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deutscher Politikwissenschaftler Aus Wikipedia, der freien Enzyklopädie
Michael Heinrich (* 1957 in Heidelberg) ist ein deutscher Politikwissenschaftler.
Heinrich war von 1987 bis 1993 wissenschaftlicher Mitarbeiter am Fachbereich Politische Wissenschaft der Freien Universität Berlin, wo er zum Dr. rer. pol. promoviert wurde. 1998 war er Gastprofessor an der Universität Wien sowie 2003 Vertretungsprofessor an der Fachhochschule für Technik und Wirtschaft Berlin (FHTW). Anschließend war Heinrich Lehrbeauftragter an der Freien Universität Berlin. Seit dem Wintersemester 2005/2006 war er bis 2016 wieder an der FHTW tätig, die 2009 in Hochschule für Technik und Wirtschaft Berlin umbenannt wurde. Heinrich hatte in der Frühphase der Edition Marx'scher Exzerpte zur Krise von 1857/58 der Marx-Engels-Gesamtausgabe Abteilung 4, Band 14, mitgearbeitet.
Heinrich war bis Oktober 2014 geschäftsführendes und presserechtlich verantwortliches Mitglied der Redaktion von PROKLA – Zeitschrift für kritische Sozialwissenschaft. Er wurde von Ingo Stützle in dieser Funktion abgelöst.
Seine Arbeitsschwerpunkte sind die Marx’sche Theorie und die Geschichte der ökonomischen Theoriebildung. Heinrich gehört zum Kreis linker Wirtschaftswissenschaftler um den emeritierten Professor Elmar Altvater.
Im April 2018 erschien Heinrichs erster Band einer zuerst drei-, jetzt vierteiligen Marx-Biographie, die das Leben von Marx im Zusammenhang mit dessen Werksentwicklung darstellt.[1] Der erste Band umfasst die Jahre 1818 bis 1841, der zweite die Zeit bis 1845.[2] Im Oktober 2018 wurde das Buch in Brasilien veröffentlicht, im Juni 2019 erschien die englischsprachige Übersetzung, gefolgt von der französischen Ausgabe im September 2019. Im Mai 2021 wurde das Buch in spanischer Übersetzung veröffentlicht. Die weiteren Bände waren ursprünglich für 2020 und 2022 angekündigt.[3]
Zur Europawahl 2024 ist Heinrich Erstunterzeichnender der Kampagne Wir wählen links.[4]
Heinrich ist ausgesprochener Gegner eines von ihm so bezeichneten „Weltanschauungsmarxismus“, als dessen Protagonist ihm Karl Kautsky gilt. Diese Art von Marxismus sei geprägt durch „einen äußerst simpel gestrickten Materialismus“, „bürgerliches Fortschrittsdenken, ein paar stark vereinfachte Elemente der Hegelschen Philosophie und Versatzstücke Marxscher Begrifflichkeiten“, die „zu einfachen Formeln und Welterklärungen kombiniert“ würden. Weitere besonders hervorstechende Merkmale seien „ein oft kruder Ökonomismus“ sowie „ein ausgeprägter historischer Determinismus, der das Ende des Kapitalismus und die proletarische Revolution als naturnotwendig eintretende Ereignisse betrachtet“.[5]
Dagegen sieht Heinrich in erster Linie Marx als den „Kritiker der über den Wert vermittelten und damit ‚fetischisierten‘ Vergesellschaftung“[6] der das menschliche Dasein begründenden Arbeit. Anknüpfend an den Strukturalismus Althussers und die Kritische Theorie spricht er von einem Verblendungszusammenhang, dem Kapitalisten und Arbeiterklasse gleichermaßen unterliegen. Der Fetischismus ist als Verblendungszusammenhang für Heinrich nicht undurchdringlich, es könne zudem „von einer privilegierten Erkenntnisposition der Arbeiterklasse“[7] ebenso wenig die Rede sein wie von einer bewussten Instrumentalisierung durch das Kapital, weshalb eine moralische Kritik am Verhalten Einzelner nicht zielführend sei.
Heinrich verwirft die vorherrschende „substanzialistische“ Interpretation der Marxschen Arbeitswerttheorie, die Wertgröße unmittelbar „als Eigenschaft einer einzelnen Ware“,[8] nämlich der von Marx definierten „abstrakten Arbeit“ aufzufassen. Heinrich versteht diese vielmehr als monetäre Werttheorie, genau darin liege auch der Marxsche Paradigmenwechsel gegenüber prämonetären Arbeitswerttheorien wie der Klassischen politischen Ökonomie, aber auch der Nutzentheorie des Werts der Neoklassik.[9]
Auch wenn die Wertgröße einer Ware als dingliche Eigenschaft erscheine, sei sie nämlich ein gesellschaftliches Verhältnis, nämlich das Verhältnis „zwischen der individuellen Arbeit des Produzenten und der gesellschaftlichen Gesamtarbeit.“ Das heißt nicht, dass der Tausch den Wert produziere, nur er vermittle aber dieses Verhältnis, nur in ihm „erhalte der Wert eine gegenständliche Wertform“.[10] Heinrich zufolge mussten die Warenbesitzer als Resultat des Tausches Geld hervorbringen, Geld ist also „keineswegs auf praktischer Ebene nur ein Hilfsmittel des Tausches und auf theoretischer nur ein Anhängsel der Werttheorie. Ohne Wertform können sich die Waren nicht als Werte aufeinander beziehen und erst die Geldform ist die dem Wert angemessene Wertform“.[9]
Heinrich verwirft ausdrücklich das Marxsche Gesetz des tendenziellen Falls der Profitrate. Die Profitrate könne sehr wohl fallen, aber auch steigen – eine dauerhafte Tendenz zum Profitratenfall lasse sich auf der allgemeinen Ebene nicht begründen.[11] Auch lasse sich aus der Krisenhaftigkeit des Kapitalismus keine langfristige Tendenz zur Zuspitzung der gegenläufigen Momente ableiten: „Krisen sind (…) nicht nur zerstörerisch, vielmehr wird in Krisen die Einheit von Momenten, die (wie Produktion und Konsum) zwar zusammengehören, aber gegeneinander verselbständigt sind (Produktion und Konsum gehorchen unterschiedlichen Bestimmungen) gewaltsam wieder hergestellt.“.[12]
Entschieden weist er daher die von Wertkritikern wie Robert Kurz vertretene These zurück, die Widersprüchlichkeit von Produktions- und Konsumlogik stelle einen „eskalierenden logischen Selbstwiderspruch des Kapitals“ dar,[13] an dem der Kapitalismus zwangsläufig zerbrechen müsse. Die bereits in der Geschichte der Arbeiterbewegung verbreitete Zusammenbruchstheorie des Kapitals habe „historisch immer eine Entlastungsfunktion: Egal wie schlimm die aktuellen Niederlagen auch waren, das Ende des Gegners war letztlich doch gewiss.“ Eine solche finde sich, trotz der Andeutungen in seinem Frühwerk „Grundrisse“, auch nicht bei Marx. Jedoch mache „das Fehlen dieser prophetischen Gewissheiten (…) den Kapitalismus um keinen Deut besser.“[14]
Trotz der breiten Rezeption seiner Herangehensweise stößt Michael Heinrichs Marx-Lesart auf ein zwiegespaltenes Echo. Eine mehrteilige Auseinandersetzung gab es zwischen Wolfgang Fritz Haug und Heinrich.[15] Haug spitzt seine Kritik wie folgt zu: „Da Heinrich die rettende Kritik der marxistischen Überlieferung meidet und sich außerhalb der Geschichte der Klassenkämpfe stellt und die Dialektik der Logik opfert, gerät seine Einführung zur Entführung aus dem Marxismus.“[16]
Hans-Georg Backhaus und Helmut Reichelt, Vertreter der Neuen Marx-Lektüre, stellen bei Heinrich „eine absolute Zweiteilung der Ökonomie in naturale Realsphäre, in der keine Waren, sondern Produkte hergestellt werden, und der Sphäre des Austausches“ fest.[17] Heinrich begegnete dieser Kritik in der zweiten Auflage seines Buches zum Wissenschaft vom Wert.
Norbert Trenkle, Vertreter der wertkritischen Gruppe Krisis, schließt sich dieser Kritik an: „diese gesellschaftliche Beziehung wird keinesfalls erst im Tausch hergestellt. Indem Heinrich dies postuliert, geht er nicht über Marx hinaus, sondern fällt im Gegenteil hinter ihn zurück und landet selbst auf dem Boden der bürgerlichen Volkswirtschaftlehre.“[18]
Norbert Trenkle wirft Heinrich darüber hinaus vor, „die Kritik der politischen Ökonomie zu positivieren und unschädlich zu machen.“ Heinrichs zentrales Anliegen sei es, jede zusammenbruchstheoretische Implikation aus der Marxschen Theorie herauszusäubern. Dabei verfahre er „geradezu gewaltsam mit den Marxschen Schriften“ und blende „systematisch alle Aussagen aus, die nicht in sein Bild passen“.[19] Eine Replik Heinrichs erschien im folgenden Heft.[20]
Vertreter einer eher klassischen Lesart von Marx kritisieren zudem vielfach, dass der Mensch als Akteur in Heinrichs Konzeptualisierung kaum noch stattfinde, sich die Konflikthaftigkeit im Abstrakten erschöpfe und konkrete Auseinandersetzungen in Form des Klassenkampfes keinen Platz mehr hätten, weil eben alle gleichermaßen der Verblendung durch den Warenfetisch unterlägen. Karl Reitter zufolge überinterpretiere Heinrich damit die Marxsche Formel vom Kapital als automatisches Subjekt. Indirekt leiste Heinrich „dem Gerede vom Verblendungszusammenhang, hinter dessen düsterem Vorhang alle Klassengegensätze irrelevant werden, leider einen gewissen Vorschub.“[21] Heinrich reagiert hierauf mit einer Antwort.[22]
Die Redaktion GegenStandpunkt kritisiert, dass Heinrichs Opposition gegen jede moralische Kritik kapitalistischen Handelns sich in eine Entschuldigung der Kapitalisten für ihr Handeln verwandle, also selbst moralisch werde. Diese lande dabei, „dass an den Agenten des Kapitals und ihrem Ausbeutungsgeschäft unter den gegebenen Eigentums- und Tauschverhältnissen eigentlich nichts zu kritisieren ist: Was sie treiben, ist nach den Regeln des Warentauschs absolut korrekt.“ Ihm sei „offenbar nichts wichtiger […] als die ökonomisch Mächtigen aus der Schusslinie zu nehmen“.[23]
Heinrich ist der Auffassung, das Gesetz des tendenziellen Falls der Profitrate widerlegen zu können, indem er zeigt, dass durch die Nutzung besserer Technik der Kostpreis sinkt und sich in Höhe dieser Verringerung der Mehrwert erhöht. Klaus Müller hält dagegen, dass man zwar das Verhältnis des Mehrwertes zum Kostpreis der Waren (zum verbrauchten Kapital) als Profitrate bezeichnen könne. Nur sei das nicht die Profitrate, deren tendenziellen Fall Marx begründete. Marx bezog den Mehrwert bzw. die Profitmasse auf das vorgeschossene Gesamtkapital. Müller zeigt, dass die auf den Kostpreis bezogene Profitrate steigen kann, während gleichzeitig die „Marxsche“, d. h. die auf den Kapitalvorschuss bezogene, Profitrate sinkt.[24][25] Laut Müller wäre Heinrich damit am Versuch gescheitert, den tendenziellen Fall der (Kapitalvorschuss-)Profitrate formallogisch zu widerlegen.
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