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ʿUmar ibn al-Chattāb

Zweiter Kalif des Islam (reg. 634-644) Aus Wikipedia, der freien Enzyklopädie

ʿUmar ibn al-Chattāb
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Abū Hafs ʿUmar ibn al-Chattāb (arabisch أبو حفص عمر بن الخطاب, DMG Abū Hafṣ ʿUmar bin al-Ḫaṭṭāb;[1] geboren 592 in Mekka; gestorben am 3. November 644 in Medina), oft kurz Omar und mit dem Beinamen al-Fārūq („der die Wahrheit von der Lüge unterscheidet“), war der zweite islamische Kalif (634–644). Während seines Kalifats fand die arabisch-islamische Eroberung weiter Gebiete des Vorderen Orients (Syrien, Palästina, Irak, Ägypten, Westiran) statt. Außerdem leistete er wichtige Beiträge zur Festigung der Strukturen des von Mohammed begründeten Staatswesens und führte verschiedene Regeln im religiösen und rechtlichen Bereich ein, die später Bestandteil des sunnitischen Normensystems wurden. Er war auch für seinen einfachen, rauen Lebensstil bekannt.[2] Sunniten betrachten ʿUmar als einen der vier „rechtgeleiteten“ Kalifen. Die imamitischen Schiiten erkennen ihn dagegen nicht als Kalifen an.

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Das Medaillon mit dem Namen ʿUmar al-Fārūq in kalligraphischer Gestaltung in der Hagia Sophia
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Abstammung

ʿUmar gehörte dem quraischitischen Clan der ʿAdī ibn Kaʿb an, der zu den weniger einflussreichen Clanen der Quraisch gehörte, die außerhalb von Mekka wohnten und deshalb die „Quraisch der Außenbereiche“ (Quraiš aẓ-ẓawāhir) genannt wurden.[3] Sein Vater war al-Chattāb ibn Nufail.[4] Seine Mutter Hantama bint Hāschim gehörte zu dem quraischitischen Clan der Machzūm.[5]

Übertritt zum Islam

Nach der Überlieferung von Ibn Ishāq fand die Konversion ʿUmars zum Islam statt, nachdem bereits ein Teil von Mohammeds Anhängerschaft nach Äthiopien in das Reich von Aksum ausgewandert war. Kurz vorher hatte auch Mohammeds Onkel Hamza ibn ʿAbd al-Muttalib den Islam angenommen. Bei ʿUmars Konversion sollten seine Schwester Fātima bint al-Chattāb und ihr Mann Saʿīd ibn Zaid, der gleichzeitig ein Vetter ʿUmars war, die Vermittlerrolle gespielt haben. Sie waren bereits vorher zum Islam übergetreten und wurden regelmäßig von Chabbāb ibn al-Aratt besucht, der ihnen dabei den Koran vortrug. ʿUmar selbst soll dagegen zunächst ein strammer Gegner des Islams gewesen sein und die Absicht gehabt haben, Mohammed zu töten. Als er hörte, dass seine Schwester und sein Cousin zum Islam übergetreten war, ging er empört zu ihrem Haus und schlug sie. Die beiden und Chabbāb konnten ihn aber nach der Überlieferung bei dieser Gelegenheit von der Wahrheit der Botschaft Mohammeds überzeugen, so dass er ihn aufsuchte und sich bei ihm zum Islam bekehrte.[6] Sein Übertritt zum Islam wird auf das Jahr 618 datiert.[3]

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Als Berater des Propheten

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Nach der Übersiedlung nach Medina erhielt ʿUmar von dem dortigen jüdischen Clan der Banū Hāritha das Landgut Thamgh, das er zur Sadaqa oder zum Waqf erklärte.[7] In Medina wurde er zum eigentlichen Organisator des neuen Staates, ohne aber irgendein offizielles Amt zu bekleiden. Seine Rolle war vor allem die eines Ratgebers. Als Krieger tat er sich weniger hervor: Obgleich er an den Kämpfen bei Schlacht von Badr, Schlacht von Uhud usw. teilnahm, liest man in den Quellen man fast nichts von seinen kriegerischen Leistungen, wohingegen die Berichte über ʿAlī ibn Abī Tālib und andere Prophetengefährten in dieser Hinsicht sehr zahlreich sind.[3]

Nach dem Sieg bei Badr fiel er durch seine Härte gegenüber den mekkanischen Kriegsgefangenen auf. Während sich Abū Bakr in dieser Situation für die Freilassung der Gefangenen gegen eine Lösegeldzahlung einsetzte, forderte ʿUmar ihre Hinrichtung.[8] Wörtlich soll er zu Mohammed gesagt haben: „Sie haben Dich zum Lügner erklärt und vertrieben. Lass sie antreten und schlage ihnen die Köpfe ab!“[9]

Nach der islamischen Überlieferung gehen drei koranische Offenbarungen auf ʿUmars Veranlassung zurück: Sure 2:125 über den Maqām Ibrāhīm, Sure 33:53 über Hidschāb und Sure 66:6. Levi della Vida vermutete, dass es noch viele weitere Fälle gab, in dem ʿUmars Einfluss die Inspiration des Propheten auslöste. Die Beziehung mit dem Propheten wurde noch dadurch gestärkt, dass er seine Tochter Hafsa mit ihm verheiratete.[3]

Rolle vor und nach dem Tode des Propheten

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Gemäß einem Bericht, der auf ʿAbdallāh ibn ʿAbbās zurückgeführt wird, brachte Mohammed, als er im Sterben lag, seinen Wunsch zum Ausdruck, ein Schriftstück aufzusetzen, damit seine Anhänger nicht in die Irre gingen. ʿUmar soll ihn jedoch daran gehindert haben, indem er sagte: „Der Gottesgesandte wird von Schmerz überwältigt. Ihr habt den Koran. Das Buch Gottes reicht uns.“ Nach dem Bericht gerieten die Anwesenden daraufhin in Streit, wobei die einen verlangten, dass man dem Gottesgesandten die Möglichkeit geben sollte, sein Testament aufzusetzen, während andere die Meinung ʿUmars vertraten. Da der Streit immer lauter wurde, habe Mohammed die Anwesenden schließlich aufgefordert, sich zu entfernen, so dass es nicht mehr zu einer Aufzeichnung seines Testaments kam.[10][11]

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Die Prophetengefährten schwören Abū Bakr den Treueid, während rechts neben ihm ʿUmar sitzt, Miniatur in einem osmanischen Siyer-i-Nebi-Werk, 1596

Als der Prophet am 8. Juni 632 starb, wollte ʿUmar zunächst nicht an seinen Tod glauben und verkündete, dass er nur in einem Tranczustand sei.[12] Danach spielte er eine zentrale Rolle in den Ereignissen, die zur Ausrufung von Abū Bakr zum Kalifen führten.[13] In dieser Situation traten schwere Meinungsverschiedenheiten zwischen den mekkanischen Muhādschirūn und den medinischen Ansār hervor, weil letztere bei Saʿd ibn ʿUbāda eine Versammlung abhielten und die Forderung erhoben, dass sich Ansār und Quraisch trennen sollten und eine jede Gruppe für sich einen Befehlshaber wählen sollte.[14] Damit drohte die islamische Gemeinschaft auseinanderzubrechen. ʿUmar trat in dieser Situation strikt gegen jede Teilung der Gemeinschaft ein. Zusammen mit Abū Bakr und Abū ʿUbaida ibn al-Dscharrāh suchte er die Versammlung der Ansār auf und überraschte die Anwesenden damit, dass er plötzlich Abū Bakr die Baiʿa leistete.[15] Entscheidend für den weiteren Verlauf der Versammlung war die Ankunft der Banū Aslam, eines Clans aus der Umgebung von Medina, der für seine besondere Loyalität gegenüber dem Propheten bekannt war. Sie stießen in großen Zahlen zu der Versammlung und huldigten Abū Bakr.[16] Zwar weigerten sich viele Ansār sich zunächst, Abū Bakr zu huldigen,[17] doch sorgte ʿUmar in der Folgezeit zusammen mit den Banū Aslam dafür, dass fast alle Bewohner Medinas Abū Bakr den Treueid leisteten. Teilweise wandte er dabei auch Gewalt an.[18]

Henri Lammens vertrat die These, dass ʿUmar, Abū Bakr und Abū ʿUbaida ibn al-Dscharrāh schon zu Lebzeiten ein Triumvirat gebildet und die Autorität des Propheten beherrscht und gewissermaßen monopolisiert hätten, indem sie ihn entweder durch ihr persönliches Handeln oder durch Vermittlung seiner Frauen ʿĀ'ischa bint Abī Bakr und Hafsa lenkten, allerdings wird diese These nicht allgemein akzeptiert.[13]

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Rolle während des Kalifats von Abū Bakr

Während Abū Bakrs Kalifat blieb ʿUmar eng mit dem Machtzentrum verbunden und vertrat harte Positionen, die der Kalif nicht immer einnahm.[13] Härte zeigte er vor allem gegenüber Herführern der alten quraischitischen Stammesaristokratie. So drängte er beispielsweise Abū Bakr, den erfolgreichen Heerführer Chālid ibn al-Walīd wegen der Ermordung eines Muslims und aufgrund eines von ihm begangenen Zinā-Vergehens hinzurichten oder zumindest abzusetzen,[19] und sorgte dafür, dass Chālid ibn Saʿīd abgesetzt wurde.[13]

Vor seinem Tod bat Abū Bakr ʿUthmān ibn ʿAffān, sein Testament zu verfassen, in dem er ʿUmar zu seinem Nachfolger erklärte.[20]

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Kalifat

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Eroberung des Vorderen Orients

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Zeit der Kalifen:
  • Ausbreitung unter dem Propheten Mohammed, 622–632
  • Ausbreitung unter den vier „rechtgeleiteten Kalifen“, 632–661
  • (darunter als zweiter Kalif des Islam, ʿUmar ibn al-Chattāb (634–644))
  • Ausbreitung unter den Umayyaden, 661–750
  • Als ʿUmar 634 zum Kalifen wurde, war die arabisch-islamische Eroberungsbewegung bereits in vollem Gange. So wurden Palästina (634) und Ägypten (639–642) durch ʿAmr ibn al-ʿĀs, Syrien durch Chālid ibn al-Walīd und der Irak durch Saʿd ibn Abī Waqqās (636) erobert. 636 gelangen den Muslimen am Yarmuk in Syrien und bei Qadisiyya im Irak entscheidende Siege über die Byzantiner und Perser. Nach 640 wurde mit Istachr die Residenz der Sassaniden von den Muslimen attackiert und im Jahr 649 schließlich erobert und zerstört. Mit dem Sieg über die Perser bei Nehawend in Medien 642 brach das neupersische Sassanidenreich endgültig zusammen. Byzanz konnte sich aber nach dem Verlust von Syrien und Ägypten in Anatolien gegen die weiteren Angriffe der Muslime behaupten.

    Wie weit die islamischen Eroberungen das persönliche Verdienst ʿUmars waren, ist nicht ganz klar. Führungsstärke bewies er vor allem durch die Ernennung von fähigen Feldherren wie Abū ʿUbaid ibn Masʿūd ath-Thaqafī und Saʿd ibn Abī Waqqās. Sie hatten nur relativ schwache Stammes- und lokale Bindungen, was es ihnen unmöglich machten, sich in den neu eroberten Gebieten als unabhängige Herrscher zu etablieren. Seine härtere Seite zeigte er bei der Degradierung von Chālid ibn al-Walīd. In anderen Fällen erlaubte er allerdings Mitgliedern der mekkanischen Aristokratie, wichtige Positionen zu bekleiden, so etwa Yazīd, dem Sohn von Abū Sufyān ibn Harb, den er als Gouverneur von Syrien einsetzte, und später dessen Bruder Muʿāwiya ibn Abī Sufyān, der ihm in diesem Amt folgte.[13] Von ʿAmr ibn al-ʿĀs ist bekannt, dass er die Eroberung Ägyptens auf eigene Initiative durchführte. ʿUmar überließ ihm dabei die Führung.[21]

    ʿUmar verbot auch den arabischen Kämpfern, sich als landbesitzende Aristokratie in den neu eroberten Gebieten niederzulassen, weil er wollte, dass sie für weitere Feldzüge zur Verfügung standen und ihre Identität als muslimische Krieger bewahrten. Deshalb schloss er sie in den neu eroberten Gebieten in Militärlagern zusammen, die Amsār genannt wurden. Aus ihnen gingen die künftigen Metropolen des Islams hervor: Basra, Kufa Mossul und al-Fustāt.[22]

    Während die Eroberungen andauerten, hielt sich ʿUmar selbst die meiste Zeit in Medina auf. Eine Ausnahme bildete eine Reise nach Syrien und Palästina, die auf den Zeitraum zwischen 636 und 638 datiert wird. Die Quellen zu dieser Reise – möglicherweise waren es auch mehrere Reisen – divergieren sehr stark. ʿUmar machte auf dieser Reise offenbar in al-Dschābiya halt, der alten Residenz der Ghassaniden, wo er sich mit seinen Befehlshaber beriet.[23] Nach einigen Berichten reiste er von al-Dschābiya weiter nach Jerusalem und nahm dort die Kapitulation der Stadt entgegen. Heribert Busse hat jedoch gezeigt, dass Jerusalem wahrscheinlich bereits mindestens ein Jahr zuvor kapituliert hatte und somit die Kapitulation zumindest nicht bei seinem Besuch der Stadt stattgefunden haben kann.[22]

    Ein Text, der in mehreren Versionen existiert und beschreibt, wie ʿUmar die Kapitulation der Einwohner Jerusalems entgegennimmt und die Rechte und Pflichten beider Parteien formell festlegt, wurde als „Pakt oder Bund von ʿUmar“ (ʿahd ʿUmar) bekannt und bildete eine wichtige Grundlage für das Konzept der Dhimma, allerdings hat sich gezeigt, dass ein Großteil des Vertragstextes erst späteren Ursprungs ist.[22] ʿUmar ordnete auch die Vertreibung der christlichen bzw. jüdischen Gemeinden von Nadschrān und Chaibar an und verbot Nicht-Muslimen, sich länger als drei Tage im Hedschas aufzuhalten.[24]

    Staatliche Organisation

    In al-Dschābiya legte ʿUmar mit den Heerführern die Organisation des Reiches und die Verteilung der Kriegsbeute fest. Zur Sicherung der Einkommen der Kämpfer und Gefährten Mohammeds führte er den Dīwān ein, ein Zentralregister der Militär-Pensionsberechtigten.[25] Zur Verwaltung der Ausgaben und Einnahmen wurde eine Staatskasse (bait al-māl) eingerichtet. Die Heerführer, die in den verschiedenen Ländern stationiert waren, wie etwa ʿAmr ibn al-ʿĀs im neueroberten Ägypten, wurden dazu aufgefordert, die Hälfte ihrer Einkünfte in diese Staatskasse einzuzahlen.

    Den sogenannten Sawād, das fruchtbare Schwemmland des südlichen Irak, soll ʿUmar zu unveräußerlichem Staatsgut erklärt haben; ob und inwieweit das allerdings wirklich der Fall war, war noch über Jahrhunderte umstritten, und die arabischen Quellen machen darüber widersprüchliche Angaben. Die auf diesem Gebiet ansässigen Notabeln (dahāqīn), die in sassanidischer Zeit die Gerichtsbarkeit in den Dörfern innegehabt hatten und für die Einsammlung der Steuern verantwortlich gewesen waren, beließ ʿUmar in ihren Ämtern, sofern sie diese Steuern an ihn abführten. Um die Größe und Anzahl der Ländereien im Sawād zu erfassen und herauszufinden, wie hoch die von den Dahāqīn entrichteten Steuern vorher gewesen waren, sandte er zwei Kommissionen aus, die unter der Leitung ʿUthmān ibn Hunaif bzw. Hudhaifa ibn al-Yamān standen und vor Ort Ermittlungen anstellten. Das Land derjenigen, die im Krieg getötet worden oder geflohen waren, sowie das Land, das dem sassanidischen Herrscher und seiner Familie gehört hatte, konfiszierte ʿUmar und unterstellte es seiner direkten Kontrolle.[26]

    Heutiges Datum nach
    der von ʿUmar eingeführten
    Hidschrī-Jahreszählung
    :


    23. Dschumādā th-thāniya 1447
    (= 14. Dezember 2025)
    [aktualisieren]

    Von großer Bedeutung war, dass ʿUmar im Jahre 638 eine neue Jahreszählung einführte. Anlass dafür waren Streitigkeiten in Armeeteilen über Datierungsfragen. Als erstes Jahr der neuen Ära wurde das Jahr der Auswanderung des Propheten von Mekka nach Medina festgelegt, das am 16. Juli 622 begann. Damit wurde eine wichtige staatliche Maßnahme zur Vereinheitlichung getroffen. Diese Hidschrī-Jahreszählung hat sich im Laufe der Zeit durchgesetzt und gilt bis heute als Grundlage der islamischen Zeitrechnung (gekennzeichnet durch d.H. = der Hidschra).

    Nach der islamischen Überlieferung wird ʿUmar auch die Schaffung des Qādī-Amtes zugeschrieben.[22] Weiterhin ist bekannt, dass sich ʿUmar bei der Regierung sehr stark auf das koranische Prinzip der Konsultation (šūrā) stützte. Zwar hörte er gelegentlich auch den Rat anderer Kreise, doch beschränkte er sich bei der Konsultation üblicherweise auf die verdienten mekkanischen Prophetengefährten. Zahlreiche Berichte beschreiben, wie er deren Meinung über wichtige politische und rechtliche Fragen einholte.[27]

    Anders als Abū Bakr, der sich ḫalīfat rasūl Allāh („Stellvertreter/Nachfolger des Gottesgesandten“) nennen ließ, nahm ʿUmar – wahrscheinlich im Jahre 19 d. H. (= 640 n. Chr.) – den Titel amīr al-muʾminīn („Befehlshaber der Gläubigen“) an, wodurch der herrscherliche Charakter des Amtes und gleichzeitig auch sein religiöser Aspekt stärker betont wurde.[28] Er liebte einen einfachen, rauen Lebensstil und rief auch andere dazu auf. Als er bereits Kalif war, soll er seinen Lebensunterhalt noch mit Handel verdient haben.[29] In al-Dschābiya soll er seine Befehlshaber mit Steinen beworfen haben, als sie in Seide und Brokat gekleidet vor ihm erschienen.[24]

    Maßnahmen im religiösen Bereich

    Auf religiöser Ebene war von wegweisender Bedeutung, dass ʿUmar während seiner Herrschaft die Kiswa („Verhüllung“) der Kaaba in Mekka auf Kosten des Staatshaushalts erneuern ließ. Damit wurde dieses ursprünglich heidnische Ritual zu einem wichtigen Herrschaftssymbol im islamischen Staat.[30] Der Verehrung des Schwarzen Steins stand ʿUmar dagegen sehr kritisch gegenüber, weil er sie als Relikt paganen Steinkultes betrachtete. Berichtet wird auch, dass ʿUmar im Jahre 638 dafür sorgte, dass der Maqām Ibrāhīm, der sonst an einem festen Platz neben der Kaaba stand, wieder an seinen Platz kam. Er war im gleichen Jahr bei einer gewaltigen Überschwemmung in Mekka fortgerissen und aus der Stadt geschwemmt worden.[31] Außerdem führte ʿUmar als neue gottesdienstliche Übung im Ramadan die nächtlichen Tarāwīh-Gebete ein.[22]

    Ob die erste Sammlung des Korans (ǧamʿ al-qurʾān) bereits unter dem Kalifen Abu Bakr (573–634) veranlasst worden war oder ob sie erst unter ʿUmar zustande kam, lässt sich nicht eindeutig beantworten.[32] Die islamische Überlieferung macht verschiedene Angaben. Üblicherweise wird berichtet, dass die Sammlung des Textes erst unter dem dritten Kalifen ʿUthmān endgültig abgeschlossen wurde.

    Maßnahmen im rechtlichen Bereich

    Strafrecht

    ʿUmar nahm während seines Kalifats auch einige rechtliche Veränderungen vor.[22] So setzte er die nicht im Koran, sondern nur durch Präzedenzfälle des Propheten begründete Steinigung[33] als Strafe für Ehebruch durch. ʿUmar berief sich bei dieser Maßnahme auf den sogenannten Steinigungsvers, von dem er behauptete, dass er ursprünglich im Koran gestanden habe, dann aber daraus gestrichen worden sei. Nach einer bekannten Überlieferung sagte er: „Ich habe gesehen, wie der Gesandte Gottes steinigen ließ, und wir haben nach ihm gesteinigt. Wenn die Leute mich nicht der Neuerungssucht beschuldigen würden, so hätte ich den Steinigungsvers in das Qorānexemplar eingetragen. Wir haben ihn aber wirklich recitiert.“[34] Theodor Nöldeke leitete daraus ab, dass die Steinigungsstrafe überhaupt erst durch ʿUmar eingeführt wurde, heute wird dies jedoch differenzierter gesehen.[35]

    Hinsichtlich der Verleumdung wegen Unzucht (qaḏf), auf die nach dem Text des Korans (Sure 24:4) 80 Peitschenhiebe stehen, wandte ʿUmar strengere Regeln an. Nach dem Koran sind vier Zeugen notwendig, um eine Person wegen außerehelichen Geschlechtsverkehrs (Zinā) zu verurteilen. Als im Jahre 638 vier Männer Mughīra ibn Schuʿba, den Statthalter von Basra, des außerehelichen Geschlechtsverkehrs mit einer Frau der Banū Hilāl anklagten, forderte er jeden einzelnen von ihnen auf, zu bezeugen, dass er gesehen habe, dass sein Geschlechtsteil in ihres eindrang, „so wie der Stift in den Schminkbehälter“ (ka-l-mīl fī l-mukḥula). Als einer der drei Männer, nämlich Ziyād ibn Abīhi, aussagte, dass er dies nicht genau gesehen habe, wurden die drei anderen Männer ausgepeitscht, die Anklage gegen Mughīra und die Frau wurde fallengelassen.[36] ʿUmar wird auch die Erfindung der Dirra zugeschrieben.[37] Hierbei handelte es sich um eine mit Dattelkernen gefüllte Kuh- oder Kamelhaut, die als Strafwerkzeug diente. Sie kam später vor allem in der Hisba zum Einsatz.[38]

    Ehe- und Sklavenrecht

    Außerdem verbot ʿUmar das überkommene Rechtsinstitut der zeitlich begrenzten, sogenannten „Genuss-Ehe“ (mutʿa), welche zu dieser Zeit noch viele Muslime praktizierten, wenn sie kurze sexuelle Beziehungen eingehen wollten. Anlass sollen verschiedene Fälle von Frauen gewesen sein, die infolge solcher mutʿa-Verbindungen schwanger geworden waren.[39] ʿUmar verbot darauf die Mutʿa-Ehe, weil er fürchtete, dass sie zu einem Sittenverfall (daġal) führen werde. Die Einführung dieses Verbots stieß bei einigen Prophetengefährten aber auch auf Ablehnungː So wird von ʿAbdallāh ibn ʿAbbās überliefert, dass er, als die Rede auf ʿUmars Verbot kam, folgende Worte sagte: „Gott möge mit ʿUmar Erbarmen haben! Die Mutʿa war doch eine Erlaubnis Gottesǃ Mit ihr hat Er sich der Gemeinschaft (Umma) Muḥammads erbarmt. Wenn sein [ʿUmars] Verbot [der Mutʿa] nicht wäre, bedürfte nur ein Lump (illā šaqīy) der Unzucht!“[40]

    Nach verschiedenen Hadithen, die im Sahīh Muslim überliefert sind,[41] nahm ʿUmar auch eine Änderung an den Regeln für den Talāq vor. Während nämlich in der Zeit des Propheten und Abū Bakrs und in den ersten Jahren seines eigenen Kalifats die drei Mal nacheinander ausgesprochene Talāq-Formel als einfacher Talāq galt und somit die Frau danach noch nicht endgültig geschieden war, führte ʿUmar die Regel ein, dass ein solcher dreifacher Talāq wie drei in drei unterschiedlichen Monatsperioden ausgesprochene Talāq-Formeln gelten sollten und die Ehe somit unmittelbar endgültig aufgelöst war. ʿUmar soll mit dieser neuen Regel versucht haben, die Männer von der Unsitte des dreifachen sofortigen Talāq abzubringen.[42] Im Sklavenrecht führte er die Regel ein, dass die Umm Walad, also die Sklavin, die ihrem Herrn ein Kind geboren hatte, nicht mehr verkauft, verschenkt oder vererbt werden konnte und nach dem Tod ihres Herrn die Freiheit erlangte.[43]

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    Tod

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    Grab von ʿUmar, in der Prophetenmoschee in Medina.

    ʿUmar wurde am 26. Dhū l-Hiddscha 23 (= 3. November 644) von Abū Lu'lu'a, einem Sklaven des Gouverneurs von Basra al-Mughīra ibn Schuʿba erdolcht. Nach der arabischen Überlieferung war das Motiv dafür die übermässige Steuer, über die sich der Sklave vergeblich bei dem Kalifen beklagt haben soll. ʿUmars Sohn ʿUbaidallāh hegte den Verdacht, dass der Mörder nur das willenlose Werkzeug einer Verschwörung von Prophetengefährten sei.[44]

    Nach ʿUmars Tod trat das von ihm eingesetzte Schūrā-Gremium zusammen und wählte als Nachfolger ʿUthmān ibn ʿAffān.[45]

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    Nachkommen

    ʿUmar hatte einen Sohn namens ʿAbdallāh, der als sehr fromm galt und nach der Schlacht von Siffin als möglicher Kompromisskandidat zwischen den Lagern von ʿAlī ibn Abī Tālib und Muʿāwiya I. als Kandidat für das Kalifat ins Spiel gebracht wurde.[46] Er ist auch einer der wichtigsten Hadith-Überlieferer. Sein zweiter Sohn ʿUbaidallāh fiel in der Schlacht von Siffin.[44]

    Religiöse Stellung im Islam

    Zusammenfassung
    Kontext
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    Viele Moscheen wurden nach ʿUmar benannt, so auch die Omar-Moschee (Bethlehem).

    ʿUmar gilt bei den Sunniten nicht nur als einer der vier rechtgeleiteten Kalifen, sondern auch als einer der ʿAschara Mubaschschara, der zehn Prophetengefährten, denen Mohammed das Paradies verheißen hat. Eine Tradition, die auf den Propheten zurückgeführt wird, lässt diesen sagen: „Wenn Gott gewollt hätte, dass nach mir noch ein anderer Prophet aufträte, so wäre es ʿUmar gewesen.“[44]

    Die Schia hat dagegen ʿUmar verabscheut, weil sie ihn als einen der Männer betrachtete, der die eigentlich ʿAlī ibn Abī Tālib zustehende Herrschaft usurpiert hatten.[47] Im Kitāb Sulaim ibn Qais, das als das früheste Buch der Schia gilt, wird die Ausrufung Abū Bakrs zum neuen Herrscher als Ergebnis eines Komplotts beschrieben, das schon vor dem Tod Mohammeds von ʿUmar, Abū Bakr und Abū ʿUbaida geschmiedet wurde. Dieses habe darauf abgezielt, Mohammed und seine Familie zu beseitigen, um selbst die Macht ergreifen und den Charakter der neuen Religion entstellen zu können.[48] Der schiitische Sektengründer al-Mughīra ibn Saʿīd (gest. 737) behauptete, dass mit dem in Sure 33:72 genannten „frevlerischen und ignoranten“ Menschen ʿUmar gemeint sei.[49]

    Sein Beiname al-Fārūq

    ʿUmars Beiname al-Fārūq wird im Allgemeinen als „derjenige, der Wahrheit von Lüge unterscheidet“ verstanden und soll ihm vom Propheten verliehen worden sein. Allerdings hat schon Eduard Sachau eine Verbindung zwischen dem arabischen Wort fārūq und dem syrisch-aramäischen Wort pārōqā, „Retter, Erlöser“ festgestellt, das ein messianisches Element enthält.[50] Spätere Forschungen haben gezeigt, dass mehrere Überlieferungen über ʿUmar als al-Fārūq in Verbindung zu den Ahl al-kitāb, insbesondere den Juden. Sie knüpfen sich an ʿUmars Einzug in Jerusalem und haben einen messianischen Beigeschmack.[24]

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    Beurteilung in der westlichen Literatur

    Dem plötzlichen Umschwung in seiner Haltung gegenüber dem Islam und seine spätere Stellung in der Geschichte des Islam haben dazu geführt, dass er im Westen auch „Heiliger Paulus des Islam“ bezeichnet wurde, allerdings haben die beiden nur wenig gemeinsam hatten außer ihrem hartnäckigen Einsatz für eine Sache, gegen die sie ursprünglich gekämpft hatten.[51]

    Siehe auch

    Literatur

    Arabische Quellen
    • Muḥammad ibn Saʿd (gest. 845): Kitāb aṭ-Ṭabaqāt al-kabīr. Ed. Eduard Sachau. Brill, Leiden 1904. Bd. III/1, S. 190–274. Digitalisat
    • Ǧalāl ad-Dīn as-Suyūṭī (gest. 1505): Taʾrīḫ al-ḫulafāʾ. Hrsg. von Muḥammad Ġassān Nasūḥ al-Ḥusainī. Wizārat al-Auqāf wa-š-šuʾūn ad-dīnīya, Katar 2013, S. 208–258. Digitalisat – Englische Übersetzung von Major H. S. Jarrett unter dem Titel History of the Caliphs. J. W. Thomas, Kalkutta 1880–1881, S. 112–152. Digitalisat
    Sekundärliteratur
    • Suliman Bashear: “The title Fārūq and its association with ʿUmar I” in Studia Islamica 72 (1990), 47–70.
    • Heribert Busse: “ʿOmar b. al-Khaṭṭāb in Jerusalem” in Jerusalem Studies in Arabic and Islam 5 (1984) 73-119.
    • Heribert Busse: ʿOmar’s image as the conqueror of Jerusalem. In: Jerusalem Studies in Arabic and Islam. Band 8, 1986, S. 149–168.
    • Leone Caetani: Annali dell' Islam. III. Band. Mailand 1910. Digitalisat; IV. Band. Mailand 1911. Digitalisat (Zusammenstellung des geschichtlichen Materials), V. Band. Mailand 1912 Digitalisat (Historische Synthese von ʿUmars Kalifat).
    • Mark R. Cohen: What was the pact of 'Umar? A literary-historical study. In: Jerusalem Studies in Arabic and Islam. Band 23, 1999, S. 100–157.
    • Giorgio Levi Della Vida: ʿOmar b. al-Khaṭṭāb. in Enzyklopädie des Islam Brill, Leiden 1936. Bd. III, S. 1061a–1063b Digitalisat. – Von Michael Bonner überarbeitete Version des Artikels: ʿUmar (I) b. al-Khaṭṭāb. In: The Encyclopaedia of Islam. New Edition. Brill, Leiden 2000. Bd. X, S. 818–821.
    • Daniel C. Dennett: Conversion and the Poll Tax in Early Islam. Cambridge, Mass. 1950.
    • Avraham Hakim: Conflicting Images of Lawgivers: The Caliph and the Prophet. Sunnat ʿUmar and Sunnat Muḥammad. In: H. Berg (Hrsg.): Method and Theory in the Study of Islamic Origins. Brill, Leiden – Boston 2003, S. 159–177.
    • Klaus Klier: Ḫālid und ʿUmar: Quellenkritische Untersuchung zur Historiographie der frühislamischen Zeit. (Islamkundliche Untersuchungen 217) Berlin 1998.
    • Henri Lammens: “Le ‘triumvirat’ Aboû Bakr, ʿOmar et Aboû ʿObaida”, in Mélanges de la Faculté Orientale de l’Université Saint-Joseph de Beirut 4 (1910), 113-44.
    • H. Lazarus-Yafeh: “ʿUmar b. al-Ḵh̲aṭṭāb–Paul of Islam?” in Dieselbe: Some religious aspects of Islam. Brill, Leiden 1981. S. 1–16.
    • Michael Lecker: “The Medinan Wives of ʿUmar b. al-Khaṭṭāb and His Brother, Zayd.” in Oriens 36 (2001) 242–47.
    • Wilferd Madelung: The succession to Muḥammad. A study of the early caliphate. Cambridge University Press, Cambridge 1996, S. 57–77.
    • William Muir: The Caliphate, its rise, decline and fall; from orig. sources. New and rev. edition. John Grant, Edinburgh 1924. Digitalisat
    • Albrecht Noth: Abgrenzungsprobleme zwischen Muslimen und Nicht-Muslimen. Die 'Bedingungen 'Umars (al-šurūṭ al-ʿumariyya)' unter einem anderen Aspekt gelesen. In: Jerusalem Studies in Arabic and Islam. Band 9, 1987, S. 290–315.
    • Gerd-Rüdiger Puin: Der Dīwān von ʿUmar ibn al-Ḫaṭṭāb. Ein Beitrag zur frühislamischen Verwaltungsgeschichte. Inaugural-Dissertation Bonn 1970.
    • Eduard Sachau: „Über den zweiten Chalifen Omar: Ein Charakterbild aus der ältesten Geschichte des Islams“ in: Sitzungsberichte der Königlich Preussischen Akademie der Wissenschaften zu Berlin Jahrgang 1902: Erster Halbband (Januar bis Juni) S. 292–323. Digitalisat
    Commons: ʿUmar ibn al-Chattāb – Sammlung von Bildern

    Einzelnachweise

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