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deutscher Germanist und Literaturwissenschaftler Aus Wikipedia, der freien Enzyklopädie
Eberhard Lämmert (* 20. September 1924 in Bonn; † 3. Mai 2015 in Berlin) war ein deutscher Germanist und Komparatist.
Lämmert begann zunächst ein Studium der Bergbauwissenschaften Mineralogie und Geologie an der Rheinischen Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn. Dann studierte er Germanistik, Geschichte und Geografie an den Universitäten München und Bonn. 1952 wurde Lämmert durch die von Günther Müller betreute Dissertation Aufbauformen und Fügemittel des Erzählens promoviert.[1] 1960 folgte seine Habilitation für mittelalterliche und neuere Deutsche Philologie in Bonn. Wegweisend war sein Vortrag beim Deutschen Germanistentag 1966 über „Germanistik – eine deutsche Wissenschaft“ als Plädoyer für „die endgültige Verabschiedung ihrer Tradition als nationale Wissenschaft“.[2] Lämmert lehrte in Heidelberg und Berlin. Auf die rebellierenden Studenten während der Proteste von 1967 reagierten Eberhard Lämmert und sein Kollege Peter Szondi laut Winfried Menninghaus und Klaus R. Scherpe „mit einer bemerkenswerten Noblesse“.[3] Von 1977 bis zu seiner Emeritierung 1992 war Lämmert als Professor für Allgemeine und Vergleichende Literaturwissenschaft am Peter-Szondi-Institut der Freien Universität Berlin tätig. Parallel zur Lehre und Forschung hat sich Lämmert institutionell engagiert:
Als Nachfolger von Rolf Kreibich war er von 1976 bis 1983 Präsident der Freien Universität Berlin. In diesem Amt setzte sich Lämmert für eine Gruppenuniversität und für eine Kultur des Dialogs ein. Und er war ein Gegner des Radikalenerlasses.[3]
Von 1992 bis 1996 leitete Lämmert den Forschungsschwerpunkt Literaturwissenschaft innerhalb der Fördergesellschaft Wissenschaftliche Neuvorhaben, der die Arbeit des Zentralinstituts für Literaturgeschichte der Akademie der Wissenschaften der DDR fortführte.[3] Die Fördergesellschaft wurde damals von der Max-Planck-Gesellschaft betreut. Daraus entstand in Berlin das Zentrum für Literatur- und Kulturforschung, dessen Gründungsdirektor Lämmert von 1996 bis 1999 war.
Von 1998 bis 2004 war Lämmert Ko-Direktor am Forschungszentrum Europäische Aufklärung in Potsdam und von 1988 bis 2002 Präsident der Deutschen Schillergesellschaft – verbunden mit der Leitung des Literaturarchivs in Marbach.[3]
Eberhard Lämmert starb am 3. Mai 2015 im Alter von 90 Jahren in Berlin.[4] Seine letzte Ruhestätte fand er auf dem Waldfriedhof Zehlendorf (Feld 040-428).
Eberhard Lämmert hat sich durch seine Dissertation, die 1955 unter dem Titel Bauformen des Erzählens[5] erschien, einen Rang unter den Erneuerern der deutschen Germanistik der 1950er Jahre erarbeitet. Als einer der ersten Literaturwissenschaftler versuchte er, eine systematische Beschreibung der epischen Erzählung zu liefern. Gemeinsam mit Franz Karl Stanzel und Käte Hamburger ergänzte Lämmert in der deutschen Literaturwissenschaft die werkimmanente Interpretation durch eine formale, analytisch-funktionale Methodik im Gegensatz zu einer von außertextuellen Annahmen ausgehenden Hermeneutik. Der analytische Kern war dabei die differenzierende und systematisierende Darlegung der „Beziehung von Erzählzeit und erzählter Zeit“.
Nach Lämmert trifft ein Erzähler in einer Reihe von dauerhaften oder strategischen Entscheidungen vor allem die der Festlegung eines Handlungsrahmens. Darunter versteht er die Festlegung der Themen, des Milieus, der Situationen, Lebensläufe, Seelenzustände und die einheitliche Erzählerpräsenz. Die Schwerpunkte der Erzählung werden durch die Modulation der Zeit, also die Differenzierung von erzählter Zeit und Erzählzeit, das Auslassen von Handlungselementen oder ihre Vertiefung, die Gliederung in Phasen gesetzt.[6] Über die Anordnung des Stoffs entscheidet die Durchbrechung der linearen Zeit durch Rück- und Vorgriffe, Verschachtelungen, Exkurse, Umstellungen und Neuansätze, was zu einem zeitraffenden, zeitdehnenden und zeitdeckendem Erzählen führt.[7] Er trug weiterhin verschiedene, vielfach kombinierbare Raffungsformen und Raffungsintensitäten zusammen, die das Erzähltempo eines Textes bestimmen.[8]
Lämmert untersuchte außerdem die Logik der Ereignisverbindung, bei der er die reine Addition[9] (als Chronologie oder demonstrative Fülle), die Korrelation oder Textur[10] (als Allegorisierung eines allgemeinen Themas durch unterschiedliche Phänomene) und die kausale Verknüpfung[11] unterschied.
Als letzte der strategischen Entscheidungen sah er die Figurenrede (direkte, indirekte, erlebte oder den inneren Monolog) in der Funktion eines Berichts oder der Reflexion, als Handlungsplanung oder im Gespräch, wodurch der höchste Grad der Wirklichkeitsfiktion erreicht werde.[12]
Lämmerts analytische Begrifflichkeit galt seit den 1960er Jahren als literaturwissenschaftliches Elementarwissen und wurde erst in neuerer Zeit durch die systematischere und trennschärfere Terminologie des französischen Literaturtheoretikers Gérard Genette verdrängt, der ebenfalls den Zeitstrukturen besonderes Gewicht einräumt.[13]
Seine Arbeitsschwerpunkte waren Literaturtheorie, Geschichte der literarischen Gattungen, Erzählkunst, Literatur des späten Mittelalters, Geschichte des freien Schriftstellers vom 18. Jahrhundert bis zur Gegenwart, Wissenschaftsgeschichte und Bildungspolitik.[14]
Lämmert hat von 1954 bis 2003 ca. 190 Aufsätze zur Literaturtheorie und Literaturgeschichte, zur Wissenschaftsgeschichte und zur Bildungspolitik veröffentlicht.
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