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Rechtsstreit zwischen Jürgen Elsässer und Jutta Ditfurth Aus Wikipedia, der freien Enzyklopädie
Der Elsässer-Ditfurth-Prozess war ein öffentlich beachteter Rechtsstreit zwischen dem Journalisten Jürgen Elsässer und der Publizistin Jutta Ditfurth. Strittig war seit Mai 2014, ob Ditfurths öffentliche Aussage, Elsässer sei ein „glühender Antisemit“, von ihrem Grundrecht auf Meinungsfreiheit (Art. 5 Abs. 1 GG) umfasst ist oder Elsässers allgemeines Persönlichkeitsrecht (Art. 2 Abs. 1 GG) verletzt. Dabei ging es im Kern um den Sachbezug der Aussage und um die wissenschaftliche Definition des Begriffs „Antisemitismus“.
Die erste Gerichtsinstanz verbot Ditfurth die Aussage. Im Berufungsantrag verzichtete Ditfurth auf das Adjektiv „glühend“, behielt sich aber vor, Elsässer im Zusammenhang seiner Äußerungen, politischen Aktionen und Verbindungen weiterhin als „Antisemiten“ zu bezeichnen. Daraufhin erklärte Elsässer seinen Unterlassungsantrag für erledigt. Die zweite Gerichtsinstanz erlegte Ditfurth dennoch die gesamten Prozesskosten auf. Das Bundesverfassungsgericht nahm ihre Verfassungsbeschwerde im Juni 2016 nicht zur Entscheidung an. Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) verweigerte die Annahme ihrer Beschwerde vom Dezember 2016.
Seit März 2014 kritisierte Jutta Ditfurth öffentlich antisemitische und rechtsextreme Tendenzen bei den damaligen Mahnwachen für den Frieden und bewirkte eine Mediendebatte dazu. Am 16. April 2014 begründete sie ihre Kritik im Fernsehmagazin Kulturzeit. Sie ordnete die Aufrufe zu den Mahnwachen als gezielte Querfront-Strategie ein. Als Erkennungsmerkmale antisemitischer Tendenzen nannte sie sprachliche Codes: So habe der Organisator der Berliner Mahnwachen Lars Mährholz alle Weltkriege und Konflikte der letzten hundert Jahre auf die Federal Reserve Bank (Fed) zurückgeführt. Diese stehe für das früher so genannte „Weltjudentum“, ebenso wie das Codewort „Ostküste“. Auf Webseiten der Mahnwachenvertreter fänden sich zudem antisemitische Karikaturen und Hasstexte gegen die Rothschilds.
Ditfurth benannte drei Mahnwachenvertreter: „Das ist ein Propagandist, ein Radiomacher ein früherer, Ken Jebsen, der auch unter anderen Identitäten auftritt. Dann gibt es Jürgen Elsässer, der mal Kommunist war und heute glühender Antisemit und Schwulenfeind ist, und sein Magazin COMPACT, und als Organisator dieser Friedensdemos gibt es jetzt Lars Mährholz, der so tut, als sei er ein unschuldiges Individuum, aber offensichtlich der Hintergrund […] rechtsesoterischer Kreise, wie Zeitgeistbewegung oder faschistischer Kreise wie Reichsbürger hat.“[1]
Wegen dieses Engagements gegen rechtsextreme und antisemitische Tendenzen bei den Mahnwachen wurde sie für deren Organisatoren und Anhänger zur Reizfigur.[2] Nach dem Interview war sie einem Shitstorm ausgesetzt.[3]
Elsässer erwirkte am 26. Mai 2014 vor dem Landgericht München I eine einstweilige Verfügung gegen seine Bezeichnung als „glühender Antisemit“. Er stellte diesen Erfolg auf den Mahnwachen und in seiner Zeitschrift als „Sieg“ im Streit um den Wahrheitsgehalt der Aussage dar. Darüber hatte das Gericht jedoch nicht geurteilt.[4] Weil die Verfügung Ditfurth unvollständig und nicht fristgerecht zugestellt worden war, hob das Landgericht sie am 30. Juli 2014 zunächst wieder auf.[5]
Elsässer klagte auf Unterlassung der Bezeichnung vor der 25. Zivilkammer (Pressekammer) des Landgerichts München I. Er ließ sich von Rechtsanwalt Michael-Hubertus von Sprenger vertreten, der zuvor Anwalt des Holocaustleugners David Irving gewesen war.[6] Das Gericht setzte die einstweilige Verfügung im Hauptsacheverfahren am 17. November 2014 wieder ein. In der Hauptsache verurteilte es Ditfurth am 10. Dezember 2014, die strittige Bezeichnung bei Meidung von Ordnungsmitteln zu unterlassen sowie vor- und außergerichtliche Anwaltskosten der Klägerseite zu übernehmen.[5]
Dagegen legte Ditfurth Berufung beim Oberlandesgericht München ein. Um die Prozesskosten tragen zu können, rief sie öffentlich zum Spenden auf.[7][8] Einige Künstler stifteten Gemälde für eine Onlineauktion, deren Erlöse Ditfurths Prozess mitfinanzieren sollten.[9]
Am 16. März 2015 gab Ditfurths Anwalt eine Unterlassungserklärung ab: Sie verpflichte sich ohne Anerkennung einer Rechtspflicht, Elsässer nicht mehr einen „glühenden Antisemiten“ zu nennen, behalte sich jedoch vor, ihn im Zusammenhang mit „seinen Äußerungen und politischen Aktionen und Verbindungen weiterhin als Antisemiten und seine Äußerungen als antisemitisch zu bezeichnen“. Am 5. Mai bestätigte Ditfurths Anwalt, sie werde nur das Beiwort „glühender“ unterlassen. Am 20. Mai 2015 erklärte Elsässers Anwalt Ziffer 1 des Landgerichtsurteils (Verurteilung zur Unterlassung) damit für erledigt. Ditfurths Berufung gegen die Tragung vor- und außergerichtlicher Anwaltskosten der Klägerseite wies das Oberlandesgericht München am 28. September 2015 ohne mündliche Verhandlung zurück, erlegte ihr die gesamten Prozesskosten auf und ließ keine Revision zum Bundesgerichtshof zu. Der Kläger habe Anspruch auf Unterlassung der strittigen Bezeichnung, für die der Senat „nach wie vor keine ausreichenden tatsächlichen Anhaltspunkte“ sehe; sie habe den Kläger „rechtswidrig in seinem allgemeinen Persönlichkeitsrecht verletzt“. Die Berufung hinsichtlich der Anwaltskosten sei offensichtlich unbegründet. Soweit der Rechtsstreit in der Hauptsache übereinstimmend für erledigt erklärt wurde, habe man die Kosten gemäß § 91a ZPO nach billigem Ermessen der Beklagten auferlegt, da sie ohne die übereinstimmende Erledigungserklärung auch insoweit unterlegen wäre.[10]
Am 6. November 2015 erhoben Ditfurths Anwälte dagegen Verfassungsbeschwerde vor dem Bundesverfassungsgericht.[11] Dieses nahm die Verfassungsbeschwerde im Juni 2016 nicht zur Entscheidung an. Damit blieb es bei dem Beschluss des Oberlandesgerichts. Daraufhin erklärte Ditfurth im Dezember 2016, sie sehe sich gezwungen, den Prozess vor den EGMR zu tragen. Sie rief erneut zu Spenden für die Bezahlung der Prozesskosten auf.[12]
Laut Ditfurth lehnte der EGMR die Annahme der Beschwerde ab und verbot ihr explizit jede Nachfrage nach den Gründen.[13]
Das Landgericht München I berücksichtigte folgende Angaben Ditfurths:
Am 9. Dezember 2014, einen Tag vor dem Landgerichtsurteil, verwies Ditfurth in einem Online-Artikel für publikative.org und HaGalil auf weitere Aussagen und Handlungen Elsässers, die sie dem Gericht schriftlich vorgelegt hatte:
Zum Abschluss der mündlichen Verhandlung am 10. Oktober 2014 erläuterte Ditfurth ihre Belege auch im Nürnberger Sender Radio Z.[16]
Sie begründete ihre Berufung gegen das erstinstanzliche Urteil so: „In einem Land, in dem ich einen Antisemiten nicht Antisemit nennen darf, würde mir das Leben sehr schwerfallen.“[17]
Für das Berufungsverfahren erklärte die Sprachwissenschaftlerin Monika Schwarz-Friesel in einem Gutachten: Elsässers Aussagen enthielten „alle wesentlichen und typischen Kennzeichen des modernen Verbal-Antisemitismus in der Variante der Umweg-Kommunikation“. Ditfurths Bezeichnung Elsässers als „Antisemit“ sei daher „fachlich belegbar und durch eine wissenschaftliche Analyse der Äußerungen und kommunikativen Aktivitäten von Herrn Jürgen Elsässer als gerechtfertigt zu betrachten“.[18]
Elsässer bestätigte vor dem Landgericht München I einige seiner von Ditfurth zitierten Aussagen, wies aber die Deutung zurück, sie seien antisemitisch. Dazu ergänzte er andere Aussagen und Hinweise:
Petra Grönke-Müller, Vorsitzende Richterin am Landgericht München I, definierte Antisemitismus bereits am Ende der mündlichen Verhandlung wie folgt:
„Ein glühender Antisemit in Deutschland ist jemand, der mit Überzeugung sich antisemitisch äußert, mit einer Überzeugung, die das Dritte Reich nicht verurteilt, und ist nicht losgelöst von 1933 bis 1945 zu betrachten, vor dem Hintergrund der Geschichte.“[19]
In der Urteilsbegründung heißt es: „Bei der Bezeichnung „glühender Antisemit“ handelt es sich um eine Beleidigung im Sinne von § 185 StGB und eine Bezeichnung, die geeignet ist, das Persönlichkeitsrecht des Klägers in erheblicher und weitgehender Weise zu verletzen. Dabei ist zu berücksichtigen, dass gerade vor dem Hintergrund der Verbrechen der Nazidiktatur sowie des Holocaust die Bezeichnung als ‚glühender Antisemit‘ in besonderer Weise geeignet ist, den so Bezeichneten herabzuwürdigen und in seiner Ehre zu verletzen. Denn in dieser Bezeichnung kommt zum Ausdruck, dass derjenige die Überzeugungen teilt, die zu der Ermordung von 6 Millionen Juden unter der nationalsozialistischen Schreckensherrschaft geführt haben, und die Menschen alleine aufgrund ihrer Zugehörigkeit zu einer Religionsgemeinschaft angreifen und für die Übel der Welt verantwortlich machen. In der gebotenen Abwägung zwischen dem Persönlichkeitsrecht des Klägers und der Meinungsäußerungsfreiheit der Beklagten ist daher zu berücksichtigen, ob die Beklagte über ausreichende Anhaltspunkte und Anknüpfungstatsachen verfügt, aus denen sich eine glühende antisemitische Überzeugung oder Einstellung des Klägers […] entnehmen lässt. Die von der Beklagten vorgetragenen Äußerungen und Handlungen des Klägers, auf die sich die Beklagte beruft, bieten zur Überzeugung des Gerichts keine ausreichenden Anknüpfungstatsachen dafür, den Kläger als „glühender Antisemit“ beurteilen zu können.“[5]
Das Oberlandesgericht München nahm zu den schriftlichen Einlassungen beider Parteien wie folgt Stellung:
Autoren deutscher Zeitungsberichte kritisierten die Definition des Landgerichts, Antisemitismus sei nur eine ausdrücklich positive Haltung zur NS-Zeit. Für den Berliner Rechtsanwalt Nathan Gelbart (Jüdische Allgemeine) zeigte diese Definition „Unkenntnis historischer Tatsachen“ und Ignoranz gegenüber dem gegenwärtig verbreiteten Antisemitismus. Sie verhindere, Antisemiten beim Namen zu nennen, und schränke die Meinungsfreiheit von Presse und Literatur in bisher unbekanntem Ausmaß ein. Heutige Antisemiten verwiesen wie Elsässer stets auf jüdische Freunde und ihren Nazihass und kritisierten nur Israel. Wenn jemand Verschwörungstheorien über Juden vertrete oder sich im Umfeld von Vertretern solcher Theorien bewege, müsse er als Antisemit bezeichnet werden können.[20]
Laut Henryk M. Broder (Die Welt) könnte die Ansicht des Landgerichts „der erste amtliche Schritt zur Abschaffung des Antisemitismus in Deutschland sein“. Gegenwärtige Antisemiten distanzierten sich vom Antisemitismus der Nationalsozialisten, um dann umso ungehemmter Israels Palästinenserpolitik mit der nationalsozialistischen Judenpolitik gleichzusetzen. Dieser als Israelkritik getarnte Antisemitismus werde vom Gericht elegant entsorgt.[19]
Deniz Yücel (damals taz) kritisierte, gemessen an der Definition des Gerichts sei der letzte Antisemit um 1960 in Jerusalem gesehen worden (siehe Eichmann-Prozess). Neonazis begrüßten den Holocaust nicht, sondern leugneten ihn. Der gewöhnliche Antisemit verurteile den Holocaust, um dann die Israelis zu den heutigen Nazis zu erklären. Israel habe im heutigen Antisemitismus den Platz des „Weltjudentums“ eingenommen. Elsässer selbst habe 1992 in seinem Buch Antisemitismus – das alte Gesicht des neuen Deutschland den ‚linken‘ Antizionismus beschrieben, der demagogisch von der ‚Endlösung der Palästinenserfrage‘ oder israelischen ‚Konzentrationslagern‘ gesprochen und Attentate auf Israelis bejubelt habe. Heute sei er Verschwörungstheoretiker, Querfrontstratege und Redner bei der rechtsextremen „Legida“-Demonstration.[7]
Auch die Jungle World[21] und die junge Welt[22] berichteten über das Landgerichtsurteil. Benjamin Weinthal (The Jerusalem Post) berichtete über kritische deutsche Medienreaktionen zum Landgerichtsurteil und folgerte, der Fall betreffe den Kern des modernen Verständnisses von Antisemitismus in Deutschland. Er erinnerte daran, dass Elsässer 2009 eine jährliche deutsche Demonstration am al-Quds-Tag als nicht-antisemitisch dargestellt habe, obwohl Hisbollah-Aktivisten, Unterstützer des Iran-Regimes und Neonazis dort gemeinsam zur Zerstörung Israels aufriefen.[23]
Die Auffassung des Landgerichts, ein „glühender Antisemit“ sei in Deutschland nur jemand, der den Nationalsozialismus positiv bewerte, wird auch in neueren Publikationen zum Antisemitismus kritisiert. Ronen Steinke[24] und Peter Ullrich[25] erwähnten sie als Beispiel für die Schwierigkeiten deutscher Justiz, Antisemitismus sachgerecht zu definieren. Mehrere Autoren belegten infolge des Prozesses den Antisemitismus in Elsässers Zeitschrift Compact.[26]
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