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Kinderfachabteilung
Abteilung für "Kinder-Euthanasie" in Heil- und Pflegeheimen in der NS-Zeit Aus Wikipedia, der freien Enzyklopädie
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Der allgemeine Begriff „Kinderfachabteilung“ wurde im NS-Staat als beschönigende Bezeichnung für besondere Einrichtungen der Psychiatrie in Krankenhäusern sowie Heil- und Pflegeanstalten verwendet, die der „Kinder-Euthanasie“ dienten, also der Forschung an und Tötung von Kindern und Jugendlichen, die körperlich oder geistig behindert waren. Die Krankenmorde in der Zeit des Nationalsozialismus, bei denen es sich tatsächlich nicht um Euthanasie, sondern um Massenmorde handelte, wurden ab 1945 als Verbrechen gegen die Menschlichkeit be- und verurteilt.
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Geschichte
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Die erste derartige Einrichtung gab es ab 1939 in der Landesanstalt Görden in Brandenburg an der Havel.[1][2]
Die Bezeichnung der reichsweit aus Berlin geleiteten und geheim gehaltenen Maßnahme war „Kinderaktion“. Die Zentrale befand sich in der Abteilung IIb der so genannten Kanzlei des Führers.[3] Die Fälle wurden dort vorsortiert und etwa 20.000 verbleibende in einem Gutachterverfahren des „Reichsausschusses“ beurteilt. Gutachter waren die Professoren Werner Catel und Hans Heinze sowie der Kinderarzt Ernst Wentzler. Den „Kinderfachabteilungen“ wurde anschließend mitgeteilt, welche Kinder zur Tötung („Behandlungsermächtigung“) oder zunächst zu einer weiteren Beobachtung vorgesehen waren.
Einen Befehl oder Zwang zur Durchführung der Tötung gab es ebenso wenig wie ein Euthanasiegesetz, vielmehr war die Euthanasie formal im Deutschen Reich verboten. Dass Ärzte sich dem auch entziehen konnten und nicht in Befehlsnotstand handelten, wie nach 1945 oft behauptet, wurde durch Beispiele wie den Freiburger Kinderarzt Carl Noeggerath bewiesen. Noeggerath wurde „in die Kanzlei des Führers einberufen, und dort wurde mir nahegelegt, ich solle in der Freiburger Kinderklinik die südwestdeutsche Ausmerzestelle für lebensunfähige Kinder einrichten.“ Dass Noeggerath dies ablehnte, blieb für ihn ohne Folgen.[4][5]
Die Tötung selber wurde in eigener Verantwortung mit einer Überdosierung der Medikamente Luminal und Chloralhydrat oder durch Nahrungsmittelentzug und die Gabe von Morphin durchgeführt.[6] Nach dem Zweiten Weltkrieg wurden staatsanwaltschaftliche Ermittlungen auch wegen dieser NS-Verbrechen an Anstaltspatienten durchgeführt. Gerichtsurteile dazu wurden in der Gerichtsurteilssammlung „Justiz und NS-Verbrechen“ veröffentlicht.
Im Deutschen Reich hat es mindestens 30 derartiger Einrichtungen gegeben.[7] Dazu zählten auch Anstalten im 1938 errichteten Reichsgau Sudetenland und nach 1939 im besetzten Polen.
Es ist davon auszugehen, dass in ihnen mehr als 5.000 geistig und körperlich behinderte Kinder getötet wurden. In einem Aktenvermerk der Staatsanwaltschaft Hannover vom Oktober 1964 heißt es zur Zahl der vermuteten Tötungen: „Dem Reichsausschuß seien über die Amtsärzte etwa 20.000 Kinder gemeldet worden. Von diesen seien etwa 75 % nicht in Kinderfachabteilungen des Reichsausschusses eingewiesen worden. Die restlichen 25 % hingegen seien zum größten Teil einer „Behandlung zugeführt“ worden. Von den bis Kriegsende somit dem Reichsausschuss gemeldeten ganz knapp 5.000 gestorbenen Kindern seien etwa 10 % auf natürliche Art und Weise verstorben, während die restlichen Kinder, mithin etwa 4.500, eingeschläfert worden seien.“[8] Zusätzlich ist noch von einer weiteren, nicht feststellbaren Opferzahl durch die sogenannte „wilde Euthanasie“ (nicht rückgemeldete Opfer) auszugehen.[9]
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Liste der „Kinderfachabteilungen“
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Die Liste enthält die belegten bzw. als gesichert angesehenen Einrichtungen. Dazu kommen noch bisher ungeklärte Einrichtungen bzw. nur geplante KFA. Die Verantwortlichkeit einzelner Ärzte ist teilweise strittig, wobei einzelne Leiter nicht in die Vernichtung involviert waren.
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Literatur
- Carolin George: Erinnerung wachhalten, Forschung über Euthanasie-Opfer aus der Lüneburger Kinderpsychiatrie. In: Evangelische Zeitung. 25. Januar 2015, S. 9 (landeskirche-hannovers.de).
- Raimond Reiter: Wie viele Kinder wurden im Zweiten Weltkrieg Opfer der NS-Psychiatrie? In: Sozialpsychiatrische Informationen. Nr. 3/2001. 31. Jg. Wiesbaden 2001, S. 18–23.
- Jan Nedoschill: Kindereuthanasie im Nationalsozialismus: Die Kinderfachabteilung Ansbach in Mittelfranken. In: Zs. Praxis der Kinderpsychologie und Kinderpsychiatrie. 50, 2001, S. 192–210.
- dsb.: Biologische Kinder- und Jugendpsychiatrie im Zwielicht 1939–45: Die Kinderfachabteilungen Ansbach in Mittelfranken und Görden in Brandenburg. Rede auf dem 26. Kongress der Deutschen Gesellschaft für Kinder- und Jugendpsychiatrie und Psychotherapie Jena, 5.–8. April 2000.
- „Ich habe alles nur aus absolutem Mitleid getan.“ Die „Kinderfachabteilung“ der Heil- und Pflegeanstalt Kaufbeuren-Irsee. Kinder-„Euthanasie“, Humanexperimente, Neuropathologische Forschung. In: Monatsschrift für Kinderheilkunde. 152, 2004, S. 1004–1010.
- Andreas Kinast: „Das Kind ist nicht abrichtfähig.“ Euthanasie in der Kinderfachabteilung Waldniel 1941–1943 (= Rheinprovinz. 18). SH-Verlag, Köln 2010, ISBN 978-3-89498-259-1.
- Thomas Beddies (Hrsg.) im Auftrag der Deutschen Gesellschaft für Kinder- und Jugendmedizin e. V. (DGKJ): Im Gedenken der Kinder. Die Kinderärzte und die Verbrechen an Kindern in der NS-Zeit. Berlin 2012, ISBN 978-3-00-036957-5.
- Udo Benzenhöfer: „Kindereuthanasie“ im Dritten Reich: Der Fall „Kind Knauer“. In: Deutsches Ärzteblatt. Jg. 95, Heft 19, 8. Mai 1998, S. A1187–A1189 (Online [PDF; abgerufen am 17. Februar 2023]).
- Enno Schwanke, Die Landesheil- und Pflegeanstalt Tiegenhof. Die nationalsozialistische Euthanasie in Polen während des Zweiten Weltkrieges, Frankfurt am Main: Lang, 2015, in: Jahrbücher für Geschichte Osteuropas / jgo.e-reviews, JGO 64 (2016), 4, S. 659–660.[39]
- Udo Benzenhöfer: Der Kinder- und Jugendpsychiater Hans Heinze und die „NS-Euthanasie“ unter besonderer Berücksichtigung der „Kinderfachabteilung“ in Görden, Klemm, Ulm 2019, ISBN 978-3-86281-139-7.
- Udo Benzenhöfer: NS-„Kindereuthanasie“: „Ohne jede moralische Skrupel“. In: Deutsches Ärzteblatt. Jg. 97, Heft 42, 20. Oktober 2000, S. A2766–A2772 (Online [PDF]).
- Holm Krumpolt: Die Auswirkungen der nationalsozialistischen Psychiatriepolitik auf die sächsische Landesheilanstalt Grossschweidnitz im Zeitraum 1939 – 45. Med. Diss. Lpz 1995.
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Weblinks
- „Kinderfachabteilungen“ im Zweiten Weltkrieg. ( vom 22. September 2011 im Webarchiv archive.today) pk.lueneburg.de
- Lutz Kaelber: Kinderfachabteilungen (“Special Children’s Wards”): Sites of Nazi “Children’s ‘Euthanasia”. Abgerufen am 27. Januar 2019 (englisch).
Einzelnachweise
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