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Organisation der aus Nazi-Deutschland geflohenen Lehrer Aus Wikipedia, der freien Enzyklopädie
Im Verband deutscher Lehreremigranten, auch bekannt unter dem Namen Union des instituteurs allemands émigrés (kurz: Union), organisierten sich zwischen 1933 und 1939 aus Nazi-Deutschland geflohene Lehrer. Der Verband repräsentierte nach eigener Einschätzung die „bestorganisierte Berufsgruppe der Emigration“[1] und zählte zu seinen Mitgliedern viele Lehrkräfte, die Schulen im Exil mit aufgebaut oder dort unterrichtet hatten. Die Erforschung des Verbands wie auch der Schulen im Exil ist im Wesentlichen das Verdienst von Hildegard Feidel-Mertz.
Mit 125 bis 150 Mitgliedern, wie Heinrich Rodenstein schätzte,[2] war die Union nicht gerade ein mitgliederstarker Verband und organisierte vorwiegend jene Angehörige pädagogischer Berufe, die sich schon vor der Machtergreifung durch eine Verbindung von politischem und pädagogischem Engagement ausgezeichnet hatte und deshalb „im ‘Dritten Reich’ aus dem staatlichen Schuldienst entfernt und nach zum Teil vorübergehender Tätigkeit in Landerziehungsheimen und sonstigen Privatschulen, in der Sozialarbeit oder Erwachsenenbildung in die Emigration“ gedrängt wurde.[3] Wer nicht freiwillig ging, wurde spätestens mit der Verabschiedung des Gesetzes zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums daran erinnert, dass es für ihn in Deutschland keine berufliche Zukunft mehr gab.
Über das Internationale Berufssekretariat der Lehrer (IBSL),[4] dem bis zu seiner Selbstauflösung im Jahre 1933 von deutscher Seite aus die Allgemeine Freie Lehrergewerkschaft Deutschlands (AFLD)[5] angehörte, wurden von Straßburg aus erste Hilfsmaßnahmen für die bedrohten deutschen Kollegen organisiert. In Absprache mit dem IBSL erfolgte Ende 1933 die Gründung der Union des instituteurs allemands émigrés, die dann 1934 als deutsche Sektion in das IBSL aufgenommen wurde. Über die Vorgeschichte dieser Verbandsgründung berichten Feidel-Mertz und Schnorbach:
„In den ersten Monaten nach der nationalsozialistischen Machtergreifung behandelte L.C. Klein, der Vorsitzende des IBSL in Strasbourg, die die deutschen Lehreremigranten betreffenden Angelegenheiten. Im September 1933 gelangte Ernst Riggert, ehemals Vorstandsmitglied der AFLD und bis zuletzt Schriftleiter des "Volkslehrers", ins Saarland und nahm Verbindung mit dem ihm aus jahrelanger Arbeit bekannten Klein in Strasbourg auf. Ernst Riggerts Positionen in der AFLD und seine Kenntnisse über die Arbeit der deutschen wie internationalen Lehrergewerkschaften, seine ausgewiesene NS-Gegnerschaft, seine publizistischen Fähigkeiten und seine zahlreichen Kontakte machten ihn zur geeigneten Person, die Belange der deutschen Lehreremigranten im Sinne des IBSL zu vertreten und die Aufgaben, die sich stellten, auszuführen. Mit Hilfe von Klein erhielt er eine ‘Récépíssé’, eine provisorische Aufenthaltsgenehmigung für Frankreich, und ein Ein- und Ausreisevisum, das ihm u.a. gestattete, Reisen zu unternehmen, die der Vorbereitung der organisatorischen Festigung der deutschen Lehreremigranten dienten […]. In Absprache mit dem Vorstand des IBSL erfolgte dann Ende 1933 die Gründung der ‘Union des instituteurs allemands êmigrês – Verband deutscher Lehreremigranten’. Damit hatte sich die Wichtigkeit internationaler Organisationen für den Aufbau funktionsfähiger Emigrantenorganisationen bestätigt.“[6]
Die Union hatte ab 1935 „ihren Sitz in Paris, verfügte aber auch in der Tschechoslowakei über stärkere Mitgliederkontingente, ebenso in Südamerika und Schweden. Diese Niederlassung geschah nicht zufällíg; denn bis Ausbruch des Krieges bot Frankreich und insbesondere Paris die günstigsten Aufenthalts- und Arbeitsbedingungen für deutsche Emigranten. Daß selbst politische Aktivitäten kaum eingeschränkt wurden, ja vielfach solidarische Unterstützung fanden, führte zu einer Konzentration vielfältiger Initiativen und organisatorischer Ansätze an diesem Ort.“[7]
Der Gründungsaufruf der Union erschien in verschiedenen pädagogischen und gewerkschaftlichen Publikationen und deutschen Exilzeitschriften und „richtete an alle emigrierten antifaschistischen deutschen Lehrer den Appell, sich an der Arbeit der Union zu beteiligen. Speziell stellte sich die Union die Aufgabe, Vorarbeit für die Schule des 'vierten' Reiches und Ausarbeitung sozialistischer Erziehungsgrundsätze, Informationen, Stellenvermittlung, Hilfe und Repräsentation ihrer Mitglieder und Beobachtung des faschistischen Schulwesens zu leisten.“[8]
Die Union stand politisch links der SPD und engagierte sich stets für ein sozialistisches Schul- und Erziehungsprogramm in einem Deutschland nach dem Ende der Nazi-Ära. Die Zusammenarbeit mit dem IBSL ermöglichte es, auf dessen Strukturen zurückzugreifen, und in Frankreich gab es eine enge Kooperation mit der französischen Volksschullehrergewerkschaft, dem Sydicat National des Instituteurs (SNI).
„Über die Geschäftsstelle des SNI (Paris, 9. rue de Université) forderten wir von den bekanntesten deutschen Schulbuchverlagen Exemplare der neuen Schulbücher, hauptsächlich Lese- und Geschichts-, Biologie- und Liederbücher an und untersuchten sie auf ihren chauvinistischen, militaristischen, rassistischen und totalitären Geist. Das Ergebnis war unsere Broschüre ‘L'Allemagne Nouvelle dans son Mannel Scolaire’. Ich habe die Schlussfassung in französischer Sprache geschrieben. Gaby, eine zweisprachige Schweizerin aus ISK-Kreisen, hat mein Französisch korrigiert. Der Umschlag zeigt das Bild eines biederen deutschen Schulgebäudes, auf dessen Dach ein schweres Hakenkreuz lastet. Durch mehrfache Hinweise in der ‘Ecole Libératrice’, dem Zentralorgan der französischen Lehrergewerkschaft (SNI), wurde die Broschüre der Lehrerschaft in Frankreich angeboten. Die Auflage betrug 2.000 Stück. Verkauft wurden etwa 1.800. Die restlichen 200 Exemplare wurden bei Kriegsausbruch in der Rue de l'Université auf meine dringende Bitte vernichtet.“[2]
1935 übernahm Rodenstein von Heinrich Grönewald, der an die Pestalozzi-Schule Buenos Aires wechselte und dort auch zum Motor einer argentinischen Union-Gruppe wurde, die Leitung der Pariser Sektion. Zugleich wurde das bislang noch in Straßburg residierende Sekretariat der Union auf Beschluss des IBSL nach Paris verlegt. „Mit dieser ‘Reorganisation’ […] des Verbandes seit Oktober 1935 fand eine systematische Mitgliederwerbung statt, die Arbeit wurde intensiviert und die Herausgabe eines Informationsdienstes vorbereitet. Seit Januar 1936 erschienen die ‘Informationsblätter der UNION’ (bis Nr. 9 unter dem Titel ‘Informationen der Union’) mit durchschnittlich 3 Seiten, mitunter auch bis zu 7 Seiten Umfang mehr oder weniger regelmäßig monatlich als Mitgliederzeitschrift. Die letzte uns bekannte Ausgabe, die Nr. 29, datiert vom 10. April 1939.“[9] Heinrich Rodenstein, der als Redakteur des Informationsdienstes fungierte, spricht von „fast 30 Rundschreiben“, die er herausgegeben habe.[2]
Im Juli 1935 beteiligte sich die Union in Paris am Aufbau einer deutschen Volksfront. Mehrere Verbände, darunter der Schutzverband deutscher Schriftsteller und die "Notgemeinschaft der deutschen Wissenschaft, Kunst und Literatur im Ausland", bildeten dazu den Aktionsausschuß für Freiheit in Deutschland, dem auch Heinrich Mann angehörte[10], sowie der Historiker Helmut Hirsch, der Schriftsteller Rudolf Leonhard und der Journalist Maximilian Scheer.[11]
Die Pariser Gruppe der Union war die mitgliederstärkste und auch hauptsächlich Trägerin der programmatischen Arbeit, aus der der 1937 entstandene Entwurf für ein „Sozialistisches Schul- und Erziehungsprogramm“ hervorging. Für Feidel-Mertz und Schnorbach ist es
„– leider – ein noch immer interessantes und diskutables Programm, d. h. praktisch folgenlos geblieben. In seiner Reichweite und radikalen Konsequenz steht es exemplarisch für die progressive Substanz, um die seinerzeit die deutsche Pädagogik gebracht worden ist. Sie hat sich von diesem Substanzverlust im Grunde bis heute nicht erholt. Die Hoffnung der emigrierten Pädagogen, ihre Erfahrungen, alternativen Vorstellungen und Planungen in die Nachkriegsentwicklung in Deutschland einbringen zu können, wurde nur vereinzelt durch die Rückkehr einiger namhafter Persönlichkeiten in die westlichen Besatzungszonen und lediglich in der damaligen Sowjetischen Besatzungszone in nennenswerter Breite und mit größerer Allgemeinverbindlichkeit eingelöst.“[12]
Anfang 1937 schloss sich die in der Tschechoslowakei existierende Fachgruppe ehemaliger reichsdeutscher Pädagogen mit 25 Mitgliedern der Union an. Nach dem Münchner Abkommen vom September 1938 organisierte die Union zusammen mit dem IBSL eine Hilfsaktion zur Rettung der bedrohten deutschen Kollegen in der Tschechoslowakei. Zwei Flugzeuge sollten die Mitglieder nach Paris ausfliegen, doch eines davon stürzte am 7. Januar 1939 beim Landeanflug in Paris ab, wobei ein Mitglied, Lotte Smigula-Kamp, den Tod fand und drei weitere verletzt wurden.[13]
Nach Ansicht von Feidel-Mertz und Schnorbach war die Union kein reiner Selbsthilfeverein, sondern reihte „sich bewußt in die antifaschistische Front der internationalen Solidarität für die Opfer des Faschismus“ ein. Sie leistete juristische Hilfe für Kollegen, die in Konflikt mit den Ausländergesetzen geraten waren, beteiligte sich an Hilfsaktionen für spanische Bürgerkriegsopfer, besonders Kinder, und beteiligte sich Ende 1936 am Überparteilichen Deutschen Hilfsausschuß, in dem linke Hilfsorganisationen ihre Arbeit koordinierten.[14]
Im April 1939 wurde durch ein Dekret der französischen Regierung die Arbeit ausländischer Vereinigungen in Frankreich stark reglementiert und eingeschränkt. Die Union erwog darauf noch die Umwandlung in eine Wohlfahrtsorganisation und eine Anpassung an die französischen Gesetze, wozu es aber nicht mehr gekommen ist. Der Zweite Weltkrieg brach aus, und in weiser Voraussicht beseitigte Heinrich Rodenstein alle Spuren, die auf die Union hätten hinweisen können.
„Leider (vom Gesichtspunkt heutigen Forschungsinteresses aus) bzw. klugerweise (aus damaliger betroffener Sicht) hat Heinrich Rodenstein alle Unterlagen in seinem Besitz, wie Jahres- und Länderberichte, die einzige Mitgliederliste, die gesamte Korrespondenz mit den Landesgruppen, die Kassenabrechnungen, den Stempel, die restlichen ‘Informationsblätter der Union’ samt den ‘Vorstandsmitteilungen’ unmittelbar nach Kriegsausbruch im September 1939 vernichtet. Sogar im Büro des SNI vergewîsserte er sich, ob alle Spuren der ‘Union’ beseitigt waren.“[15]
Wie notwendig diese Vorsichtsmaßnahmen waren, zeigte sich wenige Monate später. Nach der Besetzung von Paris durch die deutsche Wehrmacht drangen Gestapo-Leute in Rodensteins ehemalige Wohnung ein und nahmen eine – zum Glück erfolglose – Hausdurchsuchung vor.[15]
Mit der Besetzung Frankreichs fand die Arbeit des Verbands deutscher Lehreremigranten ihr Ende. Einige seiner Mitglieder wurden interniert, andere konnten nach England oder in die USA flüchten. Diejenigen, die es nach England schafften, konnten sich in der Landesgruppe deutscher Gewerkschafter in Großbritannien oder innerhalb der International Group of Teachers Trade Unionists weiterhin politisch betätigen. „Die ‘International Group of Teachers Trade Unionists’ war sowohl Fortsetzung wie auch Neubeginn des 1940 untergegangenen Internationalen Berufssekretariats der Lehrer“ und fungierte als Kommission im Rahmen der Arbeit des Internationalen Gewerkschaftsbunds.[16]
Mitglied in der Union konnte man nur aufgrund einer persönlichen Bekanntschaft oder einer vertrauenswürdigen Empfehlung werden, und man hatte zudem
„- Lehrer zu sein ‚im weitesten Sinne, Kindergärtnerinnen, Jugendfürsorger, Berufs- und höheres Schulwesen eingeschlossen‘; außerdem ist die Mitgliedschaft von Kinderãrzten nachgewiesen;
- Emigrant zu sein;
- persönlich zuverlässig zu sein;
- die freigewerkschaftlichen Grundsätze im Rahmen des IBSL anzuerkennen.“[17]
Das Mitgliederverzeichnis wurde verschlüsselt geführt, und „die einzige Liste, die dieses System entschlüsselte, hat Heinrich Rodenstein bei Kriegsbeginn vernichtet, so daB eine vollständige Rekonstruktion des Mitgliederbestandes der ‘Union’ sich heute als unmöglich erweist“.[18] Feidel-Mertz und Schnorbach skizzieren in ihrem Buch 68 Personen in Kurzbiografien. Die bekanntesten Personen darunter sind:
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