Herzfehler
Strukturbesonderheit des Herzens oder angrenzender Gefäße Aus Wikipedia, der freien Enzyklopädie
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Unter einem Herzfehler (auch Herzfehlbildung, Herzvitium, Vitium cordis) versteht man eine angeborene oder erworbene Strukturbesonderheit des Herzens oder angrenzender Gefäße, die zu Funktionseinschränkungen des Herz-Kreislauf-Systems oder des Herz-Lungen-Systems führt. Diese Funktionseinschränkungen werden allgemein als Herzschwäche oder Herzinsuffizienz bezeichnet. Maße für die Schwere einer solchen Herzinsuffizienz sind das Herzzeitvolumen und die Ejektionsfraktion.
Klassifikation nach ICD-10 | |
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Q24.9[1] | Angeborene Fehlbildung des Herzens, nicht näher bezeichnet |
ICD-10 online (WHO-Version 2019) |
In Deutschland kommen im Jahr durchschnittlich 6.000 Kinder mit einem angeborenen Herzfehler zur Welt. Das entspricht 0,7 bis 0,8 % aller Neugeborenen.
Die Ursache der meisten Herzfehler ist derzeit noch ungeklärt. Ursache eines Herzfehlers können strukturelle chromosomale Genomdefekte sein, wie Trisomie 21 (Down-Syndrom), Trisomie 13 (Pätau-Syndrom) oder Trisomie 18 (Edwards-Syndrom). Einige syndromale Erkrankungen beinhalten Fehlbildungen des Herzens, wie das Marfan-Syndrom, das DiGeorge-Syndrom (Deletion 22q11), das Noonan-Syndrom, das Cornelia-de-Lange-Syndrom, das Ellis-van-Creveld-Syndrom, das Holt-Oram-Syndrom, die Pierre-Robin-Sequenz oder das Williams-Beuren-Syndrom. Auch Giftstoffe (Noxen) und starker Alkoholkonsum in der Schwangerschaft (siehe: Fetales Alkoholsyndrom) werden mit dem Auftreten angeborener Herzfehler in Verbindung gebracht.
Außerdem können einige Arzneimittel (Phenytoin, 4-Hydroxycumarine, Lithium, Neuroleptika, Thalidomid, Folsäure-Antagonisten) oder Infektionen (Röteln) Herzfehlbildungen verursachen.
Herzfehler treten im Zusammenhang mit anderen Fehlbildungen beispielsweise im Bereich des Urogenital- oder Darmtrakts auf.
Aufgrund vielfältiger medizinisch-technischer Neuerungen und guter medikamentöser Behandlungsmöglichkeiten (s. u.) erreichen mittlerweile in Ländern mit entsprechenden Interventionsmöglichkeiten 90 % aller Menschen mit einem angeborenen Herzfehler das Erwachsenenalter. Jedoch ist immer noch die Kinderkardiologie, ein Teilgebiet der Pädiatrie, vorwiegend die Fachrichtung der Medizin, die sich mit angeborenen Herzfehlbildungen beschäftigt, während die Kardiologie als Teilgebiet der Inneren Medizin sich vor allem mit den im Erwachsenenalter auftretenden Erkrankungen des Herzens beschäftigt. Das Zuständigkeitsproblem, das sich dadurch für Erwachsene mit angeborenem Herzfehler (EMAH) ergibt, wird durch interdisziplinäre Angebote angegangen. Mittlerweile existieren für diese Patientengruppe eigene Selbsthilfeorganisationen.
Die Möglichkeiten der Fehlbildungen sind vielfältig. 85 % aller Herzfehler gehen auf acht verschiedene Variationen zurück. Die Herzfehler werden nach hämodynamischen, also den Blutstrom im Herzen betreffende, Kriterien unterschieden: Fehlbildungen ohne Shunt (hier: Kurzschluss im seriell geschalteten Blutstrom), Fehlbildungen mit Rechts-links-Shunt oder mit Links-rechts-Shunt. Die Ausprägung von Herzfehlern lässt sich anhand der Embryologie des Herzens (s. Weblinks) einfacher nachvollziehen.
Während vor 100 Jahren noch 70 bis 80 Prozent der jungen Patienten, die einen relevanten Herzfehler hatten, verstorben sind, erreichen heute dank des medizinischen Fortschritts in den Industrienationen etwa 95 Prozent das Erwachsenenalter, viele von ihnen mit einer hohen Lebensqualität. Es gibt ca. 300.000 EMAH-Patienten in Deutschland, ihre Zahl steigt pro Jahr um ca. 6500. Die Deutsche Herzstiftung weist darauf hin, dass die Patienten nach einer erfolgreichen operativen Versorgung ihres Herzfehlers oftmals die teils lebenslang notwendige Nachsorge nicht wahrnehmen. Eine Informationskampagne spricht sowohl EMAH-Patienten als auch behandelnde Ärzte an.[2]
Im Jahr 2020 wurde die Leitlinie der Deutschen Gesellschaft für Kardiologie für die Behandlung von EMAH-Patienten veröffentlicht.[3]
In Deutschland existiert die Qualifikation Spezielle Kardiologie für Erwachsene mit angeborenen Herzfehlern (EMAH) als Zusatz-Weiterbildung für Fachärzte für Innere Medizin und Kardiologie und für Kinder- und Jugend-Kardiologen.
Kliniken und Praxen können sich von der Deutschen Gesellschaft für Kardiologie als EMAH-Zentren zertifizieren lassen.[4] Die Zertifizierungsverfahren basieren auf dem Positionspapier „Empfehlungen zur Qualitätsverbesserung der interdisziplinären Versorgung von Erwachsenen mit angeborenen Herzfehlern (EMAH)“.[5] Aktuell verfügen 350 EMAH-Spezialisten[6] über diese Zertifizierung.
Eine andere Möglichkeit der Einteilung angeborener (kongenitaler) Herzfehler besteht in der Unterscheidung von zyanotischen Fehlern (mit Zyanose und Rechts-Links-Shunt) und azyanotischen Fehlern (ohne Zyanose und unterteilt in solche mit Links-Rechts-Shunt und solche ohne Shunt).[7]
Bei manchen Herzfehlern und insbesondere nach der Korrektur mancher Herzfehler erhalten die Patienten eine dauerhafte Gabe von blutgerinnungshemmenden Medikamenten, um das Risiko von Thrombosen zu verringern. Neben der schwach wirkenden Acetylsalicylsäure (ASS) gibt es die stark wirkenden Cumarine (Marcumar, Warfarin). Diese Medikamente müssen vor Operationen rechtzeitig abgesetzt werden, da sie die Gerinnung bis zu zwei Wochen beeinflussen können. Als dritten Wirkstoff gibt es Heparin, das vor allem in der Klinik und intravenös gegeben wird. Es wirkt sofort mit kurzer Halbwertzeit.
Die Dauereinnahme von Cumarinen (Marcumar oder Warfarin) bedarf einer regelmäßigen Blut-Kontrolle, die der Patient oder beim Kind die Eltern in der Regel selber durchführen können. Der Blutgerinnungsstatus, der nach dem vermehrten Verzehr von Vitamin-K-haltigen Nahrungsmitteln oder möglicherweise infolge von Infekten schwanken kann, muss dann durch eine Anpassung der Medikamentendosis ausgeglichen werden. Diese Einschränkung besteht bei der Gabe von ASS und Heparin nicht.
Die Fortschritte der Medizin haben zu einer deutlichen Zunahme der Lebenserwartung betroffener Patienten geführt. So entstand eine zahlenmäßig für 2004 auf über 250.000 geschätzte Gruppe von jugendlichen und erwachsenen Patienten mit korrigierten, teilkorrigierten oder palliativ behandelten Herzfehlern (Erwachsene mit angeborenen Herzfehlern, EMAH). Ihre gezielte Betreuung führte zu neuen Fragestellungen und Anforderungen, so dass die ärztlichen Fachgesellschaften im deutschsprachigen Raum 2008 eine entsprechende Leitlinie veröffentlichten.[8]
European Society of Cardiology (ESC): ESC-Leitlinie 2020 zur Behandlung von Erwachsenen mit angeborenem Herzfehler. Im August 2020 veröffentlichte die European Society of Cardiology (ESC) neue Leitlinien zur Behandlung von EMAH. Die bisherigen Empfehlungen des Jahres 2010 wurden den Entwicklungen der letzten 10 Jahre in Diagnostik und Therapie angepasst. Die aktuellen Leitlinien sind nicht nur auf die akute Behandlung kardialer Probleme fokussiert, sondern legen das Augenmerk auf eine gesamtheitliche longitudinale Betreuung. Ergänzt werden diese allgemeinen Aspekte durch defektspezifische Empfehlungen, wobei v. a. Fortschritte bei Arrhythmiediagnose und -behandlung, invasiver Kardiologie sowie pulmonalarterieller Hypertonie (PAH) zu wesentlichen Anpassungen führten. Erstmalig wird in den Leitlinien 2020 auch die Thematik von Koronaranomalien aufgegriffen. Eine deutschsprachige Version ist online verfügbar.[9]
Deutsche Gesellschaft für Pädiatrische Kardiologie und Angeborene Herzfehler e. V. (DGPK): erstellte federführend diverse Leitlinien zu Kindern mit angeborenen Herzfehlern und zu EMAH, u. a. zu bradykarden Herzrhythmusstörungen, zu supravalvulärer Aortenstenose, und zu tachykarden Herzrhythmusstörungen. Die genannten Leitlinien sind allerdings älter als 5 Jahre und deshalb in Überarbeitung (Stand März 2024).[10]
Deutsche Gesellschaft für Kardiologie (DGK): Die Leitlinien der DGK für die Behandlung von EMAH-Patienten aus dem Jahr 2020 bauen auf den Leitlinien der kanadischen, US-amerikanischen und europäischen Fachgesellschaften auf, wurden aber von der Leitlinienarbeitsgruppe nach systematischer Literaturrecherche konsentiert und den Gegebenheiten der deutschsprachigen Länder angepasst.[11]
Die Deutsche Herzstiftung fördert seit 2023 den Aufbau eines Patientenregisters namens „Prospektives Register über Erwachsene mit angeborenem Herzfehler (EMAH), abnormer Ventrikelfunktion und / oder Herzinsuffizienz als Grundlage zur Etablierung rehabilitativer, prähabilitativer, präventiver und gesundheitsfördernder Maßnahmen (PATHFINDER-AHF)“ das EMAH-Patienten mit Herzschwäche ausführlich dokumentiert und ausführliche Daten zum Langzeitverlauf liefern wird.[12][13] Die Rationale, das Design und die Methodik wurden in BMC Cardiovascular Disorders veröffentlicht.[14]
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