Ulrich von Richental (* um 1360; † 1437/38) war ein Konstanzer Bürger, der durch seine deutschsprachige Chronik des Konstanzer Konzils (1414–1418) bekannt geworden ist.

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Chronik Ulrich Richentals: Gepökeltes Tier aus Litauen als Geschenk für den König. (Konstanz, Rosgartenmuseum, Hs. 1, fol. 70r)

Leben und Werk

Ulrich Richental war der Sohn eines Konstanzer Stadtschreibers und hatte es (wohl als Kaufmann) zu einigem Wohlstand in der Stadt gebracht, wo er Haus- und Grundeigentum besaß; auch unternahm er zahlreiche ausgedehnte Reisen.

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Chronik Ulrich Richentals: Fischverkauf in Konstanz (Konstanz, Rosgartenmuseum, Hs. 1, fol. 24v)

Aus eigenem Antrieb verfasste er in den Jahren nach 1420 in deutscher Sprache eine umfangreiche Chronik über das Konstanzer Konzil, in deren ersten Teil er sich den wichtigsten Ereignissen im Laufe der Versammlung widmete, um im zweiten Teil alle Teilnehmer namentlich vorzustellen. Als Zeitzeuge hatte Ulrich die Kirchenversammlung miterlebt (beispielsweise im Juli 1415 der Hinrichtung des Jan Hus beigewohnt) und verarbeitete seine Erfahrungen in dem tagebuchartig aufgebauten, dem Kirchenjahr folgenden Werk, das er auf eigene Kosten mit Bildern und Wappen ausschmücken ließ und in dem er außer mündlich Überliefertem und eigenen Notizen vielfältiges statistisches Material aus städtischen Urkunden und Akten heranzog.

Von herausragendem Quellenwert sind, stärker als Richentals Darstellung der politischen und kirchengeschichtlichen Zusammenhänge und seine Schilderungen zeremonieller Abläufe, vor allem die zahlreichen detaillierten Angaben etwa zu den Lebensmittel- und Futterpreisen, aus denen sich ein farbiges Bild des blühenden städtischen Wirtschaftslebens und des bürgerlichen Alltagslebens der Konzilsjahre gewinnen lässt. So wurde die Zunftordnung aufgehoben, auswärtige Handwerksbetriebe wurden zugelassen. Es gab „fremde Bäcker“ und mobile Öfen: „Die fuhren sie auf Stoßkarren durch die Stadt und buken darin Pasteten, Ringe, Brezeln und ähnliches Brot.“[1][2] Richentals Werk zählt in den Worten Thomas Martin Bucks zur „Gegenwartschronistik (…) für die Bürger der Stadt Konstanz, ja für Stadtbürger überhaupt“, ohne dabei „nur eine sich rein säkular verstehende Geschichtsproduktion“ darzustellen;[3] „die Grenze zwischen Historiographie und literarischer Charakteristik“ sei bei Richental „jedenfalls nicht exakt gezogen“.[4]

Auch die in Richentals Auftrag angefertigten Illustrationen zeigen „in weitgehendem Realismus eine Fülle von Leben: behäbige Prälaten, herbe Krieger, feine Höflinge, dicke Fleischgesichter mit Stulpnasen, rohe Stadtknechte, bebrillte Kanzler, päpstliche Sänger mit weitgeöffnetem Mund und zugekniffenen Augen“.[5]

Am historischen Haus Zum Hohen Hafen in Konstanz, stellte ihn der Maler Carl von Häberlin, 1905, beim Schreiben seiner Chronik, auf einem großen Fassadengemälde dar.

Überlieferung und Editionsgeschichte der Konzilschronik

Die Konzilschronik Richentals ist in 17 Handschriften überliefert, die von zwei Ausnahmen abgesehen alle innerhalb kurzer Zeit in der zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts entstanden sind.[6] Allein zehn Handschriften stammen aus den Jahren 1460 bis 1475 und lassen sich teilweise auf das Wirken des Konstanzer Chronisten Gebhard Dacher († 1471) zurückführen, das auch noch die 1483 bei Anton Sorg in Augsburg erschienene editio princeps der Chronik beeinflusste.[7] Nach Buck ist die auffällige zeitliche Häufung der Überlieferung in den Jahren ab 1460 ein Zeichen dafür, dass Richentals Werk zum Bestandteil einer „nachkonziliaren kollektiven Gedächtnis- und Geschichtskultur“ in Konstanz wurde, zu einem Zeitpunkt, als die Stadt ihre vormalige politische und wirtschaftliche Führungsrolle eingebüßt hatte.[8] Die Chronik enthält in vielen Abschriften und allen Drucken des 15. und 16. Jahrhunderts sehr zahlreiche Wappendarstellungen und ist daher auch eine bedeutende heraldische Quelle; Richentals Wappensammlung hatte Einfluss auf zahlreiche Wappenbücher.

1882 gab Michael Richard Buck in der Reihe Bibliothek des Litterarischen Vereins in Stuttgart eine Textausgabe der Chronik heraus.[9]

1964 erschien eine erste Faksimile-Ausgabe jenes Exemplars der Richental-Chronik, das im Konstanzer Rosgartenmuseum aufbewahrt wird; der dazugehörende Textband enthält auch Bildproben anderer Handschriften sowie Textbeiträge von Karl Fink, Otto Feger und Lilli Fischel.[10] 2002 erstellte das Museum nach der Ausgabe von 1964 eine CD-ROM, die über verschiedene Steuermenüs das komplette Faksimile und die Textversion erschließt.

Nach einigen in Aufsatzform veröffentlichten Vorarbeiten zu Überlieferung, Aufbau, Inhalt und Ikonographie der Chronik legte Thomas Martin Buck 2010 eine neue Textausgabe des Richentalschen Werks vor; im Rahmen der Monumenta Germaniae Historica folgte 2019 eine digitale kritische Edition der verschiedenen Redaktionsstufen.[11] Im Jahr darauf erschien eine gedruckte Fassung in drei Bänden. Unter Einbeziehung des neuen Forschungsstands erschien 2013 auch eine neue kommentierte Faksimile-Ausgabe der Konstanzer Handschrift.

Die folgende tabellarische Übersicht der heute bekannten Handschriften beruht, wo nicht anders vermerkt, auf den Beschreibungen im fortlaufend aktualisierten Handschriftencensus[12] und der überlieferungsgeschichtlichen Studie Bucks von 2010.[13]

Weitere Informationen Aufbewahrungsort, Beschreibung ...
Aufbewahrungsort Beschreibung Datierung Provenienz Literatur Online
Winterthur, Stadtbibliothek, Perin Aa 1, foll. 276–291 Texthandschrift, Papier Mitte 15. Jahrhundert Buck (2010)[14]
Innsbruck, Tiroler Landesmuseum Ferdinandeum, Sammlung DiPauli 873, Bl. 1r–78v Texthandschrift, Papier um 1460 Handschriftencensus[15]
New York City, New York Public Library, Spencer Collection of Illustrated Books, Ms. 32 Bilderhandschrift, Papier um 1460 Aulendorf (Hans von Königsegg) Buck (2007)[16]

Handschriftencensus[17]

Ausgewählte Digitalisate der NYPL
Prag, Národní Knihovna České Republiky, XVI.A.17, Bl. 1r–280v Bilderhandschrift, Papier 1464 Konstanz (Gebhard Dacher) Handschriftencensus[18] Digitalisat
Konstanz, Rosgartenmuseum, Hs. 1, Bl. 1r–150r Bilderhandschrift, Papier um 1465 Konstanz Handschriftencensus[19] Digitalisate 97 einzelner Blätter (Commons)
Stuttgart, Württembergische Landesbibliothek, HB V 22, Bl. 117v–167v Bilderhandschrift, Papier 1465–1467 Konstanz (Gebhard Dacher), Weingarten Handschriftencensus[20] Digitalisat
Karlsruhe, Badische Landesbibliothek, Cod. St. Georgen 63 Bilderhandschrift, Papier um 1470, Konstanz Sankt Georgen Handschriftencensus[21] Digitalisat
Wien, Österreichische Nationalbibliothek 3044 Bilderhandschrift, Papier um 1475 Ochsenhausen bzw. Lambach Handschriftencensus[22] Digitalisat
Zürich, Zentralbibliothek Zürich, A.80, Bl. 35r-73v Texthandschrift, Papier um 1475 Handschriftencensus[23]
Prag, Národní Knihovna České Republiky, VII.A.18 Bilderhandschrift, Papier 2. Hälfte 15. Jahrhundert Sankt Petersburg Buck (2000)[24]

Handschriftencensus[25]

Digitalisat
St. Gallen, Stiftsbibliothek, Cod. Sang. 657, S. 132–228 Texthandschrift, Papier 2. Hälfte 15. Jahrhundert Aegidius Tschudi Handschriftencensus[26]
Karlsruhe, Badische Landesbibliothek, Cod. Ettenheimmünster 11, Bl. 4r–124r Bilderhandschrift, Papier um 1500[27] Ettenheimmünster Handschriftencensus[28] Digitalisat
Zürich, Zentralbibliothek, A.172, Bl. 132–228 Texthandschrift, Papier um 1500 Handschriftencensus[29]
Wolfenbüttel, Herzog August Bibliothek, 61 Aug. 2°, Bl. 1r-239v Texthandschrift, Papier Anfang 16. Jahrhundert[30] Handschriftencensus[31]
Stuttgart, Württembergische Landesbibliothek, Theol. et philos. 2° 76, Band 37 Texthandschrift, Papier Ende 17. Jahrhundert Buck (2010)[32]
Augsburg, Stadt- und Staatsbibliothek, 2° Cod 263, fol. 147r-178r Wappenhandschrift, Papier 16. Jahrhundert Rolker (2015)[33].
Lindau, ehemals Reichsstädtische Bibliothek (Stadtbibliothek), P I 2 Texthandschrift, Papier um 1700 Lindau Handschriftencensus[34]
(Codex Salemitanus, verloren) Bilderhandschrift Salem Buck (1999)[35]
(Codices Ottenburani, verschollen) (zwei Handschriften) Ottobeuren Matthiessen (1985)[36]
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Werkausgaben

Erstausgabe

Leseausgabe

  • Thomas Martin Buck (Hrsg.): Chronik des Konstanzer Konzils 1414–1418 von Ulrich Richental (= Konstanzer Geschichts- und Rechtsquellen. Band 41). Thorbecke, Ostfildern 2010, ISBN 978-3-7995-6841-8.

Kritische Edition

  • Thomas Martin Buck (Hrsg.): Ulrich Richental, Die Chronik des Konzils von Konstanz (= MGH Digitale Editionen Band 1). MGH, München 2019, https://edition.mgh.de/001/.
  • Thomas Martin Buck (Hrsg.): Chronik des Konstanzer Konzils 1414–1418 von Ulrich Richental (= Konstanzer Geschichts- und Rechtsquellen. Band 49), Thorbecke, Ostfildern 2020, ISBN 978-3-7995-6849-4.

Faksimile

  • Ulrich Richental: Chronik des Konzils zu Konstanz (1414–1418). Mit einem kommentierten Beiheft von Jürgen Klöckler. Theiss, Stuttgart 2013, ISBN 978-3-8062-2782-6. [Faksimile der Konstanzer Handschrift.]

Neuhochdeutsche Übersetzung

  • Augenzeuge des Konstanzer Konzils. Die Chronik des Ulrich Richental. Übersetzt von Henry Gerlach und Monika Küble. Mit einem Nachwort von Jürgen Klöckler. WBG, Darmstadt 2014 / Theiss, Stuttgart 2014, ISBN 978-3-8062-2901-1.

Literatur

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Konstanz, Haus zum Hohen Hafen, Ulrich Richental schreibt die Konzilschronik. Fassadenmalerei, Carl von Häberlin, 1905
  • Thomas Martin Buck: Ulrich Richental. In: Neue Deutsche Biographie (NDB). Band 26, Duncker & Humblot, Berlin 2016, ISBN 978-3-428-11207-4, S. 606 (Digitalisat).
  • Thomas Martin Buck: Zu den historiographischen Prinzipien Ulrich Richentals. In: Schriften des Vereins für Geschichte des Bodensees und seiner Umgebung, 117. Jg. 1999, S. 11–32 (Digitalisat)
  • Thomas Martin Buck: Fiktion und Realität. Zu den Textinserten der Richental-Chronik. In: Zeitschrift für die Geschichte des Oberrheins, Band 149, 2001, S. 61–96.
  • Thomas Martin Buck: Figuren, Bilder, Illustrationen. Zur piktoralen Literalität der Richental-Chronik. In: Oliver Münsch, Thomas Zotz (Hrsg.): Scientia veritatis. Festschrift für Hubert Mordek zum 65. Geburtstag. Thorbecke, Ostfildern 2004, ISBN 3-7995-7081-0, S. 411–443.
  • Thomas Martin Buck: Von Konstanz über Aulendorf nach New York. Zur Text- und Rezeptionsgeschichte einer oberschwäbischen Richental-Handschrift. In: Schriften des Vereins für Geschichte des Bodensees und seiner Umgebung, 125. Jg. 2007, S. 3–19 (Digitalisat).
  • Thomas Martin Buck: Zur Überlieferung der Konstanzer Konzilschronik Ulrich Richentals. In: Deutsches Archiv für Erforschung des Mittelalters, Band 66.1, 2010, S. 93–108. (bei DigiZeitschriften)
  • Thomas Martin Buck: Der Konzilschronist Ulrich Richental. Zur sozialen Logik eines spätmittelalterlichen Textes. In: Karl-Heinz Braun, Mathias Herweg, Hans W. Hubert, Joachim Schneider, Thomas Zotz (Hrsg.): Das Konstanzer Konzil. Essays. 1414–1418. Weltereignis des Mittelalters. Theiss Verlag, Darmstadt 2013, ISBN 978-3-8062-2849-6, S. 16–21.
  • Harald Derschka: Die Grosseltern des Konzilschronisten Ulrich Richental. Ein Quellenfund aus den Lehenbüchern der Abtei Reichenau und seine Folgen. In: Schriften des Vereins für Geschichte des Bodensees und seiner Umgebung. 133. Heft. Jan Thorbecke Verlag / Schwabenverlag, Ostfildern 2015, ISBN 978-3-7995-1721-8, S. 39–53.
  • Eduard Heyck: Richental, Ulrich von. In: Allgemeine Deutsche Biographie (ADB). Band 28, Duncker & Humblot, Leipzig 1889, S. 433–435.
  • Michael Holzmann: Die Konzilschronik des Ulrich Richental. Überlegungen zu den verschiedenen Handschriften. In: Schriften des Vereins für Geschichte des Bodensees und seiner Umgebung, 101. Jg. 1983, S. 73–82 (Digitalisat).
  • Heinrich Löffler: Ulrich Richentals Auftrag. Warum wurde eine Chronik des Konstanzer Konzils angefertigt?. In: Schriften des Vereins für Geschichte des Bodensees und seiner Umgebung, 142. Jg. 2024, S. 63–81
  • Dieter Mertens: Richental, Ulrich. In: Die deutsche Literatur des Mittelalters. Verfasserlexikon, zweite Auflage hrsg. von Kurt Ruh, Band 8, Berlin / New York 1992, Sp. 55–60.
  • Christof Rolker: Wappenbuch Richental VIII. Eine neue Handschrift aus Augsburg, in: Heraldica Nova. Medieval and Early Modern Heraldry from the Perspective of Cultural History, 16. September 2015
  • Wilhelm Matthiessen: Ulrich von Richentals Chronik des Konstanzer Konzils. In: Archiv für katholisches Kirchenrecht, Band 17, 1985, S. 71–191, 324–455.
  • Wilhelm Matthiessen: Ulrich (von) Richental. In: Lexikon des Mittelalters (LexMA). Band 8. LexMA-Verlag, München 1997, ISBN 3-89659-908-9, Sp. 1201 f.
  • Gisela Wacker: Ulrich Richentals Chronik des Konstanzer Konzils und ihre Funktionalisierung im 15. und 16. Jahrhundert. Aspekte zur Rekonstruktion der Urschrift und zu den Wirkungsabsichten der überlieferten Handschriften und Drucke. Dissertation, Universität Tübingen, 2002, urn:nbn:de:bsz:21-opus-5203.
Commons: Ulrich Richental – Sammlung von Bildern, Videos und Audiodateien

Anmerkungen

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