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britischer Archäologe und Politiker Aus Wikipedia, der freien Enzyklopädie
Andrew Colin Renfrew, Baron Renfrew of Kaimsthorn (* 25. Juli 1937 in Stockton-on-Tees) ist ein britischer Archäologe, der für seine Arbeiten über die Radiokohlenstoffdatierung, Archäogenetik und den Schutz von archäologischen Fundstätten vor Plünderungen bekannt ist.
Renfrew absolvierte im Jahr 1962 das St John’s College in Cambridge. Bereits 1961–1963 arbeitete er als Experte für Obsidian an der ersten Grabungskampagne in Çatalhöyük unter James Mellaart mit. 1965 wurde er mit einer Arbeit über die Jungsteinzeit auf den Kykladen promoviert.
Im Jahr 1972 wurde Renfrew Professor an der Universität Southampton. 1973 veröffentlichte er die vielbeachtete Arbeit Before Civilisation: The Radiocarbon Revolution and Prehistoric Europe, in der er die Annahme bezweifelt, dass prähistorische kulturelle Neuerungen im Nahen Osten entstanden seien und sich anschließend über Europa verbreitet hätten. 1983 wurde er Disney Professor of Archaeology an der Universität Cambridge. Die Stelle hatte er bis zur Pensionierung 2004 inne. 1990 wurde er Direktor des McDonald Institutes an der University of Cambridge, eines Instituts für die archäologische Forschung.
Renfrew ist seit dem Jahr 1965 verheiratet mit Jane Margaret Ewbank und mit ihr eine Tochter und zwei Söhne.
Colin Renfrew hat die in den 1960er Jahren entstandene New Archaeology – bekannt auch als Processual Archaeology – entscheidend geprägt. Renfrew beschäftigte sich neben seinen ersten Arbeiten zur frühen Kulturentwicklung (vor allem in der Ägäis) in jüngerer Zeit mit dem Problem der Verwandtschaft und Ausbreitung der Sprachen. Dabei verband er die „indogermanische Ursprache“ mit der Neolithisierung Europas. Er kritisierte die von Marija Gimbutas formulierte Kurgan-Hypothese und erklärte die Ausbreitung der Indogermanische Sprachen über Europa stattdessen durch seine Anatolien-Hypothese.
In den 1980er Jahren griff er Ansätze der theoretischen Archäologie aus seinen frühen Jahren wieder auf. Hatte er sich seinerzeit mit linguistischen Einflüssen befasst, begann er jetzt, die Kognitive Archäologie zu begründen, die Ausgrabung des Bewusstseins, dass frühere Völker hatten und deswegen einfloss in die verschiedenen Gegenstände, welche sie erschufen oder im Sinne ihrer Bedürfnisse umgestaltet haben. Dafür versuchte er zu klären, welche Formen von Wechselwirkungen es gab zwischen diesen Gesellschaften und ihrer materiellen Umgebung, ggf. auch, wie deren kulturell-zivilisatorische Umgestaltung auf die Völker zurückwirkte. In den 2000er Jahren baute er den theoretischen Hintergrund seines Ansatzes weiter aus.[1][2] Wie interagieren Menschen und Dinge? Wird eine symbolische Bedeutung zunächst abstrakt im Bewusstsein entwickelt und dann mit Objekten umgesetzt oder entsteht sie durch Ritualisierung des praktischen Umgangs mit Dingen?[3]
Im Spektrum der Wissenschaften 1. 1984 publizierte er den Artikel Die Megalithkulturen. In Hinblick auf die megalithischen Bauten des heutigen Britanniens, weist er auf das Fehlen von Rangunterschieden zwischen den Bestatteten im Inneren der großen, oft über Jahrhunderte in Gebrauch gewesenen Gemeinschaftsgräber hin. Aus diesem Befund, der sich auf durchschnittlich 17 Verstorbene pro Generation bezieht (8 weibl., 9 männl.), schlussfolgert er in einer zusammenfassenden Hypothese, dass die Megalithkulturen – anders als solche, die ihre pyramidale Machthierarchie durch monumentale Gräber für Einzelherrscher zum Ausdruck brachten – von „egalitären“ Gruppen errichtet worden seien.
Den „functional-processual“-Ansatz der in den 1960er Jahren begründeten New Archaeology will er seit den 1990er Jahren durch eine als „cognitive-processual“ bezeichnete Methode weiterentwickeln. Hierfür sei der symbolische Gehalt der jeweils untersuchten Objekte zu berücksichtigen, so dass nicht nur „Funktionen“ wie etwa die Steigerung der Bodenproduktivität durch die von einer prähistorischen Bevölkerungsgruppe erzielten technischen Fortschritte zugelassen sind, sondern eine ganzheitliche Betrachtung der betreffenden Kultur ermöglicht werde. Archäologische Befunde wie das erwähnte Fehlen einer Ranghierarchie unter den Bestatteten im Inneren der megalithischen Gemeinschaftsgräber, ließen auf die Mentalität des Volkes, das solch Objekt erschuf und nutzte, schließen: sein soziales Miteinander, die Art seines Glaubens (an ein Leben im unterirdischen 'Jenseits') u. ä. Er vertritt damit nach eigenen Aussagen einen anderen Ansatz als die „postprocessual“ oder „interpretive“ Theorien, insofern deren Bestrebung lediglich sei, den Vektor der Funktionalität in hermeneutischer Weise zu ergänzen.[4] Zu weiteren Einzelheiten der Egalitäts-Hypothese siehe Kognitive Archäologie.
Etwa um die Jahrtausendwende fokussierte er seinen Ansatz des symbolischen Gehalts der Forschungsobjekte auf die Fragestellung der frühen Religionen oder vielmehr: des rituellen Verhaltens vor dem Beginn einer Religion im Sinne des heute sog. Götter-Glaubens (Deismus). Anhand entsprechender Interpretation der vorgefundenen Relikte identifizierte 2001 den Chaco Canyon in Südwest-Amerika als Ort, an dem Verhaltensweisen mit Ausdrücken hoher Verehrung stattgefunden hätten: Rituale von High devotional expression.[4] Er definierte diese Lokalität als Ziel gemeinschaftlicher Zusammenkünfte, ähnlich der christlichen Wallfahrten. Die Art der damaligen Rituale unterschied er von denen der heutigen Religionen, indem er aus dem Fehlen jeder Ikonographie (Darstellung personaler, individueller Gottheiten einschl. ihrer übernatürlichen Kräfte) auf die Abwesenheit jener Form von Götter-Verehrung schloss.
Im Zuge dieser Arbeiten führte er Aspekte seiner früheren Tätigkeiten zusammen. Insbesondere identifizierte er auch die Horte von Kavos auf der griechischen Insel Keros, Göbekli Tepe in Anatolien, die Orkneys, die Osterinsel, die Megalithischen Tempel von Malta[4] und Stonehenge als Orte von high devotional expression.[5]
Als Doktorand machte er 1963 den ersten Survey des Kavos-Feldes auf der Kykladeninsel Keros und leitete 1978/88 zusammen mit Christos Doumas die bis dato größte Ausgrabung von Kavos. Die Auszeichnung mit dem Balzan-Preis im Jahr 2004 ermöglichte es ihm, mithilfe des Preisgeldes noch einmal eine große Ausgrabung zu organisieren. Mit der Unterstützung der University of Cambridge, des Institute of Aegean Prehistory (INSTAP), der British Academy, der British School at Athens sowie mehrerer Stiftungen und Vereine konnte er in den Jahren 2006 bis 2008 drei Grabungskampagnen im Kavos-Feld im Westen der Insel Keros und auf dem vorgelagerten Eiland Daskalio durchführen. Sie erbrachten herausragende Ergebnisse, so den mit Abstand größten Hortfund der Kykladenkultur und die größte Siedlung der Keros-Syros-Kultur.
Colin Renfrew gehörte unter anderem dem Ancient Monuments Board for England (1974–1984), dem Ancient Monuments and Advisory Committee (HMBC) (1983–2002), der Historic Buildings and Monuments Commission for England (1983–1986), dem Science and Conversation Panel (HMBC) (1983–1986) und der Royal Commission on Historic Monuments (England) (1976–1985) an. Er war Chairman des Archaeological Committees (RCHM) (1979–1983), Mitglied des Science-Based Archaeological Committees (SERC) (1979–1983) und Trustee des British Museums (1991–2001).
Im Jahr 2003 wurde Renfrew mit dem European Latsis Prize ausgezeichnet, 2004 mit dem Balzan-Preis für Prähistorische Archäologie[6]. 2007 wurde er zum Ehrenmitglied der Russischen Akademie der Wissenschaften ernannt. Er ist Fellow der British Academy und ordentliches Mitglied der Academia Europaea. 1991 wurde er als Baron Renfrew of Kaimsthorn, of Hurlet in the District of Renfrew, zum Life Peer erhoben und wurde dadurch Mitglied des House of Lords.[7] 1996 wurde er in die National Academy of Sciences und 2006 in die American Philosophical Society[8] gewählt. Im Jahr 2000 wurde er als korrespondierendes Mitglied in die Österreichische Akademie der Wissenschaften aufgenommen.[9]
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