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Wissenschaftszweig Aus Wikipedia, der freien Enzyklopädie
Chemoinformatik, Cheminformatik oder Chemieinformatik (englisch: Chemoinformatics, Cheminformatics, Chemical Informatics oder Chemiinformatics) bezeichnet einen Wissenschaftszweig, der das Gebiet der Chemie mit Methoden der Informatik verbindet mit dem Ziel, Methoden zur Berechnung von Moleküleigenschaften zu entwickeln und anzuwenden.
Zu den Gründern des Fachgebiets zählen unter anderem die Wissenschaftler Paul deMain (1924–1999), Johann Gasteiger, Jure Zupan (* 1943) und Ivar Ugi.
Der Begriff „Chemoinformatik“ ist relativ jung (1998)[1][2], während die älteren Termini Computerchemie (abgeleitet von englisch: Computational Chemistry) und chemische Graphentheorie das gleiche Gebiet bezeichnen (vgl. die Literaturangaben). Als Pendant zur Chemoinformatik kann die Bioinformatik genannt werden.
Computerchemie wird heutzutage als ein Teilgebiet der Theoretischen Chemie und der Quantenchemie begriffen. Die Computerphysik hingegen befasst sich mit der Simulation physikalischer Prozesse, teilweise auch der Quantenchemie.
Chemoinformatik beschäftigt sich mit Berechnungen an digitalen Repräsentationen von Molekülstrukturen. Molekülstrukturen können als Graphen aufgefasst werden. Als ihre Repräsentation ist für viele Anwendungen bereits die sog. Bindungstabelle (englisch: connection table) ausreichend, in der die Art der Verknüpfungen (Bindungen) zwischen den einzelnen Atomen eines Moleküls abgelegt ist. Erst für weitergehende Betrachtungen kann die Einbeziehung von zweidimensionalen (2-D-) bzw. dreidimensionalen (3-D-)Koordinaten notwendig werden. Letztere werden insbesondere benötigt, wenn, etwa im Bereich der Medizinischen Chemie, Wechselwirkungen mit Biomolekülen wie Proteinen untersucht werden sollen.
Die Größe des theoretischen chemischen Raumes aller pharmakologisch aktiven organischen Moleküle wird auf etwa 1060 Moleküle geschätzt. Für diese Abschätzung wurden nur Moleküle mit den Elementen Kohlenstoff, Sauerstoff, Stickstoff und Schwefel und einer molaren Masse von unter 500 g/mol angenommen[3]. Der Raum aller denkbaren organischen Verbindung ist unendlich groß. Beide theoretischen chemischen Räume übersteigen damit bei Weitem die Menge der bisher real synthetisierten Moleküle[4]. Mit Hilfe von computerbasierten Methoden lassen sich aber unter Umständen viele Millionen Moleküle bereits theoretisch (in silico) analysieren, ohne diese für reale Messungen zuerst im Labor synthetisieren zu müssen.
Die Repräsentation chemischer Strukturen ist eine der grundlegenden Fragestellungen. Für einen Großteil der Anwendungen hat sich die Darstellung als Bindungstabelle (Connection-Table) basierend auf der Valenzstrukturtheorie durchgesetzt. Als Beispiel einer Bindungstabelle sei hier Acesulfam im Standardformat Molfile der Firma MDL angegeben. Die Zeilen 5–14 enthalten die x-, y- und z-Koordinaten und Elementbezeichner der Atome, die Zeilen 15–24 die Bindungstabelle mit den Ausgangs- und Endatomen jeder Bindung sowie dem Bindungstyp. Die Null-Spalten enthalten mögliche weitere Bezeichner.
Acesulfame -ISIS- 05070815372D 10 10 0 0 0 0 0 0 0 0999 V2000 3.2283 -1.4806 0.0000 S 0 0 3 0 0 0 0 0 0 0 0 0 2.5154 -1.8944 0.0000 N 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 3.2283 -0.6538 0.0000 O 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 4.0544 -1.4806 0.0000 O 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 3.6448 -2.1935 0.0000 O 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 1.7990 -1.4806 0.0000 C 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 2.5154 -0.2406 0.0000 C 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 1.7990 -0.6538 0.0000 C 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 1.0826 -1.8944 0.0000 O 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 2.5154 0.5855 0.0000 C 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 1 2 1 0 0 0 0 1 3 1 0 0 0 0 1 4 2 0 0 0 0 1 5 2 0 0 0 0 2 6 1 0 0 0 0 3 7 1 0 0 0 0 6 8 1 0 0 0 0 6 9 2 0 0 0 0 7 10 1 0 0 0 0 7 8 2 0 0 0 0 M END
Zusätzlich zur Bindungstabelle können 3-D-Koordinaten für real existierende Moleküle über Röntgenstrukturanalyse ermittelt werden. Wo dies nicht möglich ist oder ein Molekül physisch nicht existent ist, können 3-D-Koordinaten zumindest näherungsweise auch unmittelbar aus der Bindungstabelle durch iterative Energie-Minimierungsrechnungen für verschiedene Konformationen eines Moleküls erzeugt werden. 2-D-Koordinaten dienen in der Regel allein der Veranschaulichung eines Moleküls und müssen daher hauptsächlich ästhetischen Ansprüchen genügen. Sie werden ebenfalls unmittelbar aus der Bindungstabelle nach allgemein anerkannten, chemischen Zeichenregeln errechnet, geben jedoch nur in den seltensten Fällen die tatsächlichen, räumlichen Gegebenheiten in einem Molekül wieder.
Verfahren, die keine empirischen Parameter benötigen, werden als Ab-initio-Methoden bezeichnet. Semiempirische Verfahren enthalten empirische Größen und weitere semiempirische Parameter, die durch theoretische Vorgehensweisen bestimmt wurden, jedoch keinen Bezug zu messbaren Größen mehr haben. Prinzipiell sind Ab-initio-Verfahren für kleinere Moleküle geeignet. Semiempirische Verfahren spielen ihre Stärke bei mittelgroßen (100 Atome) Molekülen aus. Beispiele für semiempirische Methoden sind MNDO und AM1.
Die Güte, mit denen Ab-initio-Verfahren die Eigenschaften von Molekülen berechnen können, hängt vom Basissatz der Atome ab, das heißt, wie gut und mit wie vielen einzelnen Funktionen die Atomorbitale dargestellt werden und in welchem Ausmaß die Elektronenkorrelation berücksichtigt wird. Ab-initio-Verfahren, die auch die Elektronenkorrelation berücksichtigen, sind deutlich aufwändiger, liefern jedoch die besten Resultate. Man behilft sich üblicherweise mit einem Kompromiss und bezieht die Elektronenkorrelation näherungsweise ein. Beispiele für solche Verfahren sind: Møller-Plesset-Störungstheorie, CI (Configuration-Interaction), CC (Coupled Cluster), MCSCF (Multi-Configuration-self-consistent-Field). Ausgangspunkt der meisten ab-initio-Verfahren ist die Hartree-Fock-Methode. Ein Vorteil der ab-initio-Verfahren ist ihre systematische Verbesserbarkeit, da man durch Vergrößerung des Basissatzes und Erhöhung des Grades der Berücksichtigung der Elektronenkorrelation (z. B. CISD, CISDT,...) die Genauigkeit der Ergebnisse systematisch verbessern kann.[5]
Die Dichtefunktionaltheorie (DFT) ist ein Verfahren zur Bestimmung des Grundzustandes eines Vielelektronensystems, das auf der dreidimensionalen ortsabhängigen Elektronendichte beruht. Daher ist es nicht notwendig, die Schrödingergleichung für das vieldimensionale Mehrelelektronensystem zu lösen, wodurch sich der Aufwand an Rechenleistung stark verringert bzw. Berechnungen an größeren Systemen möglich werden.[6] Grundlage der Dichtefunktionaltheorie ist das Hohenberg-Kohn-Theorem. Allerdings ist das exakte Funktional, welches die Grundzustandsdichte mit der Eigenenergie des Systems verknüpft unbekannt. In der Praxis ist daher die Wahl eines geeigneten approximiertem Funktionals für die Genauigkeit entscheidend. Die systematische Verbesserbarkeit ist weniger stark ausgeprägt als bei ab-initio-Methoden.
Bei semiempirischen Verfahren wird ein Großteil der Integrale des Hartree-Fock-Formalismus vernachlässigt, andere werden durch spektroskopische Werte, Parameter oder parametrisierte Funktionen angenähert. Grund für diese Approximation war die geringe Rechenkapazität früherer Zeiten. Um die theoretischen Erkenntnisse dennoch auf chemische Fragestellungen anwenden zu können, musste der vorhandene Formalismus vereinfacht werden.
Die Hückel-Näherung ist der einfachste semiempirische Ansatz, da sie gar keine Integrale berechnet. Allerdings ist sie auch nur auf -Elektronensysteme anwendbar. Die Theorie wurde später auch auf -Systeme erweitert (Extended-Hückel-Theory, EHT).
Etablierte Methoden, die auch heutzutage noch häufig angewendet werden, gehören zur Klasse der NDDO-Näherung (Neglect of Diatomic Differential Overlap): MNDO (Modified Neglect of Differential Overlap), AM1 (Austin-Model 1), PM3 (Parametrised Method 3). Für kritische Berechnungen sind semiempirische Methoden mit CI und MCSCF kombiniert worden. Mit solchen Verfahren sind dann beispielsweise Reaktionsbarrieren und ganze Energieprofile komplexer Reaktionen berechenbar oder sogar angeregte Zustände (MNDO/CI, MNDO/MCSCF).[7]
Die Grenzen semiempirischer Methoden liegen in ihrer Parametrisierung: Eigentlich können mit der fertigen Methoden nur Systeme gerechnet werden, die in ähnlicher Weise im Parametrisierungsdatensatz vorhanden waren.
Kraftfeldprogramme verwenden einen klassisch-mechanischen Ansatz: Bindungen zwischen zwei Atomen A und B werden dabei einfach als Sprungfeder angenähert und im einfachsten Fall mit einem harmonischen Potenzial beschrieben (Hookesches Gesetz):
Da eine Doppelbindung zwischen zwei Kohlenstoffatomen eine andere Stärke und Gleichgewichtslänge als eine Einfachbindung besitzt, werden unterschiedliche Parametersätze benötigt (Kraftkonstante und Ruhelage ). Man verwendet daher zur Kennzeichnung der Atome keine einfachen Elemente mehr, sondern Atomtypen. Ähnliche Ansätze gibt es für Bindungs- und Torsionswinkel. Elektrostatische (Coulomb) und Van-der-Waals-Wechselwirkungen bezeichnet man als nicht-bindende Wechselwirkungen. Kraftfeldmethoden müssen an empirische oder quantenmechanisch berechnete Daten parametrisiert werden, so dass ein Kraftfeld durch zweierlei charakterisiert ist, seine Energiefunktion und den Parametersatz.
Kraftfelder ermöglichen die Geometrieoptimierung sehr großer (Bio-)Moleküle (zum Beispiel: Proteine) und werden hauptsächlich für Moleküldynamik- oder Monte-Carlo-Simulationen verwendet.
Es gibt verschiedene wichtige Themen innerhalb des Gebiets – eine Auswahl:
Im Folgenden werden ausgewählte Anwendungsbeispiele genauer dargestellt.
Mithilfe geeigneter Algorithmen werden Kodierungen für Moleküle entwickelt. Durch Induktion können neue Hypothesen über molekulare Eigenschaften erstellt werden, wie zum Beispiel die Bioverfügbarkeit oder die Fähigkeit einer Substanz, die Funktion eines bestimmten Proteins im Organismus zu hemmen oder zu verstärken (siehe auch: QSAR).
Durch geeignete chemische und biologische Hypothesen lässt sich dieser chemische Raum auf wenige Kandidaten reduzieren, die dann im Labor synthetisiert und klinisch getestet werden. Aus diesem Grund spielt die Cheminformatik im Bereich der pharmazeutischen Chemie und der Medizinalchemie eine große Rolle zur Optimierung von Leitstrukturen.
In der technischen Chemie werden Gruppenbeitragsmethoden verwendet, um Stoffeigenschaften wie Normalsiedepunkte, kritische Daten, Oberflächenspannungen und anderes mehr abzuschätzen.
Die Molekulare Modellierung beschäftigt sich beispielsweise mit der Schaffung von Modellen unbekannter Makromoleküle anhand der Vorlage (Template) ähnlicher, bekannter Moleküle (Homologiemodeling), der Wechselwirkung zwischen kleinen und großen Molekülen (Rezeptordocking), wodurch QSAR möglich wird, der Moleküldynamik sowie die Entwicklung energetisch minimierter 3-D-Strukturen von Molekülen (Bergsteigeralgorithmus, Simulierte Abkühlung, Molekülmechanik etc.). Es geht also darum, aufgrund bekannter Strukturen Modelle von unbekannten Strukturen zu entwickeln, um so eine QSAR zu ermöglichen.
Es gibt einen starken Bezug zur Analytischen Chemie und zur Chemometrie. Die Struktur-Eigenschafts-Beziehungen (beispielsweise: Spektrenkorrelation) spielen eine zentrale Rolle. Aufgrund vergleichbarer Arbeitsweise existiert eine enge Beziehung zur Computerphysik, wodurch eine klare Trennung häufig nicht eindeutig gegeben ist.
Die Programme der Chemoinformatik basieren auf verschiedenen quantenchemischen Methoden zur Lösung der molekularen Schrödingergleichung. Grundsätzlich lassen sich zwei Ansätze unterscheiden: Semiempirische Verfahren und Ab-initio-Verfahren.
Alle beschriebenen Verfahren und Methoden sind in gängigen Softwarepaketen verfügbar. Beispiele hierfür:
Die Herausforderung für den Anwender dieser Software ist es, das am besten geeignete Modell für seine Problemstellung zu finden und die Ergebnisse im Gültigkeitsbereich der Modelle zu interpretieren.
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