Pseudowissenschaftliche Verknüpfung von astrologischen und medizinischen Konzepten Aus Wikipedia, der freien Enzyklopädie
Die Iatromathematik (von griechisch ἰατρός iatros, „Heiler, Arzt“; und zu μάθημα mathēma, „Wissenschaft, Mathematik“) oder Iatroastrologie, auch als Astromedizin bezeichnet, war ein medizinisches Konzept, beruhend auf Astrologie und dazugehörigen mathematischen (bzw. komputistischen) Berechnungen, das versucht, die Stellung des Menschen im Kosmos zu beschreiben. Das zugrunde liegende antike Konzept ist die Melothesie (altgriechischμελοθεσίαmelothesia), die Entsprechung von Körperteilen und deren Erkrankungen mit den Einflüssen bestimmter Tierkreiszeichen und Planeten. Diese Entsprechungen wurden ab dem Mittelalter vielfach im sogenannten Homo signorum visualisiert.
Die Iatromathematik geht von einem äußeren Einfluss der Gestirne auf Schicksal und Charakter des Menschen sowie auf den menschlichen Körper und dessen Gesundheitszustand aus, dem die innere Prägung des Menschen durch seine ebenfalls durch die Gestirne beeinflusste Säftemischung, wie sie in der antik-mittelalterlichen Humoralpathologie (Säftelehre) beschrieben wird, entgegensteht. Die astrologischen Konstellationen wurden als wesentlich für die Entstehung von Krankheiten, aber auch die Therapie, wie beispielsweise den Aderlass, beeinflussend angesehen. In der auf dem Zusammenhang von Planeten bzw. Sternzeichen und dem menschlichen Organismus (als Entsprechung von Mikro- und Makrokosmos) basierenden Iatromathematik oder Iatroastrologie verbinden sich somit Astronomie, Astrologie und die humoralpathologische Vier-Säfte-Lehre (beruhend auf der antiken Vier-Elemente-Lehre) zur Astromedizin.[1]
Die Iatromathematik hatte von der Antike über die Medizin des Mittelalters bis ins 17.Jahrhundert große Bedeutung; ihre Blütezeit war im 16.Jahrhundert.
Bei der spätmittelalterlichen, erstmals als astromedizinisches Kompendium (Handbuch) um 1400 aus verschiedensten heilkundlichen und prognostischen Schriften zusammengestellten Literaturgattung „Iatromathematisches Hausbuch“[2][3][4] (1469 als prächtig bebilderter Kodex[5] im Auftrag des Nürnberger Patriziers Erasmus Schürstab herausgegeben)[6] handelt es sich um Zusammenstellungen von Texten, die den Menschen in Verbindung zum Universum stellen und medizinische Diagnosen und Therapien in Beziehung zu astronomischen Ereignissen setzen.[7] So wurden beispielsweise die für Aderlässe und andere gesundheitsfördernde Maßnahmen günstigsten Zeitpunkte anhand astrologischer Berechnungen bestimmt.[8] Inhalte solcher Textsammlungen erscheinen später auch in der sogenannten Hausväterliteratur (Als Vorläufer der weit verbreiteten medizinisch-iatromathematischer Hausbücher gilt die Tradition der Regimen-sanitatis-Literatur.[9][10])
Ein wichtiger Vertreter iatromathematischer beziehungsweise astromedizinischer Lehren war Agrippa von Nettesheim. Einer der ersten Iatromathematiker des 16. Jahrhunderts war der aus Randersacker stammende Arzt und Geistliche Jakob Schönheitz, der sich um 1500 auch in Frankfurt am Main aufhielt und 1502 in Nürnberg seine gegen Giovanni Pico della Mirandola gerichtete Apologia astrologiae veröffentlichen ließ.[11] Eine weitere frühneuzeitliche Darstellung der Iatromathematik war die 1531 gedruckte Vorlesung von Georg Tannstetter mit dem Titel Artificium de applicatione Astrologiae ad Medicinam[12] (deutsch: Kunstvolles Werk über die Anwendung der Astrologie auf die Medizin).[13]
Noch in der Gegenwart wenden Astrologen wie etwa die Ebertin-Schule Horoskope zur Diagnose angeblicher karmischer Prägungen an, die sie als Ursache vor allem psychosomatischer Krankheitsbilder vermuten.[14]
Gundolf Keil (Hrsg.): Vom Einfluß der Gestirne auf die Gesundheit und den Charakter des Menschen. Das „Iatromathematische Hausbuch“, dargestellt am Nürnberger Kodex Schürstab, Faksimile und Kommentar zur Faksimile-Ausgabe des Manuskriptes C54 der Zentralbibliothek Zürich. Hrsg. von Gundolf Keil unter Mitarbeit von Friedrich Lenhardt, Christoph Weißer und Huldrych M. Koelbing. 2 Bände. Faksimile-Verlag, Luzern/Stuttgart/Wien/Darmstadt/Berlin/Zug 1981–1983, ISBN 3-85672-013-8.
André Parent: Das 'Iatromathematische Hausbuch' in seiner bisher ältesten Fassung: die Buchauer Redaktion Heinrich Stegmüllers von 1443. Philosophische Dissertation, Montréal 1988.
André Parent: Das 'Iatromathematische Hausbuch' in Heinrich Stegmüllers Buchauer Redaktion von 1443. Anmerkungen zu Textwiedergabe, Kommentar und Wörterverzeichnis. In: Würzburger medizinhistorische Mitteilungen. Band 7, 1989, S.167–177.
Alfred Schmid, Erich Hintzsche: Conrad Türsts iatromathematisches Gesundheitsbüchlein für den Berner Schultheißen Rudolf von Erlach. Bern 1947 (= Berner Beiträge zur Geschichte der Medizin und der Naturwissenschaften. Band 7).
Christoph Weißer: Iatromathematik. In: Werner E. Gerabek und andere (Hrsg.): Enzyklopädie Medizingeschichte. Walter de Gruyter, Berlin / New York 2005, ISBN 3-11-015714-4, S.652–655.
Lorenz Welker: Das ‚Iatromathematische Corpus‘. Untersuchungen zu einem alemannischen astrologisch-medizinischen Kompendium des Spätmittelalters mit Textausgabe und einem Anhang: Michael Puffs von Schrick Traktat „Von den ausgebrannten Wässern“ in der handschriftlichen Fassung des Codex Zürich, Zentralbibliothek, C102 b. (Medizinische Dissertation) Zürich 1988 (= Zürcher medizingeschichtliche Abhandlungen, Neue Folge. Band 196).
Giancarlo Zanier: La Medicina astrologica e la sua teoria: Marsilio Ficino e i suoi critici contemporanei. Rom 1977 (= Università degli Studi di Trieste. Facoltà di Lettere e Filosofia. Band 5).
André Parent: Das „Iatromathematische Hausbuch“ in seiner bisher ältesten Fassung: Die Buchauer Redaktion Heinrich Stegmüllers von 1443. Philosophische Dissertation Montréal 1988.
Bernhard Schnell: Ein Würzburger Fragment des ›Iatromathematischen Hausbuchs‹. Ein Beitrag zu dessen Überlieferungsgeschichte. In: Würzburger medizinhistorische Mitteilungen. Band 5, 1987, S. 123–141.
Vgl. etwa Friedrich Lenhardt: Die Illustrationen des „Kodex Schürstab“. In: Gundolf Keil (Hrsg.): Vom Einfluß der Gestirne auf die Gesundheit und den Charakter des Menschen. Das „Iatromathematische Hausbuch“, dargestellt am Nürnberger Kodex Schürstab, Faksimile und Kommentar zur Faksimile-Ausgabe des Manuskriptes C54 der Zentralbibliothek Zürich. Band 2. 1983, S. 157–190.
Christoph Weißer: ‚Kodex Schürstab‘. In: Werner E. Gerabek, Bernhard D. Haage, Gundolf Keil, Wolfgang Wegner (Hrsg.): Enzyklopädie Medizingeschichte. De Gruyter, Berlin / New York 2005, ISBN 3-11-015714-4, S. 769 f.
Christina Becela-Deller: Ruta graveolens L. Eine Heilpflanze in kunst- und kulturhistorischer Bedeutung. (Mathematisch-naturwissenschaftliche Dissertation Würzburg 1994) Königshausen & Neumann, Würzburg 1998 (= Würzburger medizinhistorische Forschungen. Band 65). ISBN 3-8260-1667-X, S. 211.
Vgl. auch Volker Zimmermann: Rezeption und Rolle der Heilkunde in landessprachigen handschriftlichen Kompendien des Spätmittelalters. Der medizinische Beitrag zur Entstehung und Tradition des mittelalterlichen Hausbuchs am Übergang zur Renaissance und zum Humanismus. Medizinische Habilitationsschrift Würzburg 1982.
Gemäß Sudhoff: Iatromathematiker, 1902, S.45–47, scheint dieses „Artificium“ in Deutschland das erste speziell die Iatromathematik oder -astrologie ausführlich darstellende gedruckte Buch gewesen zu sein.