. Die Weißen Serben waren eine Stammesuntergruppe der Wenden und die westlichste Gruppe der frühen Slawen. Sie sind die Vorfahren der modernen Serben und Sorben. Weißserbien wird als Boiki in De Administrando Imperio erwähnt, einem Werk des byzantinischen Kaisers Konstantin Porphyrogennetos (reg. 913–959) aus dem 10. Jahrhundert. Nach De Administrando Imperio lebten die Weißen Serben auf der anderen Seite der Turkia (gemeint ist Ungarn) in dem Gebiet, das sie Boiki (Böhmen) nannten. Das Gebiet daneben war nach gleicher Quelle bekannt als Weißkroatien, wo die Weißen Kroaten ihren Ursprung haben.

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Lokalisierung

Zusammenfassung
Kontext

Quellen

Der byzantinische Kaiser Konstantin Porphyrogennetos berichtet in seinem Werk De Administrando Imperio im 32. Kapitel:

Die Serben stammen von den ungetauften Serben ab, die auch die 'weißen' genannt werden und die jenseits der Turkia an einem von ihnen Boiki genannten Ort wohnen, wo ihnen das Frankenreich benachbart ist, ebenso wie die 'große Chrobatia', die auch die 'ungetaufte' und 'weiße' heißt. Dort leben diese Serben von Anbeginn. Als aber zwei Brüder in der Herrschaft über Serbien ihrem Vater nachfolgten, nahm der eine von ihnen die Hälfte des Volkes und floh zu Herakleios, dem Kaiser der Romäer. […] Nach einiger Zeit entschlossen sich dieselben Serben, in ihr eigenes Land (d. h. ins Land der 'weißen Serben') zurückzukehren und der Kaiser entließ sie. Als sie die Donau überschritten hatten, wurden sie von Reue gepackt und baten den Kaiser Herakleios durch den Strategen, der damals in Belegradon das Kommando innehatte, ihnen ein anderes Land zur Ansiedlung zu überlassen.[1]

Im 33. Kapitel berichtet Konstantin Porphyrogennetos:

Die Familie des Anthypatos und Patrikios Michael, des Sohnes des Busebutzes (Visevic), des Archon der Zachlumoi, kam von den Ungetauften, die am Fluß Bisla (Weichsel) wohnten und Litziki hießen, und siedelte sich an dem Fluß namens Zachluma (Buna) an.[2]

In einem lateinischen Dokument aus dem frühen 10. Jahrhundert wurde vermerkt, dass die „Ungarn aus Serbien nach Pannonien übersiedelten (Ungarorum gens a Servia egressa in Pannoniam)“, was höchstwahrscheinlich dasselbe Weißserbien betrifft.

Wissenschaftlicher Disput

Die Theorien über die Lokalisierung der sogenannten Boiki und Weißen Serben sind umstritten, es wird jedoch allgemein angenommen, dass sie sich in der Region um Böhmen und Sachsen befanden.[3][4][5][6][7]

Zwei der bekanntesten Theorien lokalisierten seit dem 19. Jahrhundert das Land Boiki in Böhmen oder in Ostgalizien in den Karpaten.

Die Ostgalizien-Theorie wurde vor allem von Gelehrten des 19. Jahrhunderts wie Pavel Jozef Šafárik (1795–1865) und Henry Hoyle Howorth (1842–1923)[8] vertreten, welcher die Weißen Serben zu den Polabischen Slawen rechnete.[9]

Anstatt das Land Boiki und Böhmen, die sich wiederum beide vom Ethnonym des keltischen Stammes der Boier ableiten, miteinander in Beziehung zu setzen, bezogen sie das Toponym auf das viel jüngere Ethnonym der subethnischen Gruppe der russinischen Bojken.

Béni Kállay (1839–1903) stellte fest, dass viele Historiker auf der Grundlage des Berichts und des Namens Bojka davon ausgegangen sind, dass das weißserbische Territorium mit dem böhmischen Territorium identisch ist, unterstützte aber auch die These von Šafárik.[10] Andere Wissenschaftler, die eine ähnliche Meinung hatten, waren Vladimir Ćorović (1885–1941)[11] und Ljubivoje Cerović (* 1936)[12].

Die meisten Gelehrten wie Borivoje Drobnjaković (1890–1961)[13], Andreas Stratos (1905–1981), Sima Ćirković (1929–2009)[14] und Relja Novaković (1911–2003) lokalisierten die Weißen Serben jedoch weiter im Westen im Gebiet zwischen Elbe und Saale, etwa zwischen Böhmen und den damaligen Polaben in Ostdeutschland.[15]

Nach Mykhailo Hrushevsky (1898), Gyula Moravcsik (1949) und Jaroslav Rudnyckyj (1962–1972) gibt es im Gegensatz zu den Kroaten keinen Beweis dafür, dass die Serben jemals in Böhmen oder in Ostgalizien gelebt haben, nur dass sie in der Nähe von Böhmen lebten, und die Verbindung zwischen Boiki und Boykos halten sie für überholt und lehnen sie ab.[3][4][16]

Laut dem Archäologen Walentin Wassiljewitsch Sedow (1995) weist das 32. Kapitel von De Administrando Imperio darauf hin, dass sich Weißserbien im Gebiet der Niederlausitz befand, wo die Sorben siedeln, aber das 33. Kapitel über Zachlumia sorgte für Verwirrung, was zu mehreren Hypothesen führte.[17]

Die erste Gruppe von Wissenschaftlern argumentierte, dass sich die Heimat der Weissen Sorben zwischen den Flüssen Elbe und Saale befand, nach der zweiten Gruppe befand sie sich am Oberlauf der Flüsse Weichsel und Oder und nach der dritten zwischen Elbe und Saale und dem Oberlauf der Weichsel.[17]

Sedow kam jedoch zu dem Schluss, dass die archäologischen Daten keine dieser Hypothesen bestätigen, und am plausibelsten die Überlegung von Lubor Niederle ist, dass es keine Beweise dafür gibt, dass Weißserbien jemals existierte, und dass Konstantin VII. höchstwahrscheinlich ein Nordgroßserbien nur als Analogie zu Großkroatien gebildet hat.[17]

Laut Tibor Živković deuten die Struktur und der Inhalt des Unterkapitels über die Familie von Michael von Zahumlje darauf hin, dass die Geschichten höchstwahrscheinlich von Michael selbst erzählt wurden und insbesondere die serbische Herkunft nicht erwähnt wird. Živković hielt es für möglich, dass Michaels herrschende Familie die Erinnerung an ihre Stammesherkunft bewahrte, was ein weiterer Beweis für die nördliche Herkunft sowohl der Serben als auch der Kroaten ist. Es handelte sich dabei um Geschichten, die nicht Teil eines politischen Kontextes waren.[18]

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Galerie

Quellen

  • Klaus Belke, Peter Soustal: Die Byzantiner und ihre Nachbarn. Die De Administrando Imperio genannte Lehrschrift des Kaisers Konstantinos Porphyrogennetos (= Byzantinische Geschichtsschreiber. Bd. 19). Übersetzt, eingeleitet und erklärt. Fassbaender, Wien 1995, ISBN 3-900538-54-9.
  • Constantine Porphyrogenitus: De Administrando Imperio (= Dumbarton Oaks Texts. Bd. 1 = Corpus Fontium Historiae Byzantinae. Bd. 1). Greek text edited by Gy. Moravcsik. English translation by R. J. H. Jenkins. New, revised edition, 2nd imprint. Dumbarton Oaks Center for Byzantine Studies, Washington DC 1985, ISBN 0-88402-021-5.
  • Annales regni Francorum. In: Quellen zur karolingischen Reichsgeschichte. Teil 1. Neu bearbeitet von Reinhold Rau (Ausgewählte Quellen zur deutschen Geschichte des Mittelalters, FSGA, Bd. 5). Darmstadt 1955 (mehrere Nachdrucke), S. 9–155.
  • Annales regni Francorum. In: Friedrich Kurze (Hrsg.): Scriptores rerum Germanicarum in usum scholarum separatim editi 6: Annales regni Francorum inde ab a. 741 usque ad a. 829, qui dicuntur Annales Laurissenses maiores et Einhardi. Hannover 1895 (Monumenta Germaniae Historica, Digitalisat)

Literatur

  • Владимир Ћоровић (Vladimir Ćorović): Историја српског народа (Istorija srpskog naroda), Verlag БИГЗ, Београд (Belgrad) 1989 (Ars Libri, Internet Edition, Belgrad 2001).
  • John Van Antwerp Jr. Fine: The Early Medieval Balkans: A Critical Survey from the Sixth to the Late Twelfth Century. University of Michigan Press, Ann Arbor, Michigan 1983 (englisch, google.com).
    • John Van Antwerp Jr. Fine: The Early Medieval Balkans: A Critical Survey from the Sixth to the Late Twelfth Century. University of Michigan Press, Ann Arbor, Michigan 1991, ISBN 978-0-472-08149-3 (englisch, google.com).
  • Божидар Ферјанчић (Božidar Ferjančić): Константин VII Порфирогенит (Konstantin VII. Porphyrogennetos), In: Византијски извори за историју народа Југославије (Vizantiski izvori za istoriju naroda Jugoslavije = Fontes Byzantini Historiam Populorum Jugoslaviae Spectantes, Tomus II [Band 2], Seorsum Edita, Lib. X), Византолошки институт (Institutum Byzantinum SANU [= Srpska akademija nauka i umetnosti]), Београд (Belgrad) 1959, S. 1–98, hier: S. 5, 47.
  • Антоније Хаџић (Antonije Hadžić) (Hrsg.): Летопис Матице српске (Letopis Matice Srpske [Jahrbuch Matica Srpska]), Bände 141ff, У Српској народној задружној штампарији (An der Serbischen Nationalen Vereinigten Presse), 1885, S. 145.
  • Виктор Новак (Viktor Novak): Историски часопис (Istoriski časopis), Band 20, SANU (= Srpska Akademija Nauka i Umetnosti), Verlag Просвета (Prosweta), Belgrad 1973, S. 7.
  • The South Slav Journal. Band 22–23. Dositey Obradovich Circle, 2001, S. 149 (englisch, google.com).
  • Zbigniew Gołąb: The origins of the Slavs: a linguist's view. Slavica Publishers, Inc., 1992, ISBN 978-0-89357-224-2, S. 397 (englisch, google.com).
  • Sima Ćirković: The Serbs. Blackwell Publishing, Malden 2004, ISBN 978-1-4051-4291-5 (englisch, google.com).
  • Tibor Živković: De conversione Croatorum et Serborum: A Lost Source. The Institute of History, Belgrade 2012 (englisch, academia.edu).
  • Valentin Vasilyevich Sedov: Славяне в раннем Средневековье. Akademska knjiga, Novi Sad 2013, ISBN 978-86-6263-026-1 (russisch, google.com).
  • Relja Novaković: Odakle su Srbi došli na Balkansko poluostrvo. Istorijski institut, 1977.
  • Joachim Herrman (Herausgeber): Die Slawen in Deutschland. Geschichte und Kultur der slawischen Stämme westlich von Oder und Neiße vom 6. bis 12. Jahrhundert. (= Veröffentlichungen des Zentralinstituts für Alte Geschichte und Archäologie der Akademie der Wissenschaften der DDR, Band 14). Akademie-Verlag, Berlin 1985.
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Siehe auch

Anmerkungen

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