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Charakterisierung von Fließgewässern Aus Wikipedia, der freien Enzyklopädie
Der Fließgewässertyp dient der Charakterisierung von Fließgewässern. Angesichts der Variabilität der natürlichen Gewässer (vom Quellrinnsal bis zum großen Strom, vom schnell schießenden Gebirgsbach bis zum trägen Moorgewässer) ist es schwer, gemeinsame Merkmale anzugeben. Die Typisierung soll dabei helfen, Gruppen mit gemeinsamen ökologischen Eigenschaften herauszufinden; diese sind zum Beispiel bei Renaturierungen wichtig. Die Typisierungen sind pragmatisch und können je nach Fragestellung unterschiedlich ausfallen. Bereits die umgangssprachliche Bezeichnung eines Gewässers als „Bach“, „Fluss“, „Rinnsal“, „See“ usw. ist ein Beispiel einer Typisierung.
Formalisierte, auf definierten Kriterien beruhende Typisierungssysteme sind verschiedene in Gebrauch.
Wird heute im deutschen Sprachraum von Fließgewässertypen geredet, ist aber meist das Typisierungsschema auf Basis der Wasserrahmenrichtlinie der Europäischen Union gemeint.
Mit der Wasserrahmenrichtlinie sollen, im Prinzip, alle europäischen Gewässer in den „guten ökologischen Zustand“ versetzt werden. Bei der Definition dieses Zustands spielt die Biozönose des Gewässers eine große Rolle. Bewertet werden unter anderem die Fischfauna, das Makrozoobenthos, die höheren Wasserpflanzen (Makrophyten genannt) und die Kieselalgen.
Diese Lebensgemeinschaft ist nun in unterschiedlichen Fließgewässern von Natur aus sehr unterschiedlich. Für die Definition des „guten Zustand“ wurden deshalb Fließgewässertypen standardisiert, für die jeweils Referenzbedingungen und Referenz-Lebensgemeinschaften ermittelt und festgelegt wurden. Dieselbe Lebensgemeinschaft könnte also in einem bestimmten Gewässer als typgemäß und damit „gut“, in einem anderen Gewässer, das einem anderen Typ zugeordnet worden ist, als anthropogen verändert und damit „nicht gut“ eingestuft werden.
Die Typisierung als Grundlage der Bewertung schreibt die Richtlinie im Anhang II vor. Darin werden verschiedene Möglichkeiten vorgegeben, aus denen die Mitgliedsstaaten eine regional angemessene Bewertungsgrundlage selbst festlegen können. Die Typisierung beruht dabei auf folgenden Kategorien (Anhang II, Abschnitt 1.2): 1. Höhenlage. unterschieden werden höhere Lage: > 800 m, mittlere Lage: 200 bis 800 m, Tiefland: < 200 m 2. Größe (auf Grundlage des Einzugsgebiets). unterschieden werden: klein: 10–100 km², mittelgroß: > 100 bis 1000 km², groß: > 1000 bis 10.000 km², sehr groß: > 10.000 km² 3. Geologie. unterschieden werden: kalkig, silikatisch, organisch.
Das der deutschen Typisierung zugrunde liegende Schema beruht auf einem (nicht veröffentlichten) Gutachten von Schmedtje et al. 2000.[1] Wichtige Vorarbeiten dazu hatten zum Beispiel Otto+Braukmann (1983)[2] geleistet. Nach mehreren Überarbeitungen stammt das heutige Klassifikationsschema von Pottgiesser+Sommerhäuser (2008).[3] Es ist festgeschrieben in einer „Arbeitshilfe“ der LAWA, nach der die Fachleute in Bund und Ländern ihr Vorgehen koordinieren.[4] Ende des Jahres 2018 wurde durch das Umweltbundesamt eine aktualisierte Beschreibung der Gewässertypen veröffentlicht.[5]
In Deutschland werden danach dreiundzwanzig Typen unterschieden; einige davon werden noch in Subtypen untergliedert. Grundlage der Typisierung ist die biozönotische „Ökoregion“ (nach Illies[6]). Deutschland hat im Wesentlichen Anteil an 3 Ökoregionen: Alpen (Region 4), „zentrale Mittelgebirge“ (Region 9), „zentrales Tiefland“ (Region 14). Die kleinen Anteile der westeuropäischen Regionen 8 und 13 (westlich des Rheins) werden den angrenzenden Regionen zugeschlagen. Innerhalb der Regionen erfolgt die Typisierung nach hydrologischen Parametern und Sohlsubstrat (abhängig von der Geologie des Einzugsgebiets, zum Beispiel karbonatisch oder silikatisch). Eine Reihe von stark abweichenden Sondertypen wurde zusätzlich eingefügt. Diese sind zum Beispiel Seenauslässe, sog. „organisch geprägte“ Bäche und Flüsse (gemeint sind Moorgewässer mit torfiger Sohle) oder Brackwasser-beeinflusste Gewässer im Ostseeraum. Die Untergliederung der Fließgewässer wurde entsprechend der Klassifizierung in der Wasserrahmenrichtlinie unter Berücksichtigung der Größe des Einzugsgebiets vorgenommen:
Zu beachten ist, dass es sich hierbei nicht um eine offizielle „Neudefinition“ der Begriffe Bach, Fluss und Strom handelt, sondern um eine reine Klassifizierung nach Eckdaten. Überdies sind natürlich auch Fließgewässer mit Einzugsgebiet kleiner als 10 km² „Bäche“. Diese Gewässer sind im Prinzip auch durch die Wasserrahmenrichtlinie erfasst. Allerdings besitzt die Bundesrepublik Deutschland bei ihnen keine Meldepflicht gegenüber der Europäischen Union. Deshalb wurden sie bei der Typisierung vernachlässigt.
Die Definition der Fließgewässertypen nach dem hier beschriebenen Ansatz erfolgt „von oben nach unten“ (oder „top down“). Das bedeutet: Gewässer mit erkennbar unterschiedlicher Hydrologie und unterschiedlichem Substrat werden (mehr oder weniger dem Kartenbild entsprechend) großräumig klassifiziert, ohne dass ihre Besiedlung tatsächlich im Detail bekannt wäre. Limnologische Forschungsarbeiten, die von der Lebensgemeinschaft genau untersuchter Einzelgewässer ausgingen (Ansatz „von unten nach oben“, oder „bottom up“) fanden z. T. in diesen Gewässertypen unterschiedliche Lebensgemeinschaften. In anderen Fällen war keine Differenzierung feststellbar.
Die Fließgewässer unterscheiden sich deutlich in ihrer Form, dem Abflussverhalten und der Zusammensetzung ihrer Lebensgemeinschaften. Die Hauptfaktoren dafür sind Klima, Relief und das Substrat, welches abhängig von Ausgangsgestein und dessen Verwitterungsprodukten ist. Die Gewässer reagieren auch unterschiedlich auf Einwirkungen des Menschen. Um die verschiedenen Fließgewässer genauer beschreiben zu können, erfolgte eine Einteilung in Typen, welche auf den Faktoren Geologie, Geomorphologie und der naturräumlichen Ordnung (Ökoregion) basiert. Das Wissen um die unterschiedlichen Typen ist für u. a. für folgende Fragestellungen bedeutsam:
Für Deutschland ergeben sich aus den genannten Faktoren resultierend 23 Fließgewässertypen. Zwei davon werden in zwei bzw. drei Subtypen untergliedert, so dass insgesamt 25 Typen unterschieden werden. Sie können vier Ökoregionen zugeordnet werden. Diese sind die Ökoregionen:
Außerdem existieren
Diese können im Prinzip in jeder der drei Ökoregionen gleichermaßen auftreten. Hier prägen bestimmte Schlüsselfaktoren die Lebensgemeinschaft so stark, dass die Unterschiede zwischen den Ökoregionen im Verhältnis dazu bedeutungslos werden.
Ein einzelnes Fließgewässer kann in seinem Längsverlauf mehreren Typen angehören, wenn es von einer Fließgewässerregion in eine andere fließt, oder wenn es durch Abflussvergrößerung (hier gemessen als Vergrößerung des Einzugsgebiets) sich von einem „kleineren“ Typ (Bach) zu einem „größeren“ (Fluss) wandelt. Dies tritt in der Praxis sehr häufig auf. Die Typisierung bezieht sich deshalb nicht auf das Gewässer als Ganzes, sondern nur auf die jeweils charakteristischen Abschnitte. Bei der Besiedlung der Fließgewässer beobachtet man in der Praxis, dass sich der Einfluss des oberhalb gelegenen Typs noch eine längere Strecke im unterhalb gelegenen bemerkbar macht (z. B. erhöhter Kalkgehalt in einem Bach, der aus einem karbonatisch geprägten Einzugsgebiet in ein silikatisch geprägtes hineinfließt). Dieser Effekt wird bei der Typisierung nicht berücksichtigt.
Die folgenden Typen werden unterschieden:[5]
Die deutschen Alpen lassen sich in zwei Höhenstufen mit unterschiedlicher Formung unterscheiden, die großen Einfluss auf die Fließgewässer haben: Ein oberes Stockwerk der periglazialen Frostschuttzone, in der durch häufigen Frostwechsel viel mechanisch zerkleinertes Gesteinsmaterial bereitgestellt wird. Dieses Höhenstockwerk beginnt bei etwa 1800 m Höhe. Im unteren fluvialen Stockwerk (Alpenvorland) wird der Schutt, der oft noch sehr grob ist, den größeren Gewässern zugeführt. Sehr strukturreiche, sich rasch verändernde Gewässer sind für diesen Raum typisch.
Insgesamt ist der alpine Raum durch starke Abtragung, vor allem durch fluviale Erosion gekennzeichnet. Im Längsprofil der Fließgewässer treten nicht nur unterschiedliche Talformen auf, sondern auch sehr ausgeprägte Gefälleunterschiede: Die Gewässer des Typ 1 sind im Gefälle der Hänge angelegt und sind stark erosive Fließgewässer. Sie haben Gefällewerte von 20 % bis 40 % oder höher. Die Gewässer des Typ 2 und 3 stellen Sammeladern für die Gewässer des Typ 1 dar. Sie sind in glazial geformten Talungen angelegt und fließen in großen Kerb- und Kerbsohlentälern, die durchschnittliche Gefällewerte zwischen 2 % und 8 % haben, aber bei Hängetälern am Übergang zu den Haupttälern und bei Durchbrüchen weitaus höhere Werte erreichen. Die größeren Gewässer des Typ 3 und 4 folgen den bis ins Alpenvorland durchbrechenden Hauptgletscherbahnen (Trogtäler). Sie haben diese glazialen Übertiefungsrinnen bis auf sehr kurze Durchbruchstrecken mit Grobschotter gefüllt. Dies sind Gewässer mit überwiegend Durchtransport und Akkumulation. Das Talgefälle sinkt meist unter 1 %.[7]
Diese Region ist durch sehr variantenreiche Fließgewässerlandschaften gekennzeichnet. Die Mittelgebirge steigen von etwa 150 m auf über 1400 m an, wobei nur wenige eine Höhe über 800 m erreichen. Die Mittelgebirge waren in den Kaltzeiten über 900 m vergletschert. In diesem Höhenstockwerk hat die glaziale Überformung durch Karbildung ein eher alpines, steileres Relief hinterlassen, während die Mittelgebirge ansonsten durch Hochflächen charakterisiert sind. Durch die tektonische Beanspruchung handelt es sich um ein kleinräumiges Mosaik von Bruchschollen, die in unterschiedliche Höhenlagen versetzt wurden. Die Gewässer sind sehr häufig in ihren Längsprofilen gestuft: Sie fließen erst eine Strecke in Mulden- und Sohlentälern auf den Flächen und tauchen dann mit oft sehr steilem Gefälle und Kerbtälern bei härteren Schichten ab und fließen anschließend in Kerbsohlentälern mit schmalen Auen weiter. Die Mittelgebirge bestehen aus sehr alten, metamorphen und kristallinen Gesteinen, dem Grundgebirge, das von jüngeren, schichtlagernden Gesteinen, dem Deckgebirge, überlagert wird. Das Grundgebirge besteht aus Graniten, Gneisen und Schiefern, das also gewässermorphologisch härtere Substrate als das Deckgebirge aufweist. Das Deckgebirge besitzt in seinem Schichtaufbau sehr unterschiedlich harte Gesteine.[7]
Die Norddeutsche Tiefebene wird zum weitaus größten Anteil von glazialen (Moränenaufschüttungen) und fluvioglazialen (Sander- und andere Schmelzwasseraufschüttungen) Ablagerungen der Kaltzeiten überdeckt.[7]
Fließgewässertypen werden durch die Körnigkeit der Substrate von Gewässerbetten und Auen definiert. Grobmaterial führt zu Strukturreichtum und breiten Bächen, Feinmaterial dagegen zu strukturarmen, steilen und glattufrigen sowie tiefen Gewässer.[7]
Grundsätzlich sind vier Haupttypen nach der Größe der Körner zu unterscheiden
Je nach petrographischer Ausstattung der Einzugsgebiete ergeben sich daraus vielfältige Mischtypen. Es sind aber meistens nur ganz bestimmte Korngrößenmischungen weit verbreitet, die von den Substraten und von ihrer Größe und vom Gefälle der Gewässer abhängig sind, so dass lediglich drei abiotische Hauptmischtypen zu erkennen sind:
Fast alle Fließgewässer werden von Auen als flache Geländeteile begleitet. Nur die kurzen erosiven Oberläufe der Gerinne werden nicht von ihnen begleitet, weisen also keine fluvialen Sedimente auf. Auen bilden eine eigenständige Landschaft ab einer Breite von mehr als 300 m. Dann werden sie nicht mehr unmittelbar vom umgebenden Gelände beeinflusst. Auen entstehen entweder durch Überflutung der Talböden oder durch ständige Verlagerung der Gewässer. Flache und breite Gewässer mit viel Grobgeschiebe verlagern sich durch lokale Aufschotterung der Gerinnebetten oder durch Verklausung mit Totholz und Sedimentrückstau. Die damit verbundenen Ausbrüche sind Zeichen von Überlast. Die häufigste Auenbildung entsteht jedoch durch Ausufern, wenn die Talböden überflutet werden. Meistens werden dann Feinmaterialien und Sande auf die Talböden verfrachtet (Auenlehmbildung). Bei größeren Gewässern sind auch kiesige Überflutungsauen zu beobachten. In der Natur kommen fünf Auetypen vor, die eigene Landschaften ausbilden:
Löss ist ein standfestes Feinmaterial, das zu sehr fruchtbaren Böden verwittert, die deswegen intensiv genutzt werden. Besondere Verbreitung hat der Löss am Rande der Mittelgebirge, am Übergang zur norddeutschen Tiefebene, in den Börden und auf den unteren Flächen Süddeutschlands, den Gäuen. Die Gewässer haben kurze konkave Oberläufe, fließen dort in Muldentälern und gehen in breite Feinmaterialauen mit gestreckten, flachen Längsprofilen über. Sie haben kastenförmige, tiefe Querschnitte, nur im Muldentalbereich weniger stark gekrümmte Verläufe, sonst eine mäandrierende Linienführung. Diese Gewässer sind geschiebearm und Feinmaterial geprägt.
Die schlickgeprägten Fließgewässer der Marschen unterliegen im natürlichen Fall dem Einfluss der Gezeiten und Sturmfluten. Ihre Sohle wird im Stromstrich von Sanden geprägt, in Ufernähe von Schlick. In den reliefarmen Marschen verlaufen die Gewässer in großräumigen Mäandern, die die einströmende Tide bis in das Binnenland hinein aufnehmen müssen. Aufgrund der bindigen Marschensedimente und Torfe besitzen sie stabile, steile Ufer. Von Natur aus ist das Wasser sehr nährstoff- und kalkreich. Die Gewässer der Marschen werden von Salz- und Brackwasser-Röhrichten, Weichholzauenwäldern und lokalen Erlenbruchwäldern begleitet. Der Pflanzenbewuchs hängt vom Salzgehalt der Gewässer ab. Da die gesamte Küstenlinie sowie die Marscheninseln eingedeicht sind und das natürliche Regime durch Siele und Schöpfwerke verändert ist, werden unveränderte Marschengewässer kaum noch angetroffen.
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