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japanisches Werk der Miszellenliteratur Aus Wikipedia, der freien Enzyklopädie
Das Hōjōki (japanisch 方丈記 ‚Aufzeichnungen aus meiner Hütte‘) von Kamo no Chōmei (1153–1216) gilt als eines von drei Meisterwerken in der literarischen Gattung der Zuihitsu (Miszellenliteratur). Dieses kurze, aber sehr vielschichtige Werk, das auch als Meisterwerk Chōmeis gilt, wurde 1212, in der ausgehenden Heian-Zeit und in der beginnenden Kamakura-Zeit vollendet.
Die Entstehungszeit dieser Aufzeichnung war geprägt vom Verfall der höfischen Kultur in der Heian-Zeit, von den politischen Wirren um den Gempei-Krieg zwischen dem Geschlecht der Minamoto und der Taira, dem Aufkommen neuer Strukturen wie der Übernahme der Macht durch den Kriegsadel (Buke) und dem Vordringen der buddhistischen Schule vom Reinen Land (Jōdo-shū). Die Umwälzungen jener Zeit führten zum Verfall der Sitten, zu einer allgemeinen Verunsicherung und Zukunftsangst der Menschen. Das Hōjōki schildert in essayistisch dichter Form die Endzeitstimmung jener Tage und es verwebt persönliches Schicksal, historische Fakten und den Verlust des religiösen Halts zu einem der vielschichtigsten Werke des japanischen Mittelalters.
Die deutsche Textfassung ist im Unterschied zur japanischen in fünf Abschnitte gegliedert. Tagebuchartig wird durchgängig aus der Ich-Perspektive erzählt. Literarisches Vorbild für das Hōjōki war das Prosawerk „Chiteiki“ (池亭記, 982)[1] von Yoshishigeno Yasutane (慶滋保胤).[2]
Der erste, sehr kurze und nur zwei Seiten umfassende Abschnitt gibt eines der beiden Grundthemen vor. Es ist eine Wehklage über die Vergänglichkeit der Dinge und des Lebens.
Im zweiten Abschnitt erfährt der Leser zunächst von gewaltigen Naturkatastrophen, die sich in den circa 40 Lebensjahren des Erzählers zugetragen haben. Von einem verheerenden Brand im Jahr 1175 der ein Drittel der Hauptstadt Kyōtō in Schutt und Asche legte, ist die Rede. Der Feuersbrunst folgte 1180 ein Wirbelsturm, der wie der „Wind des Karama, der in der Hölle braust“[4] Häuser mit sich riss und Verderben mit sich brachte. Als wäre dies nicht genug Elend, folgte den Naturkatastrophen der Beginn des politischen und sozialen Untergangs. Nach 400 Jahren Kontinuität und Prosperität wurde die Hauptstadt von Kyōtō nach Fukuhara verlegt mit gravierenden Folgen für die Bevölkerung. Bemüht im Schutze des Machtzentrums zu verbleiben, rissen die Menschen hastig ihre Häuser ein und verbrachten sie in die neue Hauptstadt. „Diejenigen, die sagten, daß all diese Veränderungen wohl Vorzeichen größerer politischer Wirren seien, sollten recht behalten.“[5] Die Situation ward zusehends prekärer als 1181–82 Dürre und Taifune das Land beutelten und zu Hunger und dem Ausbruch einer Seuche führten. Die Not führte zum Zusammenbruch der Ordnung, Tempel wurden beraubt und zerbrochen; am Ende sind mehr als 42.300[6] Tote zu beklagen. Als sich 1185 auch noch ein Jahrhundert-Erdbeben ereignete, war jedermann davon überzeugt, dass der Untergang der Welt bereits im Gange war. In diesem Textabschnitt macht Kamo no Chōmei inmitten des Katastrophenszenarios aber auch einen ersten Verweis auf den Buddhismus. Er berichtet von Abt Ryugō, der sich einzig um die Toten kümmert, indem er ihnen in Sanskrit den Namen Amidas auf die Stirn schreibt.
In Abschnitt drei wendet sich der Erzähler vom weltlichen Desaster ab und berichtet von seiner eigenen Lebensgeschichte. Einst mit Rang und Namen bekleidet, führte er bis zu seinem dreißigsten Lebensjahr ein behagliches und angenehmes Leben. Durch politische Widrigkeiten um seine Stellung gebracht, in der vierten Dekade seines Lebens mit den zuvor geschilderten Katastrophen konfrontiert, entschloss er sich auf Wanderschaft zu gehen und in der fünften Dekade seines Lebens ein Schüler Buddhas zu werden. Nun, da er sein 60-stes Lebensjahr in der Gegenwart der Erzählzeit erreicht hat, zieht er sich in eine selbst gebaute Hütte zurück. Hütte und Inventar werden detailliert geschildert, was für die religiös-geistesgeschichtliche Lesart des Textes bedeutsam ist. Neben einer Schlafstelle befinden sich das Lotos-Sutra, eine Koto, ein Biwa und die Bildnisse des auf einem Elefanten reitenden Bodhisvattva und des Amida Buddha in der kargen Behausung. Der Erzähler gewährt Einblick in sein spirituelles und weltliches Leben, indem er vom mühevollen Rezitieren des Nembutsu erzählt, vom Lautenlied des chinesischen Dichters Po Chu-i und den Biwa-Liedern Minamoto no Tsunenobus, die er sich zu eigen macht. Er erzählt von Spaziergängen zur Hütte Seminarus, einem erblindeten und verbannten Sohn des Tennō Daigo und Genius des Biwa-Spiels.
Der vorletzte Abschnitt ist eine Lobpreisung der Einsamkeit und Kargheit der Lebensführung. „Ein Gewand aus Glyzinienbast, Bettzeug aus Hanfleinen“[7] und das, was die Natur als Essensgabe darreicht, genügen dem einsiedelnden Erzähler. Mit Bezug auf die „Drei-Welten-Lehre“[7] erteilt er Ruhm und Reichtum vordergründig eine Absage.
Der letzte Abschnitt, ebenso kurz wie der einleitende erste, ist weniger erzählend als mehr zweifelnd und fragend aufgebaut. Im weltlichen Leben geschmäht und gescheitert, die religiöse Erleuchtung nicht erreicht zu haben, lässt den Erzähler nach den „Gründen seiner Schwäche“ fragen und am Sinn seines Daseins zweifeln. Eine Datierungsnotiz: „Niedergeschrieben von dem shami Ren'in am letzten Tag des Monats im zweiten Jahr Kenryaku (1212) in seiner Hütte auf dem Berg Tōyama.“[8] folgt und beschließt damit das Hōjōki.
Die Heian-Zeit wird zumeist mit der Blüte der Literatur und ästhetischen Idealen der Hofaristokratie assoziiert. Doch in der Wirklichkeit hatte der Hofadel im 12. Jahrhundert die Kontrolle über die Landbesitzungen und damit über seine wirtschaftliche Autarkie verloren. Die Fujiwara Familie war Anfang des 12. Jh. so erstarkt, dass sich ein neues Regierungssystem, das Insei-System, etablierte. Dem Tennō, dessen Blutslinie nicht zuletzt durch die historiografischen Schriften auf die Götter zurückgeführt worden war, dankte ab, zog sich in ein Kloster zurück und überließ einem Regenten, dem Kampaku die Regierungsgeschäfte. Diese Regierungsform führte zu Spannungen und sich verschärfenden Auseinandersetzungen bei Hofe, die 1156 zu einer militärischen Auseinandersetzung, der Hōgen-Rebellion zwischen dem Sutoku Tennō und Go-Shirakawa führten. Letzterer obsiegte durch die Hilfe Taira no Kiyomoris. Zum Dank erhielt Kiyomori als Mitglied des Schwertadels einen Hofrang. Es dauerte nicht lange bis Go-Shirakawa des einstigen Verbündeten überdrüssig wurde und in den Minamoto neue Verbündete fand. Erneut überzog ein Krieg das Land. Der Gempei-Krieg, zu dessen Beginn 1180 Kiyomori die Hauptstadt verlegte, sollte fünf Jahre andauern und mit dem Untergang der Taira in der Seeschlacht von Dan-no-ura enden.
Diese Ereignisse fanden in dem Hōgen Monogatari und dem Heike Monogatari der anschließenden Kamakura-Zeit ihren Niederschlag. Die Literatur der Kamakura-Zeit ist eine Literatur der Kriege.[9] Insbesondere der erste Teil des Hōjōki schildert die gesellschaftlichen Auswirkungen, die sich aus den politischen Wirren ergaben. Zudem dient dieser Teil auch durch die Angabe der Naturkatastrophen als historiographische Quelle. Das Thema der Vergänglichkeit, als Conditio humana, das sich leitmotivisch durch die japanische Literatur zieht, prägt mit der daraus entstehenden Traurigkeit diesen Abschnitt des Werkes.
Die Katastrophen, in die die Menschen sich zu Beginn des 13. Jahrhunderts geworfen sahen, bekräftigten die Ansicht, dass man sich nach der buddhistischen Lehre der Drei Zeitalter im letzten Zeitalter, dem des Niedergangs (jap. mappō, 末法) befand.[10] Dieser Vorstellung nach wird Geschichte nicht als Fortschritt verstanden, sondern als stetiger Untergang. Dieses Zeitalter, das sich auf quälende 10.000 Jahre ausdehnt ist geprägt von einer kontinuierlichen Verschlechterung der sozialen und politischen Lage.[11] Nach den chinesischen Schriften gehen dem Letzten Zeitalter das „Wahre Zeitalter“ (jap. shōbō), das 500 Jahre andauert, und das „Zeitalter der Abbildungen“ (jap. zōbō), das 1000 Jahre andauert, voraus. Eine Erleuchtung ist im letzten Zeitalter nicht mehr möglich.
Hinzu gesellt sich die Theorie der fünf Epochen, der nach sich die Geschichte in fünf Abschnitte zu 500 Jahren gliedert. Die einzelnen Phasen sind durch einen zunehmenden Verlust menschlicher Fähigkeiten gekennzeichnet. Die letzte Phase des Niedergangs des Dharma ist die Phase der „Beständigen Konflikte“, gezeichnet durch die Missachtung und Ignoranz der Lehre. Zudem erscheinen im Letzten Zeitalter die „Fünf Unreinheiten“, d. h. häufige Kriege und Katastrophen, die Ausbreitung falscher Lehren, die Zunahme von Begierden, der Schwächung des menschlichen Geistes und Körpers und schließlich die Verkürzung des Lebensalters.[12]
Der Mönch Genshin (942–1017) erinnert in seiner Schrift „Grundlage der Erlösung“ daran, dass die wichtigsten Ideen des Buddhismus, die Vergänglichkeit (jap. mujō) und das Leiden (jap. ku) in Vergessenheit geraten waren. Die Menschen waren dem Irrglauben verfallen, dass die Welt real sei und so sind sie nun gefangen im Streben nach dem Festhalten am Vergänglichen. Auf diese Weise bereiteten sie sich selbst die Hölle auf Erden. Genshin argumentierte abweichend von der Tendai und Shigon Schule, dass nur das feste Vertrauen auf den Amida Buddha zur Erlösung vom Samsara, dem leidvollen Kreislauf immerwährender Wiedergeburt führe. Mit diesem zentralen Gedanken des Jōdo-Shinshū änderte er auch den Schwerpunkt der meditativen Bemühungen. Das Nirwana ist nicht mehr länger durch eigene Anstrengungen (jap. jiriki) garantiert, es hängt vielmehr von der Kraft eines Anderen (jap. tariki) ab. Die religiöse Praxis wird hierdurch auf das aufrichtige Beten des Nembutsu, der Formel: Namu Amida Butsu kondensiert.
1175 gründet der Mönch Hōnen auf Genshin rekurrierend die Schule des Reinen Landes. 1206 wurde Hōnen auf Betreiben der Tendai-Schule aus der Hauptstadt verbannt, woraufhin er predigend durch das Land zog. Als ihm fünf Jahre später, 1211 die Rückkehr erlaubt wurde, hatte durch seine Wanderschaft die neue Lehre bereits in weiten Teilen des Landes Fuß gefasst.
In diesem Zusammenhang ist auch die ausführliche Beschreibung der Hütte im dritten Abschnitt zu sehen. Das Lotus-Sutra ist der zentrale Text der Tendai-Schule. Die Unvereinbarkeit der Tendai-Schule und des neu entstandenen und als Irrlehre angeklagten Amidismus spiegeln sich im Inventar und Aufbau der Hütte wider. Obgleich der Erzähler die Leichtigkeit des Baus und damit die Vergänglichkeit pointiert, ist sie ihm zugleich auch ein liebgewonnenes Objekt geworden, dem er sich verhaftet sieht. Die Qualen des erzählenden Ich im Hōjōki rühren von einer Ambivalenz, die dem Ideal des Lebens in der Zurückgezogenheit in der japanischen Tradition eigen war. Die zentrale Frage ist, ob es sich bei diesem Ideal um ein ästhetisches (mono no aware) oder ein religiöses handelt?[13] Katō Shūichi sieht in der Entwicklung kultureller und ästhetischer Werte den Daseinsgrund (Raison d’être) der Aristokratie, die ihre politischen Ambitionen verloren hat.[14] Er weist auch auf die Parallelen und Unterschiede zwischen „Chiteki“ und „Hōjōki“ hin. Während die Beschreibung der Hütte selbst in beiden Werken nahezu identisch ist, deutet die Ausstattung der Hütte im Hōjōki auf die Unterschiede hin. Im Chiteki ist es durchaus noch möglich spirituelle Erleuchtung in der Einsiedelei zu erreichen. Man fand Wohlgefallen an der Rezitation des Nembutsu und dem Biwa Spiel in der Einsamkeit. Für den Erzähler des Hōjōki hingegen rückt das Nembutsu in den Mittelpunkt, zugleich aber rührt sich der Zweifel, ob es die religiöse Erlösung tatsächlich erbringen kann.
Im letzten Abschnitt nimmt der Erzähler dann explizit Bezug auf Vimalakīrti. Interessanterweise verbrachte der Verfasser des gleichnamigen Sutra einige Jahre in der Einsamkeit und Abgeschiedenheit einer zehn Fuß großen Berghöhle (hōjō). Dies inspirierte Chōmei vermutlich auch zum Titel seines Werkes, obgleich Vimalakīrti ansonsten konträr zu Chōmei und dem Erzähler als wohlhabender Kaufmann lebte.[15] Der Ich-Erzähler hingegen ist parallel zum politischen Niedergang, parallel zu den gesellschaftlichen Auflösungserscheinungen und letztlich auch parallel zu Chōmeis tatsächlichem Leben in immer kleiner werdende Behausungen gezogen.
Yasuhiko Moriguchi beschreibt in seiner Einleitung zu einer englischen Übersetzung des Hōjōki die musikalische Qualität und die Verwendung der japanischen Sprache. Diese Melopoiia, die melodische Kunst, die die Verse erst zu voller Entfaltung bringt, gepaart mit einer Logopoeia, der Kunst dem eigentlichen Wortsinn eine spezifische Nuance mitzugeben,[16] reizen die japanische Sprache auch und schaffen so ein stimmungsvolles und synästhetisches Leseerlebnis.
„Das Buch lässt sich gut und zügig lesen, ist es mit ca. 40 Seiten doch recht knapp gehalten. Interessant zu lesen ist es vor allem deshalb, da das Denken, die Ängste, Konflikte und die innere Zerrissenheit, nicht nur Chômeis, sondern wohl auch seiner ganzen Zeit zum Ausdruck kommen. Im Werk spiegeln sich neben politischer und sozialer Kritik vor allem das religionsphilosophische Dilemma jener Zeit wieder: Die Unvereinbarkeit des neu aufgekommenen Amida Kults mit konventionellen buddhistischen Vorstellungen, sowie die Verbindung von ästhetischem und religiösen Ideal.“
„Der Autor schildert hier verschiedene Konsequenzen, die er persönlich aus den katastrophalen Erlebnissen jener Zeit gezogen hat. Der Appell zur Änderung des eigenen Lebens ist hierbei schwer zu übersehen. Neben der Wahl zum Eremitenleben nimmt zur Umsetzung dieses Lebensentwurfs der Buddhismus eine wesentliche Rolle ein. Man kann daher den Buddhismus auch als eine Antwort auf die Katastrophen ansehen – ein wesentlicher Begriff hierbei ist mujō (無常).“
„Es ist kein selbständiges gedankliches oder religiöses Erzeugnis, es ist durchaus ein von den Eitelkeiten der Literatur und von den Notwendigkeiten der literarischen Technik getragenes Stimmungsbuch.“
„Der Reiz des Hōjōki liegt vor allem in der einfachen, mustergültigen sprachlichen Darstellung, in der knappen Zusammenfassung der leitenden buddhistischen Ideen; darin, dass es uns einen Eindruck in das Leben, Sinnen und Fühlen eines typischen Einsiedlers gewährt, der Gelegenheit gehabt hatte, viele Wechselschicksale des menschlichen Lebens mit eigenen Augen zu beobachten.“
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