Loading AI tools
britischer Dramatiker Aus Wikipedia, der freien Enzyklopädie
Sir Tom Stoppard OM, CBE (geboren als Tomáš Straussler; * 3. Juli 1937 in Zlín, Tschechoslowakei) ist ein britischer Dramatiker, der bekannt ist für Stücke wie The Real Thing und Rosencrantz and Guildenstern Are Dead sowie für das Drehbuch zu dem Film Shakespeare in Love. Er gilt als einer der herausragenden Autoren des britischen Nachkriegsdramas, das er durch seine sowohl bühnenwirksam wie auch intellektuell anregende Mischung aus Wortwitz, Situationskomik und philosophischen Reflexionen maßgeblich mit beeinflusst hat. Seine Werke gehören zu den meistgespielten und ebenfalls in akademischen Kreisen am intensivsten diskutierten Stücken des zeitgenössischen britischen Dramas. Der Stellenwert Stoppards als Autor und Dramatiker wurde 1997 auch durch seine Erhebung in den Adelsstand gewürdigt.[1]
Tom Stoppard wurde am 3. Juli 1937 als Tomáš Straussler in Zlín in der Tschechoslowakei geboren. Beide Eltern waren Juden, sein Vater war Werkarzt bei der Bata-Schuhfabrik. Die Eltern flohen 1939 mit den zwei Söhnen nach der deutschen Invasion aus der Tschechoslowakei und gelangten nach Singapur. Strausslers Großeltern und andere Verwandte wurden Opfer des Holocaust. Straussler besuchte eine englische Schule in Indien, wohin seine Familie weiter floh, als die Japaner im Frühjahr 1942 in Singapur einmarschierten. Sein Vater starb während dieser Flucht, seine Mutter heiratete 1946 einen britischen Major namens Stoppard. Die neue Familie siedelte im gleichen Jahr nach England über.
Stoppard verließ die Schule mit 17 und begann, als Journalist zu arbeiten. Sein erstes Stück, A Walk on the Water (späterer Titel: Enter a Free Man) wurde 1960 fertiggestellt, 1963 im Fernsehen gezeigt und 1964 auf der Bühne in Hamburg uraufgeführt. 1963 war Stoppard als Theaterkritiker für die Zeitschrift Scene tätig. Ein Jahr später nahm er am Literarischen Kolloquium in Berlin teil, was ihm die Arbeit an einem seiner berühmtesten Stücke, Rosencrantz and Guildenstern Are Dead ermöglichte, einer Komödie mit zwei Nebenfiguren aus Hamlet. Es ähnelt Samuel Becketts absurdem Stück Warten auf Godot. Stoppards eigene Verfilmung des Werkes wurde 1990 bei den internationalen Filmfestspielen von Venedig ausgezeichnet.
Die Verbindung von Becketts Warten auf Godot mit Shakespeares Hamlet, deren Nebenfiguren bei ihm zu den Protagonisten seines Stückes werden, lassen bereits die für viele seiner Werke typische Verknüpfung von Intertextualität und Metadrama erkennen. Mit der sich hier schon abzeichnenden Verstrickung seiner Figuren in eine Vielzahl von Sinnsystemen und kulturellen Konstrukten, die für zahlreiche seiner weiteren Stücke charakteristisch ist, stellt Stoppard zugleich die Möglichkeit einer Überschreitung des im weitesten Sinne Textuellen im Hinblick auf die Erkenntnis einer letztgültigen Realität oder Wahrheit radikal in Frage.[2]
Im Jahr 1968 wurde The Real Inspector Hound uraufgeführt, das eine ähnliche Verschränkung von Alltags- und Bühnenwirklichkeit aufweist wie Rosencrantz and Guildenstern Are Dead. Als zwei Theaterkritiker, die zunächst Zuschauer eines Kriminalstücks sind, sich in das Bühnengeschehen einbeziehen lassen, werden sie erschossen. Das Stück zielt in seiner raffinierten satirischen Gestaltung auf die Konkurrenz unter Journalisten.
Auch die Dramen Jumpers (1972) und Travesties (1974) zeigen Stoppards sprachliche und dramatische Gestaltungsfähigkeiten. Beide Stücke wurden von den Kritikern wohlwollend aufgenommen und hatten auch beim Publikum schnell Erfolg. Jumpers verbindet Elemente einer Liebeskomödie, eines Kriminalstückes und einer Farce mit philosophischen Reflexionen. Die Zuschauer werden zu Fragen und Spekulationen angeregt, auf die es jedoch keine Antwort gibt. Die äußere Bewegungen der Figuren und ihre inneren gedanklichen Regungen sind Ausdruck ihrer gleichsam akrobatischen Existenz. Dieser akrobatische Tanz wirkt jedoch absurd, da er keinen Sinn ergibt; illustriert wird lediglich die Leere und der trügerische Schein des Lebens in der Moderne.
Das Drama Travesties beruht auf der historischen Tatsache, dass sich während des Ersten Weltkrieges James Joyce, Tristan Tzara und Lenin in Zürich aufhielten, wo Joyce in dieser Zeit eine Aufführung von Oscar Wildes Komödie The Importance of Being Earnest zustande brachte. Die Szenen, die Joyce und Tsara in den Mittelpunkt rücken, glänzen mit ihren parodistischen Effekten, wohingegen die Passagen, die die politischen Ideen Lenins thematisieren, nicht mit gleicher theatralischer Eleganz in den Verlauf der komödiantischen Handlung einbezogen werden. Vor dem Hintergrund der politisch-historisch sehr ernsten Lage versagen hier die farcenhaften Gags.[3]
1978 schrieb Stoppard nach einer Novelle von Vladimir Nabokov das Drehbuch zu Despair – Eine Reise ins Licht, einem wenig bekannten Film von Rainer Werner Fassbinder. Mit dem Drama Night and Day im gleichen Jahr kehrte er zu einem Thema zurück, das ihn bereits in seinen ersten Werken beschäftigt hatte: die Rolle und Verantwortung des Journalisten in der modernen Gesellschaft. Das Stück spielt in einem imaginären afrikanischen Staat; die Situation der dort arbeitenden Journalisten zeigt jedoch modellhaft die wesentliche Problematik ihres Berufes auf: Schreibt der Journalist einzig als Broterwerb um des Geldes willen oder will er vor allem der Wahrheit zum Durchbruch verhelfen? Dieses Drama belegt, dass Stoppards Interesse bei allem Talent für komödiantisches Spiel und allem Spaß an Parodien ebenso auf die Grundfragen des gegenwärtigen Zeitalters gerichtet ist.[4]
Zahlreiche Kurzdramen wie After Magritte (1970), Dirty Linen and New-Found Land (1976) oder Dogg’s Hamlet und Cahoot’s Macbeth (1979) bieten Variationen der abendfüllenden Stücke Stoppards; in Dirty Linen and New-Found Land thematisiert er wiederum im Stil einer Farce Probleme der Sexualmoral im Bereich der Politik und der Presse. Fernsehspiele wie Professional Foul (1977), das Hörspiel Artist Descending a Staircase (1972) oder die Drehbücher für zahlreiche Filme sowie die Bearbeitungen der Werke anderer Autoren wie beispielsweise Lorcas The House of Bernarda Alba (1973) oder Arthur Schnitzlers Das weite Land (englisch als Undiscovered Country, 1979) und Nestroys Einen Jux will er sich machen (englisch: On the Razzle, 1981) dokumentieren Stoppards breitgefächerte Interessen sowie seine Fähigkeit, sich als Dramatiker auf die unterschiedlichen Anforderungen verschiedener Medien einzustellen. Mit der Ehetragödie The Real Thing (1982) präsentiert Stoppard im Stil seiner früheren Stücke erneut das Spiel mit den verschiedenen Realitätsebenen.[5]
Seine Stücke spielen mit philosophischen Ideen, die mit viel Witz und Humor vorgetragen werden. Stoppard zeigt sich dabei als ein Meister des Wortspiels und verwendet oft multiple Zeitleisten in seinen Werken, die gleichermaßen mit ihrer Selbstthematisierung des Theaters die Frage nach dem Verhältnis von Kunst und Leben oder Fiktion und Wirklichkeit stellen. Gleichermaßen zeigt sich in Stoppards Stücken seine Vorliebe für Verknüpfung von weit Auseinanderliegendem und scheinbar Inkompatiblem, sodass überraschende Analogien zu Tage treten, wie beispielsweise zwischen Philosophie und Akrobatik (in Jumpers) oder Spionage und Quantenphysik (in Hapgood, 1988). Seine Werke sind zudem von der Vorstellung geprägt, dass der Akt der Beobachtung (the act of observing) und die standortgebundene Perspektivität einer jeglichen Realitätssicht die Wirklichkeit determinieren. Dies zeigt sich nicht nur in der Einarbeitung wissenschaftlicher Theorien oder philosophischer Konzeptionen in seine Werke, sondern ebenso in den vielfältigen Verfremdungen des klassischen Kriminalgenres, das von dem Konzept einer rational ergründbaren Wirklichkeit getragen wird, so etwa in The Real Inspector Hound (1968) oder After Magritte.
Ob es nun um die persönliche Befangenheit der Theaterkritiker in Hound, die Hypothesen von Polizei und Zeugen in After Magritte oder die durch literarische Muster gefilterte Konstruktion der eigenen Biografie oder Identität in Travesties geht, Stoppard liefert immer wieder in seinen Stücken die hermeneutische Einsicht in die konstitutive Funktion des jeweiligen Vorverständnisses. Die Relativität der Standpunkte bestimmt dabei zugleich den dramatischen Handlungsverlauf und den Wechsel der Repliken.[2]
Wenngleich Stoppards Stücke allesamt keine klar fassbare Gesamtaussage haben, so bedeutet dies indes keinen bloß beliebigen Relativismus. Einerseits nähert sich Stoppard in Travesties zwar Derridas Einsicht in die Unmöglichkeit der Festschreibung einer Bedeutung, wie sie in dessen différance-Begriff kulminiert, andererseits verweist er mit der um moralisch-politische Fragestellungen kreisenden Konfrontation von Ästhetizismus und Totalitarismus, etwa in Dirty Linen oder Every Good Boy Deserves Favour (1978), jedoch auf einen Bereich absoluter Werte, der jenseits des intellektuellen Spiels liegt.[2]
In seinen später entstandenen Stücken setzte Stoppard vor allem mit Arcadia (Arkadien) 1993 einen weiteren Höhepunkt in seinem literarischen Schaffen. Es geht erneut um die Problematik einer Konstruktion von Wirklichkeit mit jeweils unterschiedlichen Prämissen, hier im Spannungsfeld von erkennbarer Ordnung zum einen und Chaos zu anderen. Wiederum werden gänzlich unterschiedliche Bereiche des menschlichen Handelns miteinander in Beziehung gebracht wie Gartenbau und Literatur (d. h. klassische Formstrenge und romantische Wildheit), Physik und Mathematik (d. h. Newtons Weltbild und Chaos bzw. Thermodynamik) und schließlich Sexualität (d. h. eheliche Liebe im Gegensatz zu illegitimen Beziehungen) als jene Anziehung, die Newton ausließ („attraction that Newton left out“). Durch das Alternieren zwischen zwei Zeitebenen (1809 und Gegenwart) macht Stoppard auf die vorurteils- und interessegeleiteten Strategien bei der Rekonstruktion oder auch Konstruktion des Vergangenen aufmerksam, insbesondere im Hinblick auf die Ereignisse um Lord Byron, der am Rande der Vergangenheitshandlung agiert, ohne allerdings selbst aufzutreten. Gleichermaßen versucht Stoppard zu zeigen, wie irrig die Annahme einer Linearität der Zeit und der fortschreitenden Verbesserung der menschlichen Erkenntnisfähigkeiten ist. Alle Versuche, eine „Realität an sich“ zu ergründen, haben auch in diesem Stück immer nur eine bedingte Gültigkeit; die Wirklichkeit in ihrem tatsächlichen So-Sein bleibt aus Stoppards Sicht letztlich unbestimmbar.[6]
Tom Stoppard war zweimal verheiratet: In seiner ersten Ehe mit der Krankenschwester Jose Ingle (1965–1972) und dann mit Miriam Moore-Robinson (1972–1992). Seine zweite Ehefrau verließ er, um eine Beziehung mit der Schauspielerin Felicity Kendal einzugehen. Er hat je zwei Söhne aus den beiden Ehen, darunter Schauspieler Ed Stoppard.
Im Jahr 1978 wurde Stoppard zum Commander des Order of the British Empire (CBE) ernannt; 1997 wurde er zum Ritter geschlagen. 1986 wurde er in die American Academy of Arts and Sciences gewählt. 2000 wurde er von Königin Elisabeth II. in den Order of Merit aufgenommen. Im selben Jahr wurde er als Ehrenmitglied in die American Academy of Arts and Letters aufgenommen.[7] 2009 wurde er mit dem Praemium Imperiale ausgezeichnet. 2017 wurde er zum Ehrenmitglied der British Academy ernannt[8] und erhielt den David Cohen Prize für sein Lebenswerk.
Von 1984 bis 2016 vergab die Stiftung der Charta 77 den Tom-Stoppard-Preis für essayistische tschechische Literatur.[9]
Quellen: ARD-Hörspieldatenbank und Ö1-Hörspieldatenbank
Seamless Wikipedia browsing. On steroids.
Every time you click a link to Wikipedia, Wiktionary or Wikiquote in your browser's search results, it will show the modern Wikiwand interface.
Wikiwand extension is a five stars, simple, with minimum permission required to keep your browsing private, safe and transparent.