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Die Enquete-Kommission „Aufarbeitung von Geschichte und Folgen der SED-Diktatur“ wurde im März 1992 vom Deutschen Bundestag aus eingesetzt, die zweite Enquete-Kommission „Überwindung der Folgen der SED-Diktatur im Prozeß der deutschen Einheit“ im September 1995. Sie befassten sich mit Aufarbeitung und Überwindung der Folgen der SED-Diktatur im Prozess der deutschen Wiedervereinigung. Parallel zu juristischer Aufarbeitung und der Arbeit der BStU sollte sie vor allem „Beiträge zur politisch-historischen Analyse und zur politisch-moralischen Bewertung“ (Bundestag Drucksache 12/8720: 9) der SED-Diktatur leisten und Politikempfehlungen für den weiteren Umgang mit der DDR-Vergangenheit erarbeiten. Darüber hinaus sollte das Gremium einen Beitrag zur Versöhnung der Gesellschaft leisten, der Bevölkerung Hilfestellungen bei der Auseinandersetzung mit der DDR-Vergangenheit anbieten, im Dialog mit der Öffentlichkeit das demokratische Selbstbewusstsein stärken und die Weiterentwicklung einer gemeinsamen politischen Kultur unterstützen[1].
Ihren Abschlussbericht veröffentlichte die Kommission im Mai 1994, woraufhin der Bundestag die Einsetzung einer zweiten, stärker fokussierten Enquete-Kommission mit dem Titel „Überwindung der Folgen der SED-Diktatur im Prozeß der deutschen Einheit“ beschloss. Diese sollte die Ergebnisse des ersten Gremiums weiter vertiefen und Beiträge zur gesamtgesellschaftlichen Aufarbeitung der DDR-Vergangenheit leisten. Außerdem sollte sie das demokratische Selbstbewusstsein der Bevölkerung weiter festigen, die innere Versöhnung der Gesellschaft vorantreiben sowie aktuelle Fragen des Wiedervereinigungsprozesses aufgreifen und Handlungsempfehlungen erarbeiten[2].
Nach Beschluss des Bundestags (Bundestag Drucksache 12/2330 vom 11. März 1992) konstituierte sich die Enquete-Kommission „Aufarbeitung von Geschichte und Folgen der SED-Diktatur in Deutschland“ am 19. März 1992 und wählte den Abgeordneten Rainer Eppelmann (CDU/CSU) einvernehmlich zu ihrem Vorsitzenden[1]. Dabei umfasste die Kommission insgesamt 27 Mitglieder, die sich gemäß der Sitzverteilung im Parlament aus 16 Abgeordneten sowie elf externen Sachverständigen zusammensetzte. Die einzelnen Abgeordneten wurden jeweils von ihren Fraktionen benannt und stammten mehrheitlich aus Ostdeutschland.[3][4] (Näheres hierzu siehe Mitglieder).
Die vergleichsweise späte Einsetzung einer solchen Kommission wird in der Wissenschaft häufig auf die besondere Dynamik des Wiedervereinigungsprozesses zurückgeführt, da bereits vor der offiziellen Wiedervereinigung (3. Oktober 1990) auf Seiten der DDR mit der juristischen Aufarbeitung des Regimes begonnen wurde. Dabei kam es vor allem zu Anklagen wegen Amtsmissbrauchs, Korruption und Wahlfälschung[3]. Parallel dazu forderten viele Bürger eine Einsicht in die Akten des MfS. Daher wurde im Juni 1990 ein Sonderausschuss zur Kontrolle der Auflösung des MfS eingerichtet, der später häufig als Gauck-Behörde oder Stasi-Unterlagenbehörde bezeichnet wurde[3][5]. Auf diese Weise sollte vermieden werden, dass sich dieselben Fehler wie im Umgang mit der NS-Vergangenheit wiederholen, wo die „Überlebenden wie Bettler vor verschlossenen Archivtüren standen, weil Persönlichkeitsrechte der Täter mehr galten als die geraubte Würde [...] der Unterdrückten“ (Gauck, Joachim 2001: 63f).[6]
Erst als die anfängliche Euphorie nach der Grenzöffnung langsam verklang und die Probleme der Wiedervereinigung immer deutlicher spürbar wurden, ertönten Forderungen nach neuen Wegen der Aufarbeitung und zum Umgang mit der DDR-Vergangenheit. Als Ursache hierfür wird in der Literatur häufig die hohe Arbeitslosigkeit im Osten, die schwache Wirtschaft der DDR und die explodierenden Kosten der Wiedervereinigung genannt. Hinzu kommt außerdem, dass der Umbruchsprozess für viele Ostbürger mit einem „Kultur- und Konsumschock“ (Görtemaker, Manfred 2015)[7] einherging, obwohl die Maueröffnung in Ostdeutschland anfänglich als Befreiung und Chance verstanden wurde. Begleitet wurde dieses Klima zudem von wachsender Unzufriedenheit über die Strafprozesse, die wegen des juristischen Rückwirkungsverbots nur sehr wenige Akteure und Funktionäre der SED verurteilen konnten. Außerdem zeigten sich in der Gesellschaft erste Ansätze der Mystifizierung des MfS und der Verharmlosung des SED-Regimes[3][7][8].
Daher wurden Anfang der 1990er Jahre in einer breiten öffentlichen Debatte verschiedene Ideen und Konzepte für Tribunale diskutiert. Diese sollten über juristische Verfahren hinaus moralische Urteile fällen, politische Schuld diskutieren und zuweisen. Angestoßen durch den Bürgerrechtler Friedrich Schorlemmer wurde dabei auch die Einsetzung eines gesamtgesellschaftlichen Tribunals nach Vorbild der Wahrheits- und Versöhnungskommission in Südafrika diskutiert[9]. Basierend auf dem Argument, dass dem Bundestag als höchster demokratisch gewählter Instanz eine besondere Verantwortung für die Aufarbeitung der DDR-Vergangenheit zukomme, entschieden sich die Abgeordneten im März 1992 schließlich für die Einsetzung einer Enquete-Kommission zur Aufarbeitung der SED-Diktatur.[10][11]
Damit war das Gremium, wie bei Enquete-Kommissionen üblich, dem Parlament untergeordnet und setzte sich aus einer Kooperation von Abgeordneten und Experten zusammen. So konnte die Kommission eng an den Bundestag gebunden und gleichzeitig vermieden werden, dass ein Tribunal ohne demokratische Legitimation die DDR-Vergangenheit aufarbeiten würde[3]. Dabei wurde stets betont, dass die politisch motivierte Arbeit der Enquete-Kommission die juristische und wissenschaftliche Aufarbeitung der DDR nicht vorwegnehmen oder ersetzen dürfe[1][4].
Mit dem Ziel „Beiträge zur politisch-historischen Analyse und zur politisch-moralischen Bewertung zu erarbeiten“ (Bundestag Drucksache 12/7820: 9)[1], betrieb die Kommission zwischen 1992 und 1994 aufwändige Recherchen im Umfang von über 15.000 Seiten, die kondensiert in einem Abschlussbericht im Mai 1994 veröffentlicht wurden und in der Drucksache 12/7820 des Bundestags öffentlich einsehbar sind[12]. Während ihrer Arbeit führte die Enquete-Kommission 44 öffentliche und 37 nicht öffentliche Anhörungen durch, wobei insgesamt 327 Zeitzeugen und Wissenschaftler angehört wurden[1][4].
Name | Fraktion | Position |
---|---|---|
Rainer Eppelmann | CDU/CSU | Vorsitzender |
Hartmut Büttner (ab 10. 93) | CDU/CSU | |
Wolfgang Dehnel (bis 11. 92) | CDU/CSU | |
Susanne Jaffke (bis 9. 92) | CDU/CSU | |
Harald Kahl (bis 10. 93) | CDU/CSU | |
Hartmut Koschyk (ab 10. 93, Obmann ab 7. 93) | CDU/CSU | Obmann ab 7. 93 |
Rudolf Krause (bis 3. 93) | CDU/CSU | |
Klaus-Heiner Lehne (von 10. 92 bis 10. 93) | CDU/CSU | |
Maria Michalk (ab 3. 93) | CDU/CSU | |
Günther Müller | CDU/CSU | |
Dorothee Wilms (Obmann bis 7. 93) | CDU/CSU | Obmann bis 7. 93 |
Roswitha Wisniewski (ab 11. 92) | CDU/CSU | |
Christel Hanewinkel (bis 9. 93) | SPD | |
Stephan Hilsberg | SPD | |
Regina Kolbe (ab 9. 93) | SPD | |
Markus Meckel | SPD | Obmann |
Margot von Renesse | SPD | stellv. Vorsitzende |
Gert Weisskirchen | SPD | |
Dirk Hansen | FDP | Obmann |
Jürgen Schmieder | FDP | |
Gerd Poppe | Bündnis 90/Die Grünen | Obmann |
Dietmar Keller | PDS/LL | Obmann |
Name | Fachgebiet |
---|---|
Bernd Faulenbach | Geschichtswissenschaft |
Alexander Fischer | Osteuropäische Geschichte |
Karl Wilhelm Fricke | Publizist |
Martin Gutzeit | Theologe und Berliner Landesbeauftragter für die Akten des MfS |
Hans-Adolf Jacobsen (ab 3. 93) | Politikwissenschaft |
Walter Kempowski (bis 12. 92) | Lehrer und Schriftsteller |
Armin Mitter | Geschichte |
Martin-Michael Passauer | Pfarrer und Superintendent des Kirchenkreises Berlin Stadt III |
Friedrich-Christian Schroeder | Jura (Strafrecht, Strafprozeßrecht und Ostrecht) |
Hermann Weber | Politikwissenschaft und Zeitgeschichte |
Manfred Wilke | Soziologie |
Herbert Wolf | Ökonomie |
Die Aufgaben der Enquete-Kommissionen sind in den ersten Abschnitten der Abschlussberichte sowie den Beschlussempfehlungen des Bundestags zu deren Einsetzung (Drucksachen 12/2597, 13/1535 und 13/1762) ausführlich dargestellt. Da sich die Aufgabenbereiche und Ziele von beiden Kommissionen zur Aufarbeitung und Überwindung des SED-Regimes stark überschneiden und ihre Arbeit im wissenschaftlichen Diskurs zumeist demselben Aufarbeitungs- bzw. Transitional Justice Prozess zugeordnet wird[13], wird im Folgenden nicht trennscharf zwischen den Aufgaben und Zielen beider Gremien unterschieden. Insgesamt lassen sich in den oben genannten Dokumenten fünf Hauptziele der beiden Enquete-Kommissionen identifizieren:
Im wissenschaftlichen Diskurs werden die beiden Enquete-Kommissionen zur "Aufarbeitung von Geschichte und Folgen der SED-Diktatur" (1992–1994) und zur "Überwindung der Folgen der SED-Diktatur im Prozess der deutschen Einheit" (1995–1998) häufig als Wahrheitskommissionen klassifiziert und somit dem Instrumentarium der Transitional Justice zugeordnet. Für diese Einordnung spricht unter anderem, dass beide Gremien zur Aufarbeitung der DDR-Vergangenheit eine Opferperspektive einnahmen. Zudem wurden sie zeitlich begrenzt und offiziell vom Bundestag aus eingerichtet, veröffentlichten einen frei zugänglichen Abschlussbericht und interagierten (wenn auch eingeschränkt) mit der Bevölkerung, indem sie öffentliche Sitzungen und Anhörungen von Opfern durchführten. Auf diese Weise erfüllen beide Enquete-Kommissionen formal die Merkmale von Wahrheitskommissionen nach der Definition von Priscilla B. Hayner[3][13][15][16][17]. Da die Ergebnisse der Gremien jedoch vor allem ein Fachpublikum erreichen, werden sie in der Literatur auch als Untersuchungskommission diskutiert.[18]
Allerdings wird ihr tatsächlicher Beitrag zur Versöhnung in einigen Publikationen nur als äußerst gering eingestuft.[3][19] So wird beispielsweise kritisiert, dass die Kommissionen die Öffentlichkeit zu wenig in den Aufarbeitungsprozess involviert habe und das öffentliche Interesse an ihrer Arbeit besonders gering ausfiel; vor allem im Vergleich zur juristischen Aufarbeitung und der Arbeit der BStU.[20] Zu den Hauptkritikpunkten im Diskurs um die Kommissionen gehört außerdem die eingeschränkte Interaktion mit der betroffenen Bevölkerung[20][21][22]. Auch ihr institutioneller Rahmen als Enquete-Kommission und die daraus resultierende Nähe zum Parlament wird häufig kritisiert, da dies die Gefahr einer Politisierung der Vergangenheitsdebatte birgt.[10][23]
Dennoch sollte die Arbeit der Kommissionen nicht auf diese Kritik beschränkt bleiben, indem auch die positiven Aspekte ihrer Arbeit hervorgehoben werden. Dazu zählt beispielsweise, dass beide Gremien durch ihre Arbeit entscheidend zur Aufarbeitung der ostdeutschen Geschichte beigetragen haben. Zudem gelten viele ihrer Empfehlungen nach wie vor als Richtlinien für parlamentarische Debatten in Deutschland[13][22].
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