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Industriekomplex zur Bearbeitung von Kernbrennstoff Aus Wikipedia, der freien Enzyklopädie
Die Wiederaufarbeitungsanlage La Hague (französisch Usine de Retraitement de La Hague) ist ein Industriekomplex der Orano-Gruppe im Gebiet La Hague.[1] Der etwa 2,5 Kilometer lange und etwa einen Kilometer breite Komplex erstreckt sich über das Gebiet der fünf Communes déléguées Beaumont-Hague, Herqueville, Jobourg, Omonville-la-Petite und Digulleville in der Commune nouvelle La Hague.
Der Hauptzweck der Wiederaufarbeitungsanlage (WAA) ist die Trennung von Bestandteilen aus abgebranntem Kernbrennstoff.[2] Dieser enthält etwa 96 % Uran, 1 % Plutonium und 3 % Spaltprodukte.
Es sind zwei Wiederaufarbeitungsanlagen (UP2-800 und UP3) am Standort La Hague in Betrieb (Stand 2023). Sie sind speziell für die Wiederaufarbeitung von oxidischem Brennstoff aus Leichtwasserreaktoren ausgelegt.
Hinweis: Die Liste beschränkt sich nur auf die Hauptanlagen. Jede der Anlagen besteht aus einer Vielzahl weiterer Anlagen, Pools, Silos, usw.
Dazu kommen die Vitrifikationsanlagen R7 und T7.[7] Die Anlage UP1 ist am Standort Marcoule.[8]
Die Verarbeitungskapazitäten beider Anlagen ist seit dem Jahr 2003 auf total 1.700 Tonnen pro Jahr beschränkt.[3]
Laut eigenen Angaben von Orano über la Hague (Stand 2023):[9][10]
Mit der Entscheidung Frankreichs zur Zeit von Präsident de Gaulle, Atommacht zu werden, musste man Methoden zur Herstellung von Plutonium entwickeln. Dafür baute das Commissariat à l'énergie atomique (CEA) 1958 die Anlage Marcoule, sowie etwas später eine zweite, um Ausfälle ausgleichen zu können.
Am 10. August 1961 erschien ein Beschluss, der die Notwendigkeit zur Errichtung einer Wiederaufbereitungsanlage für abgebrannte Kernbrennstoffe zur Gewinnung von Plutonium aufzeigte. Die Arbeiten begannen 1962 auf der Ebene von Haut-Marais. Um die Brennelemente der für die französische Elektrizitätsgesellschaft Électricité de France (EdF) gebauten Druckwasserreaktoren zu verarbeiten, wurde eine Anlage für hochaktives Uranoxid (UP2-400) gebaut. 1966 nahm die Wiederaufbereitungsanlage mit dem Eintreffen der ersten Ladung von abgebrannten Brennelementen aus dem Kernkraftwerk Chinon ihren Betrieb auf.
1969 kursierte nach dem Kurswechsel in der Atompolitik unter Georges Pompidou das Gerücht, man würde die Anlage schließen, da sie aufgrund des zukünftig ausreichenden Bestandes an Plutonium nutzlos für das Militär geworden sei. Mit der Entlassung von 350 Angestellten wurde die Zahl der Arbeiter um ein Drittel reduziert, gleichzeitig war der Einfluss des Militärs damit beendet.
Seither dient die Anlage zur Verarbeitung von zivilen abgebrannten Kernbrennelementen, insbesondere seit der Wahl von Valéry Giscard d’Estaing, der nach der ersten Ölkrise (ab Herbst 1973) der Kernenergie besondere Bedeutung beimaß.
1976 überließ das CEA die Anlage einer neuen staatlichen Firma, der Cogema (später Areva[13], dann Orano), die zukünftig eine Anlage zur Behandlung von radioaktiven Abfällen betrieb mit dem Ziel der Wiederaufarbeitung von französischem und ausländischem Brennmaterial.
Eine staatliche Verordnung von 1980 erlaubte die Erweiterung der Anlage um einen neuen Sektor, welcher 1990 seinen Betrieb aufnahm.
Diese Baustelle war für die massive Umformung der Küste um La Hague herum verantwortlich.
Im Rahmen der Wiederaufarbeitung werden die Brennelemente aus Kernkraftwerken zunächst in Abklingbecken gelagert, um ihre Nachzerfallswärme abzugeben. Anschließend werden die Brennelemente in einem Schredder zerlegt, sodass der Brennstoff von den Strukturteilen getrennt werden kann. In einem mehrstufigen Wiederaufarbeitungsprozess wird der Brennstoff dann mit Salpetersäure aufgelöst, um die wiederverwertbaren Anteile zu extrahieren. Der Brennstoff eines ausgedienten Brennelements besteht nur zu etwa vier Prozent aus radioaktivem Abfall, während die restlichen 96 Prozent weiterhin als Kernbrennstoff genutzt werden können. Die bei der Wiederaufarbeitung zurückbleibenden hochradioaktiven Spaltprodukte werden verglast und in Kokillen verpackt. Auch die durch Neutronenstrahlung aktivierten Strukturteile der Brennelemente werden verpresst und in Kokillen verpackt, um als mittelradioaktive Abfälle entsorgt zu werden.[14]
Die Weiterbehandlung der Abfälle hängt von ihrer Herkunft ab: Alle konditionierten radioaktiven Abfälle aus der Wiederaufarbeitung ausländischer Brennelemente werden nach einer vorübergehenden Zwischenlagerung in das Herkunftsland zurück geliefert. Schwach- und mittelradioaktive kurzlebige Festabfälle französischer Herkunft werden im Centre de l’Aube endgelagert. Abfälle, die dafür nicht geeignet sind (insbesondere der verglaste hochradioaktive Abfall – HAW), werden am Standort La Hague zwischengelagert, bis ein entsprechendes Endlager zur Verfügung steht.
2014 wurden in La Hague rund 1200 Tonnen abgebrannter Brennelemente wiederaufgearbeitet. Das ist ungefähr die gleiche Menge wie im Jahr 1996.[15]
2016 wurden 1118 Tonnen Brennstäbe verarbeitet. Davon kamen 1000 Tonnen aus Kraftwerken aus Frankreich.[16]
Deutsche Energieversorgungsunternehmen haben bis 2005 ihre ausgedienten Brennelemente in La Hague aufbereiten lassen. Es wurden rund 5.393 Tonnen radioaktives Schwermetall (Kernbrennstoff) geliefert und weitere 851 Tonnen nach Sellafield.[17]
Insgesamt wurden seit 1976 über 36.000[11][12] Tonnen Brennstoff wiederaufgearbeitet.
Während des Sommers 1997 begann die Cogema damit, die Rohrleitungen der Anlage ins Meer zu ersetzen und arbeitete an der Entfernung von Ablagerungen, die sich über die Jahre im Inneren der Rohre angesammelt hatten. Diese Schicht von Ablagerungen enthielt zahlreiche, über die Jahre angesammelte, radioaktive Abfälle und Substanzen, welche durch die Rohrreinigung frei ins Wasser gelangten und das Meer schwer belasteten. Dies bestätigte eine Untersuchung der Umweltschutzorganisation CRIIRAD, welche die Kontaminierung von Krustentieren (Krabben und Hummern) enthüllte.
Laut Messungen und Analysen von OPRI waren Spuren von Radioaktivität, die von der unfallbedingten Freisetzung im Jahr 1997 stammen, zwar immer noch nachweisbar sind, aber deutlich abgeklungen.[18][19]
In dem Jahr 2001 wurde durch die Anti-Atom-Bewegung Organisation WISE bzw. WISE-Paris unter Leitung Mycle Schneider dem Europäischen Parlament, genauer dem Scientific and Technological Options Assessment (STOA), die Studie mit dem Titel Possible Toxic Effects From The Nuclear Reprocessing Plants At Sellafield (Uk) And Cap De La Hague (France) vorgelegt.[20] Die Studie bezieht sich auf eine Petition 393/95 von Dr. W. Nachtwey und weiteren Personen. Die Studie enthält Details zu den beiden Wiederaufarbeitungsanlagen und zählt einige Probleme auf. Im Anhang der Studie befinden sich zwei Expertenmeinungen zu der Studie, den Inhalten und gemachten Aussagen.
Greenpeace stellte unter Aufsicht eines vereidigten technischen Sachverständigen fest, dass bis zu 63 Mikrometer große radioaktive Partikel eingeleitet würden, wobei laut Betriebsgenehmigung nur eine Größe von 25 Mikrometern erlaubt sei.[21] Über ein viereinhalb Kilometer langes Rohr würden täglich 400 Kubikmeter radioaktives Abwasser in die Straße von Alderney über Herqueville gespült. Dieser Vorgang ist legal, da nur das Versenken von Fässern mit Atommüll im Meer verboten ist, die direkte Einleitung hingegen nicht.[22] Des Weiteren würden laut Greenpeace regelmäßig große Mengen Krypton-85 an die Atmosphäre emittiert.
Der Film Albtraum Atommüll aus dem Jahr 2009 berichtet auch über die Anlage.
Die ersten Atomkraftgegner und Demonstranten wurden 1978 aktiv, um gegen das geplante Kernkraftwerk Flamanville zu demonstrieren. Mit der Ankunft des ersten ausländischen Kernbrennstoffs im Januar 1979 aus Japan im Hafen von Cherbourg wurde das Bewusstsein für die Anlage wieder geweckt. Zahlreiche Demonstranten besetzten die Kräne und Anlagen des Hafens, mehr als 8000 Personen nahmen an den Demonstrationen in Cherbourg teil.
Heute konzentrieren sich die Proteste eher auf Greenpeace und dessen Aktionen, auch, um das Thema in den Medien zu verbreiten, wie bei Transporten von Brennstäben und radioaktivem Abfall oder bei der Entnahme von Wasserproben, die an den Abwasserrohren der Anlage genommen werden und die Risiken und Umweltprobleme deutlich machen sollen.
In einer französischen Studie von 1997 wurde der Zusammenhang zwischen den radioaktiven Einleitungen und einer erhöhten Blutkrebsrate bei Kindern und Jugendlichen nachgewiesen. Im Vergleich zum Landesdurchschnitt ist die Blutkrebsrate innerhalb eines Umkreises von 10 Kilometern um die Anlagen in La Hague um den Faktor drei erhöht.[21] Dies ist jedoch, ähnlich wie in der deutschen KiKK-Studie zur Leukämiehäufigkeit bei Kindern in der Umgebung von deutschen Kernkraftwerken, schwer zu erklären. Grund ist, dass die zusätzliche Strahlenbelastung, die von diesen Anlagen ausgeht, nur einen Bruchteil der natürlichen Strahlenbelastung ausmacht und unter allen vorgegebenen Grenzwerten bleibt, andererseits in diesen Studien Störfaktoren (Confounder) aufgrund des unzureichenden Datenmaterials nicht ausgeschlossen werden können. Zu bedenken ist, dass von den Betreibern lediglich mittlere Emissionswerte, jedoch nicht die Tagesspitzenwerte, wie sie z. B. beim Brennelementewechsel auftreten, angegeben werden. Unberücksichtigt bleiben die durch Nahrung und Wasser aufgenommenen radioaktiven Partikel aus der landwirtschaftlichen Produktion der Umgebung. Außerdem beziehen sich die Grenzwerte auf einen gesunden, erwachsenen Mann; Kinder haben aufgrund ihres schnellen Wachstums und geringeren Körpergewichts ein höheres Erkrankungsrisiko.
Nach Recherchen des Fernsehsenders arte und der französischen Zeitung Libération wurden allerdings seit Mitte der neunziger Jahre jährlich 108 Tonnen abgereichertes Uran im Auftrag der Électricité de France in die russische Kernenergieanlage Sewersk transportiert. Nur 20 Prozent des Materials werden demnach von dort zur Wiederverwendung nach Frankreich zurück geliefert, wie die Dokumentation Albtraum Atommüll enthüllte.[23][24]
Die französische Wochenzeitung Le Canard enchaîné berichtete von einem scharfen Brief der Behörde für die atomare Sicherheit (ASN). Es wird auf ernsthafte Explosionsrisiken bei der Reinigung von Plutonium hingewiesen. So entsteht bei der Reinigung Wasserstoff, durch den die Gefahr der Bildung eines hochexplosiven Knallgasgemisches besteht. In der Anlage seien die Wasserstoffdetektoren ungenügend gewartet, die Ausbildung erfolge wegen Personalmangels „auf die Schnelle“. Bei einer Unfallsimulation durch die ASN war die Reaktionszeit ungenügend. Von Gewerkschaftskreisen wurde schon zuvor mehrfach beanstandet, dass das Sicherheitsprozedere nicht eingehalten wird.[16]
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