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Überblick über das Islamische Bankwesen Aus Wikipedia, der freien Enzyklopädie
Das Islamische Bankwesen (englisch Islamic banking; arabisch مصرفية إسلامية, DMG maṣrifīya islāmīya) ist ein Teilbereich des islamischen Finanzwesens und betreibt islamkonforme Bankgeschäfte.
Das internationale Bankwesen besteht aus Kreditinstituten, Wertpapierdienstleistungsunternehmen, Investmentbanken, Finanzdienstleistungsinstituten und allen übrigen privatrechtlich organisierten banknahen Unternehmensarten, für die der Betriebszweck ganz oder überwiegend Finanzdienstleistungen beinhaltet. Das Attribut „islamisch“ weist auf die religionsbedingten Besonderheiten dieses Dienstleistungssektors hin. Bankgeschäfte müssen demnach im Einklang mit den religiösen Regeln des Islam, den Rechtsquellen der Fiqh und der Sunna sowie der Schari'a stehen. Die klassischen westlichen Bankgeschäfte wie insbesondere Kreditgeschäft, Passivgeschäft, Investmentgeschäft oder sonstige zinstragende Geschäfte können im islamischen Bankwesen nicht in ihrer üblichen Form genutzt werden.
Der internationale Kreditverkehr, internationale Zahlungsverkehr und der Interbankenhandel sind von Kapitalverkehrsfreiheit, Dienstleistungsfreiheit und Vertragsfreiheit geprägt. Diesen Prinzipien widersprechen alle Finanzkontrakte, die den islamischen Regeln des allgemeinen Zinsverbots (arabisch Ribā), des Verbots der Spekulation (Gharar) und des Verbots des Glücksspiels (maysir, qimār) unterliegen. Die Vertragsfreiheit ermöglicht jedoch westlichen Banken die Aufnahme einer Geschäftsbeziehung auch zu islamisch handelnden Geschäftspartnern. Das allgemeine Zinsverbot verbietet es islamischen Kreditinstituten, zinstragende Bankgeschäfte zu betreiben, die jedoch die Grundlage für das marktübliche Kredit- oder Einlagengeschäft von nicht-islamischen Banken bilden. Um dennoch derartige zinstragende Geschäfte mit islamischen Geschäftspartnern durchführen zu können, wurden von den Marktteilnehmern neue Finanzkontrakte auf Grundlage von Sachdarlehensverträgen entwickelt, die aufgrund von Rechtsgutachten (fatwa) Schari'a-konform sind. Shari’a-konformes Handeln bedeutet, Finanzierungen, Versicherungen, Konsum und Investitionen strikt nach den islamischen Glaubensregeln zu gestalten.[1] Für die islamischen Finanzinstitute legen der Koran und die Sunna die religiösen und rechtlichen Rahmenbedingungen fest und bilden auch das soziale und ethische Fundament für das gesamte islamische Finanzwesen.[2]
Das Hawala-Zahlungssystem gehört nicht zum islamischen Bankwesen, sondern zum islamischen Finanzwesen. Das liegt daran, dass einerseits keine Kreditinstitute involviert sind und andererseits keine bankmäßigen Zahlungsverfahren genutzt werden.[3]
Im islamischen Kulturkreis entwickelte sich ab dem 6. Jahrhundert – also noch in vorislamischer Zeit – die Mudaraba, die bis heute eine wichtige Art des islamischen Bankwesens repräsentiert. Sie entstand als stille Gesellschaft, bei der ein Kapitalgeber das Kapital bereitstellt und der Unternehmer die Arbeitsleistung erbringt. Sie gilt als Rechtsvorgängerin der italienischen Kommenda (italienisch commendare, „anvertrauen“), die erstmals im Mai 1072 in Venedig auftauchte.[4] Im 11. Jahrhundert scheint auch in Ägypten bereits die Musharaka vorgekommen zu sein.[5] Im 1299 beginnenden Osmanischen Reich gab es trotz islamischen Zinsverbots ein zinsorientiertes Bankensystem, um die hohen Staatsausgaben finanzieren zu können.[6] Sein Bankwesen beherrschten Griechen, Juden und Armenier.[7] Der jüdische Bankier Joseph Nasi zog 1554 nach Konstantinopel, wo er für den osmanischen Hof arbeitete.
Während des Mittelalters herrschte zeitgleich im Christentum weitgehend das Zinsverbot (nur nicht für Juden), Juden unter sich mussten das Zinsverbot (hebräisch neshek, „Abbiss“) jedoch beachten. Während sich das christliche Zinsverbot allmählich lockerte und innerhalb der katholischen Kirche von Papst Pius VIII. In einem Schreiben vom 18. August 1830 an den Bischof von Rennes formal aufgehoben wurde, trat im Islam eine Gegenbewegung ein.
Als erste islamische Bank gilt die 1963 in Ägypten gegründete Mit Ghamr Local Savings Bank. Ihre Gründung ist auf den Ägypter Ahmad an-Naddschār (1932–1996) zurückzuführen, der 1959 bei Heinrich Rittershausen an der Universität Köln mit einer Arbeit über „Hindernisse direkter Auslandsinvestitionen in Ägypten“ promovierte. Er studierte während seines Deutschlandaufenthaltes das deutsche Sparkassenwesen und begann 1963 mit Unterstützung von Rittershausen und Günter Schmölders in dem ägyptischen Ort Mit Ghamr mit dem Aufbau einer zinslosen Sparkasse, die innerhalb von kurzer Zeit 200.000 Sparer überwiegend aus dem ländlichen Raum gewann. Den Sparern wurden für ihre Einlagen anstelle von Zinsen der Anspruch auf zinslose Kredite und im Notfall die Unterstützung aus einem religiösen Spendenfonds geboten. Größere Sparer wurden außerdem an einem Investitionsfonds beteiligt, der ihnen anteilige Gewinne garantierte.[8] Im Jahre 1967 wurde das Projekt allerdings durch Gamal Abdel Nasser beendet. Es folgte als Finanzinstitution die 1969 in Malaysia entstandene Tabung Haji.
Ahmad an-Naddschār kehrte nach Zwischenaufenthalten in Sudan und Deutschland 1971 nach Ägypten zurück und wurde Mitglied einer Kommission von Experten aus islamischen Ländern zur Errichtung eines islamischen Bankensystems. 1972 veröffentlichte er sein Buch „Zinslose Banken als Strategie zur wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Entwicklung in den islamischen Ländern“. Im Jahr 1972 wurde er Mitglied des Vorbereitungskomitees der Organisation der Islamischen Konferenz (OIC) in Dschidda für die Errichtung der Islamischen Entwicklungsbank. Eine Konferenz der islamischen Außenminister im Februar 1972 in Kairo bereitete alternative Vorschläge zur Behandlung von Finanzangelegenheiten vor.[9] Ahmad an-Naggār fasste 1977 in seinem Buch „Der Weg des islamischen Erwachens. Banken ohne Zinsen“ (Manhaǧ aṣ-ṣahwa al-Islāmīya. Bunūk bilā fawāʾid) den Unterschied zwischen islamischen und gewöhnlichen Banken in drei Punkten zusammen:
Dabei übersah er, dass beispielsweise Sparkassen auch kleinste Spareinlagen annehmen und Kreditinstitute allgemein im Rahmen der Beratungshaftung auch für die Wahrung des Kundennutzens einzustehen haben.
Pakistan begann noch 1977 mit ersten Vorstößen zur Islamisierung seiner Bankenwelt. Im Jahre 1979 verankerte der Iran während der Islamischen Revolution das Zinsverbot in seiner Verfassung, deren gesetzliche Umsetzung bis März 1984 dauerte. Er verstaatlichte im Juni 1979 sein Banksystem, seit März 1985 beruhen hier alle Bankgeschäfte auf islamischem Recht. Im September 1983 setzte der Sudan die Shari’a-Gesetze in Kraft, so dass alle Banken vom Zinsverbot erfasst wurden.
Als erste Bank, die das islamische Zinsverbot bei allen Bankgeschäften berücksichtigte, gilt die 1971 gegründete und im Staatsvermögen befindliche Nasser Social Bank in Kairo, es folgten unter anderem die Islamische Entwicklungsbank (Islamic Development Bank; Oktober 1975), die Dubai Islamic Bank (1975), die Faisal Islamic Bank of Egypt (1977), das Kuwait Finance House (1977), die Jordan Islamic Bank (1978), die Faisal Islamic Bank of the Sudan (1979) oder die Bahrain Islamic Bank (1979).[11] Mit dem Islamic Banking System International Holdings entstand 1978 in Luxemburg die erste europäische islamische Bank. Inzwischen etablierten sich 1976 die islamischen Finanzkontrakte Murabaha und 1979 die Takaful als Lebensversicherung. In der Schweiz öffnete die Dar al-Mal al-Islami 1981 ihre Pforten.[12] Im Juli 1983 eröffnete die erste malaysische Shari’a-konforme Bank Islam Malaysia. Der Zusatz „Islamic Bank“ weist seitdem darauf hin, dass eine Bank Schari'a-konforme Bankgeschäfte betreibt und von einem Schari'a-Board überwacht wird. Seit 1985 boten auch 50 konventionelle Banken islamische Finanzprodukte an. Im Februar 1990 entstand in Bahrein die Accounting and Auditing Organisation for Islamic Institutions (AAOIFI), zuständig für Standardisierung, Prüfung der Konformität zur Shari’a und Rechnungslegung der islamischen Finanzprodukte. Im Jahre 1992 sah das pakistanische Bundes-Schariagericht in allen Formen des Zinsennehmens einen Verstoß gegen die Scharia.[13] Im August 2004 entstand mit der Islamic Bank Of Britain die erste Retail-Bank Großbritanniens.[14] In Deutschland ist seit März 2015 die KT Bank AG die erste und bislang einzige Bank nach deutschem Recht, die nach islamischen Regeln Finanzprodukte und -dienstleistungen anbietet. Im Jahre 2016 veröffentlichte die AAOIFI 48 Shari’a-Standards, 26 Rechnungslegungsstandards und 5 Wirtschaftsprüfungsstandards.
Wegen der Erfüllung der islamischen Geschäftsprinzipien sind islamische Bankgeschäfte völlig anders strukturiert als konventionelle Bankgeschäfte.
Islamische Bankgeschäfte müssen die fünf Prinzipien der Scharia erfüllen:[15]
Folgende Bankgeschäfte erfüllen diese Voraussetzungen:
Diese Finanzierungsinstrumente besitzen zahlreiche Unterarten. Die Standardisierung dieser Finanzkontrakte, die Prüfung ihrer Konformität zur Shari’a und die Rechnungslegung überwacht die AAOIFI. Im Jahre 2016 veröffentlichte die AAOIFI 48 Shari’a-Standards, 26 Rechnungslegungsstandards und 5 Wirtschaftsprüfungsstandards.
Die gelegentlich aufkommende Behauptung, islamische Finanzierungsinstrumente seien schuldnerfreundlicher als konventionelle Finanzierungen, ist unzutreffend. Verlieren die Kreditnehmer (die nur formal keine Kreditnehmer sind) etwa bei Murabaha oder Ijara ihre Schuldentragfähigkeit und können den faktischen Schuldendienst (etwa den Add-on bei der Murabaha oder die Leasingraten beim Ijara) nicht mehr tragen (englisch non-payment), so löst dies auch bei den genannten Finanzkontrakten eine Kündigung (Kreditkündigung) aus. Es ist gleichgültig, ob jemand Zins und Tilgung oder Miete/Leasinggebühr nicht mehr bezahlen kann.
In islamisch geprägten Staaten gibt es drei verschiedene Bankengruppen:[22]
In islamischen Staaten mit strenger Shari’a-Anwendung dürfen die westlichen Geschäftsbanken ausschließlich Shari’a-konforme Finanzprodukte anbieten.
Aus Sicht der internationalen Großbanken handelt es sich bei den Fremdfinanzierungen um Kreditgeschäfte. Die nicht-islamischen Kreditinstitute stufen diese Fremdfinanzierungen als Kredite ein, die islamischen Geschäftspartner als Kreditnehmer und die Transaktion als Kreditgeschäft mit Kreditrisiko. Die islamischen Geschäftspartner werden mit einem Rating versehen. Den Kreditverträgen werden die Standardverträge der Loan Market Association unter Beteiligung internationaler Anwaltskanzleien zugrunde gelegt. Die Konformität mit dem islamischen Recht wird einerseits durch die AAOIFI und andererseits durch islamische Rechtsgutachten (fatwa) von Rechtsgelehrten (ʿUlamā') sichergestellt. Die nach IFRS bilanzierenden internationalen Großbanken dürfen diese Geschäfte nach dem Bilanzierungsgrundsatz vom Vorrang des Inhaltes über die Form (englisch substance over form, wirtschaftliche Betrachtungsweise nach IFRS 9, 10) wie verzinsliche Kredite verbuchen.
Rechtsrisiken können für nicht-islamische Banken aus der mangelnden Durchsetzbarkeit der Verträge entstehen. Rechtsrisiken sind im Bankwesen der EU-Mitgliedstaaten seit Januar 2014 Bestandteil der operationellen Risiken und gehören damit nicht zu den bankbetrieblichen Risiken. Die Legaldefinition des operationellen Risikos in Art. 4 Abs. 1 Nr. 52 Kapitaladäquanzverordnung (englische Abkürzung CRR) bezieht die Rechtsrisiken ausdrücklich ein. Art. 194 Nr. 1 CRR verlangt für alle Kreditsicherheiten, dass Kreditinstitute die Rechtswirksamkeit und Durchsetzbarkeit in „allen relevanten Rechtsräumen“ überprüfen und zur kontinuierlichen Durchsetzbarkeit diese Prüfung bei Bedarf wiederholen. Rechtsgutachten (englisch legal opinions) sorgen bei Vertragserstellung dafür, dass Rechtsrisiken ausgeschlossen werden, und bestätigen, dass die Verträge zum Zeitpunkt der Überprüfung rechtmäßig (englisch legal), gültig (englisch valid), rechtsverbindlich (englisch binding) und durchsetzbar (englisch enforceable) sind.
Ernst & Young zufolge hatte die Branche 2013 ein Geschäftsvolumen von 778 Milliarden US-Dollar und ist seit 2009 jährlich um 17 % gewachsen. In verschiedenen muslimischen Ländern wie Saudi-Arabien, Kuwait und Bahrain läge der Marktanteil bei 48,9 %, 44,6 % und 27,7 %. 21 islamische Banken weisen eine Marktkapitalisierung von über USD 1 Milliarde auf.[23]
Seit 2006 bieten auch deutsche Banken islamische Finanzierungsinstrumente an, vor allem die DWS Investments, die Fondsgesellschaft der Deutsche Bank Gruppe. Sie offeriert zahlreiche Fonds und „Sukuks“, die entweder bankeigen gemanagt oder zusammen mit Partnern wie der Ithmaar-Gruppe in Bahrain gesponsert werden. Der größte schari'a-konforme Fonds, den die Deutsche Bank islamischen Kunden anbietet, war zu Jahresbeginn 2007 der „DWS Noor Islamic Funds“ mit gezeichneten Werten von total 2 Mrd. USD. Die Commerzbank dagegen hat ihren im Jahr 2000 aufgelegten „Alsukoor-Fonds“ Ende 2005 wieder aufgelöst, da er laut Eigendarstellung angeblich zu wenig Interessenten fand und eigentlich nur auf Wunsch einer saudi-arabischen Familie gegründet worden sei. Die UBS, größte Schweizer Bank und führender Vermögensverwalter der Welt, liquidierte Ende 2006 ihre erst Ende 2002 gegründete islamische Tochterbank „Noriba“ in Manama. Deren Geschäfte seien aus Kostengründen wieder in die Zentrale bzw. den Regionalbereich Mittlerer Osten in Genf integriert worden. Da zur selben Zeit sowohl UBS als auch Commerzbank dem Drängen der USA nachgaben und sich aus politischen Gründen von allen Kunden im Iran trennten, vermuteten Schweizer Fachjournalisten jedoch politischen Druck der Bush-Regierung als wirklichen Grund und beklagten die Abwanderung des Fachpersonals zur Deutschen Bank. Anders als in Großbritannien gab es in Deutschland bis 2010 keine islamische Bank, sondern „islamische Fenster“ konventioneller Banken. 2010 eröffnete in Mannheim die KT Bank, zunächst als Zweigstelle und zur Drittstaateneinlagenvermittlung an das Mutterunternehmen Kuveyt Türk Katılım Bankası in Istanbul, mehrheitlich im Besitz des Kuwait Finance House. Im März 2015 erteilte die BaFin der KT Bank die Lizenz als Einlagenkreditinstitut.[24] Somit ist die KT Bank die erste islamische Bank in Deutschland und der gesamten Eurozone. Am 3. Oktober 2006 hat die Eidgenössische Bankenkommission (EBK) der Faisal Private Bank Switzerland in Genf als erster rein islamischer Privatbank des Landes eine Banklizenz erteilt, welche der Eigentümer 2012 zurückgab, um das Geschäft als Family-Office weiterzuführen.
In Europa ist die wirtschaftliche Bedeutung gemäß einer Untersuchung der Europäischen Zentralbank gering.[25]
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