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Verordnung der Europäischen Union über die Stärkung des Verbraucherschutzes bei digitalen Diensten und Produkten Aus Wikipedia, der freien Enzyklopädie
Das Gesetz über digitale Dienste (GdD; englisch Digital Services Act, DSA; französisch Règlement sur les Services Numériques, RSN) ist eine Verordnung der Europäischen Union, die einheitliche europäische Haftungs- und Sicherheitsvorschriften für digitale Plattformen, Dienste und Produkte schuf.[1] Damit soll die Verbreitung illegaler Inhalte verhindert und Nutzer besser geschützt werden. Es ist gemeinsam mit dem Gesetz über digitale Märkte (Digital Markets Act, DMA) Teil eines Gesetzespakets über digitale Dienste in der Europäischen Union.[2]
Verordnung (EU) 2022/2065 | |
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Titel: | Verordnung (EU) 2022/2065 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 19. Oktober 2022 über einen Binnenmarkt für digitale Dienste und zur Änderung der Richtlinie 2000/31/EG |
Kurztitel: | Gesetz über digitale Dienste |
Bezeichnung: (nicht amtlich) | GdD, DSA |
Geltungsbereich: | EWR |
Rechtsmaterie: | Wettbewerbsrecht |
Grundlage: | Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union, insbesondere Artikel 116 |
Verfahrensübersicht: | Europäische Kommission Europäisches Parlament IPEX Wiki |
Inkrafttreten: | 16. November 2022 |
Anzuwenden ab: | Artikel 24 Absätze 2, 3 und 6, Artikel 33 Absätze 3 bis 6, Artikel 37 Absatz 7, Artikel 40 Absatz 13 und Kapitel IV Abschnitte 4, 5, und 6: 16. November 2022 sonst: 17. Februar 2024 |
Umgesetzt durch: | Deutschland Digitale-Dienste-Gesetz |
Fundstelle: | ABl. L 277 vom 27. Oktober 2022, S. 1–102 |
Volltext | Konsolidierte Fassung (nicht amtlich) Grundfassung |
Regelung ist in Kraft getreten und anwendbar. | |
Hinweis zur geltenden Fassung von Rechtsakten der Europäischen Union |
Die Verordnung aktualisierte den im Jahr 2000 beschlossenen rechtlichen Rahmen für Online-Plattformen in der Europäischen Union und passte ihn an die Gegebenheiten des Plattformkapitalismus an. Dabei sollen einerseits die Grundsätze eines freien Internets berücksichtigt und andererseits geltendes Recht besser durchgesetzt werden.[3][4] Die sich aus dem Gesetz ergebenen Pflichten sind nach Unternehmensgröße gestaffelt.[5] Sehr große Online-Plattformen und Suchmaschinen müssen die Vorschriften seit dem 16. November 2022 befolgen,[6] alle anderen digital agierenden Unternehmen seit dem 17. Februar 2024.
Das Gesetz über digitale Dienste steht im Kontext der politischen Leitlinien der Kommission von der Leyen I.[1] Dabei soll der bestehende Rechtsrahmen der Europäischen Union aktualisiert werden, insbesondere die im Jahr 2000 verabschiedete Richtlinie über den elektronischen Geschäftsverkehr. Es geht darum, künstliche Intelligenz, Finanzen und digitale Plattformen besser zu regulieren, um Akteuren die Möglichkeit zu geben, innovativ zu sein und zu wachsen und um eine bessere Sicherheit für Internetnutzer zu ermöglichen.
Als Kandidatin für die Präsidentschaft der Europäischen Kommission schlug Ursula von der Leyen daher „neues Gesetz über digitale Dienstleistungen“ vor. Die EU-Kommission sah insbesondere nach dem Inkrafttreten des deutschen Netzwerkdurchsetzungsgesetzes Probleme in der Regulierung des digitalen Binnenmarktes, sodass eine gemeinsame Regulierung für die Moderation von strafbaren Inhalten durch Plattformunternehmen geschaffen werden sollte.[7]
Laut Thierry Breton, EU-Kommissar für den Binnenmarkt, werde „das Internet in vielen Fällen als ein rechtsfreier Raum missverstanden.“[8] Es gehe bei dem Gesetz darum, dass Europa die Kontrolle über die digitalen Plattformen zurückgewinnt. „Das EU-Parlament und die Kommission machen die Regeln“, sagte der Franzose. „Es wird hier eine Gerichtsbarkeit geben, einen Richter.“[8] Wenn sich ein Unternehmen nicht an die Regeln halte, werden es „bis zu zehn Prozent der Umsätze als Strafe abgeben müssen“. Das Prinzip des Gesetzes sei dabei einfach: „Sachen, die man in echt nicht sagen darf, darf man auch im Netz nicht sagen.“ Niemand habe das Recht, zu beleidigen, Antisemitismus, Kinderpornografie, oder Todesdrohungen zu verbreiten oder Drogen zu verkaufen, alle illegalen Inhalte müssen entfernt werden. Breton forderte deshalb „die gleichen Strafen, ob online oder auf der Straße“.[8][9]
Das Gesetz über digitale Dienste und das Gesetz über digitale Märkte sind die beiden Bestandteile eines Gesetzespaketes „Digitale Dienste“, zur Regulierung des digitalen Raums in Europa.[2]
Das Gesetz über digitale Dienste wurde von der Europäischen Kommission im Dezember 2020 zusammen mit dem Gesetz über digitale Märkte vorgeschlagen.[10] Beide Verordnungen wurden von Margrethe Vestager, Vizepräsidentin der Europäischen Kommission und verantwortlich für die Förderung eines Europas im digitalen Zeitalter, und von Thierry Breton, dem EU-Kommissar für Binnenmarkt, ausgearbeitet. Beide sind Mitglieder der Kommission von der Leyen I.
In seinen Sitzungen am 19. und 20. Januar 2022 beschloss das Europäische Parlament den Bericht zum Vorschlag für ein Gesetz über digitale Dienste.[11][12][13] Der angenommene Bericht[14] wurde im Trilog zwischen Parlament und Rat verhandelt.[15] Am 23. April 2022 teilten die Berichterstatter von Parlament[16] und Rat[17] unter Beteiligung der Kommission[18][19] die politische Einigung über die Inhalte des Entwurfs mit. Im nächsten Schritt wurde das Dossier von Ausschuss für Binnenmarkt und Verbraucherschutz für das Parlament und dem Ausschuss der Ständigen Vertreter der Mitgliedstaaten für den Rat zur endgültigen Beschlussfassung durch die Gremien vorbereitet.[20][21]
Die Verordnung wurde von der neunten Legislaturperiode des Europäischen Parlaments und dem Europäischen Rat am 4. Oktober 2022 endgültig angenommen.[22] Die „sehr großen“ Online-Plattformen und Suchmaschinen wie Facebook, Wikipedia oder Google Search müssen einige Vorschriften bereits ab November 2022 befolgen.[23] Seit dem 17. Februar 2024 gilt die Verordnung für alle digitalen Akteure.[24]
Das Ziel des Gesetzes über digitale Dienste ist „durch die Festlegung harmonisierter Vorschriften für ein sicheres, vorhersehbares und vertrauenswürdiges Online-Umfeld, in dem Innovationen gefördert und die in der Charta verankerten Grundrechte, darunter der Grundsatz des Verbraucherschutzes, wirksam geschützt werden, einen Beitrag zum reibungslosen Funktionieren des Binnenmarkts für Vermittlungsdienste zu leisten.“[25]
Die EU-Kommission verfolgt nach eigenen Angaben mit der Verordnung primär drei Ziele:[26]
Die Verordnung enthält zudem Vorschriften für vermittelnde Online-Dienste, die von Menschen in Europa genutzt werden. Die Pflichten der Online-Unternehmen variieren je nach Rolle, Größe und Auswirkung im Online-Umfeld.[26]
Das Gesetz über digitale Dienste besteht aus der Verordnung (EU) 2022/2065 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 19. Oktober 2022 über einen Binnenmarkt für digitale Dienste und zur Änderung der Richtlinie 2000/31/EG. Ein zentraler Rechtsbegriff ist dabei der sogenannte Vermittungsdienst:[25]
(1) Diese Verordnung gilt für Vermittlungsdienste, die für Nutzer mit Niederlassungsort oder Sitz in der Union angeboten werden, ungeachtet des Niederlassungsortes des Anbieters dieser Vermittlungsdienste.
Vermittlungsdienste bietet ein Unternehmen dann an, wenn es eine von 3 möglichen digitalen Dienstleistungen anbietet:[25]
Für jede dieser drei Dienstleistungen legt die Verordnung klare Regeln bezüglich Haftung und Auflagen fest, die von den betreffenden Unternehmen eingehalten werden müssen.
Nach den neuen Vorschriften müssen Vermittlungsdienste, d. h. Online-Plattformen – wie soziale Medien und Marktplätze – Maßnahmen ergreifen, um ihre Nutzer vor illegalen Inhalten, Waren und Dienstleistungen zu schützen:[20][21]
Sehr große Online-Plattformen werden strengere Verpflichtungen erfüllen müssen, die in einem angemessenen Verhältnis zu den erheblichen gesellschaftlichen Risiken stehen, die von ihnen ausgehen, wenn sie illegale und „schädliche“ Inhalte (harmful content), einschließlich Desinformationen, verbreiten:[20][21]
Gemäß Artikel 24 (2) der Verordnung veröffentlichen die Anbieter für jede Online-Plattform oder Online-Suchmaschine auf einer öffentlich zugänglichen Seite Informationen über den monatlichen Durchschnitt der aktiven Nutzer des Dienstes in der Union, der als Durchschnitt der letzten sechs Monate berechnet wird. Die erste Veröffentlichung wurde für den 17. Februar 2023 erwartet und muss alle sechs Monate aktualisiert werden.[25]
Die Anbieter von Online-Plattformen oder Online-Suchmaschinen sind verpflichtet, diese Informationen dem Koordinator für digitale Dienste im Mitgliedstaat ihrer Niederlassung und der Europäischen Kommission mitzuteilen.
Auf der Grundlage der vorgelegten Informationen erlässt die Kommission dann eine Entscheidung, in der sie die Online-Plattform oder Online-Suchmaschine, deren durchschnittliche monatliche Zahl der aktiven Nutzer des Dienstes 45 Millionen oder mehr beträgt, als sehr große Online-Plattform oder sehr große Online-Suchmaschine im Sinne der Verordnung bezeichnet.
Gemäß Artikel 24(2) wurden im April 2023 erstmals 17 Online-Plattformen und zwei Online-Suchmaschinen als sehr große Online-Plattform oder sehr große Online-Suchmaschine von der EU-Kommission eingestuft,[28] davon allein 13 Internet-Plattformen bzw. -Suchmaschinen, die zu Big Tech-Konzernen nach der Definition der Bundesbank[29] gehören.
Nach der Veröffentlichung der ersten Zahlen kritisierte die Europäische Kommission durch ihren Sprecher, dass einige Plattformen keine präzisen Nutzerzahlen mitteilten, sondern ausschließlich angaben, ob sie unter der Schwelle von 45 Millionen Nutzern lagen oder nicht.[30]
Hinzu kommt, dass mitunter einzelne Unternehmen, wie nach Einschätzung der EU per August 2024 z. B. Telegram,[31] unzutreffende Angaben in diesem Kontext machen, um sich dadurch den EU-Auflagen zu entziehen.
Stand August 2024 waren folgende sehr große Online-Plattformen und Online-Suchmaschinen aufgelistet:[32]
Unternehmen | Nutzerzahl (Millionen pro Monat) |
---|---|
Alibaba AliExpress | 104.3 |
Amazon Store | 181.3 |
Apple AppStore | 123 |
Bing | 119 |
Booking.com | über 45 |
259 | |
Google Maps | 275.6 |
Google Play | 284.6 |
Google Search | 364 |
Google Shopping | 70.8 |
259 | |
45.2 (Eingeloggte aktive Benutzer)
132.5 (Ausgeloggte Website-Besuche) | |
124 | |
Pornhub | über 45 |
Shein | 108 |
Snapchat | 102 |
Stripchat | über 45 |
Temu | 75 |
TikTok | 135.9 |
Wikipedia | 151.1 |
X | 115.1 |
XNXX | 45 |
XVideos | 160 |
YouTube | 416.6 |
Zalando | 74.5 (Monatlicher Durchschnitt im Einzelhandel)
26,8 (Monatsdurchschnitt für Inhalte Dritter) |
Die Bürgerrechtsbewegung European Digital Rights meldete in einer Pressemeldung[33] substanzielle Bedenken an und beurteilte den Vorschlag als Gefahr für die Meinungsfreiheit und Rechtsstaatlichkeit.
Abgeordnete der Piratenpartei bemängelten, dass sich mit dem Gesetzesvorschlag Industrieinteressen gegenüber digitalen Bürgerrechten durchgesetzt hätten.[34]
Der deutsche Literatur- und Medienwissenschaftler Roberto Simanowski sieht in dem Gesetz Tendenzen zu einer illiberalen Demokratie, die durch neue Ausschlusskriterien in den sozialen Medien die Demokratie verteidigen will. Die sozialen Medien, die zunächst als Demokratieverstärker gefeiert wurden, würden immer mehr als Gefahr für die Demokratie wahrgenommen. Kritiker würden zu Recht, wie schon im Falle des Netzwerkdurchsetzungsgesetzes, durch das proaktive algorithmische Overblocking einen Angriff auf die Meinungsfreiheit fürchten.[35]
Als der EU-Kommissar Thierry Breton nach den Unruhen in Frankreich im Sommer 2023 ankündigte, auf Grundlage des GdD soziale Netzwerke notfalls abzuschalten, sei ein „Aufschrei durch die europäische Zivilgesellschaft“ gegangen, da solche Maßnahmen eher aus autoritären Staaten als aus Demokratien bekannt seien, meinte Tomas Rudl vom Blog netzpolitik.org.[36]
Nach Artikel 34 des DSA sollen Plattformbetreiber nicht nur rechtswidrige Inhalte entfernen, sondern auch kritische und nachteilige Einträge überprüfen. In einem Kommentar vom Februar 2024 sah der pensionierte Richter und ehemalige Corona-Maßnahmen-Kritiker[37] Manfred Kölsch derartige Regelungen als Beleg für die demokratiefeindlichen Hintergründe, mit denen die EU-Kommission das DSA vorangetrieben hatte. Weiter stellte er fest, dass die vorgeschriebenen nationalen Koordinatoren gegenüber der europäischen EU-Kommission weisungsgebunden sind und damit Verantwortung von der Länder- und Bundesebene an die EU abgegeben wird. Der Staat überlasse Eingriffe in die Meinungs- und Informationsfreiheit, die er selbst nicht durchführen dürfte, Dritten wie etwa zivilgesellschaftlichen Hinweisgebern und Plattformbetreibern. Die Brisanz des DSA, so Kölsch, sei für den Bürger wegen dessen Umfang und der Komplexität nicht unmittelbar erkennbar. Die Gefahr für die demokratischen Grundrechte durch das DSA werde sich nur schleichend bemerkbar machen und sei professionell hinter einer rechtsstaatlichen Fassade versteckt.[38]
Der Verfassungsrechtler Josef Franz Lindner kommentierte, „wenn man später einmal den Niedergang der Meinungsfreiheit in Deutschland und den Einstieg in den Zensurstaat rekonstruieren will“, werde dem Leitfaden der Bundesnetzagentur für die zertifizierten Meldestellen (den sogenannten Trusted Flaggern, welche etwaige Verstöße prüfen und diese Plattformbetreibern melden)[39] „die Rolle eines Schlüsseldokuments zukommen“.[40]
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