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Als AVNOJ-Beschlüsse (korrekter Beschlüsse des AVNOJ-Präsidiums) wird eine Reihe von Verfügungen, Erlassen und Bescheiden bezeichnet, welche die zukünftige staatliche Organisation Jugoslawiens nach Ende der Besatzung durch das Deutsche Reich und dessen Verbündete (Italien, Ungarn und Bulgarien) im Zweiten Weltkrieg betreffen. Benannt wurden sie nach dem Antifaschistischen Rat der Nationalen Befreiung Jugoslawiens (serbokroatisch Antifašističko v(ij)eće narodnog oslobođenja Jugoslavije, abgekürzt AVNOJ). Zur Erinnerung an dessen zweite Tagung Ende November 1943 in Jajce wurde später der 29. November als Staatsfeiertag begangen.
Nachdem deutsche und italienische Truppen im Zuge des Balkankrieges 1940–1941 das seit 1929 bestehende Königreich Jugoslawien erobert hatten, wurde das Land unter den Eroberern aufgeteilt: Serbien wurde von deutschen Truppen besetzt und unter militärische Verwaltung gestellt. Slowenien wurde zwischen Italien, dem Deutschen Reich und Ungarn aufgeteilt. Der faschistische Vasallenstaat namens „Unabhängiger Staat Kroatien“ (kroatisch Nezavisna Država Hrvatska) umfasste Kroatien sowie einen Großteil Bosnien-Herzegowinas. Montenegro wurde als „Unabhängiger Staat Montenegro“ zu einem italienischen Vasallenstaat. Mazedonien wurde zwischen Bulgarien und dem italienischen Marionettenstaat Albanien aufgeteilt.
Der AVNOJ war am 26. November 1942 in Bihać als Führungsgremium der am Befreiungskampf gegen die Besatzer Beteiligten (wie den jugoslawischen Partisanen und der Nationalen Befreiungsarmee) gegründet worden. Als AVNOJ-Beschlüsse werden meist mehrere nacheinander von diesem Rat bzw. dessen Präsidium gefasste Beschlüsse und davon abgeleitete Gesetze bezeichnet.
Vom 21. bis zum 29. November 1943 trat der AVNOJ in der bosnischen Stadt Jajce zu seiner zweiten Konferenz zusammen. Teilnehmer waren Delegierte aus allen Regionen Jugoslawiens.
In erster Linie traf der kommunistisch dominierte Rat eine Reihe von Entscheidungen zur Zukunft Jugoslawiens nach einer möglichen Befreiung. Der in London tagenden jugoslawischen Exilregierung wurde die Anerkennung entzogen und König Peter II. die Rückkehr verboten. Das Land sollte als föderativer Staat neu aufgebaut werden. Dazu verfügten die Delegierten im Beschluss „Über den Aufbau Jugoslawiens auf dem Föderationsprinzip“ in Präambel und weiteren fünf Artikeln:
Als provisorische Regierung wurde ein Nationalkomitee unter dem Vorsitz von Josip Broz Tito eingerichtet.[2]
Das Königreich Jugoslawien vor dem Zweiten Weltkrieg war durch einen großserbischen Zentralismus geprägt, aber so durch Nationalitätenkonflikte geschwächt, dass schon Prinzregent Paul den Zentralismus nicht mehr hatte aufrechterhalten können. In den Beschlüssen von Jajce wurden daraus Konsequenzen gezogen. Es wurde darauf verzichtet, die verschiedenen Völker zu einem „Volk von Jugoslawen“ zu erklären, und es wurde ein föderalistisches Staatskonzept zugrunde gelegt.
Außerdem wurde die Gründung der Staatlichen Kommission zur Feststellung von Verbrechen der Okkupanten und ihrer Helfer beschlossen.[3]
Am 21. November 1944 verabschiedete das AVNOJ-Präsidium einen „Beschluss über den Übergang von Feindvermögen in das Eigentum des Staates, über staatliche Verwaltung des Vermögens abwesender Personen und die Sequestration des Vermögens, das von den Besatzungsbehörden zwangsveräussert wurde“.[4]
Wissenschaftlich umstritten ist die Bedeutung einer so genannten „Verfügung von Jajce“ (auch: „Jajce-Erlass“ bzw. „Der kleine Jajce-Erlass“). Dieser auch als „Geheimerlass“ beschriebene Text wurde angeblich bereits am 21. November 1943 vom AVNOJ verabschiedet unter dem Titel „Über die Aberkennung der Bürgerrechte“.[Anm 1][5] Er hat folgenden Inhalt:
Andere Autoren ordnen diesen Text einem „zweiten Beschluss“ auf der Sitzung des AVNOJ-Präsidiums am 21. November 1944 in Belgrad zu, der an diesem Tag etwas früher gefasst worden sein soll als der veröffentlichte „Beschluss über den Übergang von Feindvermögen (…)“.[6] Der Titel dieses geheimen oder jedenfalls nicht im Amtsblatt veröffentlichten angeblichen Beschlusses lautet „Über die Aberkennung der Bürgerrechte“ und damit genau so, wie nach Karner die „Verfügung von Jajce“ vom 21. November 1943 überschrieben ist. Der österreichische Historiker Arnold Suppan gibt den von Karner apostrophierten Text exakt wieder und bezeichnet ihn wie Nećak als „zweiten, nicht veröffentlichten Beschluss des AVNOJ-Präsidiums vom 21. November 1944“.[7] Nach Portmann erlangte die „Phantomverfügung“ von Jajce vom 21. November 1943 (oder der bei Nećak und Suppan so genannte zweite AVNOJ-Erlass vom 21. November 1944) nie Gesetzeskraft. Diese Ansicht werde auch von den slowenischen Historikern Damijan Guštin und Vladimir Prebilić in einer jüngeren Publikation vertreten. Portmann begründet seine Vermutung, warum Karner und Suppan von einem solchen Beschluss ausgehen, mit einer fehlerhaften Interpretation der „Auslegung“ zum bekannten Beschluss des AVNOJ-Präsidiums vom 21. November 1944, die am 8. Juni 1945 im Amtsblatt veröffentlicht wurde.[Anm 2]
Am 3. Februar 1945 setzte ein Beschluss des AVNOJ-Präsidiums alle während der Okkupationszeit erlassenen Verordnungen und Gesetze außer Kraft und zog die Vorkriegsgesetze heran, sofern diese nicht mit den Errungenschaften der Volksbefreiungsbewegung in Konflikt standen.[8] Im Zweifelsfall wurde darüber durch die öffentlichen Ankläger entschieden. Damit bildeten die Militärstrafgesetze und das Strafgesetzbuch von 1929 die erste juristische Grundlage zur Abrechnung mit Kollaborateuren und Verrätern.[9] Die Rechtsprechung erfolgte in den von den Besatzern befreiten Gebieten während oder kurz nach dem Krieg durch Mitglieder der Volksbefreiungsausschüsse, später der Volksausschüsse, die nur über unzureichende juristische Kenntnisse verfügten.[10] Der britische Vertreter in Belgrad, William Deakin, berichtete am 7. November 1945, dass nur wenig Bezug zu den Vorkriegsgesetzen bestand.[11] Subsidiär blieb die Vorkriegsgesetzgebung, soweit sie den Zielen des Befreiungskampfes nicht entgegenwirkte, bis zur Bestätigung aller AVNOJ-Beschlüsse am 1. Dezember 1945 durch das erste gewählte Nachkriegsparlament gültig.[11][12]
Am 6. Februar 1945 wurde der Erlass vom 21. November 1944 in die Gesetzgebung der Republik Jugoslawien übernommen. Er fand auch Eingang in das Konfiszierungsgesetz vom 9. Juni 1945 und in das Gesetz zur Agrarreform vom 23. August 1945.
Das Gesetz über die Wählerlisten vom 10. August 1945 legte fest, dass „Angehörigen der militärischen Formationen der Okkupanten und ihren einheimischen Helfershelfern, welche dauernd und aktiv gegen das Volksbefreiungsheer Jugoslawiens bzw. gegen die jugoslawische Armee oder gegen die Armeen der Bundesgenossen Jugoslawiens kämpften“, das aktive Wahlrecht aberkannt wird.
Im Gründungsstatut der autonomen Provinz Vojvodina, das durch Gesetzerlass des Präsidiums der serbischen Volksvertretung geschaffen wurde (Sluzbeni Glasnik Srbije vom 9. September 1945), garantiert Artikel 4 allen Nationalitäten die volle Gleichberechtigung als Staatsbürger Serbiens mit Ausnahme der deutschen Nationalität. Diese verlor nach Ausfertigung einer authentischen Auslegung am 8. Juni 1945 zum AVNOJ-Präsidiumsbeschluss vom 21. November 1944 sämtliche staatsbürgerlichen Rechte (drzavljanska prava).[13]
Der AVNOJ-Erlass vom 21. November 1944 regelte die Enteignung und anschließende Konfiszierung des gesamten deutschen Staats- und Privatvermögens. In der späteren gesetzlichen Fassung bezog er sich auch auf die Aberkennung der Bürgerrechte von Personen deutscher Abstammung. Am Tage des Inkrafttretens sollten in das Eigentum des Staates übergehen:[3]
Dies wurde dann vom AVNOJ per Gesetz vom 8. Juni 1945 wie folgt interpretiert:[14]
In der Batschka und im serbischen Banat wurde der AVNOJ-Beschluss vom 21. November 1944 den Deutschen nicht bekannt gemacht und traf sie unvorbereitet. In Kroatien sind solche Bescheide in zahlreichen Fällen zugestellt worden.[15]
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