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Die Verordnung (EU) Nr. 604/2013 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Juni 2013 zur Festlegung der Kriterien und Verfahren zur Bestimmung des Mitgliedstaats, der für die Prüfung eines von einem Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen in einem Mitgliedstaat gestellten Antrags auf internationalen Schutz zuständig ist, ist eine Verordnung der Europäischen Union, nach der der Mitgliedstaat bestimmt wird, der für die Durchführung eines Asylverfahrens zuständig ist. Die Verordnung tritt im Rahmen des Gemeinsamen Europäischen Asylsystems an die Stelle der Dublin-II-Verordnung und wird auch Dublin-III-Verordnung oder Dublin-Verordnung genannt. Sie ist am 19. Juli 2013 in Kraft getreten und auf Anträge auf internationalen Schutz anzuwenden, die ab dem 1. Januar 2014 gestellt werden.
Verordnung (EU) Nr. 604/2013 | |
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Titel: | Verordnung (EU) Nr. 604/2013 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Juni 2013 zur Festlegung der Kriterien und Verfahren zur Bestimmung des Mitgliedstaats, der für die Prüfung eines von einem Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen in einem Mitgliedstaat gestellten Antrags auf internationalen Schutz zuständig ist |
Bezeichnung: (nicht amtlich) | Dublin-III-Verordnung |
Geltungsbereich: | EU und Island, Norwegen, Liechtenstein und Schweiz |
Rechtsmaterie: | Asylrecht, Verwaltungsrecht |
Grundlage: | AEUV, insbesondere Art. 78 Abs. 2 lit. e |
Verfahrensübersicht: | Europäische Kommission Europäisches Parlament IPEX Wiki |
Anzuwenden ab: | 1. Januar 2014 |
Ersetzt durch: | Verordnung (EU) 2024/1351 |
Außerkrafttreten: | 30. Juni 2026[1] |
Fundstelle: | ABl. L 180 vom 29. Juni 2013, S. 31–59 |
Volltext | Konsolidierte Fassung (nicht amtlich) Grundfassung |
Regelung ist in Kraft getreten und anwendbar. | |
Hinweis zur geltenden Fassung von Rechtsakten der Europäischen Union |
Mit Ablauf des 30. Juni 2026 wird die Dublin-III-Verordnung aufgehoben und durch die Verordnung über Asyl- und Migrationsmanagement ersetzt.[2]
Die Verordnung gilt in den Mitgliedstaaten der Europäischen Union, Norwegen, Island, der Schweiz und in Liechtenstein.[3]
Im Dublin-Verfahren soll vor der eigentlichen Prüfung des Antrags auf internationalen Schutz der zuständige Mitgliedstaat bestimmt werden. Ziel der Dublin-Verordnung ist es, dass jeder in einem der teilnehmenden Staaten gestellte Antrag inhaltlich nur durch einen Staat geprüft wird. Der Anwendungsbereich des durch diese Verordnung geregelten Dublin-Verfahrens erstreckt sich auf alle Personen, die um internationalen Schutz ersuchen.[4][5][6][7]
Die Dublin-Verordnung legt eine Prüfreihenfolge fest, nach der der zuständige Staat zu bestimmen ist. Besondere Berücksichtigung finden dabei der Schutz des Kindeswohls sowie der Einheit der Familie. Halten sich im Fall von unbegleiteten Minderjährigen bereits Familienangehörige in einem Dublin-Staat auf, so ist dieser Staat zuständig, soweit dies dem Kindeswohl entspricht. Im Falle von erwachsenen Asylsuchenden ist auf Wunsch der Betroffenen der Staat zuständig, in dem sich enge Verwandte aufhalten, die sich im Asylverfahren befinden oder denen bereits Schutz gewährt wurde.[8] In der Praxis kommt es oft zur Anwendung des Kriteriums der Ersteinreise. Demnach ist derjenige Staat verpflichtet, das Asylverfahren durchzuführen, in dem die asylsuchende Person zum ersten Mal die EU-Grenzen irregulär überschreitet.
Ergibt die Prüfung, dass ein anderer Dublin-Staat für den Antrag zuständig ist, so wird dieser Staat in der Regel gebeten, die asylsuchende Person (wieder) aufzunehmen.[9]
Artikel 17 der Dublin-Verordnung sieht allerdings ein Selbsteintrittsrecht vor, nach dem sich ein Dublin-Staat für ein Asylverfahren für zuständig erklären kann, obwohl er an sich nicht zuständig wäre.
Die Verordnung geht, wie vom EuGH formuliert, davon aus, „dass alle daran beteiligten Staaten […] die Grundrechte beachten […] und dass die Mitgliedstaaten einander insoweit Vertrauen entgegenbringen dürfen.“ Deshalb darf die Vermutung gelten, „dass die Behandlung der Asylbewerber in jedem einzelnen Mitgliedstaat in Einklang mit den Erfordernissen der Charta sowie mit der Genfer Flüchtlingskonvention und der EMRK steht.“[10] Der EGMR und der EuGH haben jedoch jeweils wiederholt entschieden, dass diese Annahme nicht unwiderlegbar sein kann. Staaten können demnach verpflichtet sein zu prüfen, ob die Überstellung einer Person in einen anderen Dublin-Staat mit einer Verletzung des Verbots der Folter oder unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung oder Strafe i. S. von Artikel 3 EMRK bzw. Artikel 4 der Grundrechtecharta der EU einhergehen würde.[11][12] Artikel 3 Absatz 2 der Verordnung spiegelt diese Rechtsprechung nun weitgehend wider.
Im Vergleich zur Dublin-II-Verordnung sind in der Dublin-III-Verordnung Grundsatzurteile des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte und des Europäischen Gerichtshofes berücksichtigt. Entsprechend einem Urteil des EuGH heißt es nun, die Prüfung der Kriterien werde fortgeführt, „wenn es sich als unmöglich erweist, einen Antragsteller an den zunächst als zuständig bestimmten Mitgliedstaat zu überstellen, da es wesentliche Gründe für die Annahme gibt, dass das Asylverfahren und die Aufnahmebedingungen für Antragsteller in diesem Mitgliedstaat systemische Schwachstellen aufweisen, die eine Gefahr einer unmenschlichen oder entwürdigenden Behandlung im Sinne des Artikels 4 der EU–Grundrechtecharta mit sich bringen“ (Art. 3 Abs. 2 S. 2 Dublin-III-VO).[13][14]
Wie auch die Dublin-II-Verordnung ermöglicht Dublin-III eine Inhaftnahme zum Zwecke der Überstellung in den zuständigen Staat. Hinsichtlich der Haftbedingungen und der Garantien für in Haft befindliche Personen gelten zwecks Absicherung der Verfahren für die Überstellung in den zuständigen Mitgliedstaat die Artikel 9, 10 und 11 der Aufnahmerichtlinie (Art. 28 Abs. 4 Dublin-III-Verordnung).
Zu den Unterschieden zur Dublin-II-Verordnung gehört, dass das System EURODAC, in dem Fingerabdrücke Asylsuchender gespeichert werden, mit zusätzlichen Daten beliefert wird. Zudem haben nun die Polizei und andere Sicherheitsbehörden Zugang zu den gespeicherten Daten.[15]
Der Rechtsschutz gegen inhaltlich fehlerhafte Überstellungsentscheidungen wurde, wie auch vom Europäischen Gerichtshof bekräftigt, durch die Dublin-III-Verordnung gestärkt.[16]
Durch die Beibehaltung des Dublin-Systemes trifft die südlichen EU-Staaten (insbesondere Malta, Italien, Spanien und Griechenland, siehe auch Einwanderung über das Mittelmeer in die EU) sowie Ungarn (siehe auch Balkan-Route) eine höhere Belastung bezüglich der Bearbeitung von Asylverfahren als die nördlicheren Länder. Dies ist vor allem darauf zurückzuführen, dass das Kriterium der Ersteinreise nach Artikel 13 der Verordnung in der Praxis häufig zur Anwendung gelangt. Die Einführung eines Solidaritätsmechanismus lehnte Deutschland 2013 noch ab.[17]
Bereits in der Debatte um die Reform der Dublin-II-Verordnung war darauf hingewiesen worden, dass im Fall einer Überlastung des Asylsystems eines Mitgliedstaates die Überstellung von Flüchtlingen dorthin problematisch würde. Die EU-Kommission hatte vorgeschlagen, in Fällen einer Überlastung des zuständigen Mitgliedstaates die Überstellung von Schutzsuchenden in diesen Staat auszusetzen. Dieser Vorschlag wurde jedoch abgelehnt; stattdessen beschlossen die EU-Innenminister im Januar 2012 (also noch vor der Dublin-III-Verordnung), einen Frühwarnmechanismus einzuführen, der frühzeitig Hinweise auf eine Überlastung einzelner nationaler Asylsysteme geben sollte, und zudem Vorsorgekapazitäten im Hinblick auf Asylkrisen zu entwickeln.[18][19]
Nachdem Deutschland eines der Hauptzufluchtländer geworden war und die Flüchtlingszahlen dort stark zugenommen hatten, erhob der deutsche Innenminister – ohne das Dublin-Verfahren als solches in Frage zu stellen – im April 2015 die Forderung nach europaweiten Standards bei der Unterbringung von Flüchtlingen, einer Angleichung der Anerkennungsquoten, „politisch verabredeten Kriterien zur Rückführung“ sowie nach einer gerechteren Verteilung der Asylbewerber in Europa.[20] Im August 2015 wurde die Forderung nach einer angemessenen Aufnahme und gerechten Verteilung der Flüchtlinge in Europa wiederholt.[21] Zugleich wurde bekannt, dass Deutschland Syrer vorerst nicht mehr in die Länder überstelle, die den Antrag auf internationalen Schutz eigentlich bearbeiten müssten, sondern von dem Selbsteintrittsrecht nach Art. 17 der Dublin-III-Verordnung Gebrauch mache und den Antrag nun selbst bearbeite.[22]
Deutschland konnte 2022 nur 458 von 70.000 „Dublin-Flüchtlingen“ in andere Mitgliedstaaten zurücküberstellen.[23] Es gab in diesem Jahr 217.774 Erstanträge auf Asyl in Deutschland. Zu 49.834 dieser Anträge konnten Treffer im sogenannten Eurodac-System gefunden werden.[24] Etwa 50 % der Übernahmeersuchen wurde von den Mitgliedstaaten zugestimmt.[25] Wenn ein Migrant sechs Monate nach Zustimmung noch nicht überstellt wurde, geht die Zuständigkeit an Deutschland über.[23] In der Dublin-Abteilung des BAMF sind derzeit 376,5 Vollzeitkräfte beschäftigt.
2017 beklagten österreichische Behörden, dass, sollte ein Dublin-Verfahren eingeleitet werden, etwa weil Personen aufgegriffen wurden, die in der EURODAC-Datenbank als Asylbewerber in einem anderen EU-Land erfasst sind, die Dauer eines solchen Verfahrens bei mehreren Wochen liege. Die aufgegriffenen Personen dürften aber nur 72 Stunden festgehalten werden. Der überwiegende Teil der Menschen setze sich nach der Freilassung ab, bevor das Dublin-Verfahren abgeschlossen sei.[26]
Die Generalanwältin des Europäischen Gerichtshofes, Eleanor Sharpston, erklärte im Zusammenhang mit den Folgen der Flüchtlingskrise in Europa 2015, dass die Verordnung die „außergewöhnlichen Umstände eines Massenzustroms“ nicht vorsehe und die Staaten an europäischen Außengrenzen in eine Lage bringen könne, „in der sie nicht mehr imstande wären, ihren unions- und völkerrechtlichen Verpflichtungen nachzukommen“. Während der Flüchtlingskrise gestellte Anträge sollten daher – in Abweichung von den Dublin-III-Vorgaben – in dem Land bearbeitet werden, in dem sie zuerst gestellt wurden. Wenn Behörden an den EU-Außengrenzen den Flüchtlingen gestattet hätten, das Land zu durchqueren, liege dann kein „illegaler Grenzübertritt“ mehr im Sinne der Dublin-III-Verordnung vor.[27]
Am 26. Juli 2017 bestätigte der EuGH, dass die Zuständigkeit eines Mitgliedstaates auch dann entstehen könne, wenn er die irreguläre Einreise von Asylsuchenden dulde.[28] Dennoch könnten nach dem Europarechtler Daniel Thym die Personen, die 2015 und 2016 während der Flüchtlingskrise nach Nordeuropa wanderten, nicht in andere europäische Staaten zurückgeschickt werden, weil das innerhalb von drei Monaten nach ihrer Ankunft hätte geschehen müssen.[29]
Insbesondere sagt die Verordnung: „Ein nach einer vollzogenen Abschiebung gestellter Antrag gilt als neuer Antrag, der ein neues Verfahren zur Bestimmung des zuständigen Mitgliedstaats auslöst.“ Die Zeitung Die Welt berichtete, dass bereits abgeschobene Migranten bei einer Rückkehr erneut ein komplettes Abschiebeverfahren durchlaufen müssten.[30][31]
In Deutschland hat die Dublin-III Verordnung Vorrang gegenüber der Drittstaatenregelung des Art. 16a Abs. 2 GG und dem nationalen Asylrecht mit dem § 18 AsylG. Dies ergibt sich aus Art. 16a Abs. 5 GG.[32] Eine Zurückweisung an einer Binnengrenze gilt ohne Absprache und Abkommen mit den jeweiligen Nachbarstaaten als unzulässig, da das europäische Recht ein Verfahren zur Rückübernahme vorsieht.
Im September 2024 forderte die Union als Opposition im Bundstag mit Verweis auf Artikel 78 Abs. 3 AEUV. eine vorübergehende dreimonatige Rückweisung aller Flüchtlinge an der deutschen Binnengrenze. In Artikel 78 Abs. 3 AEUV wird die Möglichkeit von "vorläufigen Maßnahmen" für Mitgliedstaaten beschrieben, die sich "aufgrund eines plötzlichen Zustroms von Drittstaatsangehörigen" in einer Notlage befinden. Diese Maßnahmen kann allerdings nur der Europäische Rat auf Vorschlag der Kommission erlassen. Ein deutscher Alleingang ist nicht möglich.[33]
Österreich hatte im September 2015, zunächst auf Vorschlag des Europäischen Rates, Kontrollen an den Grenzen zu Ungarn und Slowenien eingeführt und diese eigenmächtig immer wieder verlängert, bis ein Urteil EuGH vom 26. April 2022 (Rs. C-368/20) einen Verstoß gegen EU-Recht feststellte.
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