Schismogenese
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Schismogenese (wörtlich: „Entstehung von Spaltung“) ist ein Konzept, um die Entstehung konfliktbehafteter oder gegensätzlicher sozialer Verhaltensmuster oder kultureller Normen zwischen Gruppen zu erklären. Es wurde in den 1930er-Jahren vom Anthropologen und Psychologen Gregory Bateson entwickelt und in Deutschland von W. E. Mühlmann aufgenommen. Zentral ist ein sich gegenseitig zunehmend aufschaukelnder Prozess[1] in zwei verschiedenen Ausprägungen (Symmetrische und Komplementäre S.), der ursprünglich auf Kleingruppen oder Teile der Gesellschaft bezogen wurde[2] und eine Rolle beim kulturellen Wandel spielt.
Mühlmanns Konzept kann auch als Ergänzung oder Entgegensetzung zu den Postulaten des soziologischen Funktionalismus verstanden werden, der in Gesellschaften Erzeugungsprozesse organischer oder mechanischer Solidarität ausmachte. Batesons Konzept der Schismogenese betont dagegen Prozesse der Auseinanderentwicklung (s. Schisma), der Konfrontation, des Konflikts.
Paul Watzlawick und die psychologisch-sozialwissenschaftliche Palo-Alto-Forschungsgruppe aus Kalifornien verwendeten den Begriff 1967 in der Kommunikationstheorie im so genannten Metakommunikativem Axiom.[3] Darauf aufbauend nahm die Soziolinguistin Deborah Tannen das Konzept der Schismogenese 1990 für Konversations- oder Gesprächsanalysen auf.[4]
Hein Retter hielt 1999 fest, dass sich der Ausdruck nicht als soziologischer Fachbegriff etabliert habe.[5]
Die Bestseller-Autoren David Graeber (Kulturanthropologe) und David Wengrow (Archäologe) nahmen den Begriff 2021 für ihr Buch Anfänge – Eine neue Geschichte der Menschheit auf. Im Gegensatz zu Bateson und seinen Nachfolgern weiteten sie das Konzept auf (historische) Prozesse zwischen verschiedenen Kulturen aus und definierten es abweichend als Tendenz menschlicher Gruppen, sich voneinander durch bewusst gewählte, gegensätzliche Verhaltensweisen abzugrenzen[6] (entspricht soziologisch einer gegenseitigen Distinktion).