Loading AI tools
Aus Wikipedia, der freien Enzyklopädie
Als tibetische Siegel bezeichnet man sowohl die Siegelstempel (diese könnte man auch mit dem aus dem Slawischen stammenden Begriff als „Petschaft“ bezeichnen) als auch die zugehörigen Siegelabdrucke. Siegelabdrucke dienten als Beglaubigungsmittel für tibetische Urkunden und als Äquivalent für die in der westlichen Welt gebräuchliche Unterschrift am Ende eines Briefes. Belegt ist auch der Gebrauch von Abdrucken auf Siegellack zum Verschluss von Briefen.
Die Entstehungsgeschichte des Siegelgebrauchs in Tibet ist noch nicht erforscht. Der frühe Gebrauch von Siegeln zur Zeit der Yarlung-Dynastie (7.–9. Jahrhundert n. Chr.) ist nachgewiesen.
Im Laufe ihrer Geschichte entwickelten die Tibeter ihre eigenen Siegelformen und gebrauchten verschiedene einheimische oder aus Indien stammende Zierschriften.
Die ersten Tibetforscher, die sich mit dem Entziffern von offiziellen tibetischen Siegeln befassten, waren der deutsche Missionar und Tibetforscher A. H. Francke sowie die Engländer Walsh und Waddell. Als Grundlage ihrer Entzifferungsversuche dienten ihnen eine frühere Veröffentlichung von Sarat Chandra Das, die sich mit verschiedenen tibetischen Schriften befasste, unter anderem mit der Phagspa-Schrift, die häufig auf offiziellen Siegeln benutzt wird. Reverend G. Tharchin veröffentlichte 1956 ein Buch, in welchem offizielle tibetische Siegel besprochen werden. Die systematische Erforschung und vollständige Lesung der oft dreisprachigen (Tibetisch, Chinesisch und Mandschurisch) offiziellen Siegel gelang dem deutschen Tibetologen Dieter Schuh. Es folgten Arbeiten von tibetischen und chinesischen Forschern über offizielle Siegel. Dagegen sind die zahlreichen Privatsiegel und diejenigen, die in Klöstern und untergeordneten Regierungsämtern Verwendung fanden, bisher noch wenig erforscht und publiziert.
Die ältesten bekannten Siegelabdrucke befinden sich auf tibetischen Dokumenten, welche an verschiedenen Orten in Chinesisch-Turkestan (heute Xinjiang) entdeckt wurden, vor allem diejenigen, die aus einem buddhistischen Höhlentempel in Dunhuang stammen. Diese Dokumente gehen überwiegend auf die Zeit des späten 8. Jahrhunderts bis zur Mitte des 9. Jahrhunderts zurück, als weite Teile von Chinesisch-Turkestan von Tibet besetzt waren. Da der weitaus größte Teil der Bevölkerung Tibets schreibunkundig war, dienten Siegel anstelle einer Unterschrift.
Seit der Zeit der Yuan-Dynastie verliehen chinesische Kaiser zahlreichen tibetischen Potentaten Siegel, die meist aus edlen Materialien wie Gold, Silber, Jade oder Elfenbein gefertigt waren. Beeindruckend durch ihre Größe und kunstvolle Gestaltung der Inschriften sind vor allem die Siegel, die Panchen Lamas, Dalai Lamas und Regenten verliehen wurden.
Daneben kamen Kloster- und Privatsiegel in Gebrauch, um Dokumente wie Kauf- oder Schenkungsverträge zu siegeln. Privatsiegel sind gewöhnlich aus Eisen gefertigt, oder aus getriebenem Silberblech, das einen Zylinder bildet, in welchen eine runde Eisenplatte mit der Siegelaufschrift eingelassen ist. Klostersiegel sind meist aufwendiger gestaltet. Sie können einen fein geschnitzten Holz- oder Elfenbeingriff besitzen, in welche eine quadratische Eisenplatte eingefügt wird, oder sie können ganz aus Metall gearbeitet sein, wobei der Griff oft in komplizierter Schmiedearbeit mit durchbrochenen Ornamenten hergestellt ist. Die Verwendung von Eisen als Material für die Siegelherstellung ist eine Eigenheit Tibets, die sich nur wegen des trockenen Hochlandklimas, das kaum Korrosion hervorruft, entwickeln konnte.
Die von China verliehenen offiziellen Siegel sind oft dreisprachig: tibetische Schrift, chinesische Schrift und mandschurische Schrift. Privat- und Klostersiegel verwenden im Allgemeinen nur Tibetisch, das jedoch in verschiedenen Schriftarten erscheint. Auf Klostersiegeln, die meist quadratisch sind, findet man vor allem die von Phagspa im 13. Jahrhundert entwickelte Quadratschrift, die nach dem Erfinder auch Phagspa-Schrift genannt wird. Daneben kommen ornamentale Schriften wie Lantsa (Ranjana) vor. Auf den meist runden, gelegentlich auch quadratischen Privatsiegen findet man meistens die tibetische dbu-can-Schrift, die oft in Abkürzung den Namen des Siegelbesitzers wiedergibt. Manche Privatsiegel besitzen keine Inschrift und zeigen stattdessen nur ein Glück bringendes Symbol, das oft eines der acht buddhistischen Symbole (Ashtamangala) ist. Runde Privatsiegel zeigen meist ein Sonnen- und Mondsymbol oder drei Punkte am Rand. Letztere stellen wohl das buddhistische Symbol Triratna dar, das Buddha, Sangha (die Mönchsgemeinschaft) und Dharma (die Lehre) bezeichnet. Diese Symbole zeigen dem schriftunkundigen Besitzer an, welches der obere Bereich des Siegels ist und verhüten damit, dass der Siegelaufdruck kopfstehend erscheint. Die Siegel wurden mit roter (nur bei den Siegeln der höchsten Würdenträger wie Dalai Lamas und Panchen Lamas) oder schwarzer Farbe auf das Dokument aufgedruckt. Siegelwachs oder Siegellack wurde nur gelegentlich zum Verschließen von Dokumenten zum Versand benutzt, nicht jedoch, um dem Dokument Autorität zu verleihen. Der häufige Gebrauch dieser Substanzen nach westlicher Art kam erst nach 1900 in Mode, nach der Einrichtung des tibetischen Postsystems, als Briefe mit Siegellack verschlossen und der Lack mit einem privaten Siegelaufdruck versehen wurde. Siegelabdrucke in Ton, wie sie bei Tibets südlichen Nachbarn Indien und Nepal vorkommen, sind aus Tibet nicht bekannt.
JRAS = Journal of the Royal Asiatic Society of Great Britain and Ireland, London
Seamless Wikipedia browsing. On steroids.
Every time you click a link to Wikipedia, Wiktionary or Wikiquote in your browser's search results, it will show the modern Wikiwand interface.
Wikiwand extension is a five stars, simple, with minimum permission required to keep your browsing private, safe and transparent.