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Zusammenschluss von Experten für komplementäre und Alternativmedizin Aus Wikipedia, der freien Enzyklopädie
Der Münsteraner Kreis ist ein interdisziplinärer Zusammenschluss von Persönlichkeiten unterschiedlicher Fachrichtungen mit Expertise auf dem Gebiet komplementärer und alternativer Medizin (KAM). Er tritt für eine konsequente Evidenzbasierung innerhalb des öffentlichen Gesundheitswesens und der freien Heilberufe ein. Die Kritik des Kreises richtet sich besonders gegen die Homöopathie und die derzeitige Ausbildung zum Heilpraktiker. Zu diesen beiden Themen hat er je ein Memorandum veröffentlicht.
Der Münsteraner Kreis widmet sich der komplementären und alternativen Medizin (KAM) innerhalb des öffentlichen Gesundheitswesens und der staatlich zugelassenen Ausübung der Heilkunde. Neben medizinischen will der Kreis auch ethische, wissenschaftstheoretische, psychologische und juristische Aspekte in seine Überlegungen einbeziehen. Er beabsichtigt mit seiner Tätigkeit einen Beitrag zum öffentlichen Diskurs über die KAM und deren Rolle im Gesundheitswesen zu leisten. Die Arbeit des Kreises wird nicht von Dritten finanziell unterstützt.[1]
Der Zusammenschluss zum Münsteraner Kreis fand im Juni 2016 auf Initiative der Medizinethikerin Bettina Schöne-Seifert von der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster statt.[1] Er ist im Juli 2017 mit dem sogenannten Münsteraner Memorandum Heilpraktiker, einem Thesenpapier zur Problematik des Heilpraktikerstandes in Deutschland, erstmals öffentlich in Erscheinung getreten. Die Gründung des Münsteraner Kreises fand im Zusammenhang mit der Veröffentlichung des Memorandums weite Beachtung in den Medien.[2][3][4][5][6][7][8][9] Im Oktober 2023 erklärte der Kreis seine Auflösung.[10][11]
Die Initiatorin erklärte zur Zielsetzung, man „wolle ausloten, wie ein solidarisches Gesundheitswesen verantwortlich und fair mit dem Clash zwischen gefährlicher Pseudowissenschaft und Selbstbestimmung umgehen sollte. Um es deutlich zu sagen: Wir wollten den gegenwärtigen Irrsinn nicht länger hinnehmen.“ Der Münsteraner Kreis sehe in der Existenz der akademischen Medizin einerseits und der Sphäre der Komplementären und Alternativen Medizin (KAM) andererseits unvereinbare Parallelwelten. Während die akademische Medizin nach Evidenzbasierung und begründetem Fortschritt strebe, seien Heilpraktiker in der überwiegend unwissenschaftlichen Gedankenwelt der Komplementären und Alternativen Medizin (KAM) verankert. Seit vielen Jahren gebe es immer wieder teilweise intensiv geführte Diskussionen um das Thema Komplementäre und Alternative Medizin. Zu den hunderten von Verfahren seien zwar zahlreiche klinische Studien durchgeführt worden, deren Qualität allerdings häufig sehr gering sei. Überzeugende Belege für eine Wirksamkeit würden meist fehlen. Zudem widersprächen die tradierten Krankheitskonzepte und Interventionen der KAM oft fundamentalen naturwissenschaftlichen Erkenntnissen.[12]
Die Aktivitäten des Münsteraner Kreises zielen darauf ab, im Rahmen des öffentlichen Diskurses und im Hinblick auf die Gesundheitspolitik Anstöße unter dem Aspekt der Qualitätssicherung und damit des Patientenschutzes zu geben. Das „Münsteraner Memorandum Heilpraktiker“ versteht der Kreis dabei als eine erste konkrete Aktivität im Gesamtrahmen.
Als erstes Arbeitsergebnis des Münsteraner Kreises wurde das „Münsteraner Memorandum Heilpraktiker“ am 21. August 2017 als Volltext im Deutschen Ärzteblatt und auf der Webseite der Initiative veröffentlicht.
Die Anwendung von Methoden der Komplementären und Alternativen Medizin ohne wissenschaftlichen Nutzennachweis verortet das Memorandum in der Hauptsache im Bereich der Heilpraktiker. Dabei hält der Münsteraner Kreis die geringen Zugangs- und die fehlenden Ausbildungsvoraussetzungen für eine „Ausübung der Heilkunde ohne Bestallung“ (die gesetzliche Bezeichnung der Heilpraktikertätigkeit[13]), insbesondere die im Vergleich zu einem wissenschaftlichen Medizinstudium minimalen fachlichen Voraussetzungen, nicht für vertretbar. Fußend auf diesen Prämissen sieht das Memorandum Schadenspotenziale für Patienten bei der Anwendung solcher Methoden sowohl durch Heilpraktiker als auch durch Ärzte. Vor diesem Hintergrund befasst sich das Memorandum mit der Frage, wie hierzu im Rahmen einer Abwägung von Patientenautonomie und Therapiefreiheit, aber auch unter dem Aspekt der Fairness innerhalb der solidarischen Krankenversicherung, ein Regulativ geschaffen werden könnte.
Als Lösungsansätze schlägt das Memorandum alternativ die Abschaffung des bisherigen Heilpraktiker-Konstruktes oder aber die Schaffung eines „Fachheilpraktikers“ mit klar umrissenem Tätigkeitskreis und einer Ausbildung auf Fachhochschulniveau vor. Die Reaktionen in den Medien[14][15][16][17][18][19][20][21][22], in Fachpublikationen und aus der organisierten Ärzteschaft[23][24][25][26] und auch aus dem Bereich der Heilpraktiker und ihrer Interessenvertretungen[27][28][29][30][31] waren vielfältig.
Das Memorandum wird auch im Kontext der Vorschläge des Bund-Länder-Entwurfs unter Federführung des Gesundheitsministeriums für eine Reform der Heilpraktikerprüfung diskutiert.[32][33]
Das Deutsche Netzwerk Evidenzbasierte Medizin (DNEbM) hat in einer Erklärung vom 24. Oktober 2017[34] die Inhalte des Münsteraner Memorandums aufgegriffen. Das DNEbM erklärt darin seine eindeutige Präferenz für die Abschaffung der staatlichen Erlaubnis, die Heilkunde als Heilpraktiker auszuüben. Es erkennt bei konsequenter Evidenzbasierung in allen Heilberufen keine ausreichende Grundlage für einen qualifizierenden Studiengang zum „Fachheilpraktiker“, wie ihn das Münsteraner Memorandum als eine Alternative für denkbar hält, und darin auch keine Lösung für das Qualifikationsproblem. Das DNEbM sieht zudem deshalb wenig Sinn in einem Berufsbild Fachheilpraktiker, weil nach seiner Ansicht die Möglichkeiten der Heilkundeübertragung in Modellprojekten laut Pflegeweiterentwicklungsgesetz von 2008 und gemäß Heilkundeübertragungsrichtlinie des Gemeinsamen Bundesausschusses[35] (nach § 63 Abs. 3c SGB V) auf Pflegefachpersonen bestehen und die hierin liegenden Potenziale, heilkundliche Tätigkeiten auf die Pflege zu übertragen, mitnichten ausgeschöpft seien.
Im Februar 2018 ersuchte der Münsteraner Kreis den 121. Deutschen Ärztetag, die Zusatzbezeichnung „Homöopathie“, die bisher von den Ärztekammern für Fortbildungen im Bereich Homöopathie an Ärztinnen und Ärzte vergeben wird, ersatzlos zu streichen.
Da die Homöopathie sich nicht auf pharmakologisch und physiologisch plausible Wirkstoffe berufe, sondern auf immaterielle, geistartige Wirkkräfte, müsse sie der Esoterik zugerechnet werden. Außerdem hätten hunderte klinische Studien und etliche Reviews für die Homöopathie zusammenfassend negative Beurteilungen nationaler und internationaler Gremien ergeben.
Der Münsteraner Kreis gab an, dass die Homöopathieziffer im Versorgungsalltag vielfach als Ersatz für eine mangelnde Abrechenbarkeit der ärztlichen Kommunikation genutzt werde, und warnte davor, die Probleme der wissenschaftlichen Medizin von einer unwissenschaftlichen Parallelwelt scheinbar zu „reparieren“. Diese müssten vielmehr innerhalb der wissenschaftlichen Medizin gelöst werden. Selbst die Verabreichung von Homöopathika als verdeckte Placebos sei abzulehnen, weil sie das Recht der Patienten auf ehrliche Aufklärung verletze und zugleich eine 'Parallelmedizin' adele und unterhalte.[36]
Bereits im Vorfeld des 121. Deutschen Ärztetages stieß das Memorandum Homöopathie auf Bedenken. So forderte der Präsident der Ärztekammer Westfalen-Lippe zwar, die Krankenkassen sollten die Kosten für Homöopathie nicht mehr im Rahmen von Satzungsleistungen erstatten. Die Abschaffung der Zusatzbezeichnung lehnte er aber ab, da die Homöopathie sonst in die Hände nichtärztlicher Berufsgruppen gelangen würde.[37] Dem Ärztetag lag jedoch kein Änderungsantrag zur Musterweiterbildungsordnung vor, was zur Bestätigung der insofern unveränderten Musterweiterbildungsordnung – ohne Diskussion über die Homöopathie – am 11. Mai 2018 führte.[38] Danach (bis März 2022) haben zwölf von 17 Landesärztekammern gegen die Homöopathie in ihren Landesweiterbildungsordnungen und damit gegen die „Zusatzbezeichnung Homöopathie“ votiert.[39]
Im März 2022 veröffentlichte der Kreis ein weiteres Memorandum[40], das sich als Plädoyer für eine eindeutige Wissenschaftsorientierung der Medizin bei gleichzeitigem „Primat der Patientendienlichkeit“ versteht. Es hebt auch mit Blick auf Entwicklungen und Fehlentwicklungen während der Corona-Pandemie besonders hervor, dass „Vorläufigkeit und interne Strittigkeit vieler medizinischer Theorien und Praktiken keine Rechtfertigung für Pseudomedizin oder Wissenschaftsskepsis“ seien. Maßstab für gute Medizin sei „am Ende nur die für WOM (wissenschaftsorientierte Medizin) maßgebliche Kombination von Kausalverständnis und Wirksamkeitsbelegen“.
Neben der Forschungsbasierung wissenschaftsorientierter Medizin schreibt das Memorandum auch der praktizierenden Ärzteschaft eine aktive Rolle durch die „Nutzbarmachung geeigneter Wissensbestände aus allen relevanten Disziplinen“ zu. Hierunter versteht das Memorandum die Verpflichtung des Ärztestandes, „Behandlungsempfehlungen an aktuellen wissenschaftlichen Einsichten auszurichten und sich entsprechend lebenslang weiterzubilden“.
Wirkmechanismen, „die mit bewährten Erklärungsnetzen überhaupt nicht in Einklang zu bringen sind oder diesen fundamental widersprechen“, verortet das Memorandum als unvereinbar mit dem Anspruch einer wissenschaftsorientierten Medizin. Das seien solche, die weder theorie- und experimentbasierte Argumente für Postulate und Erklärungen bestimmter Wirkmechanismen vorlegen noch mit empirisch-klinischen Anwendungsdaten einen realen Nutzen nachweisen könnten.
Das Memorandum hebt die Bedeutung relevanter sozialwissenschaftlicher, psychologischer und psychotherapeutischer Wissensbestände für eine wissenschaftsorientierte Medizin besonders hervor und tritt damit gleichzeitig Vorwürfen entgegen, eine wissenschaftsorientierte Medizin habe einen reduktionistischen Charakter. Zudem beleuchtet es die in der Pandemie gewandelte Rolle der wissenschaftlichen Politikberatung, auch vor dem Hintergrund des in der Pandemie erschütterten bislang „naiven Bildes wissenschaftlich homogener Ansichten“ in der Allgemeinheit.
Für die Sphäre der KAM (komplementäre und alternative Medizin) konstatiert das Memorandum in der Pandemie besonders deutlich gewordene wissenschaftsskeptische bis -feindliche Haltungen, die sich nunmehr z. B. in überhäufigen Auftreten von Impfskepsis und Neigung zu Verschwörungstheorien bei Anhängern dieser Richtungen manifestiert hätten. Die Verfasser sehen insofern eine hohe Aktualität ihrer früheren beiden Memoranden zu Heilpraktikern und zur Homöopathie.
Das Memorandum weist eine Relativierung der grundsätzlichen Überlegenheit wissenschaftsorientierter Medizin gegenüber anderen Konzeptionen von Patientenbehandlung zurück. Weder sei die WOM ihrer Methodik wegen weder mit pseudomedizinischen Ansätzen vereinbar noch könne eine solche Relativierung mit Wissenslücken, Qualitäts- und Strukturmängeln im medizinischen Alltag gerechtfertigt werden.
In der Frankfurter Allgemeinen Zeitung veröffentlichten Bettina Schöne-Seifert und Norbert Schmacke (beide Münsteraner Kreis) am 18. März 2022 einen Artikel unter dem Titel „Warum Alternativmedizin nicht mit moderner Medizin vereinbar ist“, in dem sie auch Intentionen und Ziele des „Memorandums Wissenschaftsorientierte Medizin“ erläutern.[41]
Dem Münsteraner Kreis gehören derzeit (Stand Januar 2022) folgende Mitglieder an:
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