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österreichischer Philosoph und Autor der deutschen Aufklärung Aus Wikipedia, der freien Enzyklopädie
Carl Leonhard Reinhold (* 26. Oktober 1757[1][2] in Wien; † 10. April 1823 in Kiel) war Philosoph und Schriftsteller. Er gilt als der wichtigste aus Österreich stammende Vertreter der deutschen Aufklärung. Inzwischen wird sein philosophisches Denken in seinem gesamten Umfang und als eigenständiger Ansatz innerhalb der postkantischen Systemphilosophie zur Kenntnis genommen, erforscht und interpretiert.
Reinhold wurde als Sohn des Beamten Karl von Reinhold (1724–1779), der durch seine Kriegsteilnahme an den Erbfolgekriegen Maria Theresias invalid geworden war, geboren. Der Vater war als Kriegsversehrter in der Kommandantur Wiens, dem Arsenal, tätig. Sein Einkommen erlaubte es ihm, seine sieben Kinder ausbilden zu lassen und ein bescheidenes Leben mit seiner Familie zu führen. Er soll – laut Auskunft seines Enkels Ernst Reinhold – ein biederer, gutmütiger und lustiger Mann gewesen sein. Reinholds Mutter Franziska (1731–1776), geborene Briedl (Bründl), widmete sich den Kindern und ihren häuslichen Pflichten. Ihre sanfte Frömmigkeit dürfte zu Reinholds früh entstandenem Wunsch beigetragen haben, Priester zu werden. Der begabte Reinhold besuchte von seinem 7. Lebensjahr an das Wiener Gymnasium, an dem Jesuiten unterrichteten. Mit 14 Jahren legte er dort „mit rühmlichen Zeugnissen“ das Abitur ab.
1772 trat er 15-jährig als Novize ins Jesuitenkolleg St. Anna ein. Innerhalb kurzer Zeit stellte er sich auf die asketische Lebensweise im Kloster ein. Diese wurde infolge kirchenpolitischer Entscheidungen plötzlich unterbrochen. 1773 waren auf päpstlichen Erlass hin die Jesuitenorden weltweit aufgelöst worden. Reinhold rechnete die damalige päpstliche Entscheidung nicht nur dem sündigen Verhalten des Ordens, sondern auch seinem eigenen als Folge zu. Die Novizen wurden nach Hause entlassen.
In einem Brief an den Vater, in dem Reinhold seine Rückkehr ankündigte, brachte er seine Betroffenheit zum Ausdruck. Dem Rat seines Jesuitenrektors folgend, wollte er auch zu Hause seinem bereits eingeschlagenen Weg zum Klosterleben treu bleiben, bis er sich für einen anderen Orden entschieden habe. „Ich werde in der Welt leben, ohne der Welt zu leben“, schrieb er dem Vater und bat darum, ihm ein Zimmer zu überlassen, in dem er abseits vom Familienleben sein klösterliches Leben fortsetzen könne.[3]
Ein halbes Jahr später (1774) trat er in den Barnabitenorden ein. Ähnlich wie bei den Jesuiten war es in diesem gegenreformatorisch wirkenden Orden die Hauptaufgabe, die angehenden Kleriker neben ihrer klösterlichen Ausbildung gründlich wissenschaftlich zu bilden. Reinhold absolvierte während seines Noviziats drei Jahre lang eine philosophische und weitere drei Jahre eine theologische Ausbildung. Sein Fleiß und seine rasche Auffassungsaufgabe wurden von seinen Lehrern honoriert. Sie übertrugen ihm ab 1778 philosophische Lehrtätigkeiten. 1780 wurde er zum Priester geweiht, übernahm die Ausbildung der Novizen bei den Barnabiten und war als Philosophielehrer tätig. Er unterrichtete Logik, Metaphysik, Ethik, Predigtkunst, Mathematik und Physik.
Reinhold war – wie sein Sohn Ernst berichtet – ein liebenswerter und liebenswürdiger Mann. Sein Leben lang begleiteten ihn Freundschaften mit Menschen, die ihn in seiner persönlichen Entwicklung anregten und unterstützten.
Eine solche Persönlichkeit war Paul Pepermann, sein Lehrer in Philosophie und Theologie im Noviziat bei den Barnabiten. Von Anfang an gab es zwischen beiden eine herzliche Beziehung, die sich bis zu Pepermanns Tod 1792 auch im Briefwechsel zwischen ihnen zeigte. Pepermann galt als vorurteilsfreier und klar denkender Geistlicher, war gründlich wissenschaftlich ausgebildet und hatte originelle Ideen. Er war mit deutschen Eltern in England aufgewachsen. Reinhold lernte durch ihn Englisch. So wurde ihm die Lektüre englischer Philosophen – u. a. John Locke und David Hume –, englischer Dichter und der englischen Geschichte möglich. Diese Literatur interessierte Reinhold lebenslang.
Einem weiteren Barnabiten namens Michael Denis durfte Reinhold eigene Gedichte zur Kenntnis und Beurteilung vorlegen. Er lernte im Haus von Denis den Bergbauwissenschaftler und Freimaurer Ignaz von Born, den Jesuiten und Astronomen Hell und die Dichter Karl Mastalier und Joseph von Sonnenfels kennen.
Auch Freundschaften aus dem Wiener Gymnasium mit Johann Baptist von Alxinger, Aloys Blumauer, Lorenz Leopold Haschka, Gottlieb von Leon und Joseph Franz Ratschky blieben über viele Jahre erhalten.[4] Er nahm mit ihnen zusammen an der anregenden und vergnüglichen Wiener Musik- und Theaterwelt (u. a. Wolfgang Amadeus Mozart und Christoph Willibald Gluck) teil. Eigene Gedichte und Kritiken über Theaterveranstaltungen wurden veröffentlicht. Man besuchte auch naturwissenschaftliche Sammlungen. Es entsprach dem Geist der Zeit, naturwissenschaftliche Studien denen der Religion vorzuziehen.[5]
Der aufklärte Gedanke der Toleranz hatte sich im 18. Jh. neben den Ideen der Freiheit, Gleichheit und der Humanität auch in Österreich verbreitet und Veränderungen der Denkweisen eingeleitet. Während die katholische Maria Theresia Toleranz gegenüber anderen Konfessionen und Religionen noch für „höchst gefährlich“ hielt, ging ihr Sohn Joseph II. seit 1781 die Umsetzung der Toleranz konsequent an. In seinen Toleranzpatenten gestand er den Angehörigen nicht-katholischer Konfessionen und Religionen neue Rechte zu. Damit förderte er den Gedanken der religiösen Toleranz in der Gesellschaft.[6]
In der Wiener Gesellschaft wurde der Toleranz-Gedanke durch verschiedenste Aktivitäten verbreitet. Eine davon war die Initiative des Bergbauwissenschaftlers, Mitgliedes der Leopoldina und der Freimaurerloge in Prag Ignaz von Born, der einen Verein gegründet hatte. Dieser Verein wollte ganz im Sinne der Ideen Josephs II. aufklärerische Ideale wie Gewissens- und Gedankenfreiheit unterstützen und pflegen sowie das Mönchswesen mit allen Mitteln der Gelehrsamkeit seiner Mitglieder kritisieren. Zusammen mit gleichaltrigen, früheren Freunden schloss Reinhold sich diesem Verein an. Er und seine Jugendfreunde sollen zu den Eifrigsten in diesem Bund gehört haben. Dieser Verein trug als Freimaurerloge den Namen „Zur wahren Eintracht“.
Neben vielen anderen Aktivitäten gründeten ihre Mitglieder die „Wiener Realzeitung“, die kritische Rezensionen zu den verschiedensten Veröffentlichungen druckte. Die Stellungnahmen ließen die Auffassung der Mitarbeiter erkennen, dass Aufklärung Zeit brauche, während nicht mehr zeitgemäße Sichtweisen nur nach und nach vertrieben werden könnten. In der Rubrik „Theologie und Kirchenwesen“ stammten die meisten Rezensionen von Reinhold.[7] Er zeigte sich in seinen Rezensionen und in Aufsätzen für andere Journale (z. B. für die „Allgemeine Literatur-Zeitung“) als eifriger Befürworter der Reformen Josephs II., sowie als engagierter Vertreter einer radikalen Aufklärung und religiöser Toleranz.[8]
Die schriftstellerischen Tätigkeiten, in denen er engagiert den aufgeklärten Gedanken einer allgemeinen Humanität und Freiheit vertrat, machten Reinhold bewusst, dass er sich von den Werten seines Mönchsgelübdes bereits weit entfernt hatte. Er fühlte sich inzwischen nicht mehr an seine jugendliche Entscheidung gebunden. Auf seine Eltern musste er keine Rücksicht nehmen, da sie nicht mehr lebten. Er entschied sich dafür, den geistlichen Stand aufzugeben, um sich neu zu orientieren.[9]
Es sei für seinen Vater nicht leicht gewesen, so Ernst Reinhold, sich aus dem „künstlichen Gespinnst von Täuschungen“ seiner klösterlichen Zeit in Wien zu befreien. Religiöse Vorurteile und Irrtümer habe dieser infolge stets als „abschreckend“ empfunden. Die Lösung aus diesen Täuschungen habe sich jedoch förderlich für dessen Entwicklung zu einem ungewöhnlichen Philosophen ausgewirkt. Das Ungewöhnliche bzw. „Eigenthümliche“ des Philosophierens Reinholds zeigte sich darin, dass seine theoretischen Lösungen immer von praktischen Überlegungen und Lebensbezügen bestimmt worden seien. In einer Zeit, als Fichte z. B. davon ausging, dass zwischen Philosophie und menschlichem Leben eine „unüberbrückbare Kluft“ bestehe, habe Reinhold „mit praktischer Wärme und Begeisterung philosophiert“.[10]
Die kirchenpolitischen Machtverhältnisse ließen es damals nicht zu, Reinhold von seinem Mönchsgelübde zu entbinden. Er verließ daher 1783 mit Unterstützung von Freunden Wien und erhielt in Leipzig das „akademische Bürgerrecht“. Akademische Bürger waren von Steuern und sonstigen Abgaben befreit. Sie unterstanden der Gerichtsbarkeit der Universitäten.[11] Er besuchte Vorlesungen, schrieb weiterhin Artikel für das Wiener Freimaurerjournal und wurde von der Wiener Loge finanziell unterstützt. Den Wunsch, nach Wien zurückzukehren, musste er schließlich wegen der unerwartet weiter bestehenden kirchenpolitischen Hindernisse aufgeben. Sein Freund Born empfahl ihm, in das protestantische Weimar überzusiedeln, um denkbaren Verfolgungen und Einflüssen kirchlicher Behörden sicher zu entgehen. Reinhold war inzwischen zum Protestantismus übergetreten. Born sagte Reinhold auch weiterhin finanzielle Unterstützung durch die Loge und durch die Abnahme von philosophischen Artikeln für das Wiener Freimaurerjournal zu.[12]
Den Freimaurern und ihrem Ideal der Toleranz und des lebenslangen Lernens blieb Reinhold bis an sein Lebensende treu. Aus seiner Sicht bedeutete dies für einen Philosophen, Ideen für eine auf Humanität gründende Lebenspraxis zu entwickeln. Diese Ideen sollten allgemeinverständlich und für jeden nachvollziehbar sein.[13]
Im Mai 1784 lernte Reinhold nach seiner Umsiedlung den Dichter und Verleger Christoph Martin Wieland kennen. Die beiden schlossen eine lebenslange Freundschaft. Reinhold schickte bis 1788 Artikel an das Wiener Freimaurerjournal und wurde Mitarbeiter von Wielands Literaturzeitschrift „Der Teutsche Merkur“. Für diese verfasste er Rezensionen und schrieb Beiträge zur Aufklärung und über die Entwicklung der Wissenschaften und des Patriotismus in Deutschland.
Reinhold wurde bald die Hauptarbeit an der Redaktion des „Merkur“ übertragen. Er verfügte nun über ein ausreichendes Einkommen und hielt um die Hand von Wielands Tochter Sophie Katharina Susanne an. Die Eheschließung fand 1785 statt. Die Ehe dauerte bis zum Tod Reinholds 1823. Diese lange Ehezeit passte zu meinen Eltern, schrieb Ernst Reinhold in seiner Biographie über den Vater. Sie gaben ein Beispiel für eine durch Liebe und Achtung geprägte Beziehung, die nur durch seltene Unglücksfälle getrübt wurde. 1786 wurde die einzige Tochter Karoline geboren und 1788 der erste Sohn Karl; 1793 Ernst, der später die Biographie und Literatur seines Vaters herausgab. 1795 schließlich kam der jüngste Sohn Friedrich zur Welt.[14]
Im Kontext von Kontroversen um die Vereinbarkeit von Denken und Glauben in einer Zeit der Aufklärung veröffentlichte Reinhold 1785 außerhalb des „Merkur“ die Schrift „Herzenserleichterung zweier Menschenfreunde in vertraulichen Briefen über Lavaters Glaubensbekenntnis“. Er stellte darin in einem fiktiven Dialog zweier Menschenfreunde das Für und Wider eines Glaubens dar, den Reinhold wegen der schwärmerisch-spekulativen Phantasien, die der reformierte Johann Caspar Lavater zu dessen Begründung heranzog, für nicht mehr zeitgemäß hielt. Er, so Reinhold, nehme an, dass seine Darstellung dazu beitragen könne, das „Widersinnige“ und damit das Unaufgeklärte der religiösen Vorstellungen Lavater’s sichtbar und nachvollziehbar zu machen.[15]
Durchaus vereinbar mit aufklärerischen Ideen hielt Reinhold dagegen den Glauben, den Johann Gottfried Herder in seiner Geschichte der Menschheit beschrieb. Gegen die Kritik Immanuel Kants in der „Allgemeinen Literatur-Zeitung“, dass es Herder an Gründlichkeit und exakten Begriffen mangle, betonte Reinhold die „eigentümlichen Vorzüge“ der Darstellung Herders.[16] Herder gehe nämlich von konkreten Erfahrungen und natürlichen Gegebenheiten aus und nicht von schul-philosophischen Prinzipien. Diese Erfahrung sei für Herder das Entscheidende, was aus der Sicht Kants nicht oder kaum bemerkt werden könne.[17]
1785 beauftragte Wieland ihn mit der Herausgabe einer Damenenzyklopädie unter dem Titel „Allgemeine Damenbibliothek“. Es war ein – zusammen mit einem Leipziger Verleger realisiertes – deutsch-französisches Gemeinschaftsprojekt, das das in beiden Ländern vernachlässigte Interesse weiblicher Leser an Literatur und philosophisch-wissenschaftlichem Themen bedienen sollte. Die Enzyklopädie umfasste 6 Bände. Der letzte Band erschien 1789.[18]
1785 begann Reinhold mit der Lektüre der „Kritik der reinen Vernunft“. Ab 1786 erschienen im „Merkur“ bis 1789 die Briefe über die Kantische Philosophie, die 1790 auch als Buch veröffentlicht wurden. Sie verbreiteten Kenntnisse über die kantische Philosophie in der Öffentlichkeit. Reinhold empfahl die Kritik als „Meisterwerk“, die – sobald sie verstanden sei – die überraschendsten und wohltuendsten „Revolutionen“ hervorbringen könne.[19] Der Universitätsphilosoph Ernst Otto Onnasch hält es aus heutiger Sicht für unmöglich, dass Reinhold – angesichts des hohen Schwierigkeitsgrades der Kritik – sich diese innerhalb eines knappen Jahres zu eigen machen konnte.[20]
Reformation und Gegenreformation waren immer wieder Themen im „Teutschen Merkur“. In den Jahren zwischen 1787 und 1789 nahm Reinhold zur Darstellung der Reformation durch den Wiener Hofrat und Archivar Schmidt Stellung. Dieser hatte in seiner „Neueren Geschichte der Deutschen“ verneint, dass die Lehre des christlichen Glaubens und dessen Institutionen durch reformatorische Ideen gefördert werden.
Für Reinhold stand damit auch der Wert reformatorischer Ideen für die Aufklärung in Frage. Er wies darauf hin, dass die Hauptbedeutung der Reformation darin bestehe, dass sie zum einen die Unfehlbarkeit des Papstes in Glaubensfragen abgeschafft und zum zweiten, die freie Vernunftentscheidung jedes Einzelnen an deren Stelle gesetzt habe. Dies sei ganz im Sinne der Aufklärung.
In der damals lebhaften und wichtigsten Kontroverse, ob die Reformation oder die katholische Lehre für humane Verbesserungen der Gesellschaft sorgten, wurde der Beitrag Reinholds von vielen Gleichgesinnten beider Kirchen mit breiter Zustimmung aufgenommen.[21]
1787 wurde er Präfekt des Ordens der „Illuminaten“ in Jena, denen er seit 1783 angehörte. Die Illuminaten waren den Ideen der Aufklärung verpflichtet.
Infolge seiner Bekanntschaft mit dem Weimarer Minister Vogt, dem Kurator der Universität Jena, wurde Reinhold eine Professur für Philosophie angeboten. Vogt hielt aufgrund seiner persönlichen Bekanntschaft mit Reinhold und der Lektüre von Reinholds Briefen über die kantische Philosophie deren Autor für ausreichend qualifiziert, „als Lehrer heilsam auf die studierende Jugend“ einzuwirken.[22]
So erhielt Reinhold 1787 an der Universität Jena eine außerordentliche Professur für Philosophie. 1791 wurde er ordentlicher, zusätzlicher Professor mit dem Titel eines Hofrats von Sachsen-Weimar. Seine Popularität, seine Veröffentlichungen und Vorlesungen zur Kantischen Philosophie trugen dazu bei, Jena zum Zentrum der kritischen Philosophie dieser Jahre zu machen. Er war in Jena Lehrer u. a. von Novalis, Franz Paul von Herbert, Johann Benjamin Erhard, Carl Ludwig Fernow, Friedrich Karl Forberg und Friedrich Immanuel Niethammer.
Kant würdigte die Anstellung Reinholds als „höchst vorteilhaft für die berühmte Universität Jena“. Er schätze, so Kant, Reinhold als einen Philosophen, der sich „um die gemeinsame Sache der Wahrheitsforschung“ verdient gemacht habe. Es dauerte nicht lange, da kamen junge Studenten und sogar studierte Männer selbst aus entlegenen Gegenden Deutschlands nach Jena, um sich durch Reinholds Vorträge mit der kritischen Philosophie vertraut zu machen. Tausende hätten es ihm in diesen Jahren zu verdanken, dass sein Unterricht ihr Denken und Empfinden ergriff und in ihnen etwas Neues weckte. Vor allem Erinnerungen an seine Menschlichkeit, neben denen an sein Unterrichtsgeschick, wurden von den Zuhörern anschließend mit nach Hause genommen.[23]
Der Freund und Verleger Wieland würdigte Reinholds unter seinen philosophischen Berufskollegen einmaliges Geschick, philosophische Texte so abzufassen, dass die Leser leicht für die Sache gewonnen werden konnten.[24]
Reinhold ging ‚der gemeinsamen Sache zwischen ihm und Kant’ auf seine Weise nach. Er hatte bei der Lektüre der Kritik der reinen Vernunft ‚Verbesserungsbedürftiges’ entdeckt. Es handelt sich dabei um die Allgemeingültigkeit der von Kant getroffenen Ableitungen und Beweise, ohne die eine gründliche gesellschaftliche Wirkung der kantischen Kritiken in Frage gestellt sei. Entsprechend seiner Sichtweise, dass philosophische Resultate immer noch verbessert werden können (perfektibel seien wie er in der Sprache seiner Zeit in der „Fundamentalphilosophie“ schrieb), begann Reinhold eigene, von der kantischen Lehre verschiedene Ideen zu entwickeln.[25]
Diese sollten eine von Kant unabhängige Neubegründung der kritischen Philosophie ermöglichen, wird in philosophiehistorischen Studien heute – z. B. von dem Philosophiehistoriker Mittmann – dazu angemerkt. Die Basis von Reinholds Bemühungen um eine Neubegründung der kritischen Philosophie werde aus Reinholds Sicht nur dann für möglich gehalten, wenn die daran beteiligten Philosophen von Prämissen ausgehen, die sie gemeinsam teilen. „Die Suche nach solchen Prämissen, nach einem allgemeinen Grundkonsens, der alle ‚philosophischen Sekten’ zu einigen vermag, steht von nun an im Zentrum der Bestrebungen Reinholds.“ Diesen Anspruch an die Philosophie gemeinsam einzulösen, hielt Reinhold für das Erfordernis, das sich für ihn aus der Kantischen Philosophie ergab.[26]
Seine Vorschläge dazu veröffentlichte Reinhold nach und nach in Aufsätzen, die sowohl in populären als auch in philosophischen Zeitschriften erschienen. Dies dürfte seinem Wunsch entsprochen haben, seine Ideen sowohl allgemeinverständlich als auch wissenschaftlich qualifiziert bekannt zu machen. Die Aufsätze wurden im Laufe der Jahre überarbeitet und in verschiedenen Schriften zusammengefasst.
So erschienen zwischen 1789 und 1791 der Versuch einer neuen Theorie des menschlichen Vorstellungsvermögens (1789), Beyträge zur Berichtigung bisheriger Missverständnisse der Philosophen, Erster Band (1790), und Ueber das Fundament des philosophischen Wissens (1791). Diese Veröffentlichungen wurden schließlich zusammen mit anderen unter fremder Bezeichnung „Elementarphilosophie“ bekannt. Reinhold hatte sie seine „Philosophie ohne Beinamen“ genannt.[27]
Er ging davon aus, damit die kantische Theorie weiterentwickeln zu können. Das Sicherste und das Allgemeinste schien ihm, dass Menschen sich etwas vorstellen. Vorstellungen waren deshalb – zusammen mit dem Bewusstsein – das Fundament seiner Fundamental- bzw. Elementarphilosophie. Die Termini „Bewusstsein“ und „Vorstellungen“ bezog Reinhold wechselseitig aufeinander.[28]
Das Bewusstsein hat die Fähigkeit, Wahrnehmungen zu empfangen und diese nach bereits vorhandenen Kriterien zu ordnen. Diese Kriterien haben die Eigenschaft a priori, d. h. sie sind das, was dem Menschen ohne jede Erfahrung zum Erkennen zur Verfügung steht. Sie garantieren die Objektivität des subjektiven Erkennens. Diese Funktion hatten auch die apriorischen Begriffe des Verstandes, bzw. Kategorien bei Kant. Die Vorstellungen umfassen daher alles, was bewusst wahrgenommen werden kann, d. h. sie sind die Bedingungen des Erkennens. Sie enthalten auch den Stoff a priori, der nur in den Vorstellungen erkennbar ist.[29]
Reinholds Versuch, die kantische Theorie zu verbessern – so der Philosoph Martin Bondeli aus Bern[30] –, verteidige Kants Annahme einer Synthese apriorischer Erkenntnisse. Reinhold habe diese Annahme ohne Kants fehlerhaften Zirkelschluss bestätigt und „somit ein beachtliches Resultat erreicht“.[31]
1794 übernahm Reinhold dauerhaft eine ordentliche Professur in Kiel. Diese Entscheidung war vor allem durch das in Aussicht gestellte Einkommen in Kiel bewirkt worden. Reinhold sollte in Kiel das Fünffache seines bisherigen Gehaltes in Jena bekommen, wo er in der Funktion eines überzähligen ordentlichen Professors (ordinarius supernumarius) arbeitete. Vergleichbar dotierte Stellen in Jena waren noch auf längere Zeit durch andere Professoren besetzt. Der Professorentitel „ordinarius supernumarius“ lässt sich annähernd mit dem heutigen Titel „Privatdozent“ für qualifizierte Akademiker vergleichen.[32]
Im Hinblick auf seine größer gewordene Familie und im Hinblick auf die zurückliegenden arbeitsreichen Jahre in Jena und Weimar, die für ihn deutlich merkbare Spuren an seiner Gesundheit und Belastungsfähigkeit zurückgelassen hatten, wie Ernst Reinhold berichtete, entschied er sich für die Professur in Kiel.[33]
Die Studentenschaft in Jena hatte vorher versucht, Reinhold von dem Wechsel nach Kiel abzuhalten. Als Senior für die Mecklenburger Landsmannschaft unterzeichnete der Student Adolf von Bassewitz am 23. Juli 1793 in Jena ein gemeinsames Schreiben mit acht weiteren Senioren aktiver Landsmannschaften an den äußerst beliebten Reinhold.[34] Darin äußerten sie stellvertretend für den „größten Theil, beinahe tausend, in Jena studirender Jünglinge“ ihre Betroffenheit über den in Aussicht stehenden Verlust ihres Philosophielehrers. Sie charakterisierten ihn als das einzige ihnen bekannte Vorbild im „Selberdenken“ und würdigten seine behutsame Führung, die das Studium bei ihm zu einem Genuss gemacht habe.[35]
Reinhold wurde gebeten, den Ruf an die Universität Kiel nicht anzunehmen und in Jena zu bleiben. Als sich dieser Wunsch nicht realisierte, beschloss die Studentenschaft, ihm eine goldene Medaille zu prägen und ihm ein Festgedicht zu widmen. Die Medaille wurde nicht rechtzeitig fertig; sie wurde ihm daher mit einem weiteren Brief der Studentenschaft am 14. April 1794 nachgeschickt.[36]
Bassewitz bewirtete Reinhold gemeinsam mit seinem Bruder im Auftrage der Jenaer Studentenschaft Ostern 1794 auf dem Weg nach Kiel, als dieser Station in Lübeck machte. Sie „berichtigten dessen Kosten für Bewirtung und Übernachtung“. So war das auch von anderen Jenaer Studenten entlang der gesamten Reiseroute Reinholds an jeder Reisestation gehandhabt worden.[37]
In einer Antwort an die Jenaer Studenten verwies Reinhold sie u. a. auf die Bedeutung der kritischen Philosophie Kants, so wie er sie mit ihnen zusammen betrieben habe. Diese Philosophie habe er ihnen zur Erinnerung hinterlassen. Ihr allgemeines Prinzip sei die Vernunft bzw. das Selberdenken. Wenn Menschen sich an den „Gesetzmäßigkeiten des menschlichen Gemütes“- orientierten, könne diese Philosophie für alle Gültigkeit erlangen und so eine wahre Philosophie sein. Daraus könne eine gemeinschaftlich getragene Überzeugung entstehen, die „alle gewaltsamen Revolutionen überflüssig und unmöglich“ macht. Er riet im Hinblick auf die großen rivalisierenden Bewegungen[38] seiner Zeit zur Besonnenheit und Gerechtigkeit und vor allem zur Freiheit. Sie bestehe darin, anderen nicht zu schaden.[39]
Reinhold war es stets wichtig, wie er auch gegenüber seinen Studenten in Jena erwähnte, „selberdenkende und wahrheitsliebende Männer“ einvernehmlich mit einem philosophischen Konzept zusammenzuführen, das die öffentliche Meinung lenken, klären und haltbar machen könnte. Er nannte dieses Konzept ‚das Gewisse im Gewissen suchen’.
Sein erstes Vorhaben, dieses Konzept zu verwirklichen, startete er in Kiel. Es endete 1798 mit der „Veröffentlichung der Verhandlung über die Grundbegriffe und Grundsätze der Moralität aus dem Gesichtspunke des gemeinen und gesunden Verstandes“.
Zusammen mit zwei Freunden hatte er 1795 einen gemeinsamen Entwurf dazu erstellt, der an Professoren in Deutschland verschickt wurde. Die Angeschriebenen wurden eingeladen, an diesem Projekt teilzunehmen, indem sie eigene Gedanken dazu beitrugen. Diese sollten eingearbeitet und der so veränderte Entwurf wieder von allen Teilnehmern aufs neue verändert werden. Dies sollte solange fortgesetzt werden, bis alle Beteiligten dem Entwurf zustimmten und sich bereit erklärten, für die Umsetzung der Inhalte einzutreten.[40]
Das Vorhaben wurde mit der Veröffentlichung einer ersten abschließenden Fassung beendet. Die Veröffentlichung enthält Auszüge aus dem Briefwechsel der daran Beteiligten. Reinhard Lauth hält das Projekt für gescheitert.[41]
Wie schon in Jena, so war Reinhold auch in Kiel mit der Weiterentwicklung der Kantischen Philosophie beschäftigt. Er hatte in Kants Kritik der reinen Vernunft vor allem eine allgemein akzeptierbare Begründung der unterschiedlichen kantischen Erkenntnisvermögen (Vernunft, Verstand, Anschauung) vermisst. Diese Begründung glaubte Reinhold in seiner Elementarphilosophie durch das Vorstellungsvermögen bzw. das Bewusstsein liefern zu können.
1794 hatte Fichte die erste Grundlegung seiner „Wissenschaftslehre“ veröffentlicht, die er als von Kant angeregt kennzeichnete. Fichte nannte darin das „absolute Ich“, als allgemeingültiges Prinzip und Grundlage jeder Erkenntnis. Reinholds Idee bewertete er als „unentbehrliche Vorstufe“ für seine Lösung.[42]
Reinhold überprüfte darauf hin seinen Ansatz. Er entdeckte einen weit reichenden Irrtum: Er hatte das Vorstellungsvermögen ohne Begründung als gegeben vorausgesetzt. Andererseits schien ihm auch, dass Fichte mit seiner Annahme eines „absoluten“ Ichs eine logisch und schulphilosophisch überzeugende Lösung gelungen sei. Er interpretierte das „absolute Ich“ Fichtes als ‚eine vom Subjekt unabhängige Grundtätigkeit des Gemütes’ und hatte so eine Fichte’sche Grundlage für sein Philosophieren.
In diesem Sinne pflichtete Reinhold 1797 nun Fichte öffentlich bei, dass seine Elementarlehre eine Vorstufe der Wissenschaftslehre sei.[43] Er teilte seinen Irrtum auch den Lesern seiner Schriften und seinen früheren Jenaer Zuhörern mit, die er nicht in Unkenntnis über Veränderungen seines Denkens lassen wollte.
In der folgenden Zeit, während er mit anderen Projekten befasst war, kamen Reinhold Bedenken an der Theorie des Grundprinzips bei Fichte. Der wichtigste Einwand schien für ihn darin zu bestehen, dass das „absolute Ich“ eine „philosophische Deduktion der höchsten Grundwahrheit der Religion“ verhindere. So distanzierte er sich 1799 von Fichte, was ihm dieser übelnahm, indem er an der Wissenschaftslehre vor allem den Subjektivismus kritisierte.[44]
Der Einwand von Reinhold wird in der Reinhold-Forschung unterschiedlich bewertet. Marco Ivaldo, Philosoph in Napoli,[45] hält Reinhold für einen der beiden kreativsten Nachfolger Kants, weil er Eigenständiges entwickelt habe. George di Giovanni, Philosoph in Montreal,[46] unterstellt Reinhold einen Mangel an „Originalität“ und „Tiefgründigkeit“, weil er am religiösen Positivismus festhalte.[47]
In seiner Spätphilosophie wandte er sich – besonders in den Schriften Rüge einer merkwürdigen Sprachverwirrung unter den Weltweisen (1809) und Grundlegung einer Synonymik für den allgemeinen Sprachgebrauch in den philosophischen Wissenschaften (1812) – einer auf Sprachkritik basierenden Philosophie zu, womit er als Vorläufer des linguistic turn der Philosophie gelten kann. Reinhold bezeichnete seine „Synonymik“ als „das letzte und eigentliche Resultat seines bisherigen Lernens und Forschens“[48], das ihm von Jugend an auf dem Herzen gelegen habe.
Seine Synonymik galt schon zu seinen Lebzeiten und gilt heute noch als schwer verständlich. Ihrer Veröffentlichung folgte der Rückzug vieler Anhänger. Jacobi war einer der wenigen, der ihn bei der Ausarbeitung und Weiterentwicklung seiner Synonymik unterstützte.
Im Jahr 1808 wurde Reinhold Mitglied der Akademie der Wissenschaften in München und 1809 Mitglied der Freimaurerloge Anna Amalia zu den drei Rosen in Weimar. 1815 wurde er Mitglied der Ritter vom Danebrog. 1816 wurde er zum königlich-dänischen Etatsrat ernannt. Von 1820 bis zu seinem Tod war er Meister vom Stuhl der Freimaurerloge Luise zur gekrönten Freundschaft in Kiel. In dieser Zeit war er Mitarbeiter in Johann Christoph Bodes Bund der deutschen Freimaurer sowie an Friedrich Ludwig Schröders Logenreform (Schrödersche Lehrart), deren reformerische Modifikationen noch heute in vielen in- und ausländischen Freimaurerlogen praktiziert werden. Nach Bodes Tod führte er die Arbeit unter der Bezeichnung Der moralische Bund der Einverstandenen fort.
Reinhold gilt als Wegbereiter der Rezeption der kritischen Transzendentalphilosophie Immanuel Kants im deutschen Sprachraum. Er versuchte, die kritische Philosophie zu einer Elementarphilosophie auszubauen, in der Vernunft und Sinnlichkeit aus dem Vorstellungsvermögen abgeleitet werden. Mit seinen dahingehend zentralen Schriften Versuch einer neuen Theorie des menschlichen Vorstellungsvermögen (1789), Beyträge zur Berichtigung bisheriger Missverständnisse der Philosophen (Erster Band 1790) und Ueber das Fundament des philosophischen Wissens (1791) leistete er einen bedeutenden Beitrag zur Entwicklung der Philosophie des Deutschen Idealismus.
Das gemeinsame Grabmal für ihn und Jens Immanuel Baggesen befindet sich auf dem Parkfriedhof Eichhof in Kronshagen bei Kiel.
Im Jahr 1961 wurde in Wien-Donaustadt (22. Bezirk) die Reinholdgasse nach ihm benannt.
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